Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 111/2002
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K 111/02

Urteil vom 26. Mai 2003
II. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiberin Kopp Käch

INTRAS Caisse Maladie, rue Blavignac 1, 1227 Carouge, Beschwerdeführerin,

gegen

1. C.________,

2. T.________,

Beschwerdegegner, beide vertreten durch Fürsprecher Ernst Schär,
Dufourstrasse 18, 3000 Bern 6

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung,
Bern

(Entscheid vom 3. September 2002)

Sachverhalt:

A.
Die 1963 geborene C.________ ist bei der Intras Krankenkasse (nachfolgend
Intras) obligatorisch krankenpflegeversichert. Sie litt gemäss
Diagnosestellung des Dr. med. dent. G.________ vom 1. Februar, 21. Juni und
12. September 1999 und des Dr. med. dent. R.________ vom 13. August 1999 an
einer Bissanomalie mit Gingivatraumatisierung sowie Kaubeschwerden und
ersuchte die Krankenkasse um Übernahme der Kosten der vorgesehenen
Behandlung. Nach diversen Eingaben der Versicherten und der behandelnden
Zahnärzte lehnte die Intras nach Beizug ihres Vertrauenszahnarztes Dr. med.
dent. O.________ die Übernahme der Kosten aus der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung mit Verfügung vom 20. Juni 2000 ab. Daran hielt sie
mit Einspracheentscheid vom 7. August 2000 fest.

B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde, mit welcher C.________ und ihr Ehemann
T.________ die Übernahme der Kosten der kieferorthopädischen Operation durch
die Krankenkasse beantragten, hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 3. September 2002 gut und verpflichtete die Intras zur
Bezahlung der Behandlungskosten von insgesamt Fr. 24'054.05.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Intras, es sei der Entscheid
des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 3. September 2002 aufzuheben,
eventuell sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen zu ergänzenden
Abklärungen bezüglich Schluckbeschwerden.

C. ________ und T.________ lassen auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen. Das Bundesamt für
Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Bestimmungen zur Übernahme der Kosten für
ärztliche und zahnärztliche Behandlungen durch die obligatorische
Krankenpflegeversicherung (Art. 25 und 31 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die
Krankenversicherung [KVG], Art. 33 Abs. 2 und 5 KVG in Verbindung mit Art. 33
lit. d der Verordnung über die Krankenversicherung [KVV], Art. 17-19a der
Verordnung über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung
[Krankenpflege-Leistungsverordnung, KLV]) zutreffend dargelegt. Richtig ist
insbesondere, dass gemäss ständiger Rechtsprechung die in Art. 17-19a KLV
erwähnten Erkrankungen, welche von der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung zu übernehmende zahnärztliche Behandlungen
bedingen, abschliessend aufgezählt sind (BGE 128 V 137 Erw. 2c). Korrekt
wiedergegeben sind schliesslich die gemäss Rechtsprechung im Vordergrund
stehenden Kriterien für die Abgrenzung zwischen ärztlicher und zahnärztlicher
Behandlung, nämlich der Ansatzpunkt und die therapeutische Zielsetzung der
Behandlung (BGE 128 V 145 Erw. 4).

Zu ergänzen ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz
über den allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober
2000 im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da die nach dem massgebenden
Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Einspracheentscheides (hier: 7. August
2000) eingetretenen Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom
Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1,
121 V 366 Erw. 1b).

2.
Unbestritten und aus den Akten ersichtlich ist, dass die Beschwerdegegnerin
an einer Bissanomalie mit Gingivatraumatisierung und Kaubeschwerden litt,
welche mit einem operativen Eingriff behoben wurde. Streitig und zu prüfen
ist, ob die Kosten dieser Behandlung von der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung zu übernehmen sind.

3.
3.1 Die Vorinstanz erwog, dass die vorgenommene kieferorthopädische Operation
vor allem der Verbesserung der Kaufunktion diene und somit unter die
zahnärztlichen Behandlungen falle. Gestützt auf die Berichte des Dr. med.
dent. G.________ und Dr. med. dent. R.________ ging sie davon aus, dass die
Beschwerdegegnerin an einer Dysgnathie leide, wobei aufgrund der Akten belegt
sei, dass diese zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Nahrungsaufnahme
geführt habe, und es nachvollziehbar sei, dass es in diesem Zusammenhang zu
erheblichen Schluckbeschwerden gekommen sei. Da die Dysgnathie demzufolge
Krankheitswert im Sinne von Art. 17 lit. f Ziff. 2 KLV aufgewiesen habe, sei
die Leistungspflicht der Krankenkasse zu bejahen.

3.2 Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht die Diagnose einer Dysgnathie,
jedoch das Vorliegen der für eine Leistungspflicht gemäss Art. 17 lit. f
Ziff. 2 KLV erforderlichen schweren Störungen des Schluckens.

3.3 Die Beschwerdegegner demgegenüber machen geltend, die Versicherte habe
wegen der Dysgnathie während Jahren unter einer erheblichen Beeinträchtigung
der Nahrungsaufnahme und infolgedessen an Magen- und Verdauungsproblemen
sowie heftigen Kopfschmerzen gelitten. Bei einer erheblichen Beeinträchtigung
der Nahrungsaufnahme könne auf das Vorhandensein einer schweren Störung des
Schluckens im Sinne von Art. 17 lit. f Ziff. 2 KLV geschlossen werden.

4.
4.1 Das kantonale Gericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass der
vorgenommene Eingriff eine zahnärztliche Behandlung darstellt und demzufolge
für die Frage der Leistungspflicht der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung Art. 31 Abs. 1 KVG, vorliegend Art. 31 Abs. 1 lit.
a KVG in Verbindung mit Art. 17 lit. f Ziff. 2 KLV, massgebend ist.

4.2 Art. 17 lit. f Ziff. 2 KLV setzt das Vorliegen einer Dysgnathie voraus,
welche schwere Störungen des Schluckens zur Folge hat. Der Begriff "schwere
Störungen des Schluckens" ist nach der Rechtsprechung verbunden mit
erheblicher Beeinträchtigung der Nahrungsaufnahme bzw. des spontanen
Schluckens von Speichel (noch nicht in der Amtlichen Sammlung
veröffentlichtes Urteil B. vom 19. Februar 2003, K 56/01; Urteil P. vom 25.
März 2002, K 4/00, und Urteil P. vom 4. Dezember 2001, K 17/98). Nicht unter
den Begriff "Schluckstörungen" fallen Kaubeschwerden (noch nicht in der
Amtlichen Sammlung veröffentlichtes Urteil B. vom 19. Februar 2003, K 56/01,
Erw. 7). Kauen und Schlucken sind verschiedene Vorgänge mit unterschiedlichen
beteiligten Organen. Es können nur Kaubeschwerden, nur Schluckbeschwerden
oder aber beides gleichzeitig vorliegen. Unter den für eine Leistungspflicht
der obligatorischen Krankenpflegeversicherung vorausgesetzten schweren
Störungen des Schluckens sind Störungen bei der Beförderung zerkauter Speisen
in die Speiseröhre oder von dort in den Magen sowie beim Schlucken von
Speichel zu verstehen.

4.3 Die Akten enthalten keine genügenden Anhaltspunkte für das Vorhandensein
von Schluckstörungen, geschweige denn von solchen schwerer Natur. Vielmehr
sprach Dr. med. dent. G.________ in seinen Berichten vom 1. Februar, 21. Juni
und 12. September 1999 von einer Beeinträchtigung der Kaufunktion sowie von
Kaubeschwerden und auch Dr. med. dent. R.________ erwähnte in seinem
Schreiben vom 13. August 1999 lediglich eine Dysfunktion der Kaumuskulatur
und eine Kiefergelenksproblematik. Ebenso listeten die Beschwerdegegner
selber in der Einsprache vom 9. Juli 2000 sowie in der Beschwerde vom 4.
September 2000 Kaubeschwerden, Verdauungsprobleme und magenbedingte
Kopfschmerzen auf, die nach der kieferorthopädischen Operation verschwunden
seien. Erst in der Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 4.
Februar 2003 wird von einer erheblichen Beeinträchtigung der Nahrungsaufnahme
in dem Sinne gesprochen, dass die Versicherte feste Nahrung nur noch mit Mühe
und in grossen Bissen habe schlucken können, woraus Magen- und
Verdauungsprobleme sowie heftige Kopfschmerzen hervorgegangen seien. Auch aus
diesen Ausführungen ergibt sich jedoch, dass die Ursache für die
Beeinträchtigung der Nahrungsaufnahme darin lag, dass feste Speisen
ungenügend zerkaut wurden. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz und der
Beschwerdegegner kann indessen aus dem Vorliegen von Kaubeschwerden und einer
daraus resultierenden erheblichen Beeinträchtigung der Nahrungsaufnahme nicht
auf das Vorhandensein von schweren Störungen des Schluckens im Sinne von Art.
17 lit. f Ziff. 2 KLV geschlossen werden (noch nicht in der Amtlichen
Sammlung veröffentlichtes Urteil B. vom 19. Februar 2003, K 56/01, Erw. 7),
sodass die Voraussetzungen für eine Leistungspflicht der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung mit der Beschwerdeführerin zu verneinen sind.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 3. September 2002 aufgehoben.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 26. Mai 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: