Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 109/2002
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K 109/02

Urteil vom 16. Januar 2004
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger und Kernen;
Gerichtsschreiberin Kopp Käch

G.________, 1951, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Jürg
Maron, Schaffhauserstrasse 345, 8050 Zürich,

gegen

Helsana Versicherungen AG, Schadenrecht, Birmensdorferstrasse 94, 8003
Zürich, Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 28. August 2002)

Sachverhalt:

A.
Die 1951 geborene G.________ steht seit 1997 bei ihrem Hausarzt Dr. med.
B.________ in Behandlung wegen eines Chronic Fatigue Syndroms, eines
chronischen panvertebralen Schmerz-Syndroms, dauernder
Spannungskopfschmerzen, starker Unterleibschmerzen, rezidivierender
Dermatitiden am ganzen Körper, rezidivierendem Herpes simplex sowie
sekundärer Ammenorrhoe. Nach diversen Aufenthalten als Akutpatientin in
Spitalpflege wurde sie am 2. Dezember 1998 ins Spital X.________ eingewiesen
und hielt sich dort bis 28. Januar 1999 auf. Die Helsana Versicherungen AG
(nachfolgend Helsana) lehnte eine Kostengutsprache für diesen erneuten
Aufenthalt im Spital X.________ ab. Am 5. Mai 1999 verfügte die Helsana, an
den Aufenthalt im Spital X.________ vom 2. Dezember 1998 bis 28. Januar 1999
könne sie aufgrund der fehlenden Akutspitalbedürftigkeit keine
Spitalleistungen aus der obligatorischen Krankenpflegeversicherung
ausrichten. Hingegen gewähre sie die gleichen Leistungen wie bei einem
Aufenthalt in einem Pflegeheim (analog BESA-Stufeneinteilung 3). An diesem
Standpunkt hielt die Krankenkasse mit Einspracheentscheid vom 24. September
1999, in welchem gleichzeitig auch über die Übernahme der Kosten von
Medikamentenbezügen entschieden wurde, fest.

B.
Die gegen den Einspracheentscheid erhobene Beschwerde, in welcher G.________
u.a. die Übernahme der Kosten für den Aufenthalt im Spital X.________ auf der
Basis der Akutspitaltaxe beantragen liess, wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 28. August
2002 in diesem Punkt ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt G.________ wiederum die Vergütung der
Kosten für den Aufenthalt im Spital X.________ zum Akuttarif beantragen.
Zudem lässt sie um Durchführung einer öffentlichen Beweisverhandlung mit
Augenschein in ihrer Wohnung sowie um Gewährung der unentgeltlichen
Verbeiständung ersuchen.
Die Helsana schliesst sinngemäss auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung
verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
In formeller Hinsicht lässt die Beschwerdeführerin die Durchführung einer
öffentlichen Beweisverhandlung beantragen.

1.1 Eine Beweisverhandlung wird schon deshalb nicht durchgeführt, weil der
rechtserhebliche Sachverhalt - wie sich aus den nachfolgenden materiellen
Erwägungen ergibt - genügend erstellt ist.

1.2 Nach der Rechtsprechung ist die von Art. 6 Ziff. 1 EMRK geforderte
Öffentlichkeit der Verhandlung sodann primär im erstinstanzlichen
Rechtsmittelverfahren zu gewährleisten (BGE 122 V 54 Erw. 3 mit zahlreichen
Hinweisen). Die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung im
Sozialversicherungsprozess setzt nach dieser Praxis grundsätzlich einen im
erstinstanzlichen Verfahren zu stellenden Parteiantrag voraus (BGE 122 V 55
Erw. 3a mit Hinweisen). Fehlt es an einem solchen, lässt sich in der Regel
gegen ein ausschliesslich schriftliches Verfahren nichts einwenden, es sei
denn, wesentliche öffentliche Interessen würden eine mündliche Verhandlung
gebieten. Insbesondere in Verfahren, die nach der Praxis des betroffenen
Kantons üblicherweise ausschliesslich in Schriftform durchgeführt werden,
muss sich die Partei, die eine öffentliche Verhandlung wünscht, der
Notwendigkeit eines entsprechenden Antrags bewusst sein, weshalb dessen
Fehlen als Verzicht zu werten ist (BGE 122 V 55 Erw. 3a). Der Antrag auf
öffentliche Verhandlung muss klar und unmissverständlich vorliegen und zudem
frühzeitig gestellt werden. Nur so bleibt der geforderte einfache und rasche
Verfahrensablauf gewährleistet. Versäumt eine Partei die rechtzeitige
Geltendmachung des Anspruchs auf öffentliche Verhandlung, hat dieser deshalb
grundsätzlich als verwirkt zu gelten. Eine erst in einem späteren
Prozessstadium anbegehrte öffentliche Verhandlung lässt sich mit dem
Grundsatz von Treu und Glauben kaum vereinbaren (BGE 122 V 55 Erw. 3b mit
Hinweisen).

1.3 Die Beschwerdeführerin hat ihren Antrag auf Durchführung einer
öffentlichen Verhandlung nicht im kantonalen Verfahren gestellt, sondern
bringt ihn erstmals vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht vor. Damit
erfolgt ihr Begehren im Sinne der oben erwähnten Rechtsprechung verspätet,
womit der Anspruch verwirkt ist. Der entsprechende Antrag ist demnach
abzuweisen.

2.
Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Bestimmungen über den für die Vergütung
von Spitalaufenthalten anwendbaren Tarif (Art. 49 Abs. 3 KVG) und die
Grundsätze über die Voraussetzungen des Anspruchs auf Leistungen für
Akutspitalbedürftigkeit sowie über die einzuräumende angemessene
Anpassungszeit für den Übertritt von einem Akutspital in ein Pflegeheim oder
in eine Pflegeabteilung (BGE 124 V 367 Erw. 2c, 115 V 53 Erw. 3d; RKUV 1991
Nr. K 853 S. 3) zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen werden.
Zu ergänzen ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz
über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober
2000 im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden
Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Einspracheentscheids (hier: 24.
September 1999) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom
Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 129 V 4 Erw.
1.2).

3.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdeführerin für den Aufenthalt im
Spital X.________ vom 2. Dezember 1998 bis 28. Januar 1999 Anspruch auf
Vergütung nach Spitaltarif gemäss Art. 49 Abs. 3 KVG hat.

3.1 Die Krankenkasse stellt sich auf den Standpunkt, dass die Notwendigkeit
der Behandlung und Pflege der Beschwerdeführerin in einem Spital nicht
medizinisch indiziert sei, sodass infolge fehlender Spitalbedürftigkeit die
Voraussetzungen für die Kostenübernahme nach Spitaltarif nicht erfüllt seien.
Aufgrund der Pflegebedürftigkeit der Versicherten entrichte sie jedoch
Leistungen analog einem Pflegeheimaufenthalt (BESA-Stufe 3).
Die Vorinstanz geht ebenfalls davon aus, dass beim Aufenthalt im Spital
X.________ nicht eine Akutspitalbedürftigkeit, sondern lediglich eine
Pflegebedürftigkeit vorgelegen habe, weshalb die Krankenkasse die Kosten
analog einem Pflegeheimaufenthalt zu vergüten habe. Was die Einräumung einer
angemessenen Anpassungszeit für den Übertritt von einem Akutspital in ein
Pflegeheim oder in eine Pflegeabteilung anbelange, habe die Krankenkasse eine
Spitalbedürftigkeit bereits mit Schreiben vom 11. November 1998 bezüglich
Aufenthalt im Paraplegikerzentrum Y.________ verneint, dann aber aus reinem
Entgegenkommen doch den Akutspitaltarif vergütet, was indessen nichts an der
Verbindlichkeit der Mitteilung ändere.
Die Beschwerdeführerin macht demgegenüber im Wesentlichen geltend, beim
Aufenthalt im Spital X.________ handle es sich um einen Akutaufenthalt im
Rahmen der Schmerzbehandlungsabklärungen. Eine Kopie des Schreibens der
Krankenkasse an das Paraplegikerzentrum Y.________ vom 11. November 1998 sei
ihr im Laufe des Monats Dezember zugestellt worden. Eine allfällige
Anpassungsfrist könne aber erst von dem Tag an laufen, da sie nach bestem
Wissen und Gewissen befürchten müsse, die Krankenkasse werde einen
Spitalaufenthalt nicht als Pflichtleistung im Bereich der Akutpflege
akzeptieren. Nachdem ihr Hausarzt sie ins Spital X.________ eingewiesen habe,
habe für sie kein Anlass bestanden, an der entsprechenden Kostenübernahme zu
zweifeln.

3.2 Was zunächst die Frage der Spitalbedürftigkeit der Beschwerdeführerin in
der Zeit vom 2. Dezember 1998 bis 28. Januar 1999 anbelangt, hat das
kantonale Gericht überzeugend dargelegt, dass im Verlauf der Hospitalisation
im Spital Z.________ keine Einigung hinsichtlich des weiteren Vorgehens habe
erzielt werden können und die Rückverlegung ins Spital X.________ nicht
infolge einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder im Hinblick auf
die Durchführung einer bestimmten Behandlung erfolgt sei, sondern einzig
deshalb, weil es aus medizinischer Sicht nicht vertretbar gewesen sei, die
Beschwerdeführerin nach Hause zu entlassen. Dementsprechend sei der
Versicherten die Verlegung in die Chronisch-Krankenabteilung vorgeschlagen
worden, was sie aber abgelehnt habe. Auf die entsprechenden Erwägungen kann
verwiesen werden. Mit der Vorinstanz ist somit davon auszugehen, dass nicht
eine Akutspitalbedürftigkeit, sondern lediglich eine Pflegebedürftigkeit
gegeben war, der mit einem Aufenthalt in einem Pflegeheim oder in der
Abteilung für chronisch Kranke des Spitals genügend hätte Rechnung getragen
werden können. Daran vermögen die Einwände der Beschwerdeführerin nichts zu
ändern. Insbesondere kann aus dem Umstand, dass die Versicherte von ihrem
Hausarzt ins Spital eingewiesen worden sei, keine Akutspitalbedürftigkeit
abgeleitet werden.

3.3 Die Beschwerdeführerin macht des Weiteren geltend, ihr sei erst mit
Schreiben vom 4. Februar 1999 mitgeteilt worden, dass die Krankenkasse den
Spitalaufenthalt lediglich zum Pflegeheimtarif vergüte, weshalb die ihr
einzuräumende Anpassungszeit nicht zu laufen begonnen habe.
Aus Art. 56 in Verbindung mit Art. 49 Abs. 3 KVG folgt u.a., dass ein
Aufenthalt im Akutspital zum Spitaltarif nach Art. 49 Abs. 1 und 2 KVG nur so
lange durchgeführt werden darf, als vom Behandlungszweck her ein Aufenthalt
im Akutspital notwendig ist. Daraus wäre konsequenterweise der Schluss zu
ziehen, dass der Leistungsanspruch bei Wegfall der krankheitsbedingten
Akutspitalbedürftigkeit mit sofortiger Wirkung erlischt. Dies liefe jedoch
dem berechtigten Interesse von versicherten Personen zuwider, welche nicht
mehr der bisherigen Spitalbehandlung bedürfen, aber anderweitig stationär
untergebracht werden müssen und für welche im Hinblick auf die Umplatzierung
erst noch entsprechende Dispositionen zu treffen sind. Gemäss Rechtsprechung
ist in solchen Fällen eine kurze Anpassungszeit einzuräumen, die es den
versicherten Personen ermöglichen soll, die notwendigen Dispositionen zu
treffen, um vom Akutspital in ein Pflegeheim zu wechseln, die anderseits aber
auch den Umstand berücksichtigt, dass die Kassen für ein nicht mehr
realisiertes versichertes Risiko aufkommen müssen (BGE 124 V 362, 115 V 38,
je mit Hinweisen; RKUV 1991 Nr. K 853 S. 3).
Vorliegend ist festzustellen, dass das Spital X.________ für den Aufenthalt
der Beschwerdeführerin vom 2. Dezember 1998 bis 28. Januar 1999 nicht zum
Spitaltarif, sondern zum Pflegeheimtarif (BESA-Stufe 3) Rechnung gestellt
hat. Eine Disposition seitens der Beschwerdeführerin war somit nicht
erforderlich, weshalb ihr hiezu keine Anpassungszeit eingeräumt werden
musste.

4.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG).
Die unentgeltliche Verbeiständung kann gewährt werden (Art. 152 in Verbindung
mit Art. 135 OG), weil die Bedürftigkeit ausgewiesen ist und die anwaltliche
Vertretung geboten war, da der vorinstanzliche Entscheid in der die
Anpassungszeit betreffenden Begründung nicht ganz klar war (BGE 124 V 309
Erw. 6 mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG
aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu
leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwalt Jürg
Maron für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der
Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1500.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt.
Luzern, 16. Januar 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: