Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 102/2002
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K 102/02

Urteil vom 23. Juni 2003
III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiber
Widmer

H.________, 1984, Beschwerdeführer, handelnd durch seine Eltern, und diese
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Häfliger, Schwanenplatz 7, 6004
Luzern,

gegen

Krankenkasse Aquilana, Bruggerstrasse 46, 5400 Baden, Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 14. August 2002)

Sachverhalt:

A.
Der 1984 geborene H.________ ist bei der Krankenkasse Aquilana obligatorisch
für Krankenpflege versichert. Er leidet an idiopathischer Skoliose. Nachdem
von ärztlicher Seite ein operativer Eingriff als indiziert erachtet und dem
Versicherten empfohlen worden war, ersuchten dessen Eltern die Krankenkasse
mit Schreiben vom 2. Mai 2001 um Übernahme der Kosten einer stationären
Behandlung der Skoliose in der Klinik A.________ (Deutschland). Die Aquilana
lehnte dieses Gesuch mit Verfügung vom 1. Juni 2001 ab, weil die
Krankenversicherung für eine medizinische Wahlbehandlung im Ausland nicht
leistungspflichtig sei, woran sie auf Einsprache hin mit Entscheid vom 12.
Juli 2001 festhielt. Vom 31. Oktober bis 28. November 2001 und wiederum vom
7. bis 28. August 2002 wurde H.________ in der Klinik A.________ stationär
behandelt.

B.
Die von den Eltern von H.________ gegen den Einspracheentscheid der
Krankenkasse vom 12. Juli 2001 eingereichte Beschwerde wies das
Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 14. August 2002 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt H.________ beantragen, unter
Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und des Einspracheentscheides sei
die Krankenkasse zu verpflichten, die Kosten für die bisherigen stationären
Skoliose-Therapien in der Klinik A.________ zu übernehmen und für weitere
Aufenthalte Kostengutsprache zu erteilen. Er legt u.a. Berichte der Klinik
A.________ (vom 25. September 2002) und des Dr. med. L.________, Klinik
B.________, vom 27. September 2002 ins Recht.

Die Krankenkasse und das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen
Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 ist im
vorliegenden Fall nicht anwendbar, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des
Erlasses des streitigen Einspracheentscheides (hier: 12. Juli 2001)
eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom
Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1,
121 V 366 Erw. 1b).

2.
Die Vorinstanz hat mit Blick auf die zu beurteilende Streitfrage, ob die
obligatorische Krankenpflegeversicherung für die in Deutschland durchgeführte
stationäre Behandlung der Skoliose des Beschwerdeführers aufzukommen hat,
zutreffend auf Art. 34 KVG verwiesen, nach dessen Abs. 2 in Verbindung mit
Art. 36 Abs. 1 und 2 KVV eine entsprechende Leistungspflicht nur zu bejahen
ist, wenn entweder ein Notfall vorliegt oder die - vom allgemeinen
Leistungskatalog gemäss Art. 25 Abs. 2 und 29 KVG erfasste - medizinische
Behandlung in der Schweiz nicht erbracht werden kann. In letzterem Fall
schliesst das Fehlen der in Art. 36 Abs. 1 KVV vorgesehenen Liste die
Anspruchsberechtigung nicht aus (BGE 128 V 75).

Gemäss Art. 32 Abs. 1 Satz 1 KVG haben sämtliche der im Rahmen der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu erbringenden Leistungen den
Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit zu genügen.

Sind - nach einer vom einzelnen Anwendungsfall losgelösten und retrospektiven
allgemeinen Bewertung der mit einer diagnostischen oder therapeutischen
Massnahme erfahrungsgemäss erzielten Ergebnisse (BGE 123 V 66 Erw. 4a; RKUV
2000 Nr. KV 132 S. 281 f. Erw. 2b; Eugster, Krankenversicherung, in:
Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Rz. 186) - erwiesenermassen
mehrere Methoden oder Operationstechniken objektiv geeignet, den Erfolg einer
Krankheitsbehandlung herbeizuführen, mit andern Worten wirksam im Sinne von
Art. 32 Abs. 1 KVG, ist für die Reihenfolge der Wahl die Zweckmässigkeit der
Massnahme von vorrangiger Bedeutung (BGE 127 V 146 Erw. 5). Ob eine
medizinische Behandlung zweckmässig ist, beurteilt sich in der Regel nach dem
diagnostischen oder therapeutischen Nutzen der Anwendung im Einzelfall unter
Berücksichtigung der damit verbundenen Risiken. Die Frage der Zweckmässigkeit
ist nach medizinischen Kriterien zu beantworten und deckt sich mit derjenigen
nach der medizinischen Indikation. Ist die medizinische Indikation einer
wirksamen Behandlungsmethode gegeben, ist auch die Zweckmässigkeit zu bejahen
(BGE 125 V 99 Erw. 4a, 119 V 447 Erw. 3; RKUV 2000 Nr. KV 132 S. 281 ff. Erw.
2b-d).

Die Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit der in der Schweiz
von Ärztinnen und Ärzten erbrachten Leistungen wird gesetzlich vermutet (vgl.
Art. 33 Abs. 1 KVG; RKUV 2000 Nr. KV 132 S. 283 f.Erw. 3). Eine Ausnahme vom
Territorialitätsprinzip gemäss Art. 36 Abs. 1 KVV in Verbindung mit Art. 34
Abs. 2 KVG setzt den Nachweis voraus, dass entweder in der Schweiz überhaupt
keine Behandlungsmöglichkeit besteht oder aber im Einzelfall eine
innerstaatlich praktizierte diagnostische oder therapeutische Massnahme im
Vergleich zur auswärtigen Behandlungsalternative für die betroffene Person
erheblich höhere, wesentliche Risiken mit sich bringt und damit eine mit
Blick auf den angestrebten Heilungserfolg medizinisch verantwortbare und in
zumutbarer Weise durchführbare, mithin zweckmässige Behandlung in der Schweiz
konkret nicht gewährleistet ist. Bloss geringfügige, schwer abschätzbare oder
gar umstrittene Vorteile einer auswärts praktizierten Behandlungsmethode,
aber auch der Umstand, dass eine spezialisierte Klinik im Ausland über mehr
Erfahrung im betreffenden Fachgebiet verfügt, vermögen für sich allein noch
keinen "medizinischen Grund" im Sinne von Art. 34 Abs. 2 KVG abzugeben
(Urteil K. vom 14. Oktober 2002, K 39/01; vgl. auch BGE 127 V 147 Erw. 5
[betreffend ausserkantonale Leistungen gemäss Art. 41 Abs. 2 KVG];
unveröffentlichtes Urteil S. vom 15. Januar 1999, I 303/98 [betreffend
Eingliederungsmassnahmen im Ausland gemäss Art. 9 und 13 IVG]).

3.
3.1 Es steht fest, dass die in der Klinik A.________ (Deutschland)
durchgeführte stationäre Skoliose-Therapie in der Schweiz nicht angeboten
wird. Vielmehr wird die Skoliose in den Schweizer Kliniken mittels operativer
Korrektur angegangen. Dementsprechend empfahlen die Ärzte in der Schweiz dem
Beschwerdeführer denn auch, einen operativen Eingriff vornehmen zu lassen
(Stellungnahme des Professor H.________, Kinderorthopädische
Universitätsklinik C.________, vom 26. Juni 2000; Bericht des Dr. med.
M.________, Leiter Wirbelsäulenchirurgie, Orthopädische Universitätsklinik
D.________, vom 28. Juni 2000, der eine Operation zum damaligen Zeitpunkt
noch nicht für dringend notwendig hielt, bei einer weiteren Zunahme der
Skoliose die Operationsindikation aber als zweifellos gegeben annahm).
Schliesslich erachtete Dr. med. O.________, Chefarzt am Zentrum für
Wirbelsäulenchirurgie F.________, Klinik E.________ (Deutschland), eine
operative ventrale Korrektur als dringend (Krankenblatt vom 25. August 2000).

3.2 Entgegen der in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vertretenen Auffassung
war aufgrund dieser fachärztlichen Stellungnahmen in dem für die richterliche
Beurteilung massgebenden Zeitpunkt des Einspracheentscheides vom 12. Juli
2001 eine Operationsindikation gegeben, woran der Hinweis auf die nach der
Behandlung in der Klinik A.________ (vom 31. Oktober bis 28. November 2001
und vom 7. bis 28. August 2002) erstatteten Berichte der behandelnden Ärzte
nichts ändert. Denn der seitens der Klinik dokumentierte Erfolg der
stationären konservativen Behandlungen vermag die Leistungspflicht der
Krankenkasse für die im Ausland durchgeführte Therapie jedenfalls solange
nicht zu begründen, als in der Schweiz eine wirksame und zweckmässige
Behandlung gewährleistet ist (Erw. 1 hievor). Dies trifft im vorliegenden
Fall zu. Soweit der Beschwerdeführer auf die Operationsrisiken hinweist und
daraus ableitet, ein Eingriff in einer Schweizer Klinik könne nicht als
zweckmässige Massnahme bezeichnet werden, ist ihm entgegenzuhalten, dass sich
das Risiko eines Eingriffs nicht nach subjektiven Kriterien wie der Angst vor
einer Operation, sondern nach objektiven Gesichtspunkten beurteilt und
erheblich sein muss, damit es gegebenenfalls die Leistungspflicht der
Krankenkasse für eine Therapie im Ausland rechtfertigen könnte.

Aus dem vom Versicherten vorinstanzlich eingereichten Merkblatt der
Kinderorthopädischen Universitätsklinik F.________ aus dem Jahr 1998
betreffend Operation der lumbalen Skoliose geht hervor, dass das grösste
Operationsrisiko, dasjenige einer Infektion, etwa 1 % beträgt, wobei bei
rechtzeitigem Erkennen und medikamentöser Behandlung eine folgenlose
Ausheilung möglich ist. Sämtliche weiteren Risiken sind viel
unwahrscheinlicher. Dazu zählen das Narkose-Risiko, die Risiken vom Herz- und
Kreislaufversagen sowie das Risiko der Nervenschädigung, welches allerdings
als sehr klein bezeichnet wird.

Angesichts dieser Angaben kann von einem erheblichen Operationsrisiko nicht
die Rede sein. Der Umstand, dass es in Einzelfällen, wie vom Beschwerdeführer
mit verschiedenen Beweismitteln aufgezeigt, bei der Skoliose-Operation zu
Komplikationen kommt, belegt kein im Vergleich zur stationären Behandlung im
Ausland wesentliches Risiko; vielmehr wird damit lediglich das der
Skoliose-Operation wie jedem anderen Eingriff inhärente geringfügige Risiko
bestätigt. Gleiches gilt für die Ausführungen im Bericht des behandelnden
Arztes Dr. med. L.________ von der Klinik B.________ (vom 27. September
2002).

Die weiteren Einwendungen des Beschwerdeführers gehen von einem erheblichen
Operationsrisiko aus. Da ein solches jedoch aufgrund der vorstehenden
Erwägungen nicht besteht, erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit den
betreffenden Vorbringen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 23. Juni 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: