Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 6/2002
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H 6/02

Urteil vom 9. September 2002
III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiber
Hadorn

S.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher lic. iur. Marcel
Aebi, Hetex Areal, Lenzburgerstrasse 2, 5702 Niederlenz,

gegen

Ausgleichskasse für das schweizerische Auto-, Motorrad- und Fahrradgewerbe,
Käfiggässchen 10, 3011 Bern, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Fürsprecher
Patrick Raedersdorf, Aarbergergasse 14, 3001 Bern

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 18. Dezember 2001)

Sachverhalt:
Mit Verfügung vom 3. März 2000 verpflichtete die Ausgleichskasse für das
schweizerische Auto-, Motorrad- und Fahrradgewerbe S.________, das einzige
Verwaltungsratsmitglied der in Konkurs gefallenen Firma N.________,
Schadenersatz von Fr. 58'340.85 für nicht mehr erhältliche
Sozialversicherungsbeiträge zuzüglich Verzugszinsen, Mahngebühren und
Betreibungskosten zu leisten.

Nach Einspruch von S.________ klagte die Kasse auf Bezahlung des genannten
Betrages. Mit Enscheid vom 18. Dezember 2001 hiess das Versicherungsgericht
des Kantons Aargau die Klage im Umfang von Fr. 55'878.50 gut.

S. ________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, es
seien der kantonale Entscheid aufzuheben und die Klage der Kasse abzuweisen.
Eventuell sei die Sache zu näheren Abklärungen an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung
auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b
sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

2.
Das kantonale Versicherungsgericht hat unter Hinweis auf Gesetz (Art. 52
AHVG) und Rechtsprechung (vgl. statt vieler BGE 123 V 15 Erw. 5b) die
Voraussetzungen zutreffend dargelegt, unter welchen Organe juristischer
Personen den der Ausgleichskasse wegen Missachtung der Vorschriften über die
Beitragsabrechnung und -zahlung (Art. 14 Abs. 1 AHVG; Art. 34 ff. AHVV)
qualifiziert schuldhaft verursachten Schaden zu ersetzen haben. Richtig sind
auch die Erwägungen zur Verwirkung (Art. 82 Abs. 1 AHVV; BGE 116 V 77; AHI
2001 S. 199 Erw. 3c). Darauf wird verwiesen.

3.
Der Beschwerdeführer beanstandet, dass die Vorinstanz keine mündliche
Verhandlung durchgeführt habe.

Mit Schreiben vom 22. November 2001 teilte das kantonale Gericht den Parteien
mit, dass nach seiner Auffassung auf eine solche verzichtet werden könne.
"Wir fragen Sie deshalb an, ob Sie auf eine mündliche Verhandlung verzichten.
Die Beurteilung erfolgt dann auf Grund der Akten. Ohne Ihren Gegenbericht
innert 10 Tagen seit Zustellung dieses Schreibens nehmen wir an, dass Sie auf
die Durchführung der Verhandlung verzichten."

Bei einer derartigen Anfrage musste dem Beschwerdeführer klar sein, dass
keine mündliche Verhandlung stattfinden werde, falls er keine solche
verlangte. Nach der Rechtsprechung zu Art. 6 Ziff. 1 EMRK setzt die
Durchführung einer öffentlichen Verhandlung im erstinstanzlichen
Beschwerdeverfahren einen klaren und unmissverständlichen Antrag voraus (BGE
125 V 38 Erw. 2, 122 V 55 Erw. 3a). Wollte der Beschwerdeführer auf einer
mündlichen Verhandlung beharren, hätte er dies angesichts des
vorinstanzlichen Schreibens ausdrücklich verlangen müssen.

Sodann hatte er zu gewärtigen, dass das kantonale Gericht die "Beilagen 8-19"
für die Fallbeurteilung berücksichtigen werde, nachdem ihm diese Unterlagen
am 16. Oktober 2001 zur "Kenntnis- und allfälligen Stellungnahme" zugesandt
worden waren. Wenn er im kantonalen Prozess darauf verzichtete, Bemerkungen
zu den erwähnten Akten einzureichen, vermag er daraus zu seinen Gunsten
nichts abzuleiten.

4.
Der Beschwerdeführer macht sodann geltend, die Schadenersatzforderung der
Ausgleichskasse sei verwirkt.

Wie die Vorinstanz richtig erkannt hat, fallen die zumutbare Kenntnis des
Schadens und der Eintritt desselben in der Regel mit der Einstellung des
Konkurses mangels Aktiven zusammen, wenn der Konkurs weder im ordentlichen
noch im summarischen Verfahren durchgeführt wird. Massgebend ist der
Publikationszeitpunkt der Konkurseinstellung im schweizerischen
Handelsamtsblatt (SHAB; BGE 128 V 12 Erw. 5a, 126 V 443, je mit Hinweisen).
Zur Wahrung der Frist zur Geltendmachung der Schadenersatzforderung ist die
rechtzeitige Postaufgabe massgebend (BGE 119 V 95 Erw. 4c).
Unbestrittenermassen erfolgte die Publikation im SHAB vorliegend am 5. März
1999, weshalb die einjährige Verwirkungsfrist des Art. 82 Abs. 1 AHVV am 5.
März 2000 endete. Nachdem der Beschwerdeführer die Schadenersatzverfügung
gemäss eigenen Angaben am 6. März 2000 erhalten hat, musste diese mindestens
einen Tag vorher und damit innerhalb der Frist der Post übergeben worden
sein.

Die vorherigen Korrespondenzen zwischen dem Beschwerdeführer und der
Ausgleichskasse, die Mahnungen und Betreibungen genügen rechtsprechungsgemäss
nicht, um den Lauf der Verwirkungsfrist auszulösen.

Aus BGE 123 V 12 kann der Beschwerdeführer nichts zu seinen Gunsten ableiten.
In diesem Urteil ging es um die Festlegung des Zeitpunktes, in welchem der
Schaden entstanden war (welcher nicht notwendigerweise mit der Kenntnis des
Schadens durch die Ausgleichskasse übereinstimmen muss), und zwar im Hinblick
darauf, dass davon die Passivlegitimation eines Belangten abhing, der fast
zeitgleich den Privatkonkurs erklärt hatte. Zur hier streitigen Frage, wann
die Verwirkungsfrist nach Art. 82 Abs. 1 AHVV zu laufen beginnt, äussert sich
das Urteil überhaupt nicht.

5.
In Bezug auf die masslichen Beanstandungen hat die Vorinstanz für das
Eidgenössische Versicherungsgericht verbindlich (Erw. 1 hievor) festgestellt,
dass die Gutschrift von Fr. 1397.10 den Sozialversicherungsbeiträgen auf den
gemäss Ergänzungsbericht der Revisionsstelle der Ausgleichskassen 1998 zuviel
bescheinigten Löhnen entspricht. Den 1998 bezogenen Lohn von Fr. 47'000.- hat
der Beschwerdeführer selbst deklariert. Die Rügen betreffend die Umbuchung
von Fr. 1185.75 sowie die angeblichen Widersprüche zwischen dem "Kontoauszug
inklusive Abrechnungsdetails" vom 23. Juni 1999 und dem Kontokorrent-Auszug
vom 5. Dezember 2000 hätten wegen des im vorliegenden Verfahren geltenden
Novenverbots (Art. 105 Abs. 2 OG; BGE 121 II 100 Erw. 1c) prozessual schon
vor der Vorinstanz vorgebracht werden müssen. Im Übrigen sind beide Rügen
haltlos: Die Umbuchung der Fr. 1185.75 im Kontoauszug vom 23. Juni 1999 wird
durch die nachfolgende Zeile (Umbuchung von Fr. -1185.75) wieder
neutralisiert und ist somit für die Summe des einverlangten Schadenersatzes
nicht wirksam. Der Saldo von Fr. 117'991.- im Auszug vom 5. Dezember 2000
stellt nicht die Schadenersatzforderung dar, sondern eine buchhalterische
Grösse (Summe der Kolonnen "offen" und "Buchung"). Damit bringt der
Beschwerdeführer nichts vor, was die vorinstanzlichen Feststellungen in Bezug
auf das Massliche als bundesrechtswidrig erscheinen liesse.

6.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Der
unterliegende Beschwerdeführer hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 156
Abs. 1 OG). Eine Parteientschädigung ist der durch einen Anwalt vertretenen
Ausgleichskasse rechtsprechungsgemäss nicht zuzusprechen, da sie in
Ausführung ihrer öffentlichrechtlichen Aufgaben gehandelt hat (BGE 118 V 169
Erw. 7).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von total Fr. 4000.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt
und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 9. September 2002
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: