Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 62/2002
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H 62/02

Urteil vom 7. Juli 2003
III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiber
Nussbaumer

S.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bernhard
Meier, Ankerstrasse 53, 8004 Zürich,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin,

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 16. Januar 2002)

Sachverhalt:

A.
S. ________ führte seit Jahren für die Sport-Toto-Gesellschaft an der Strasse
X.________ eine Ablagestelle. Auf den ihr ausgerichteten Provisionen rechnete
die Sport-Toto-Gesellschaft die paritätischen Sozialversicherungsbeiträge ab.
Ab Januar 1995 betrieb ihr Lebenspartner D.________ die Ablagestelle, während
S.________ eine ganztägige Erwerbstätigkeit bei der Firma A.________ aufnahm.
Den Wechsel in der Führung der Ablagestelle meldete sie der
Sport-Toto-Gesellschaft nicht. Diese richtete ihr in den Jahren 1995 Fr.
45'835.10 und für 1996 Fr. 47'163.90 mit der AHV abgerechnete Provisionen
aus, welche sie an D.________ weiter leitete.

Nachdem die Ausgleichskasse des Kantons Zürich zunächst gestützt auf eine
Steuermeldung D.________ für die mit der Ablagestelle erzielten Einkünfte als
Selbstständigerwerbenden erfasst hatte, hob sie auf Beschwerde hin ihre
Beitragsverfügungen vom 24. August 1999 am 15. Februar 2000
wiedererwägungsweise auf. Daraufhin schrieb das Sozialversicherungsgericht
des Kantons Zürich das Beschwerdeverfahren mit Entscheid vom 28. Februar 2000
als gegenstandslos geworden ab.

In der Folge qualifizierte die Ausgleichskasse die Tätigkeit von D.________
als unselbstständigerwerbend und verpflichtete S.________  als Arbeitgeberin
mit Nachzahlungsverfügung vom 4. Dezember 2000, auf den D.________ in den
Jahren 1995 und 1996 ausgerichteten Entgelten von Fr. 30'514.70 und von Fr.
19'756.50 die paritätischen Beiträge abzuliefern.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich nach Beiladung des D.________ mit Entscheid vom 16. Januar
2002 ab.

C.
S.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, das
vorinstanzliche Urteil und die Nachzahlungsverfügung vom 4. Dezember 2000
seien aufzuheben. Eventuell seien die von der Sport-Toto-Gesellschaft in den
Jahren 1995 bis 1999 für die Beschwerdeführerin bezahlten AHV-Beiträge auf
das AHV-Konto des D.________ zu überweisen.

D. ________ schliesst sich der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an und beantragt
deren Gutheissung. Kantonales Gericht, Ausgleichskasse des Kantons Zürich und
Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) verzichten auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Da keine Versicherungsleistungen streitig sind, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob der vorinstanzliche Entscheid
Bundesrecht verletzt, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b
sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

Ferner ist Art. 114 Abs. 1 OG zu beachten, wonach das Eidgenössische
Versicherungsgericht in Abgabestreitigkeiten an die Parteibegehren nicht
gebunden ist, wenn es im Prozess um die Verletzung von Bundesrecht oder um
die unrichtige oder unvollständige Feststellung des Sachverhalts geht.

2.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Bereich der AHV geändert worden. Weil in
zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die
bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben
(BGE 127 V 467 Erw. 1) und weil ferner das Sozialversicherungsgericht bei der
Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf den bis zum Zeitpunkt des Erlasses
der streitigen Verfügung (hier: 4. Dezember 2000) eingetretenen Sachverhalt
abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b), sind im vorliegenden Fall die neuen
Bestimmungen nicht anwendbar, sondern es ist auf die für die Beitragsjahre
1995 und 1996 geltende Rechtslage abzustellen.

3.
3.1 Nach Art. 5 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 AHVG werden vom Einkommen aus
unselbstständiger Erwerbstätigkeit, dem massgebenden Lohn, Beiträge erhoben.
Als massgebender Lohn gemäss Art. 5 Abs. 2 AHVG gilt jedes Entgelt für in
unselbstständiger Stellung auf bestimmte oder unbestimmte Zeit geleistete
Arbeit. Zum massgebenden Lohn gehören begrifflich sämtliche Bezüge der
Arbeitnehmerin und des Arbeitnehmers, die wirtschaftlich mit dem
Arbeitsverhältnis zusammenhängen, gleichgültig, ob dieses Verhältnis
fortbesteht oder gelöst worden ist und ob die Leistungen geschuldet werden
oder freiwillig erfolgen. Als beitragspflichtiges Einkommen aus
unselbstständiger Erwerbstätigkeit gilt somit nicht nur unmittelbares Entgelt
für geleistete Arbeit, sondern grundsätzlich jede Entschädigung oder
Zuwendung, die sonst wie aus dem Arbeitsverhältnis bezogen wird, soweit sie
nicht kraft ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift von der Beitragspflicht
ausgenommen ist (BGE 128 V 180 Erw. 3c, 126 V 222 Erw. 4a, 124 V 101 Erw. 2,
je mit Hinweisen).

3.2 Ausgleichskasse und kantonales Gericht haben die Tätigkeit des D.________
für die Beschwerdeführerin zu Recht als unselbstständige Erwerbstätigkeit
qualifiziert. Nach der Rechtsprechung stellen Provisionen, welche ein Inhaber
einer Ablage der Sport-Toto-Gesellschaft von dieser bezieht, grundsätzlich
Einkommen aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit dar (EVGE 1960 S. 219 mit
Hinweis; Ueli Kieser, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum
Sozialversicherungsrecht: Bundesgesetz über die Alters- und
Hinterlassenenversicherung, S. 26). Nicht anders zu entscheiden ist bei der
vorliegenden Konstellation, bei der die gegenüber der
Sport-Toto-Gesellschaft als Inhaberin der Ablagestelle auftretende Person
ihre Tätigkeit ganz oder teilweise durch Drittpersonen versehen lässt.

4.
Die Beschwerdeführerin bestreitet indessen die Zulässigkeit des zweifachen
Bezugs von paritätischen Sozialversicherungsbeiträgen auf ein und demselben
Entgelt.

4.1 Nach den Feststellungen des kantonalen Gerichts hat D.________ ab Januar
1995 die Ablagestelle für die Beschwerdeführerin geführt. Gegenüber der
Sport-Toto-Gesellschaft ist nach wie vor die Beschwerdeführerin als
Ablagehalterin aufgetreten. Auf den ihr für die Jahre 1995 und 1996
ausbezahlten Provisionen hat die Sport-Toto-Gesellschaft die paritätischen
Sozialversicherungsbeiträge entrichtet. Die vereinnahmten Provisionen leitete
die Beschwerdeführerin an D.________ als Entgelt für die Führung der
Ablagestelle weiter. Auf diesen, bereits von der Sport-Toto-Gesellschaft
verabgabten Entgelten erhob die Beschwerdegegnerin ein zweites Mal
paritätische Sozialversicherungsbeiträge, und zwar wiederum für die Führung
der Ablagestelle.

4.2 Auszugehen ist von der unselbstständigen Erwerbstätigkeit der
Beschwerdeführerin für die Sport-Toto-Gesellschaft. Diese unselbstständige
Erwerbstätigkeit liess sie ab Januar 1995 durch D.________ ausführen. Dies
geschah offenbar ohne Kenntnis der Sport-Toto-Gesellschaft. Diese
Konstellation charakterisiert sich als mehrstufiges "Arbeitsverhältnis".
Diesen mehrstufigen Arbeitsverhältnissen ist gemeinsam, dass keine direkte
Beziehung zwischen Arbeitgeber und "Unterarbeitnehmern" entsteht, sowie dass
das Arbeitsentgelt zwischen "Oberarbeitnehmer" und seinen
"Unterarbeitnehmern" aufgeteilt wird (Hans-Peter Käser, Unterstellung und
Beitragswesen in der obligatorischen AHV, 2. Aufl., S. 260 Rz 14.14; ZAK 1981
S. 479 und Rz 1017 der Wegleitung des BSV über den Bezug der Beiträge [WBB]
in der AHV, IV und EO; vgl. auch BGE 114 V 65 und ZAK 1976 S. 147, 1961 S.
167). Für mehrstufige Arbeitsverhältnisse sind in Art. 36 AHVV (in der bis
Ende Dezember 2000 in Kraft gewesenen und hier anwendbaren Fassung; vgl.
nunmehr Art. 37 in der Fassung gemäss Ziff. I der Verordnung vom 1. März
2000, in Kraft seit 1. Januar 2001) besondere Beitragsbezugsregeln
aufgestellt. Danach haben unselbstständige Mittelspersonen zwischen
Arbeitgeber und Arbeitnehmer, wie Unterhändler, Weinbau- oder andere
Akkordanten, Heimarbeiter sowie private Postautohalter die Arbeitnehmer- und
Arbeitgeberbeiträge direkt der zuständigen Ausgleichskasse zu entrichten. Die
Arbeitgeber sind verpflichtet, ihnen den Arbeitgeberbeitrag auf dem gesamten
an sie ausbezahlten Lohn zu vergüten. Rz 2092 ff. WBB konkretisieren das
Beitragszahlungs- und -abrechnungsverfahren. Im vorliegenden Verfahren ist
nicht nach den Regeln des Art. 36 AHVV abgerechnet worden, wobei offen
bleiben kann, ob diese Bestimmung auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt
überhaupt anwendbar ist. Aus der angeführten Gerichts- und Verwaltungspraxis
sowie Art. 36 AHVV geht indessen hervor, dass bei mehrstufigen
Arbeitsverhältnissen auf ein und demselben Arbeitsentgelt nicht doppelt
paritätische Sozialversicherungsbeiträge zu erheben sind. Gleiches hat für
die vorliegende Konstellation zu gelten. Daran ändert nichts, dass die
Sport-Toto-Gesellschaft offenbar keine Kenntnis vom Unterarbeitsverhältnis
mit D.________ hatte (vgl. Rz 1017 WBB) und die Beschwerdeführerin die
vereinnahmten Provisionen im vollen Umfang an D.________ weitergeleitet hat.
Die im Streite liegende Beitragsverfügung vom 4. Dezember 2000 für die Jahre
1995 und 1996 ist daher nicht rechtmässig und deshalb aufzuheben. Da
Streitgegenstand lediglich die Nachzahlungsverfügung vom 4. Dezember 2000
ist, kann im vorliegenden Verfahren nicht geprüft werden, wie die von der
Sport-Toto-Gesellschaft ab 1995 verabgabten Entgelte in die Individuellen
Konti der Beschwerdeführerin und des D.________ einzutragen sind.

5.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 156 OG). Ausgangsgemäss wird die
Beschwerdegegnerin kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 156 und Art. 159
OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 16. Januar 2002 und die
Beitragsverfügung der Ausgleichskasse des Kantons Zürich vom 4. Dezember 2000
aufgehoben.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 900.- werden der Ausgleichskasse des Kantons
Zürich auferlegt.

3.
Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 900.- wird der Beschwerdeführerin
zurückerstattet.

4.
Die Ausgleichskasse des Kantons Zürich hat der Beschwerdeführerin für das
Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine
Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu
bezahlen.

5.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wird über eine
Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des
letztinstanzlichen Prozesses, zu befinden haben.

6.
Dieses Urteil wird den Parteien, D.________, dem Sozialversicherungsgericht
des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 7. Juli 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: