Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 50/2002
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H 50/02 Gi

                        IV. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari;
Gerichtsschreiberin Keel Baumann

                  Urteil vom 4. Juni 2002

                         in Sachen

G.________ & Co., Beschwerdeführerin,

                           gegen

Ausgleichskasse Wirtschaftskammer 114, Viaduktstrasse 42,
4051 Basel, Beschwerdegegnerin,

                            und

Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft, Liestal

     A.- Anlässlich einer am 9. Oktober 2000 durchgeführten
Arbeitgeberkontrolle stellte die Ausgleichskasse Wirt-
schaftskammer 114 fest, dass die ihr als Arbeitgeberin an-
geschlossene Firma G.________ & Co. in den Jahren 1997 bis
1999 über an H.________ ausgerichtete Zahlungen von
Fr. 106'523.- (1997), Fr. 102'865.- (1998) und Fr. 20'800.-
(1999), d.h. insgesamt Fr. 230'188.-, nicht abgerechnet

hatte. Mit Verfügung vom 12. Oktober 2000 verpflichtete die
Kasse die G.________ & Co. zur Nachzahlung ausstehender
Sozialversicherungsbeiträge in der Höhe von insgesamt
Fr. 28'828.10 (einschliesslich Verwaltungskosten), wobei
die Verfügung einzig der Firma eröffnet wurde.

     B.- Die von der G.________ & Co. hiegegen mit dem
sinngemässen Antrag auf Aufhebung der Nachzahlungsverfügung
erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kan-
tons Basel-Landschaft mit Entscheid vom 19. Dezember 2001
ab, ohne dass H.________ zum Verfahren beigeladen worden
war.

     C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneuert die
G.________ & Co. das im kantonalen Verfahren gestellte
Rechtsbegehren. Im Nachgang zur Verwaltungsgerichtsbe-
schwerde beanstandete sie die Mitwirkung von Richter
X.________ am kantonalen Entscheid.
     Während die Ausgleichskasse auf Abweisung der Verwal-
tungsgerichtsbeschwerde schliesst, lässt sich das Bundesamt
für Sozialversicherung nicht vernehmen.

     Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

     1.- Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht
um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleis-
tungen handelt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht
nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht
verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Miss-
brauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachver-
halt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter
Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt
worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und
b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

     Ferner ist Art. 114 Abs. 1 OG zu beachten, wonach das
Eidgenössische Versicherungsgericht in Abgabestreitigkeiten
nicht an die Parteibegehren gebunden ist, wenn es im Pro-
zess um die Verletzung von Bundesrecht oder um die unrich-
tige oder unvollständige Feststellung des Sachverhalts
geht.

     2.- a) Erlässt eine Ausgleichskasse auf dem Gebiet der
paritätischen Beiträge eine Verfügung, so stellt sie eine
Beitragsschuld sowohl des Arbeitgebers als auch des Arbeit-
nehmers fest (Art. 4 und 5 sowie Art. 12 und 13 AHVG). Ar-
beitgeber und Arbeitnehmer sind in gleicher Weise betrof-
fen, weshalb die Verfügung im Hinblick auf die Wahrung des
rechtlichen Gehörs grundsätzlich beiden zu eröffnen ist.
Ausnahmen von diesem Grundsatz hat das Eidgenössische Ver-
sicherungsgericht indessen dort zugelassen, wo der Aus-
gleichskasse aus praktischen Gründen die Zustellung von
Verfügungen an die Arbeitnehmer nicht zugemutet werden
kann. Dies trifft beispielsweise zu, wenn es sich um eine
grosse Zahl von Arbeitnehmern handelt, wenn sich der Wohn-
sitz der Arbeitnehmer im Ausland befindet oder wenn es sich
lediglich um geringfügige Beiträge handelt (BGE 113 V 3
Erw. 2 mit Hinweisen). Diese Grundsätze gelten nicht nur,
wenn das Beitragsstatut oder die Natur einzelner Zahlungen
streitig ist, sondern auch bei nachträglichen Lohnerfassun-
gen, wenn umstritten ist, ob bestimmte Vergütungen zum
massgebenden Lohn im Sinne von Art. 5 Abs. 2 AHVG gehören
(BGE 113 V 4 Erw. 3a).
     Ist eine Beitragsverfügung nur dem Arbeitgeber eröff-
net worden und hat dieser Beschwerde erhoben, so hat das
erstinstanzliche Gericht - ausser in den genannten Ausnah-
mefällen - entweder den Arbeitnehmer beizuladen oder die
Sache an die Verwaltung zurückzuweisen, damit diese durch
Zustellung der Beitragsverfügung an den oder die betroffe-
nen Arbeitnehmer deren Verfahrensrechte wahrt (BGE 113 V 5
Erw. 4a).

     b) Das Recht, angehört zu werden, ist formeller Natur.
Die Verletzung des rechtlichen Gehörs führt ungeachtet der
Erfolgsaussichten der Beschwerde in der Sache selbst zur
Aufhebung der angefochtenen Verfügung. Es kommt mit anderen
Worten nicht darauf an, ob die Anhörung im konkreten Fall
für den Ausgang der materiellen Streitentscheidung von Be-
deutung ist, d.h. die Behörde zu einer Änderung ihres Ent-
scheides veranlasst wird oder nicht (BGE 127 V 437
Erw. 3d/aa, 126 V 132 Erw. 2b mit Hinweisen).
     Nach der Rechtsprechung kann eine - nicht besonders
schwerwiegende - Verletzung des rechtlichen Gehörs als ge-
heilt gelten, wenn die betroffene Person die Möglichkeit
erhält, sich vor einer Beschwerdeinstanz zu äussern, die
sowohl den Sachverhalt wie die Rechtslage frei überprüfen
kann. Die Heilung eines - allfälligen - Mangels soll aber
die Ausnahme bleiben (BGE 127 V 437 Erw. 3d/aa, 126 I 72,
126 V 132 Erw. 2b, je mit Hinweisen).

     3.- Die Verwaltung hat die strittige Nachzahlungsver-
fügung vom 12. Oktober 2000 ausweislich der Akten einzig
der Adressatin G.________ & Co., nicht aber auch H.________
als betroffenem Arbeitnehmer zugestellt. Da die Vorausset-
zungen, wonach von einer entsprechenden Eröffnung aus prak-
tischen Gründen hätte abgesehen werden können (vgl. Erw. 2a
hievor), nicht gegeben sind, hätte die Vorinstanz
H.________ beiladen oder die Sache an die Verwaltung zu-
rückweisen müssen, um ihm die Möglichkeit einzuräumen, sei-
ne Verfahrensrechte nachträglich zu wahren. Da weder eine
Beiladung noch eine Rückweisung erfolgte, bleibt zu prüfen,
ob die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Heilung der
Gehörsverletzung im letztinstanzlichen Verfahren gegeben
sind. Dies ist bereits deshalb zu verneinen, weil das Eid-
genössische Versicherungsgericht in Beitragsstreitigkeiten
nur über eine eingeschränkte Kognition verfügt (Erw. 1 und
2b hievor). Aus diesem Grunde ist die Sache an die Aus-

gleichskasse zurückzuweisen, damit sie die strittige Verfü-
gung zur Wahrung des rechtlichen Gehörs dem betroffenen
H.________ eröffne.

     4.- Das Verfahren ist kostenpflichtig, da es nicht um
die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistun-
gen, sondern um eine Beitragsstreitigkeit geht (Art. 134 OG
e contrario). Entsprechend dem Ausgang des Prozesses sind
die Gerichtskosten der Ausgleichskasse aufzuerlegen
(Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).

     Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

  I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne
     gutgeheissen, dass der Entscheid des Versicherungsge-
     richts des Kantons Basel-Landschaft vom 19. Dezember
     2001 sowie die Nachzahlungsverfügung vom 12. Oktober
     2000 aufgehoben werden und die Sache an die Aus-
     gleichskasse Wirtschaftskammer 114 zurückgewiesen
     wird, damit diese im Sinne der Erwägungen verfahre.

 II. Die Gerichtskosten von Fr. 1800.- werden der Aus-
     gleichskasse Wirtschaftskammer 114 auferlegt.

III. Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 1800.- wird der
     Beschwerdeführerin zurückerstattet.

 IV. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsge-
     richt des Kantons Basel-Landschaft, dem Bundesamt für
     Sozialversicherung und H.________ zugestellt.

Luzern, 4. Juni 2002

                                  Im Namen des
                      Eidgenössischen Versicherungsgerichts
                          Die Präsidentin der IV. Kammer:

                             Die Gerichtsschreiberin: