Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 43/2002
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H 43/02

Urteil vom 18. Februar 2003
II. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiber Fessler

A.H.________ und B.H.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Robert Ettlin, Kernserstrasse 17, 6061 Sarnen 1,

gegen

Ausgleichskasse des Schweizerischen Gewerbes, Brunnmattstrasse 45, 3007 Bern,
Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Obwalden, Sarnen

(Entscheid vom 18. Dezember 2001)

Sachverhalt:

A.

Die 1986 gegründete Firma C.________ AG war der Ausgleichskasse des
Schweizerischen Gewerbes angeschlossen. Der Verwaltungsrat setzte sich seit
Oktober 1990 aus C.________ (Präsident) sowie A.H.________ und B.H.________
zusammen. Am 22. Juli 1999 wurde über die Gesellschaft der Konkurs eröffnet,
bei dem die Ausgleichskasse zu Verlust kam. Mit Verfügungen vom 16. Juni 2000
forderte die Verwaltung von A.H.________ und B.H.________ je Schadenersatz
(u.a. für entgangene Sozialversicherungs- und FAK-Beiträge im Zeitraum 1997
bis 1999) in der Höhe von Fr. 108'440.30 unter solidarischer Haftbarkeit mit
C.________. Hiegegen erhoben die Eheleute H.________ Einspruch.

B.
In Gutheissung der Klage der Ausgleichskasse verpflichtete das
Verwaltungsgericht des Kantons Obwalden mit Entscheid vom 18. Dezember 2001
A.H.________ und B.H.________ zur Bezahlung von Schadenersatz in der Höhe von
je Fr. 103'543.10 (unter solidarischer Haftbarkeit mit C.________).

C.
A.H.________ und B.H.________lassen Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit
dem Rechtsbegehren, der kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben und die
Klage abzuweisen; eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das
kantonale Verwaltungsgericht zurückzuweisen.

Die Ausgleichskasse beantragt sinngemäss die Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung
auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann nur so weit eingetreten werden,
als die Schadenersatzforderung kraft Bundesrechts streitig ist. Im
vorliegenden Verfahren ist deshalb auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde in
dem Umfang nicht einzutreten, als sie sich gegen die Schadenersatzforderung
für entgangene Beiträge an die kantonale Familienausgleichskasse richtet
(vgl. BGE 124 V 146 Erw. 1 mit Hinweis).

2.
Im angefochtenen Entscheid werden die Grundsätze zur (subsidiären) Haftung
der Organe von Aktiengesellschaften nach Art. 52 AHVG gemäss Rechtsprechung
zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen ist, dass das am 1.
Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) im vorliegenden Fall
nicht anwendbar ist. Nach dem massgebenden Zeitpunkt des Entscheides über die
Schadenersatzklage (hier: 18. Dezember 2001) eingetretene Rechts- und
Sachverhaltsänderungen haben unberücksichtigt zu bleiben.

3.
3.1 Es ist unbestritten, dass die Ausgleichskasse wegen Verletzung der
Vorschriften über die Abrechnungs- und Beitragszahlungspflicht des
Arbeitgebers (Art. 14 Abs. 1 AHVG und Art. 34 ff. AHVV) im Zeitraum 1997 bis
1999 durch die konkursite Firma zu Schaden gekommen ist. Zu einer näheren
Prüfung dieses Punktes besteht aufgrund der Akten kein Anlass (BGE 125 V 415
Erw. 1b am Ende sowie 417 oben).

3.2 Im Weiteren sind die tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen
Schlussfolgerungen des kantonalen Gerichts zu dem den Beschwerdeführern
anrechenbaren Verschulden in Form von Grobfahrlässigkeit sowie zu den von ihm
verneinten Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen nicht zu beanstanden.
Es kann insoweit ohne weiteres auf die entsprechenden Erwägungen im
angefochtenen Entscheid verwiesen werden.

Was die Beschwerdeführer hiegegen vorbringen lassen, vermag zu keiner anderen
Beurteilung zu führen.

3.2.1 Die Beschwerdeführer machen geltend, sie hätten fortlaufend neues Geld
in die Firma gesteckt in der festen Überzeugung, das Unternehmen könne
erhalten und vor dem Konkurs gerettet werden. Dieses an sich lobenswerte
Verhalten könnte die Beschwerdeführer nur entlasten, wenn dadurch objektiv
die Bezahlung der geschuldeten Beiträge innert nützlicher Frist hätte
erwartet werden können. Davon kann mit der Vorinstanz indessen nicht
ausgegangen werden. Vielmehr wiesen die Abschlüsse für die Geschäftsjahre
1994 bis 1997 Bilanzverluste auf und die Revisionsstelle wies in ihren
Berichten an die Generalversammlung regelmässig auf Art. 725 OR
(Anzeigepflichten des Verwaltungsrates bei Kapitalverlust und Überschuldung
der Firma) hin. Abgesehen davon legen die Beschwerdeführer nicht dar,
aufgrund welcher betrieblicher und volkswirtschaftlicher «Indikatoren» sie
der Überzeugung sein durften, das Einschiessen von Geldmitteln in die Firma
bringe das Unternehmen wieder zum Erfolg.  In diesem Zusammenhang wird im
Übrigen nicht geltend gemacht und es bestehen auch keine Hinweise in den
Akten, dass andere strukturelle Massnahmen im Rahmen eines mittel- oder
längerfristigen Sanierungskonzeptes ergriffen worden wären. So betrachtet
dienten die mehr oder weniger regelmässig aus dem privaten Vermögen zur
Verfügung gestellten Mittel lediglich dazu, finanzielle Löcher zu stopfen,
ohne Sozialversicherungsbeiträge zu bezahlen. Schliesslich kann auch nicht
davon gesprochen werden, der hier zu beurteilende Sachverhalt sei mit dem BGE
108 V 183 zugrunde liegenden vergleichbar.

3.2.2 Im Weitern musste den Beschwerdeführern bei ihrem grossen finanziellen
Engagement für die Firma bewusst sein, dass damit allein weder Dauer noch
Schwere der in den 90er-Jahren im Baugewerbe herrschenden Rezession verkürzt
oder gemildert werden konnten. Ebenso hatte es keinen Einfluss auf den
weiteren zur Entlastung vom Vorwurf der grob fahrlässig verschuldeten
Nichtbezahlung von Beiträgen geltend gemachten Grund, dass infolge des nicht
mehr 'weissen' Betreibungsregisters die öffentlichen Aufträge fehlten. Vor
diesem Hintergrund erstaunt denn auch nicht, dass die Hausbank im Juni 1998
ihren Kredit kündigte. Damit war nach dem Gesagten zu rechnen und die dadurch
notwendige Umfinanzierung konnte kaum bewerkstelligt werden.

3.2.3 Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer schliessen ihre
beträchtlichen finanziellen Aufwendungen und persönlichen Anstrengungen, um
die Firma zu erhalten und vor dem Konkurs zu retten, das von Art. 52 AHVG
geforderte qualifizierte Verschulden nicht aus. Abgesehen davon, dass sonst
diese Haftungsnorm in zahlreichen Fällen toter Buchstabe bliebe, ist es nicht
in erster Linie das Weiterbestehen der Firma, woran die beitragsrechtliche
Verantwortlichkeit des Verwaltungsrates einer Aktiengesellschaft zu messen
ist. Vielmehr geht es letztlich um die Bezahlung der
sozialversicherungsrechtlichen Lohnbeiträge im Hinblick auf die damit
finanzierten Leistungen bei Verwirklichung der Risiken Alter, Invalidität und
Tod der Arbeitnehmer.

3.2.4 Der vielfältige und grosse finanzielle Einsatz sowie die persönlichen
Bemühungen zur Erhaltung der Firma rechtfertigen schliesslich auch nicht eine
Herabsetzung der Schadenersatzpflicht gestützt auf Art. 43 OR. Dabei kann
offen bleiben, ob diese privathaftpflichtrechtliche Norm hier sinngemäss
überhaupt anwendbar ist (vgl. auch AHI 2002 S. 53 Erw. 3c). Immerhin ist
darauf hinzuweisen, dass das Eidgenössische Versicherungsgericht die selbe
Frage in Bezug auf Art. 759 Abs. 1 OR (Grundsatz der differenzierten
Solidarität bei mehreren Ersatzpflichtigen mit der Möglichkeit, eigene
Reduktionsgründe geltend zu machen) verneint hat (AHI 1996 S. 294 Erw. 6). In
diesem Zusammenhang ist auch das zur Publikation in der Amtlichen Sammlung
bestimmte Urteil St. + S. vom 10. September 2002 (H 26/02) zu erwähnen,
wonach sich weder aus der Botschaft des Bundesrates vom 2. Februar 2000 über
die 11. AHV-Revision (BBl 2000 1865 ff.) noch aus den Materialien zum ATSG
Anhaltspunkte für ein Abweichen von der geltenden Rechtsprechung zu Art. 52
AHVG ergeben.

4.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Dem
Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten den Beschwerdeführern zu
gleichen Teilen aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 und 7 OG in Verbindung mit Art.
135 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten
werden kann.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 5'000.- werden den Beschwerdeführern zu gleichen
Teilen (je Fr. 2'500.-) auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss
verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Obwalden
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 18. Februar 2003

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: