Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 317/2002
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H 317/02

Urteil vom 6. Januar 2004
II. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiber
Fessler

Schweizerische Ausgleichskasse, Avenue Edmond-Vaucher 18, 1203 Genf,
Beschwerdeführerin,

gegen

M.________, 1936, Deutschland, Beschwerdegegner

Eidgenössische Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden
Personen, Lausanne

(Entscheid vom 8. Oktober 2002)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 6. Dezember 2001 sprach die Schweizerische Ausgleichskasse
dem 1936 geborenen, in Deutschland wohnhaften M.________ ab 1. Januar 2002
eine Altersrente von monatlich Fr. 566.-- zu. Bemessungsgrundlage bildeten
ein massgebendes durchschnittliches Jahreseinkommen von Fr. 53'148.--, eine
anrechenbare Beitragsdauer von 15 Jahren und 11 Monaten sowie Rentenskala 14.

B.
Die von M.________ hiegegen erhobene Beschwerde hiess die Eidgenössische
Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen mit
Entscheid vom 8. Oktober 2002 in dem Sinne gut, dass sie die Verfügung vom 6.
Dezember 2001 aufhob und die Sache an die Schweizerische Ausgleichskasse
zurückwies, damit sie in Anwendung der Rentenskala 15 die Altersrente ab 1.
Januar 2002 auf Fr. 607.-- im Monat festsetze.

C.
Die Schweizerische Ausgleichskasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit
dem Rechtsbegehren, der Entscheid der Eidgenössischen Rekurskommission der
AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen vom 8. Oktober 2002 sei
aufzuheben.
M.________ reicht keine Vernehmlassung ein. Das Bundesamt für
Sozialversicherung beantragt die Gutheissung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Für die Beurteilung der streitigen Rentenberechnung sind weder das am 1. Juni
2002 in Kraft getretene Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der
Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen
Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten anderseits über die Freizügigkeit
(APF) noch das seit 1. Januar 2003 in Kraft stehende Bundesgesetz vom 6.
Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
anwendbar (BGE 128 V 315 sowie BGE 127 V 467 Erw. 1 und BGE 121 V 366 Erw.
1b).
Laut der Verwaltungsgerichtsbeschwerde führenden Ausgleichskasse ist die als
Folge des APF geänderte Ermittlung der Rentenskala bei laufenden Teilrenten
für die Zeit ab 1. Juni 2002 beim Beschwerdegegner bereits berücksichtigt
worden. Die neue Berechnungsweise hat zu einer höheren anwendbaren
Rentenskala (15) und damit zu einer  Erhöhung der Altersrente von Fr. 566.--
auf Fr. 607.-- geführt (vgl. zum Ganzen Kreisschreiben zur Einführung der
linearen Rentenskala bei laufenden Renten [KSLRS] gültig ab 1. Juni 2002).

2.
2.1 Die Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen für die Berechnung der
Altersrente werden mit Ausnahme von Art. 50a AHVV im angefochtenen Entscheid
im Wortlaut wiedergegeben. Darauf wird verwiesen.

2.2
2.2.1Art. 50a AHVV bestimmt unter der Überschrift «Ermittlung der
Beitragsdauer aus den Jahren 1948-1968» Folgendes: Hatte eine in den Jahren
1948-1968 in der Schweiz erwerbstätige Person ihren zivilrechtlichen Wohnsitz
im Ausland und werden die Beitragszeiten aus diesen Jahren nicht mit näheren
Angaben über die Beschäftigungsdauer belegt, so kann die Ausgleichskasse die
Beitragsdauer in einem vereinfachten Verfahren festsetzen (Abs. 1). Das
Bundesamt stellt für die Ermittlung der Beitragsdauer aus den Jahren
1948-1968 verbindliche Tabellen auf (Abs. 2).
Diese mit Verordnung vom 26. September 1994 erlassene Vorschrift kodifiziert
die frühere gleich lautende Verwaltungspraxis gemäss Rz 374.6 (ab 1. Dezember
1997: Rz 5017) der Wegleitung über die Renten in der Eidgenössischen Alters-,
Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (RWL). Sie wurde in BGE 107 V 16
Erw. 3b als gesetzmässig bezeichnet. Die in Art. 50a Abs. 2 AHVV erwähnten
nach Erwerbszweigen gegliederten «Tabellen zur Ermittlung der mutmasslichen
Beitragsdauer in den Jahren 1948 bis 1968» sind im Anhang IX der
Rentenwegleitung enthalten. Auf die Anwendung dieser Tabellen darf nur
verzichtet werden, wenn die tatsächliche Dauer der Erwerbstätigkeit durch
Arbeitszeugnisse, Lohnabrechnungen oder gleichwertige Bestätigungen des
Arbeitgebers eindeutig ausgewiesen ist (BGE 107 V 16 Erw. 3b, in RDAT II-1999
N. 64 S. 239 f. auszugsweise wiedergegebenes Urteil M. vom 16. Februar 1999
[H 3/97] Erw. 4). Diese Ausnahmeregelung gilt auch unter Art. 50a AHVV.

2.2.2 Nach der Verwaltungspraxis (Rz 5018 [bis 31. Dezember 1996: Rz 374.7]
RWL) gilt zudem Folgendes: Liegen für das gleiche Kalenderjahr mehrere
IK-Eintragungen vor, so werden die Einkommen zusammengezählt und die
Beitragsdauer anhand der Tabelle des entsprechenden Erwerbszweiges ermittelt.
Erfolgten die Eintragungen für verschiedene Erwerbszweige, so werden die
Beitragszeiten für jeden Erwerbszweig gesondert festgesetzt und dann
zusammengezählt. Dabei dürfen jedoch höchstens 12 Monate angerechnet werden.

3.
3.1 Der einzig streitige Punkt, ob für die Berechnung der Altersrente für die
Monate Januar bis Mai 2002 Rentenskala 14 oder 15 anwendbar ist, entscheidet
sich an der Gesetzmässigkeit von Rz 5018 RWL. Entgegen Aufsichtsbehörde und
Ausgleichskasse hat das Eidgenössische Versicherungsgericht sich bisher nicht
explizit zu dieser Frage geäussert. Die vom Bundesamt erwähnten Präjudizien
sind insofern nicht einschlägig.

3.1.1 Wird die Gesetzmässigkeit von Rz 5018 RWL bejaht, sind für 1957 sieben
Beitragsmonate anzurechnen. Es bestehen für dieses Jahr zwei Eintragungen im
individuellen Konto von Fr. 4'100.-- (Ausgleichskasse Baumeister) und Fr.
425.-- (Ausgleichskasse des Kantons Zürich) für den selben Erwerbszweig 37
(Baugewerbe). Das ergibt zusammen mit weiteren anrechenbaren Beitragszeiten
von 15 Jahren und 4 Monaten (8 Jahre und 1 Monat vor 1973, 7 Jahre und 10
Monate ab 1973) eine Beitragsdauer von insgesamt 15 Jahren und 11 Monaten.
Daraus errechnet sich die von der Ausgleichskasse angewendete Rentenskala 14
(vgl. Art. 29 Abs. 2 lit. b AHVG und Art. 52 AHVV [in der bis 31. Mai 2002
geltenden Fassung] in Verbindung mit Art. 30bis AHVG).

3.1.2 Sind dagegen in Abweichung von Rz 5018 RWL die den IK-Eintragungen für
1957 entsprechenden Beitragszeiten separat zu ermitteln und dann
zusammenzuzählen, ergeben sich für dieses Kalenderjahr acht Beitragsmonate.
Das ergibt eine gesamte Beitragsdauer von 16 Jahren und führt zur Anwendung
von Rentenskala 15.

3.1.3 Je nachdem, ob Rentenskala 14 oder 15 zur Anwendung gelangt, beträgt
die monatliche Altersrente für Januar bis Mai 2002 Fr. 566.-- oder Fr. 607.--
und ab Juni 2002 Fr. 607.-- resp. Fr. 647.-- (vgl. Erw. 1).
Für die abgesehen von der Rentenskala übereinstimmende Berechnung von
Vorinstanz und Ausgleichskasse im Einzelnen wird auf den angefochtenen
Entscheid verwiesen.

4.
4.1 Verwaltungsweisungen sind für das Sozialversicherungsgericht nicht
verbindlich. Es soll sie bei seiner Entscheidung mit berücksichtigen, sofern
sie eine dem Einzelfall angepasste und gerecht werdende Auslegung der
anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen zulassen. Es weicht andererseits
insoweit von Weisungen ab, als sie mit den anwendbaren gesetzlichen
Bestimmungen nicht vereinbar sind (BGE 129 V 205 Erw. 3.2, 127 V 61 Erw. 3a,
126 V 68 Erw. 4b, 427 Erw. 5a, je mit Hinweisen).

4.2
4.2.1Rz 5018 RWL regelt die im Rahmen gesetzmässiger Anwendung der «Tabelle
zur Ermittlung der mutmasslichen Beitragsdauer in den Jahren 1948 bis 1968»
offene Frage, wie vorzugehen ist, wenn für das gleiche Kalenderjahr mehrere
IK-Eintragungen gegeben sind. Beide der grundsätzlich in Betracht fallenden
Berechnungsweisen kommen zum Zuge je nachdem, ob die Eintragungen für den
gleichen Erwerbszweig oder für verschiedene Erwerbszweige erfolgten.

4.2.2 Die Regelung bei mehreren IK-Eintragungen für den selben Erwerbszweig
erscheint sachgerecht. In solchen Fällen die anrechenbaren Beitragsmonate für
jede Eintragung gesondert zu bestimmen und die so erhaltenen Beitragszeiten
zusammenzuzählen, kann zu einer nicht gerechtfertigten längeren Beitragsdauer
führen. Das gilt im Besonderen bei sich zeitlich überlappenden
Beschäftigungen oder wenn und soweit die Eintragungen von Beitragszahlungen
des selben Arbeitgebers herrühren (vgl. in diesem Sinne EVGE 1967 S. 160 Erw.
3). Allerdings dürfte dieser Tatbestand selten gegeben sein. Nach Art. 139
AHVV erfolgt die Eintragung in das individuelle Konto eines Versicherten in
der Regel einmal jährlich. Schliesslich ist auch zu berücksichtigen, dass die
im IK eingetragenen Einkommen jeweils auf den nächst höheren Tabellenwert
aufgerundet («arrotondati») werden. Das führt zu mehr anrechenbaren
Beitragsmonaten als der den effektiven Beitragszahlungen an sich
entsprechenden Anzahl und damit zu einer längeren Beitragsdauer (BGE 107 V 16
Erw. 3b in fine; Erläuterungen zum Anhang IX RWL).

4.2.3 Dafür, dass bei mehreren IK-Eintragungen für verschiedene Erwerbszweige
die Beitragszeiten für jeden Erwerbszweig gesondert festgesetzt und dann
zusammengezählt werden, sprechen vorab Gründe der Praktikabilität. Eine
allenfalls nicht gerechtfertigte höhere Anzahl anrechenbarer Beitragsmonate
ist auch bei Beitragszahlungen verschiedener Arbeitgeber und Eintragungen in
von verschiedenen Ausgleichskassen geführten Konten nicht restlos
auszuschliessen. Würden indessen zunächst die Einkommen zusammengezählt,
stellte sich die Frage, nach welcher Tabelle des Erwerbszweiges die
anrechenbaren Beitragsmonate zu bestimmen sind. Eine sachlich befriedigende
Antwort darauf ist nicht ersichtlich.
In diesem Zusammenhang ist interessant, dass bis Ende 1983 eine andere
Regelung galt. Nach Rz 374.7 RWL in der Fassung vom 1. Januar 1980 waren auch
bei mehreren IK-Eintragungen für verschiedene Erwerbszweige in einem ersten
Schritt die Einkommen zusammenzuzählen. Die anrechenbaren Beitragsmonate
wurden dann «nach der Tabelle des Erwerbszweiges mit den höchsten Beiträgen
ermittelt». Diese Regelung wurde auf den 1. Januar 1984 im Sinne der heute
geltenden Rz 5018 RWL geändert.

4.3 Rz 5018 RWL konkretisiert somit in gesetzeskonformer Weise die Anwendung
der «Tabelle zur Ermittlung der mutmasslichen Beitragsdauer in den Jahren
1948 bis 1968» bei Vorliegen mehrerer IK-Eintragungen für das gleiche
Kalenderjahr.

5.
Nach dem Gesagten ist die Altersrente des Beschwerdegegners in Anwendung der
Rentenskala 14 zu berechnen. Das ergibt bei im Übrigen unbestrittenen
Bemessungsfaktoren für Januar bis Mai 2002 die von der Ausgleichskasse am 6.
Dezember 2001 verfügte Rente von Fr. 566.-- im Monat. Der diesen
Verwaltungsakt aufhebende Entscheid verletzt daher Bundesrecht.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid der
Eidgenössischen Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden
Personen vom 8. Oktober 2002 aufgehoben.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Eidgenössischen Rekurskommission der
AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 6. Januar 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: