Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 306/2002
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H 306/02

Urteil vom 30. Juni 2003

I. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Leuzinger,
Bundesrichter Rüedi und Kernen; Gerichtsschreiber Attinger

B.________, 1949, Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Dr. Michael
Weissberg, Zentralstrasse 47, 2502 Biel,

gegen

Ausgleichskasse Basel-Stadt, Wettsteinplatz 1, 4058 Basel, Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, Basel

(Entscheid vom 14. Oktober 2002)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 25. Februar 2002 lehnte die Ausgleichskasse Basel-Stadt das
Gesuch der 1949 geborenen B.________ um Anrechnung einer Betreuungsgutschrift
für das Jahr 2001 ab, weil die Gesuchstellerin das gesetzliche Erfordernis
des gemeinsamen Haushaltes mit ihrem pflegebedürftigen Sohn nicht erfülle.
Aus demselben Grund sei die frühere Anrechnung von Betreuungsgutschriften für
die Jahre 1999 und 2000 zu Unrecht erfolgt; die entsprechenden Einträge im
individuellen Konto der Gesuchstellerin würden deshalb "storniert".

B.
Das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt wies die hiegegen erhobene
Beschwerde mit Entscheid vom 14. Oktober 2002 ab.

C.
B.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem sinngemässen Antrag,
ihr Anspruch auf Anrechnung von Betreuungsgutschriften für die Jahre 1999 bis
2001 sei anzuerkennen.

Während die Ausgleichskasse unter Verweisung auf ihre vorinstanzliche
Beschwerdeantwort sinngemäss auf Abweisung schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) auf eine Vernehmlassung zur
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im AHV-Bereich geändert worden. Weil in
zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die
bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben
(BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das Sozialversicherungsgericht bei
der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf den bis zum Zeitpunkt des
Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 25. Februar 2002) eingetretenen
Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b), sind im vorliegenden Fall die
bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Bestimmungen anwendbar.

2.
2.1
2.1.1Nach dem mit der 10. AHV-Revision am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen
Art. 29septies Abs. 1 erster Satz AHVG haben Versicherte, welche im
gemeinsamen Haushalt Verwandte in auf- oder absteigender Linie oder
Geschwister mit einem Anspruch auf Hilflosenentschädigung der AHV oder der IV
für mindestens mittlere Hilflosigkeit betreuen, Anspruch auf Anrechnung einer
Betreuungsgutschrift. Laut dem ersten Satz von Abs. 3 der genannten
Gesetzesbestimmung kann der Bundesrat das Erfordernis des gemeinsamen
Haushaltes näher umschreiben. Von dieser Befugnis hat er Gebrauch gemacht und
in Art. 52g AHVV bestimmt, dass das Erfordernis des gemeinsamen Haushaltes
mit der betreuten Person erfüllt ist bei gleicher Wohnung (lit. a), einer
anderen Wohnung im gleichen Gebäude (lit. b) oder einer Wohnung in einem
anderen Gebäude auf demselben oder einem benachbarten Grundstück (lit. c).

2.1.2 Im Hinblick auf einen einheitlichen Vollzug von Art. 29septies AHVG hat
das BSV gestützt auf Art. 72 Abs. 1 AHVG ein Kreisschreiben über die
Betreuungsgutschriften erlassen. Dessen Rz 3010 bestimmt, dass die
pflegebedürftige Person nicht nur formal, sondern auch tatsächlich mit der
betreuenden Person eine Hausgemeinschaft bilden muss; befindet sich die
pflegebedürftige Person nicht überwiegend in der Hausgemeinschaft der
betreuenden Person, so kann keine Betreuungsgutschrift beansprucht werden;
dies trifft etwa dann zu, wenn sich die pflegebedürftige Person nur an
Wochenenden oder zu Ferienzwecken bei der betreuenden Person aufhält. Das
Eidgenössische Versicherungsgericht hat diese Verwaltungsweisung im Urteil A.
vom 1. Juni 2001, H 25/01, als gesetzeskonform erachtet (vgl. hiezu BGE 126 V
68 Erw. 4b mit Hinweisen).

Sie lässt denn auch insofern eine dem Einzelfall gerecht werdende Auslegung
der in Erw. 2.1.1 hievor angeführten gesetzlichen Bestimmungen zu, als sie
voraussetzt, dass sich die pflegebedürftige Person "überwiegend" in der
Hausgemeinschaft der betreuenden Person aufhält, was nicht der Fall ist, wenn
sich jene nur samstags/sonntags, an den Feiertagen sowie für die Dauer von
vier Wochen Ferien im Jahr in die Hausgemeinschaft der betreuenden Person
begibt. Das Erfordernis des überwiegend gemeinsamen Haushaltes darf
allerdings nicht überstrapaziert werden; es ist bei einem Aufenthalt der
pflegebedürftigen im Haushalt der betreuenden Person von insgesamt rund 180
Tagen im Jahr jedenfalls erfüllt.

2.2 Das kantonale Gericht hat im angefochtenen Entscheid einen allgemeinen
Grundsatz des Sozialversicherungsrechts zutreffend wiedergegeben, wonach die
Verwaltung eine formell rechtskräftige Verfügung, welche nicht Gegenstand
materieller richterlicher Beurteilung gebildet hat, in Wiedererwägung ziehen
kann, wenn sie zweifellos unrichtig und ihre Berichtigung von erheblicher
Bedeutung ist (BGE 127 V 469 Erw. 2c mit Hinweisen).

3.
3.1
3.1.1Im vorliegenden Fall ist zunächst streitig, ob die Beschwerdeführerin im
Jahre 2001 die für die Anrechnung einer Betreuungsgutschrift erforderliche
Anspruchsvoraussetzung eines überwiegend gemeinsamen Haushaltes mit ihrem
querschnittgelähmten, eine Hilflosenentschädigung der Invalidenversicherung
beziehenden Sohn (Jahrgang 1978) erfüllte. Verwaltung und Vorinstanz
verneinen dies mit dem Hinweis darauf, dass der pflegebedürftige Sohn - mit
Ausnahme der gesamthaft acht Wochen dauernden Ferien sowie der Feiertage -
unter der Woche in einer Ausbildungsstätte bzw. in einem Wohnheim weilt.
Demgegenüber wird in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wie bereits anlässlich
der früheren Anmeldung vom 17. April 2001 geltend gemacht, der Sohn halte
sich während rund 180 Tagen im Jahr im Haushalt der Beschwerdeführerin auf.

3.1.2 Wie es sich damit tatsächlich verhält, lässt sich auf Grund der
vorliegenden Akten nicht abschliessend beurteilen. Unter Berücksichtigung der
Anzahl Samstage, Sonn- und Feiertage sowie von acht Wochen Ferien im Jahre
2001 hätten die Beschwerdeführerin und ihr pflegebedürftiger Sohn während
etwa 160 Tagen in Hausgemeinschaft gelebt. Ob der Sohn darüber hinaus zufolge
Krankheit und - wie in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend gemacht wird
- wegen nicht vorhersehbarer Komplikationen zusätzlich während rund 20 Tagen
von seiner Mutter betreut wurde, womit das in Erw. 2.1.2 hievor dargelegte
Anspruchserfordernis des überwiegend gemeinsamen Haushaltes im Jahre 2001
erfüllt wäre, wird die Verwaltung abzuklären haben.

3.2 Was die früher gewährte Anrechnung von Betreuungsgutschriften für die
Jahre 1999 und 2000 anbelangt, gab die Beschwerdeführerin - wie bereits
erwähnt - im Anmeldeformular vom 17. April 2001 an, ihr pflegebedürftiger
Sohn habe sich in den fraglichen Jahren gesamthaft während "ca. 180 Tagen
p.A." in Hausgemeinschaft mit ihr befunden.  Die gestützt darauf erlassene
anspruchsbejahende Verfügung vom 24. April 2001 erweist sich im Lichte
vorstehender Darlegungen keinesfalls als zweifellos unrichtig, weshalb eine
Wiedererwägung entfällt. Die Streichung der vormals im individuellen Konto
der Beschwerdeführerin eingetragenen Betreuungsgutschriften für die Jahre
1999 und 2000 ist somit rückgängig zu machen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der
Entscheid des Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt vom 14. Oktober 2002
und die Kassenverfügung vom 25. Februar 2002 aufgehoben werden und die Sache
an die Ausgleichskasse Basel-Stadt zurückgewiesen wird, damit diese, nach
erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Anspruch auf Anrechnung
einer Betreuungsgutschrift für das Jahr 2001 neu verfüge.

Des Weitern wird festgestellt, dass die Beschwerdeführerin Anspruch auf
Anrechnung von Betreuungsgutschriften für die Jahre 1999 und 2000 hat.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Ausgleichskasse Basel-Stadt hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren
vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr.
2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt wird über eine Parteientschädigung
für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen
Prozesses zu befinden haben.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 30. Juni 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der I. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: