Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 255/2002
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H 255/02

Urteil vom 23. Januar 2003

I. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Leuzinger,
Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiberin Hofer

T.________, Fürsprecher, als Willensvollstrecker des Nachlasses von
F.________, Beschwerdeführer,

gegen

Ausgleichskasse Gastrosuisse, Heinerich Wirri-Strasse 3, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin,

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 21. August 2002)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 28. März 2002 erhob die Ausgleichskasse Gastrosuisse einen
Sonderbeitrag auf einem Liquidationsgewinn, den die am 30. November 2001
verstorbene F.________ im Jahre 1996 erzielt hatte.

B.
Fürsprecher T.________ erhob am 29. April 2002 als Willensvollstrecker der
F.________ beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern Beschwerde, mit wel-cher
er die Verwirkung der Beitragsforderung geltend machte. Die Ausgleichs-kasse
hob die angefochtene Verfügung lite pendente wiedererwägungsweise auf. Mit
Entscheid vom 21. August 2002 schrieb das kantonale Gericht das
Be-schwerdeverfahren als gegenstandslos geworden ab (Dispositiv-Ziffer 1);
eine Parteientschädigung wurde nicht zugesprochen (Dispositiv-Ziffer 2).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde macht T.________ geltend, in Aufhebung von
Dispositiv-Ziffer 2 des vorinstanzlichen Entscheids sei ihm eine angemessene
Parteientschädigung für das kantonale Verfahren zuzusprechen.

Während die Ausgleichskasse auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliesst, lässt sich das Bundesamt für Sozialversicherung nicht vernehmen.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch des Beschwerdeführers auf
Parteientschädigung für das kantonale Beschwerdeverfahren.
Da es im vorliegenden Prozess nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen geht, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur
zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat,
einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der
rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder
unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist
(Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

2.
2.1 Nach Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG (in der bis 31. Dezember 2002 gültig
gewesenen Fassung) ist das Recht, sich verbeiständen zu lassen, gewährleistet
(Satz 1). Ferner hat der obsiegende Beschwerdeführer Anspruch auf Ersatz der
Kosten der Prozessführung und Vertretung nach gerichtlicher Festsetzung (Satz
3). Mit dem vom Bundesrat auf den 1. Januar 2003 in Kraft gesetzten
Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG)
ist diese Bestimmung aufgehoben worden. Das Verfahren vor den kantonalen
Versicherungsgerichten wird im ATSG in Art. 61 geregelt. Nach dessen lit. f
muss das Recht, sich verbeiständen zu lassen, gewährleistet sein (Satz 1).
Ge-mäss lit. g hat die obsiegende Beschwerde führende Person Anspruch auf
Er-satz der Parteikosten. Diese werden vom Versicherungsgericht festgesetzt
und ohne Rücksicht auf den Streitwert nach der Bedeutung der Streitsache und
nach der Schwierigkeit des Prozesses bemessen.

2.2 Nach der Rechtsprechung sind neue Verfahrensvorschriften grundsätzlich
mit dem Tag des Inkrafttretens sofort und in vollem Umfange anwendbar, es sei
denn, das neue Recht kenne anderslautende Übergangsbestimmungen. Dieser
intertemporalrechtliche Grundsatz kommt aber dort nicht zur Anwendung, wo
hinsichtlich des verfahrensrechtlichen Systems zwischen altem und neuem Recht
keine Kontinuität besteht und mit dem neuen Recht eine grundlegend neue
Verfahrensordnung geschaffen worden ist (BGE 112 V 360 Erw. 4a; RKUV 1998 Nr.
KV 37 S. 316 Erw. 3b; SVR 1995 MV Nr. 4 S. 12 Erw. 2b).

Von den im ATSG enthaltenen Übergangsbestimmungen ist allein Art. 82 Abs. 2
ATSG verfahrensrechtlicher Natur. Dieser sieht vor, dass die Kantone ihre
Bestimmungen über die Rechtspflege diesem Gesetz innerhalb von fünf Jahren
nach seinem Inkrafttreten anzupassen haben; bis dahin gelten die bisherigen
kantonalen Vorschriften. Ob und unter welchen Voraussetzungen in einem
kantonalen Beschwerdeverfahren im AHV-Bereich ein Entschädigungsanspruch
infolge Obsiegens besteht, richtet sich nach Bundesrecht und hängt einerseits
von der Art des Prozessausganges (Gutheissung, Rückweisung, Abschreibung
usw.) und anderseits von der Person des Ansprechers ab (BGE 110 V 57 Erw. 3a,
133 Erw. 4b, 362 Erw. 1b; vgl. auch BGE 114 V 86 Erw. 4a, RKUV 1993 Nr. U 172
S. 143, ZAK 1989 S. 253 Erw. 4a). Aus der erwähnten Übergangsbestimmung lässt
sich für die streitige Frage daher nichts ableiten. Da der vorinstanzliche
Entscheid vor dem 1. Januar 2003 erlassen wurde, ist nachstehend gestützt auf
Art. 85 AHVG zu prüfen, ob dem Beschwerdeführer für das kantonale Verfahren
ein Anspruch auf Parteientschädigung zusteht.

3.
3.1 In ständiger Rechtsprechung hat das Eidgenössische Versicherungsgericht im
Rahmen von Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG den Anspruch der Beschwerde führenden
Partei auf Entschädigung auch bei Eintritt von Gegenstandslosigkeit
anerkannt, wenn es die Prozessaussichten rechtfertigen. Massgeblich sind die
Prozessaussichten, wie sie sich vor Eintritt der Gegenstandslosigkeit
darboten (BGE 110 V 57 Erw. 3a, 109 V 71 Erw. 1, 106 V 124).

3.2 Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer bei materieller Beurteilung
der Beschwerde im kantonalen Verfahren mit seinen Begehren vollumfänglich
durchgedrungen wäre, wenn die Ausgleichskasse ihre Verfügung nicht lite
pendente aufgehoben hätte. Trotzdem sah die Vorinstanz von der Zusprechung
einer Parteientschädigung ab mit der Begründung, der Beschwerdeführer habe in
eigener Sache gehandelt. Als Willensvollstrecker sei er wie der
Massaverwalter nicht primär als frei praktizierender Anwalt oder Notar und
gewillkürter Prozessvertreter tätig, sondern aus eigenem Recht und in seiner
Eigenschaft als Beistand der Erbschaft. Ein Anspruch auf Parteientschädigung
bestehe daher nur dann, wenn auch die nicht vertretene Partei einen solchen
geltend machen könnte. Diese Voraussetzungen seien indessen nicht gegeben.

Der Beschwerdeführer bestreitet, in eigener Sache gehandelt zu haben. Als
Willensvollstrecker handle er zwar in eigenem Namen, jedoch auf Rechnung der
Erbschaft. Prozesskosten würden bei Nachlassstreitigkeiten zu Lasten des
Nachlasses gehen.

4.
4.1 Nach der Rechtsprechung hat der in eigener Sache prozessierende
Rechtsanwalt nur in Ausnahmefällen Anspruch auf eine Parteientschädigung (BGE
110 V 132). Die Voraussetzungen gemäss BGE 110 V 134 Erw. 4d (komplexe Sache
mit hohem Streitwert; hoher Arbeitsaufwand; vernünftiges Verhältnis zwischen
dem betriebenen Aufwand und dem Ergebnis der Interessenwahrung) müssen
kumulativ gegeben sein. Lediglich ausnahmsweise Anspruch auf
Parteientschädigung haben Rechtsvertreter, die ein eigenes Interesse am
Ausgang des Prozesses haben, was beispielsweise anzunehmen ist, wenn die
streitige Zusprechung von Leistungen ihre Unterstützungspflicht (Art. 328
ZGB) mindert (nicht veröffentlichtes Urteil T. vom 21. Juni 1999, I 601/98),
wenn sie als Inhaber der elterlichen Gewalt (Art. 296 ff. ZGB) das unmündige
Kind vertreten (ZAK 1984 S. 279 Erw. 3) oder im Rahmen der eherechtlichen
Beistandspflicht (Art. 159 Abs. 3 ZGB) für den Ehepartner handeln (ZAK 1985
S. 472 Erw. 4).

4.2 Das Gesetz regelt die prozessuale Rechtsstellung des Willensvollstreckers
nur indirekt durch die Verweisung auf den amtlichen Erbschaftsverwalter. Nach
Art. 596 Abs. 1 ZGB hat dieser unter anderem die Aufgabe, die Rechte und
Pflichten des Erblassers, soweit nötig, gerichtlich festzustellen. Die
Prozesslegitimation des Willensvollstreckers für Aktiv- und Passivprozesse
ergibt sich auch aus seiner Aufgabe und selbstständigen Stellung und wird
unabhängig von den verschiedenen Theorien über seine Rechtsstellung allgemein
anerkannt (Karrer, Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, N 68 zu Art.
518 ZGB; Escher, Zürcher Kommentar, N 31 zu Art. 518 ZGB). Nach der
Rechtsprechung ist der Willensvollstrecker in Prozessen um Aktiven und
Passiven der Erbschaft Partei, soweit ihm gemäss Art. 518 ZGB die Verwaltung
der betreffenden Erbschaftswerte zusteht. Abgesehen von den Fällen, wo der
Willensvollstrecker in eigener Sache als Partei auftritt (BGE 90 II 381 Erw.
2), geht es im Streit um Erbschaftswerte nicht um seine eigene materielle
Berechtigung. Aufgrund seiner gesetzlichen Stellung (Art. 518 in Verbindung
mit Art. 596 Abs. 1 ZGB) hat er in eigenem Namen die Nachlassrechte zu
wahren. Er führt den Prozess an Stelle des materiell Berechtigten oder
Verpflichteten in eigenem Namen und als Partei, wobei er auf seine
gesetzliche Ermächtigung hinzuweisen hat. Es handelt sich dabei um eine
Prozessstandschaft oder Befugnis der Prozessführung als Partei, welche dem
Willensvollstrecker kraft Bundesprivatrechts zusteht (BGE 94 II 142 Erw. 1;
Kölz/Bosshart/Röhl, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons
Zürich, 2. Aufl., Zürich 1999, N 10 zu § 21; Hans Ulrich Walder-Richli,
Zivilprozessrecht, 4. Aufl., Zürich 1996, S. 137 N 4;: Frank/Sträuli/Messmer,
Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl., Zürich 1997, N 68
ff. zu §§ 27/28 und N 8 zu § 49). Umgekehrt sind die Erben nicht zur
Prozessführung berechtigt, soweit dieses Recht dem Willensvollstrecker
zusteht (Karrer, a.a.O., N 69 zu Art. 518 ZGB). Da der Willensvollstrecker
die ihm zustehenden Befugnisse nicht in eigener Sache, um seiner selbst
willen, auszuüben, sondern in fremder Sache zu handeln und den Erbgang
ordnungsgemäss (nach den Anordnungen des Erblassers und den daneben,
ergänzend oder jenen Anordnungen vorgehend, anwendbaren gesetzlichen Regeln)
durchzuführen hat, ist er der Aufsicht der zuständigen Behörde zu
unterstellen (BGE 90 II 383 Erw. 3). Der vom Willensvollstrecker für den
Nachlass geführte Prozess wirkt formell nur für oder gegen ihn persönlich.
Weil er den Prozess aber für fremde Rechnung geführt hat, gehen Nutzen und
Schaden zu Gunsten oder zu Lasten des Nachlasses (Karrer, a.a.O., N 78 zu
Art. 518 ZGB).

4.3 Der Willensvollstrecker hat für seine Tätigkeit gemäss Art. 517 Abs. 3
ZGB Anspruch auf angemessene Entschädigung. Führt er als Anwalt einen Prozess
für den Nachlass, so hat er neben der angemessenen
Willensvollstrecker-Vergütung Anspruch auf eine separate Entschädigung
(Karrer, a.a.O., N 31 zu Art. 517 ZGB). Die Prozesskosten gehen bei
Nachlassstreitigkeiten, d.h. in Aktiv- und Passivprozessen, die der
Willensvollstrecker zu Gunsten oder zu Lasten des Nachlasses führt, zu Lasten
des Nachlasses. Dazu gehören alle erbrechtlichen Prozesse, die von ihm
geführt werden können oder müssen, einschliesslich Ungültigkeitsklagen
betreffend Bestand, Inhalt oder Umfang seiner Einsetzung oder Aufgabe. Obwohl
es um seine persönliche Stellung geht, prozessiert er nicht in eigenem
Interesse, sondern zur Vollstreckung des erblasserischen Willens. Im
Gegensatz dazu gehen bei Streitigkeiten um die wirtschaftlichen und
finanziellen Interessen des Willensvollstreckers die Prozesskosten zu seinen
Lasten, soweit sie ihm auferlegt werden (Karrer, a.a.O., N 73 zu Art. 518
ZGB).

4.4 Der Beschwerdeführer hat den vorinstanzlichen Prozess
unbestrittenermassen als Willensvollstrecker des Nachlasses von F.________
geführt. Er trat aufgrund seiner Funktion selbstständig und in eigenem Namen
auf, handelte aber auf Rechnung der Erbschaft.

Da es beim Prozess vor dem kantonalen Verwaltungsgericht um
Sozialversicherungsbeiträge und damit um Aktiven und Passiven des Nachlasses
ging (vgl. Art. 43 AHVV), kann nicht gesagt werden, der Beschwerdeführer habe
in eigenem Interesse und somit in eigener Sache im Sinne der Rechtsprechung
zum Parteientschädigungsanspruch den Prozess geführt. Entgegen der von der
Vorinstanz vertretenen Auffassung hat er daher Anspruch auf
Parteientschädigung für das kantonale Verfahren. Es wird Sache des kantonalen
Gerichts sein, die Höhe der Parteientschädigung an den Beschwerdeführer
festzulegen.

5.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Ausgleichskasse kostenpflichtig
(Art. 134 OG e contrario) und sie hat dem Beschwerdeführer eine
Parteientschädigung für das letztinstanzliche Verfahren auszurichten (Art.
159 Abs. 1 und Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird Ziffer 2 des
Dispositivs des vorinstanzlichen Entscheides vom 21. August 2002, soweit den
Anspruch auf Parteientschädigung betreffend, aufgehoben und es wird die Sache
an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern zurückgewiesen, damit dieses die
Höhe der dem Beschwerdeführer zustehenden Parteientschädigung für das
kantonale Verfahren festsetze.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden der Ausgleichskasse Gastrosuisse
auferlegt.

3.
Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 500.-- wird dem Beschwerdeführer
zurückerstattet.

4.
Die Ausgleichskasse Gastrosuisse hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren
vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr.
1'000.-- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 23. Januar 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der I. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: