Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 232/2002
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H 232/02

Urteil vom 7. Juli 2003
II. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichter Ursprung und Frésard; Gerichtsschreiberin
Durizzo

O.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Walter König,
Dufourstrasse 22, 8024 Zürich,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Verfügung vom 20. August 2002)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 24. Januar 2002 forderte die Ausgleichskasse des Kantons
Zürich von O.________ als Geschäftsführer der T.________ GmbH eine
Schadenersatzzahlung von Fr. 27'365.40 für entgangene Beiträge. Auf
Einsprache von O.________ hin klagte die Ausgleichskasse ihre Forderung beim
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich ein. Dieses setzte dem
Beklagten eine Frist von 30 Tagen zur Einreichung einer Klageantwort unter
Androhung, dass bei Säumnis auf Grund der von der Klägerin eingereichten
Akten entschieden werde und zusätzliche Abklärungen nur vorgenommen oder
veranlasst würden, wenn hierzu auf Grund der Parteivorbringen oder anderer
sich aus den Akten ergebender Anhaltspunkte hinreichender Anlass bestehe. Auf
Begehren von O.________ erstreckte das Sozialversicherungsgericht die Frist
dreimal, zuletzt bis zum 19. August 2002. Am 16. August 2002 liess der
Beklagte das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung stellen, verbunden mit
dem Antrag, die Frist zur Klagebeantwortung abzunehmen und nach Entscheid
über das Gesuch neu anzusetzen. Diesen Antrag wies das
Sozialversicherungsgericht mit Verfügung vom 20. August 2002 ab und setzte
eine nicht erstreckbare Notfrist von fünf Tagen zur Erstattung der
Klageantwort (Ziff. 1 und 2). Bezüglich unentgeltlicher Verbeiständung erwog
es, dass die Prozessarmut mit den eingereichten Unterlagen nicht ausgewiesen
sei, und setzte eine ebenfalls unerstreckbare Frist von 30 Tagen an zur
Einreichung des Formulars "Gesuch um unentgeltliche Rechtvertretung" (Ziff.
3).

B.
O.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben mit den Anträgen,
Ziff. 1 und 2 der Verfügung vom 20. August 2002 seien aufzuheben, der Prozess
sei an die Vorinstanz zurückzuweisen zum Entscheid über das Gesuch um
unentgeltliche Rechtsvertretung und anschliessender Fristansetzung zur
Klageantwort und der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen.

C.
Mit Eingabe vom 24. September 2002 lässt der Beschwerdeführer mitteilen, er
habe das bei der Vorinstanz gestellte Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung
zurückgezogen. Er modifiziert seine Anträge und stellt die Rechtsbegehren, es
seien Ziff. 1 und 2 der Verfügung der Vorinstanz vom 20. August 2002
aufzuheben, der Prozess sei an die Vorinstanz zurückzuweisen zur
Fristansetzung für die Klageantwort und der Beschwerde sei die aufschiebende
Wirkung zu erteilen.

Die Ausgleichskasse des Kantons Zürich und das Bundesamt für
Sozialversicherung verzichten auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Gemäss Art. 128 OG beurteilt das Eidgenössische Versicherungsgericht
letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen Verfügungen im Sinne
von Art. 97, 98 lit. b-h und 98a OG auf dem Gebiet der Sozialversicherung.
Hinsichtlich des Begriffs der mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbaren
Verfügungen verweist Art. 97 OG auf Art. 5 VwVG. Nach Art. 5 Abs. 1 VwVG
gelten als Verfügungen Anordnungen der Behörden im Einzelfall, die sich auf
öffentliches Recht des Bundes stützen (und im Übrigen noch weitere, nach dem
Verfügungsgegenstand näher umschriebene Voraussetzungen erfüllen).
Verfügungen im Sinne dieser Umschreibung können nach dem Wortlaut des zweiten
Absatzes von Art. 5 VwVG auch Zwischenverfügungen sein, insoweit sie den
Anforderungen des vorangehenden ersten Absatzes entsprechen. Zudem verweist
Art. 5 Abs. 2 VwVG bezüglich der Zwischenverfügungen auf Art. 45 des gleichen
Gesetzes, laut dem nur solche Zwischenverfügungen anfechtbar sind, die einen
nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können (Art. 45 Abs. 1 VwVG).
Dieser grundsätzliche Vorbehalt gilt als Voraussetzung für die Zulässigkeit
eines selbstständigen, der Endverfügung vorangehenden Beschwerdeverfahrens,
insbesondere für alle in Art. 45 Abs. 2 VwVG - nicht abschliessend -
aufgezählten Zwischenverfügungen. Für das letztinstanzliche
Beschwerdeverfahren ist ferner zu beachten, dass gemäss Art. 129 Abs. 2 in
Verbindung mit Art. 101 lit. a OG die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen
Zwischenverfügungen nur zulässig ist, wenn sie auch gegen die Endverfügung
offensteht (BGE 124 V 85 Erw. 2 mit Hinweisen).

1.2 Die bundesrechtliche Verfügungsgrundlage bestimmt sich danach, ob der
materiellrechtliche Streitgegenstand dem Bundessozialversicherungsrecht
angehört. Zwischen- und Endentscheide kantonaler Gerichte in
Bundessozialversicherungsstreitigkeiten über kantonales Verfahrensrecht sind
daher mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Eidgenössischen
Versicherungsgericht anfechtbar, unabhängig davon, ob in der Hauptsache
selbst Beschwerde geführt wird (BGE 126 V 143 ff.).
1.3 Die Voraussetzung des nicht wieder gutzumachenden Nachteils ist anders
als im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren schon als erfüllt zu betrachten,
wenn der Beschwerdeführer ein schutzwürdiges Interesse an der sofortigen
Aufhebung oder Abänderung des Entscheides hat (BGE 116 Ib 238 Erw. 2;
Rhinow/Koller/Kiss, Öffentliches Prozessrecht und Justizverfassungsrecht des
Bundes, Basel 1996, S. 238 Rz. 1238).

Die Bejahung eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils bei Gewährung einer
lediglich fünftägigen Notfrist unter Androhung der Entscheidfällung auf Grund
der Akten bei Säumnis lässt sich mit dem Grundsatz der Raschheit des
Verfahrens (Art. 85 Abs. 2 lit. a AHVG) nur schwer vereinbaren, zumal dem
Beschwerdeführer zuvor schon vier Monate zur Ausarbeitung einer Klageantwort
zur Verfügung gestanden haben. Demgegenüber hat der Rechtssuchende zweifellos
ein Interesse daran, sein Rechtsbegehren ausführlich darzulegen. Ohne Not
soll er nach allgemeinem Rechtsgrundsatz nicht um dessen Beurteilung durch
die zuständige Instanz gebracht werden (BGE 118 Ia 244 Erw. 3c mit Hinweis).
Würde der Rechtsmittelweg gegen die Zwischenverfügung nicht eröffnet, so
müsste der Beschwerdeführer entweder darauf vertrauen, dass er mit seinem
Standpunkt bei Anfechtung des materiellen Entscheides durchdringen und die
Sache nochmals an die Vorinstanz zurückgewiesen werde, oder auf die
Beurteilung überhaupt verzichten und sich allenfalls mit einer bloss
rudimentären Eingabe zur Sache ohne Instruktion durch seinen Klienten
begnügen. Zufolge der eingeschränkten Kognition des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie
Art. 105 Abs. 2 OG) bliebe der Prozessstoff im weiteren Verfahren beschränkt.
Dies ist mit Blick auf den im Sozialversicherungsprozess herrschenden
Untersuchungsgrundsatz, wonach das Gericht von Amtes wegen für die richtige
und vollständige Abklärung des rechtserheblichen Sachverhaltes zu sorgen hat
(BGE 125 V 195 Erw. 2, 122 V 158 Erw. 1a, je mit Hinweisen), zu vermeiden
(vgl. auch Ulrich Zimmerli, Zum rechtlichen Gehör im
sozialversicherungsrechtlichen Verfahren, in: Sozialversicherungsrecht im
Wandel, Festschrift 75 Jahre EVG, Bern 1992, S. 322 f.; Ueli Kieser, Das
einfache und rasche Verfahren, insbesondere im Sozialversicherungsrecht, in:
SZS 1992 S. 284).

1.4 Die Sachurteilsvoraussetzungen sind nach dem Gesagten erfüllt und auf die
Beschwerde ist daher einzutreten.

2.
Soweit der Beschwerdeführer in seiner Verwaltungsgerichtsbeschwerde eine
Verletzung des rechtlichen Gehörs wegen Verweigerung der unentgeltlichen
Verbeiständung rügt und Rückweisung der Sache zum Entscheid über das
entsprechende Gesuch verlangt, ist darauf zufolge Gegenstandslosigkeit nicht
einzutreten, da er diesen Antrag vor der Vorinstanz zurückgezogen und sein
diesbezügliches Rechtsbegehren im letztinstanzlichen Verfahren modifiziert
hat.

3.
Das kantonale Gericht hat dem Beschwerdeführer drei Mal eine Fristerstreckung
bewilligt, das vierte Gesuch jedoch abgewiesen und lediglich eine Notfrist
von fünf Tagen gewährt. Auch in diesem Punkt macht der Beschwerdeführer eine
Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend.

Eine solche liegt nicht vor, da die Vorinstanz dem Beschwerdeführer die
Möglichkeit zur Erstattung einer Klageantwort nicht verweigert hat. Die
Ansetzung einer - relativ kurzen - Notfrist rechtfertigte sich mit Blick auf
das Gebot des einfachen und raschen Verfahrens (Art. 85 Abs. 2 lit. a AHVG)
umso mehr, als der Beschwerdeführer seinen Standpunkt im Einspracheverfahren
schon ausführlich hatte äussern können und ihm bereits drei
Fristerstreckungen gewährt worden waren. Dass der Rechtsvertreter des
Beschwerdeführers überhaupt nicht in der Lage gewesen wäre, diese letzte
Frist zu wahren, etwa wegen Abwesenheit seines Klienten, macht er nicht
geltend. Im Übrigen wäre es ihm zuzumuten gewesen, die Ausarbeitung der
Klageantwort und insbesondere die Abklärung allfälliger Prozessarmut
rechtzeitig an die Hand zu nehmen.

4.
Dem Beschwerdeführer wird indessen die Möglichkeit eingeräumt, die
Klageantwort innerhalb einer letzten, nicht erstreckbaren Notfrist noch
einzureichen.

5.
Mit dem Erlass des vorliegenden Urteils wird das Gesuch um aufschiebende
Wirkung gegenstandslos.

6.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Dem
Prozessausgang entsprechend sind die Kosten dem Beschwerdeführer
aufzuerlegen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt und
mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dem Beschwerdeführer wird zur Erstattung der Klageantwort eine nicht
erstreckbare Notfrist von 5 Tagen gewährt, welche mit der Zustellung dieses
Urteils zu laufen beginnt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 7. Juli 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: