Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 229/2002
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H 229/02

Urteil vom 26. Mai 2003
II. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiberin Schüpfer

G.________, 1954, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Robert
Staub, Titlisstrasse 60, 8032 Zürich,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin,

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 20. Juni 2002)

Sachverhalt:

A.
G. ________ und U.________ waren Mitglieder des Verwaltungsrates der
X.________ AG mit Sitz in Y.________. Am 7. Januar 2000 wurde über die
Gesellschaft der Konkurs eröffnet und am 22. März 2000 mangels Aktiven wieder
eingestellt.

Mit Verfügungen vom 23. Februar 2001 forderte die Ausgleichskasse des Kantons
Zürich von G.________ und U.________ in solidarischer Haftbarkeit
Schadenersatz für entgangene AHV/IV/ALV/FAK-Beiträge, einschliesslich Zinsen,
Mahngebühren, Verwaltungs- und Betreibungskosten, im Gesamtbetrag von Fr.
32'803.60. Dagegen erhob G.________ Einspruch, währenddem U.________ die
Verfügung in Rechtskraft erwachsen liess.

B.
Die von der Ausgleichskasse mit Datum vom 3. Mai 2001 gegen G.________
eingereichte Klage hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
mit Entscheid vom 20. Juni 2002 gut und verpflichtete diesen zur Bezahlung
von Schadenersatz im verfügten Umfange.

C.
G.________ lässt dagegen Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem
sinngemässen Antrag, der angefochtene Entscheid und die
Schadenersatzverfügung seien aufzuheben; eventuell sei die
Schadenersatzpflicht angemessen zu reduzieren oder die Sache zur
Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Die Ausgleichskasse, das Bundesamt für Sozialversicherung und der beigeladene
U.________ verzichten auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann nur so weit eingetreten
werden, als die Schadenersatzforderung kraft Bundesrechts streitig ist. Im
vorliegenden Verfahren ist deshalb auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde in
dem Umfang nicht einzutreten, als sie sich gegen die Schadenersatzforderung
für entgangene Beiträge an die kantonale Familienausgleichskasse richtet
(vgl. BGE 124 V 146  Erw. 1 mit Hinweis).

1.2 Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b
sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

2.
2.1 Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im AHV-Recht, insbesondere auch hinsichtlich
der Arbeitgeberhaftung nach Art. 52 AHVG sowie Art. 81 und 82 AHVV geändert
worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze
massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden
Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1, 126 V 166 Erw. 4b), kommen
im vorliegenden Fall jedoch die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden
Bestimmungen zur Anwendung.

2.2 Die Vorinstanz hat unter Hinweis auf Gesetz (Art. 52 AHVG) und
Rechtsprechung (vgl. statt vieler BGE 123 V 15 Erw. 5b mit Hinweisen) die
Voraussetzungen zutreffend dargelegt, unter welchen das Organ einer
juristischen Person den der Ausgleichskasse in Missachtung der Vorschriften
über die Beitragsabrechnung und -bezahlung (Art. 14 Abs. 1 AHVG, Art. 34 ff.
AHVV [in der bis Ende Dezember 2000 gültigen Fassung]) entstandenen Schaden
zu ersetzen hat. Darauf wird verwiesen.

3.
3.1 Fest steht, dass die Firma X.________ AG ihrer Beitragspflicht in den
Jahren 1998 und 1999 nur ungenügend nachgekommen und der Ausgleichskasse
daraus ein Schaden entstanden ist. Das kantonale Gericht hat im angefochtenen
Entscheid die Rechtzeitigkeit der Schadenersatzverfügung, den Eintritt eines
Schadens in der Höhe von Fr. 32'802.60, die Verletzung der Beitrags- und
Zahlungspflicht sowie das grobfahrlässige Verhalten und damit die
Schadenersatzpflicht des Beschwerdeführers mit sorgfältiger Würdigung der
Akten und eingehender Begründung bejaht.

3.2 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird zunächst der Einwand erhoben,
der Umfang des von der Ausgleichskasse geltend gemachten und von der
Vorinstanz bestätigten Schadens habe vom Beschwerdeführer nicht überprüft
werden können, da die Buchhaltungsunterlagen beim Konkursamt lägen und das
kantonale Gericht diese nicht habe edieren lassen. Damit sei sein rechtliches
Gehör verletzt worden.

Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Wie bereits im kantonalen
Verfahren einlässlich dargelegt wurde, hat die Beschwerdegegnerin ihre
Forderung mit rechtskräftigen Veranlagungsverfügungen vom 5. November 1999
und mit den vom Beschwerdeführer eigenhändig unterzeichneten
Lohnsummenmeldungen belegt. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die
Schadensberechnung der Ausgleichskasse unrichtig sein könnte. Der
Beschwerdeführer bestreitet diese denn auch nicht substanziiert. Der Umstand,
dass die beim Konkursamt liegenden Buchhaltungsunterlagen der ehemaligen
Firma X.________ AG vom kantonalen Gericht nicht ediert worden sind, stellt
keine Gehörsverletzung dar, nachdem aus den vorhandenen Unterlagen der
Schadensumfang mit genügender Sicherheit hat ermittelt werden können. Die
Tatsachen wurden demnach nicht unter Verletzung wesentlicher
Verfahrensvorschriften eruiert, womit es bei den kantonalen
Sachverhaltsfeststellungen sein Bewenden hat (Erw. 1.2).
3.3 Des Weiteren wird vorgebracht, den Beschwerdeführer treffe kein
Verschulden und durch die Nichtbezahlung der AHV-Beiträge habe begründete
Aussicht bestanden, das Unternehmen zu retten. Als gelerntem Fotografen habe
ihm das Wissen um die Bewältigung von geschäftlichen Krisensituationen
gefehlt, weshalb er auf die Fachkenntnisse von Buchhalter und Revisionsstelle
vertraut habe. Er habe erwarten dürfen, dass er auf die Gefahren der
finanziellen Situation aufmerksam gemacht würde. Die strengen
Haftungsbestimmungen von Art. 52 AHVG habe er nicht gekannt. Ohne Wissen um
den Unrechtsgehalt könne er aber auch nicht schuldhaft gehandelt haben. Es
sei im Weiteren zu prüfen, ob die Revisionsstelle eventuell ihre
Anzeigepflicht gemäss Art. 729b OR verletzt habe, womit der Konkurs der Firma
X.________ AG zu spät durchgeführt und die Revisionsstelle ein Mitverschulden
am eingetretenen Schaden trage, was bei der Beurteilung seines eigenen
Verschuldens mit zu berücksichtigen wäre. Entscheidend sei aber schliesslich,
dass das kantonale Gericht fälschlicherweise davon ausgegangen sei, die
Sanierungsvereinbarung vom 18. Juni 1999 sei nicht geeignet gewesen, den
Schaden von der Beschwerdegegnerin abzuwenden. Mit zwei grösseren, trotz
Mahnungen ausstehenden Debitorenbeträgen hätte die Schuld gegenüber der
Ausgleichskasse beglichen werden können. Mit entsprechenden Zahlungen habe im
Frühjahr 1999 gerechnet werden dürfen, womit nicht von einem grobfahrlässigen
Verhalten seitens des Beschwerdeführers gesprochen werden könne.

3.3.1 Dieser Argumentation ist entgegenzuhalten, dass der Verwaltungsrat
angesichts der seit längerem bestehenden Liquidationsschwierigkeiten, wie sie
sich in den schon seit 1997 notwendigen Mahnungen und Betreibungen der
Sozialversicherungsbeiträge zeigt, Vorkehren hätte treffen müssen, um die
Beiträge der zur Auszahlung gelangenden Löhne sicherzustellen. Wie die
Vorinstanz verbindlich festgestellt hat, wurden von der Firma X.________ AG
in den Jahren 1998 und 1999 Lohnzahlungen von insgesamt Fr. 422'350.-
ausgerichtet, während die Firma Sozialversicherungsbeiträge (inklusive
Nebenkosten) in der Höhe von Fr. 32'803.60 schuldig blieb. Ein solches
Verhalten stellt namentlich eine Verletzung der Pflicht dar, in finanziell
schwierigen Zeiten nur so viel Lohn auszuzahlen, als dass die darauf
unmittelbar ex lege entstandenen Beitragsforderungen gedeckt sind (BGE 118 V
195 Erw. 2a, SVR 2003 AHV Nr. 1 S. 1). Unbeachtlich ist im Übrigen auch der
sinngemässe Hinweis des Beschwerdeführers, Eignung und Voraussetzungen für
das Verwaltungsratsmandat hätten ihm als gelerntem Fotografen gefehlt (BGE
109 V 89 Erw. 6, 97 II 411 Erw. 5b). Wäre dem so, stellte gerade die
Tatsache, dass er sich nicht über die wesentlichen Rechte und Pflichten eines
Verwaltungsrates informierte, eine Missachtung elementarer Sorgfaltspflichten
dar.

3.3.2 Auch das Vorbringen, man habe gegen die in Betreibung gesetzte
Beitragsforderungen Rechtsvorschlag erhoben und es könne nicht erwartet
werden, dass Rechnungen bezahlt würden, bevor man wisse, ob deren Höhe
gerechtfertigt ist, vermag nicht zu überzeugen. Das geeignete Mittel, sich
gegen mutmasslich zu hohe Beitragsforderungen zur Wehr zu setzen, ist die
Beschwerde gegen die Beitragsverfügung und nicht der Rechtsvorschlag gegen
die Betreibung von rechtskräftigen Beitragsforderungen. Das Hinauszögern der
Vollstreckung durch Rechtsvorschlag vermag den Beschwerdeführer damit nicht
zu entlasten.

3.3.3 Auch der Sanierungsvertrag vom 18. Juni 1999, welcher laut Vereinbarung
das Ziel hatte, die Firma X.________ AG einer stillen Liquidation zuzuführen,
ist nicht geeignet, das Verschulden des Beschwerdeführers in einem andern
Licht erscheinen zu lassen. Zu jenem Zeitpunkt hat die Firma gar keine Löhne
mehr ausbezahlt. Damit kann nicht argumentiert werden, man habe durch das
Nichtbezahlen der Beiträge die Existenz des Unternehmens zu retten versucht
(vgl. BGE 108 V 188). Der Beschwerdeführer führt aus, er habe aufgrund der
Vereinbarung ab Juni 1999 Neuaufträge im Umfang von ca. Fr. 96'000.-
eingebracht. Obwohl laut Vereinbarung der Bezahlung der AHV erste Priorität
eingeräumt worden ist, sind die erwähnten Mittel offenbar doch nicht dafür
verwendet worden, wie der eingetretene Schaden belegt. Auch aus dem Abschluss
des Vertrages vom 18. Juni 1999 kann demnach nicht als Rechtfertigungs- oder
Schuldausschlussgrund gewertet werden.

3.3.4 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird im Übrigen nicht dargetan,
was die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz als mangelhaft im Sinne
von Art. 105 Abs. 2 OG oder die rechtliche Würdigung als bundesrechtswidrig
erscheinen liesse. Der angefochtene Entscheid erweist sich damit als
rechtens.

4.
Das Verfahren ist kostenpflichtig, weil nicht die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen zu beurteilen war (Erw. 1.2 hievor;
Art. 134 OG e contrario). Entsprechend dem Ausgang des Prozesses wird der
Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135
OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten
wird.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3000.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt und
mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, dem Bundesamt für Sozialversicherung und U.________ zugestellt.
Luzern, 26. Mai 2003

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: