Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 208/2002
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H 208/02
H 214/02
Urteil vom 7. April 2003
II. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichter Ursprung und Frésard; Gerichtsschreiberin
Fleischanderl

H 208/02
U.________, Beschwerdeführer, vertreten durch lic.iur. E.________,

gegen

Ausgleichskasse PANVICA, Effingerstrasse 14, 3001 Bern, Beschwerdegegnerin,

und

H 214/02
M.________, Beschwerdeführerin,

gegen

Ausgleichskasse PANVICA, Effingerstrasse 14, 3001 Bern, Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 31. Juli 2002)

Sachverhalt:

A.
Die 1944 geborene M.________ führt seit November 1996 als Inhaberin und
Arbeitgeberin das Café X.________ und ist in dieser Eigenschaft als
Selbstständigerwerbende der AHV-Ausgleichskasse des Schweizerischen
Bäcker-Konditorenmeister-Verbandes, PANVICA, angeschlossen. Mit Verfügung vom
21. November 2001 (Ref.-Nr.: 69'689) verpflichtete die Ausgleichskasse
M.________ gestützt auf eine im August 2001 durchgeführte
Arbeitgeberkontrolle, wonach in den Erfolgsrechnungen der Jahre 1996 bis 1998
jeweils mit dem Buchungstext "U.________/Honorare" als Verwaltungsaufwand
verbuchte Beträge von Fr. 21'000.- (1998), Fr. 63'000.- (1999) und Fr.
70'000.- (2000) nicht als Lohn abgerechnet worden seien, zur Nachzahlung
persönlicher AHV/IV/EO/ALV-Beiträge, Verwaltungskosten und Zinsen in Höhe von
Fr. 21'985.- für die Periode vom 1. November 1996 bis 31. Dezember 2000.

B.
Die dagegen von M.________ erhobene Beschwerde hiess das
So-zialversicherungsgericht des Kantons Zürich unter Beiladung des als
angeblichem Lohnbezüger betroffenen Ehemannes, U.________, in dem Sinne gut,
dass es die angefochtene Verfügung aufhob und die Sache an die
Ausgleichskasse zurückwies, damit diese, nach erfolgter Abklärung im Sinne
der Erwägungen, über die Beitragspflicht neu verfüge. Als Begründung gab es
an, zwar sei von grundsätzlich beitragspflichtigen Honorarzahlungen an
U.________ auszugehen, der derzeitige Stand der Akten erlaube indes keine
endgültige Qualifizierung des Einkommens als aus selbstständiger oder
unselbstständiger Erwerbstätigkeit herrührend (Entscheid vom 31. Juli 2002).

C.
M.________ und U.________ führen je Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem
Rechtsbegehren, der vorinstanzliche Entscheid und die Kassenverfügung seien
aufzuheben. Beide lassen neu u.a. monatliche, den Zeitraum von Oktober 1998
bis Dezember 2000 beschlagende Belastungsanzeigen der Bank Y.________ AG
einreichen.

Die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten in
beiden Verfahren auf eine Vernehmlassung. M.________ enthält sich als
Mitinteressierte im Prozess ihres Ehegatten ebenfalls einer Stellungnahme,
während U.________ auf Gutheissung der Ver-waltungsgerichtsbeschwerde seiner
Ehefrau schliessen lässt.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Da den beiden Verwaltungsgerichtsbeschwerden derselbe Sachverhalt zu Grunde
liegt, sich die gleichen Rechtsfragen stellen und die Rechtsmittel den
nämlichen vorinstanzlichen Entscheid betreffen, rechtfertigt es sich, die
beiden Verfahren zu vereinigen und in einem einzigen Urteil zu erledigen (BGE
128 V 126 Erw. 1 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 128 V 194 Erw. 1).

2.
2.1 Bei der angefochtenen Verfügung handelt es sich nicht um die Bewilligung
oder Verweigerung von Versicherungsleistungen, weshalb das Eidgenössische
Versicherungsgericht nur zu prüfen hat, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b
sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

Im Rahmen von Art. 105 Abs. 2 OG ist die Möglichkeit, im Verfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht neue tatsächliche Behauptungen
aufzustellen oder neue Beweismittel geltend zu machen, weitgehend
eingeschränkt. Nach der Rechtsprechung sind nur jene neuen Beweismittel
zulässig, welche die Vorinstanz von Amtes wegen hätte erheben müssen und
deren Nichterheben eine Verlet-zung wesentlicher Verfahrensvorschriften
darstellt (BGE 121 II 99 Erw. 1c, 120 V 485 Erw. 1b, je mit Hinweisen). Zwar
ist der Verwaltungsprozess vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht, wonach
Verwaltung und Gericht von sich aus für die richtige und vollständige
Abklärung des Sachverhalts zu sorgen haben; doch entbindet das die
Rechtsuchenden nicht davon, selber die Beanstandungen geltend zu machen, die
sie anzubringen haben (Rügepflicht), und ihrerseits zur Feststellung des
Sachverhalts beizutragen (Mitwirkungspflicht). Un-zulässig und mit der weit
gehenden Bindung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts an die
vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung gemäss Art. 105 Abs. 2 OG
unvereinbar ist es darum, neue tatsächliche Behauptungen und neue
Beweismittel erst im letztinstanzlichen Verfahren vorzubringen, obwohl sie
schon im kantonalen Beschwerdeverfahren hätten geltend gemacht werden können
und - in Beachtung der Mitwirkungspflicht - hätten geltend gemacht werden
müs-sen. Solche (verspätete) Vorbringen sind nicht geeignet, die
tatsäch-lichen Feststellungen der Vorinstanz als mangelhaft im Sinne von Art.
105 Abs. 2 OG erscheinen zu lassen (BGE 121 II 100 Erw. 1c; AHI 1994 S. 211
Erw. 2b mit Hinweisen).

2.2 Bei den erstmals im letztinstanzlichen Prozess beigebrachten
Belastungsanzeigen der Bank, welche Zahlungen zu Lasten des Geschäfts-
zugunsten des gemeinschaftlichen Privatkontos der beiden Beschwerdeführer
ausweisen, handelt es sich um unechte Noven, welche im Rahmen der
eingeschränkten Kognition nach Art. 105 Abs. 2 OG im vorliegenden Verfahren
unbeachtlich bleiben. Das kantonale Gericht hat einlässlich dargetan, dass
eine beweismässige Unterlegung des sowohl im Verwaltungs- wie auch im
vorinstanzlichen Beschwerdeverfahren wiederholt geltend gemachten Einwandes,
die in Frage stehenden Beträge von Fr. 21'000.-, Fr. 63'000.- und Fr.
70'000.- stellten Privatbezüge der Beschwerdeführerin dar, welche sie auf ihr
Konto habe transferieren lassen, ohne weiteres spätestens vor der Vorinstanz
möglich und zumutbar gewesen wäre.

3.
Im angefochtenen Entscheid werden die Bestimmungen und Grund-sätze zum
Begriff der Erwerbstätigkeit (Art. 4 Abs. 1 AHVG, Art. 6 Abs. 1 AHVV; ZAK
1991 S. 312 Erw. 5a; vgl. auch BGE 125 V 384 f. Erw. 2a mit Hinweisen),
insbesondere zur Unterscheidung der unselbstständigen (Art. 5 Abs. 1 und 2
sowie Art. 14 Abs. 1 AHVG; BGE 124 V 101 f. Erw. 2, 123 V 6 f. Erw. 1 und 243
Erw. 2a, je mit Hinweisen) von der selbstständigen Erwerbstätigkeit (Art. 9
Abs. 1 und 2 AHVG; vgl. auch Art. 17 AHVV; BGE 123 V 162 f. Erw. 1, 122 V 171
Erw. 3a, 283 Erw. 2a, 119 V 162 Erw. 2 mit Hinweisen), zutreffend dargelegt.
Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft
getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall
nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der
streitigen Verfügung (hier: 21. November 2001) eingetretene Rechts- und
Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt
werden (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b).

4.
4.1 Den Erfolgsrechnungen 1998 bis 2000 sowie den zugehörigen Kontenblättern
sind unter dem Titel "Verwaltungsaufwand" (Konto Nr. 6070) u.a. per 31.
Dezember des jeweiligen Jahres verbuchte Zahlungen von Fr. 21'000.- (1998),
Fr. 63'000.- (1999) sowie Fr. 70'000.- (2000) zu entnehmen. Die
entsprechenden Buchungen, welchen anlässlich der im August 2001
durchgeführten Arbeitgeberkontrolle erwiesenermassen keine Belege zu Grunde
lagen, lauteten auf "U.________/Honorare 1998", "U.________/Honorare 1999"
und "U.________/Honorare 2000". Mit Stellungnahme vom 5. November 2001 liess
die Beschwerdeführerin mit 31. Dezember 1998, 31. Dezember 1999 und 31.
Dezember 2000 datierte und von ihr unterschriebene Buchungsbelege des Inhalts
einreichen, "Pauschalrechnung für meine Umtriebe, Spesen und Aufwendungen in
Admnistration [recte: Administration], Lohn- und Kreditorenbuchhaltung für
das Jahr 1998 [bzw. 1999/2000] Fr. 21'000.- [bzw. Fr. 63'000.-/Fr. 70'000.-].
Den Betrag habe ich durch monatliche Überweisung auf mein Privatkonot [recte:
Privatkonto] dem Bankkonto des Café X.________ entnommen".

4.2 Die Beschwerdeführer machen angesichts dieser Aktenlage im Wesentlichen
geltend, es handle sich bei den betreffenden Beträgen nicht um an U.________
ausbezahltes Erwerbseinkommen, sondern um offensichtlich auf Grund der
zugestandenermassen missverständlich formulierten Pauschalrechnungen sowohl
im Hinblick auf das Konto "Verwaltungsaufwand" wie auch die Bezeichnung
"Honorare" an U.________ falsch verbuchte Privatbezüge der Beschwerdeführerin
selber.  Demgegenüber halten Vorinstanz und Verwaltung dafür, von einer
behaupteten, an den realen wirtschaftlichen Verhältnissen vorbeigehenden
Falschbuchung in den Erfolgsrechnungen und den zugehörigen Kontenblättern
könne unter den gegebenen Umständen nicht die Rede sein, vielmehr sei mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit von grundsätzlich der Beitragspflicht
unterliegenden Honorarzahlungen an den Ehegatten der Geschäftsinhaberin
auszugehen.

5.
5.1 Die Beschwerdeführerin ist als Inhaberin einer Einzelfirma nach Art. 957
in Verbindung mit Art. 934 OR zur kaufmännischen Buchführung verpflichtet.
Diese ist mit ihren Bestandteilen (Belege, Bücher, Buchhaltungsauszüge über
Einzelkonten, Bilanzen und Erfolgsrechnungen) kraft Gesetzes (Art. 957 und
Art. 963 OR) bestimmt und geeignet, Tatsachen von rechtlicher Bedeutung bzw.
die in ihr enthaltenen Tatsachen zu beweisen, und untersteht dem
strafrechtlichen Schutz von Art. 251 Ziff. 1 StGB (BGE 125 IV 17 Erw. 2a/aa,
122 IV 25 Erw. 2b, 108 IV 25 Erw. 1c, je mit Hinweisen; Urteil S. vom 21.
Februar 2003, P 43/02, Erw. 2.2).

Angesichts der derart begründeten erhöhten Glaubwürdigkeit der - insbesondere
der Arbeitgeberkontrolle vom August 2001 zu Grunde liegenden -
Buchhaltungsunterlagen ist die durch das kantonale Gericht vorgenommene
Beweiswürdigung, wonach es sich bei den klar und unmissverständlich
formulierten Buchungen in den Kontenblättern um Honorarzahlungen an
U.________ handelt, rechtens. Die erst auf Beanstandungen im Rahmen der
Kontrolle hin nachgereichten Pauschalrechnungsbelege vermögen aus den im
angefochtenen Entscheid einlässlich dargelegten Gründen, auf welche verwiesen
werden kann, die Aussagekraft dieser originären, über mehrere Jahre
gleichlauten-den Verbuchungen nicht zu untergraben. Namentlich enthalten die
Pauschalrechnungen in den jeweiligen Buchungsvermerken weder Angaben über die
(Buchungs-)Daten noch die betreffenden Belegnummern. Entgegen den
letztinstanzlichen Ausführungen des Beschwerdeführers ist zudem nicht
nachvollziehbar, inwiefern die Begründung und Bezeichnung der Rechnungen die
Buchhaltungsstelle dazu veranlasst haben sollten - und zwar auch dann nicht,
wenn die Auftragserteilung wie geltend gemacht durch U.________ als
ausführender Person erfolgt wäre -, die entsprechenden Beträge mit dem Text
"U.________/Honorare" als Verwaltungsaufwand zu verbuchen, ist darin doch
weder von U.________ noch von Honoraren die Rede. Widersprüche in der
Argumentation der Beschwerdeführer ergeben sich ferner daraus, dass der
Beschwerdeführer die in Frage stehenden Beträge als Erwerbseinkommen seiner
Ehefrau aus ihrer selbstständigen Erwerbstätigkeit qualifiziert, während die
Beschwerdeführerin selber noch im kantonalen Beschwerdeverfahren geltend
machte, die ausgerichteten Beträge stellten keinen Lohn, sondern eine
Entschädigung für ihren allgemeinen Verwaltungsaufwand dar. An diesem
Er-gebnis ändert im Übrigen auch der Umstand nichts, dass der
Beschwerdeführer im fraglichen Zeitraum gemäss Auszug aus dem Individuellen
Konto lediglich die AHV/IV/EO-Mindestbeiträge für Nichterwerbstätige
entrichtet hat und seit längerer Zeit IV-Rentenbezüger ist. So räumt der
Rechtsvertreter des Beschwerdeführers gemäss einer letztinstanzlich von der
Beschwerdeführerin eingereichten Kopie eines Telefaxes vom 19. April 2002
denn auch ein, dass der Beschwerdeführer, welcher sich doch um sehr vieles im
Betrieb kümmere, entge-gen den Behauptungen in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, AHV-rechtlich wohl als mitarbeitendes
Familienmitglied zu betrachten sei.

5.2 In den Verwaltungsgerichtsbeschwerden wird im Weiteren nichts
vorgebracht, was die tatsächlichen Feststellungen und die rechtliche
Würdigung der Vorinstanz bezüglich der Rückweisung der Sache an die
Ausgleichskasse zur weiteren Abklärung als bundesrechtswidrig im Sinne von
Art. 105 Abs. 2 OG erscheinen liesse. Auf Grund der Aktenlage ist eine
Qualifizierung der nach dem Gesagten zu Recht als grundsätzlich
beitragspflichtiges Einkommen des Beschwerdeführers eingestuften
Honorarzahlungen als Verdienst aus selbstständiger oder unselbstständiger
Erwerbstätigkeit nicht möglich.

6.
Da kein Versicherungsleistungsstreit vorliegt (vgl. Erw. 2.1 hievor), ist das
Verfahren kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Dem Ausgang des
Prozesses entsprechend sind die Gerichtskosten den Beschwer-deführern
aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verfahren H 208/02 und H 214/02 werden vereinigt.

2.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerden werden abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von insgesamt Fr. 1600.- werden den Beschwer-deführern je
zur Hälfte auferlegt. Sie sind durch die geleisteten Kostenvorschüsse von je
Fr. 1600.- gedeckt; der Differenzbetrag von je Fr. 800.- wird
zurückerstattet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 7. April 2003

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: