Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 177/2002
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H 177/02

Urteil vom 8. Januar 2003
IV. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiberin
Hofer

1. G.________, 1934,

2. R.________,1936,
Beschwerdeführer, Beschwerdeführerin Ziffer 2 vertreten durch
Beschwerdeführer Ziffer 1,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Graubünden, Ottostrasse 24, 7000 Chur,
Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, Chur

(Entscheid vom 23. April 2002)

Sachverhalt:

A.
Die Ausgleichskasse des Kantons Graubünden teilte dem deutschen
Staatsangehörigen G.________ (geb. 1934) am 20. Dezember 2001 mit, dass sie
ihn für die Zeit vom 1. Januar 1996 bis 30. Juni 1999 als Nichterwerbstätigen
erfasst habe. Mit Verfügungen gleichen Datums verpflichtete sie ihn zur
Bezahlung von Sozialversicherungsbeiträgen für diese Zeit in der Höhe von
insgesamt Fr. 31'002.65 (inkl. Verwaltungskosten und Verzugszins). Am 24.
Januar 2002 eröffnete die Kasse sodann seiner Ehefrau R.________ (geb. 1936),
dass sie sie für die Zeit vom 1. Januar 1997 bis 31. Mai 1998 ebenfalls als
Nichterwerbstätige erfasst habe; die persönlichen Sozialversicherungsbeiträge
setzte sie auf insgesamt Fr. 10'883.05 (inkl. Verwaltungskosten) nebst
Verzugszins von Fr. 2347.30 fest.

B.
Gegen diese Verfügungen erhob G.________ für sich und als Vertreter seiner
Ehefrau Beschwerde. Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden vereinigte
die beiden Verfahren und wies die Beschwerden mit Entscheid vom 23. April
2002 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt G.________ in eigenem Namen und
als Vertreter seiner Ehefrau die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids.

Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerden, während das Bundesamt für Sozialversicherung
auf eine Vernehmlassung verzichtet.

D.
Mit zwei separaten Verfügungen vom 26. Juli 2002 wurden G.________ und
R.________ aufgefordert, innert 14 Tagen nach Erhalt dieses Schreibens einen
Kostenvorschuss von Fr. 2000.- (G.________) und von Fr. 1200.- (R.________)
zu bezahlen, und es wurde ihnen angedroht, dass bei Nichtleistung innert der
gesetzten Frist aus diesem Grunde auf die Rechtsvorkehr nicht eingetreten
werde. Während R.________ den sie betreffenden Kostenvorschuss am 29. August
2002 bezahlt hat, hat G.________ seinen Kostenvorschuss nicht geleistet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b
sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario).

2.
G.________ hat den ihn betreffenden Kostenvorschuss innert der gesetzten
Frist nicht bezahlt, weshalb androhungsgemäss nach Art. 150 Abs. 4 OG zu
verfahren ist. Auf seine Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher nicht
einzutreten.

Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde von R.________, welche den
Kostenvorschuss von Fr. 1200.- am 29. August 2002 und damit rechtzeitig
beglichen hat, ist einzutreten.

3.
3.1 Die streitigen Verwaltungsverfügungen wurden vor Inkrafttreten (1. Juni
2002) des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen
Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren
Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (nachfolgend: APF)
erlassen. Dieses Abkommen, insbesondere dessen Anhang II, der die
Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit regelt, muss demnach im
vorliegenden Verfahren unberücksichtigt bleiben (zur Publikation in der
Amtlichen Sammlung vorgesehenes Urteil S. vom 9. August 2002, C 357/01, Erw.
1).

3.2 Für die Beschwerdeführerin als deutsche Staatsangehörige massgebend sind
daher die Bestimmungen des Abkommens zwischen der Schweizerischen
Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über Soziale Sicherheit
vom 25. Februar 1964. Gemäss Art. 5 Abs. 1 Satz 2 in der Fassung des zweiten
Zusatzabkommens  vom 2. März 1989 (in Kraft seit 1. April 1990) gelten für
die Pflichtversicherung von Personen, die keine Beschäftigung oder Tätigkeit
ausüben, vorbehältlich des Artikels 10g - die Krankenversicherung betreffend
-, die Rechtsvorschriften der Vertragspartei, in deren Gebiet sie wohnen.
Nach Art. 1 Ziff. 3 bedeutet dabei der Ausdruck "wohnen" "sich gewöhnlich
aufhalten". Als "gewöhnlicher Aufenthalt" gilt der Aufenthalt von einer
gewissen Dauer am Ort, wo sich der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse
befindet. Nach der Rechtsprechung ist für den "gewöhnlichen Aufenthalt" der
tatsächliche Aufenthalt in der Schweiz und der Wille, diesen Aufenthalt
aufrechtzuerhalten, massgebend; zusätzlich dazu muss sich der Schwerpunkt
aller Beziehungen in der Schweiz befinden (BGE 119 V 108 Erw. 6c, 117 Erw.
7b, 112 V 166 Erw. 1a mit Hinweisen, vgl. auch BGE 115 V 448 Erw. 1b).

4.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im AHV-Bereich geändert worden. Weil in
zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die
bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben
(BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das Sozialversicherungsgericht bei
der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf den bis zum Zeitpunkt des
Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 24. Januar 2002) eingetretenen
Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b), sind im vorliegenden Fall die
bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Bestimmungen anwendbar.

5.
5.1 Der schweizerischen Alters- und Hinterlassenenversicherung sind namentlich
jene Personen unterstellt, die in der Schweiz ihren zivilrechtlichen Wohnsitz
haben (Art. 1 Abs. 1 lit. a AHVG). Wer so obligatorisch versichert ist,
schuldet im Rahmen von Art. 3 AHVG Beiträge aufgrund seines Einkommens aus
Erwerbstätigkeit, wenn er eine solche Tätigkeit ausübt (Art. 4 AHVG) oder
nach seinen sozialen Verhältnissen, wenn er nicht erwerbstätig ist (Art. 10
AHVG).

Als Wohnsitz gilt der Ort, an welchem sich eine Person mit der Absicht
dauernden Verbleibens aufhält. Weil das subjektive Erfordernis, der Wille
einer Person zum dauernden Verbleib, nicht messbar ist, gelten objektiv durch
Dritte feststellbare Umstände als Hinweis für das Vorliegen eines bestimmten
Willens. Es ist daher auf die für Dritte erkennbaren Tatsachen abzustellen,
wobei sich die betroffene Person bei dem von ihr geschaffenen Rechtsschein
behaften lassen muss. Der Wille einer Person ist damit nur soweit bestimmend,
als er festgestellt und erkannt werden kann (Käser, Unterstellung und
Beitragswesen in der obligatorischen AHV, 2. Aufl., Bern 1996, S. 14 Rz 1.19
mit Hinweisen auf die Rechtsprechung).

5.2 Das kantonale Gericht hat erwogen, die Beschwerdeführerin sei gemäss
Bestätigung der Gemeinde X.________ seit 5. März 1995 an der Strasse
Y.________ in X.________ wohnhaft und werde laut Schreiben der
Steuerverwaltung vom 7. Februar 2002 im Kanton Graubünden nach Aufwand
(pauschal) besteuert. Diese Steuer komme bei jenen natürlichen Personen zur
Anwendung, welche erstmals oder nach mindestens zehnjähriger
Landesabwesenheit steuerrechtlichen Wohnsitz oder Aufenthalt in der Schweiz
begründeten, ohne eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Erwerbslose Personen
hätten steuerrechtlichen Wohnsitz, wenn sie sich mit der Absicht dauernden
Verbleibens in der Schweiz aufhielten, steuerrechtlichen Aufenthalt, wenn sie
während mindestens 90 Tagen im Lande weilten. Aus der Wohnadresse in
X.________ und der pauschalen Besteuerung erhelle, dass die Ehegatten ihren
steuerrechtlichen Wohnsitz in X.________ hätten, beziehungsweise sich mit der
Absicht dauernden Verbleibens in Graubünden aufhielten. In Anwendung von Art.
5 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 des Sozialversicherungsabkommens seien
folglich die schweizerischen Rechtsnormen für die Regelung der
Pflichtversicherung anwendbar.

Wie bereits im vorinstanzlichen Verfahren bestreitet die Beschwerdeführerin,
während längerer Zeit in der Schweiz zu wohnen. Sie besitze zwar eine
Jahresaufenthaltsbewilligung, habe in X.________ jedoch keinen dauerhaften
Wohnsitz von mehr als 90 Tagen und beabsichtige auch nicht, eine
Daueraufenthaltsgenehmigung zu beantragen. Zudem werde sie in X.________ wie
ein Kurgast behandelt.

5.3 Der Umstand, dass eine Person der Pauschalsteuer unterliegt, sagt für
sich allein über deren Wohnsitz oder Aufenthaltsdauer zwar noch nichts aus
(ZAK 1973 S. 498 Erw. 2). Die unangefochtene Inanspruchnahme durch die
Steuerhoheit stellt jedoch ein Indiz für den Willen einer Person dar, genauso
wie die Erlangung einer Aufenthaltsbewilligung und die Schriftenhinterlage
(ZAK 1990 S. 248 Erw. 3a). Solche für Dritte erkennbare Tatsachen haben
Hinweiswert (Käser, a.a.O., S. 14 Rz 1.20). Die Ausgleichskassen werden daher
dort, wo die Beitragspflicht vom Aufenthalt oder Wohnsitz abhängt, zunächst
von den Meldungen bei der Fremdenpolizei oder Einwohnerkontrolle sowie der
Betrachtungsweise der Steuerverwaltung ausgehen. Solche Indizien lassen sich
durch glaubhafte Gründe widerlegen (vgl. ZAK 1973 S. 497 Erw. 2).

Gründe, welche für die Annahme des familiären und geschäftlichen
Mittelpunktes der Beziehungen an einem anderen Ort als X.________ sprechen
würden, werden von der Beschwerdeführerin weder dargetan noch glaubhaft
gemacht. Sie gibt insbesondere nicht an und begründet auch nicht, wo sonst
sich der Schwerpunkt ihrer Lebensverhältnisse befindet. Der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde liegen statt dessen Kopien der
Aufenthaltsbewilligung B des Ehemannes bei mit dem Aufenthaltszweck der
erwerbslosen Wohnsitznahme im Sinne von Art. 34 der Verordnung über die
Begrenzung der Zahl der Ausländer (BVO; SR 823.21). Danach können Rentnern
Aufenthaltsbewilligungen erteilt werden, wenn sie älter als 55-jährig sind
(lit. a), enge Beziehungen zur Schweiz haben (lit. b), weder in der Schweiz
noch im Ausland erwerbstätig sind (lit. c), den Mittelpunkt ihrer
Lebensverhältnisse in die Schweiz verlegt (lit. d) und die notwendigen
finanziellen Mittel haben (lit. e). Entsprechende Kopien für die
Beschwerdeführerin befinden sich zwar nicht bei den Akten, doch ist aufgrund
der Angaben in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde davon auszugehen, dass sie
über die selbe Bewilligung verfügt. Diese jeweils auf ein Jahr befristete und
in der Folge erneuerte Aufenthaltsbewilligung stellt ein gewichtiges Indiz
für die Aufenthalts- und Wohnsitzbegründung in der Schweiz dar (vgl. ZAK 1990
S. 248 Erw. 3a). Dass keine Daueraufenthaltsbewilligung angestrebt wird,
ändert an dem dadurch geschaffenen Rechtsschein nichts, da ein Wohnsitz auch
dann begründet werden kann, wenn dieser nach kurzer Zeit wieder aufgegeben
wird oder wenn zum Vornherein die Absicht besteht, den Ort später wieder zu
verlassen (ZAK 1990 S. 248 Erw. 3b). Unter den gegebenen Umständen lässt es
sich nicht beanstanden, wenn Verwaltung und Vorinstanz von einem
"gewöhnlichen Aufenthalt" in X.________ im Sinne des schweizerisch-deutschen
Sozialversicherungsabkommens und vom zivilrechtlichen Wohnsitz im Sinne von
Art. 1 Abs. 1 lit. a AHVG in Verbindung mit Art. 23 ff. ZGB an diesem Ort
ausgegangen sind.

6.
6.1 In masslicher Hinsicht werden in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen
die Beitragsverfügungen keine Einwände erhoben. Da aufgrund der Akten nichts
ersichtlich ist, das gegen die vorinstanzlich bestätigten Verfügungen vom 24.
Januar 2002 spricht, hat es bei deren Bemessung sein Bewenden.

6.2 Hingegen macht die Beschwerdeführerin geltend, die Beitragsforderungen
seien verjährt.

Nach Art. 16 Abs. 1 AHVG können Beiträge, die nicht innert fünf Jahren nach
Ablauf des Kalenderjahres, für welches sie geschuldet sind, durch Verfügung
geltend gemacht werden, nicht mehr eingefordert oder entrichtet werden. Für
Beiträge nach den Artikeln 6, 8 Absatz 1 und 10 Absatz 1 endet die Frist
jedoch erst ein Jahr nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die
massgebende Steuerveranlagung oder Nachsteuerveranlagung rechtskräftig wurde.
Die mit Verfügung vom 24. Januar 2002 für die Zeit ab 1. Januar 1997
veranlagten Beiträge sind somit nicht verjährt. Sodann erlischt die gemäss
Art. 16 Abs. 1 AHVG geltend gemachte Beitragsforderung fünf Jahre nach Ablauf
des Kalenderjahres, in welchem sie rechtskräftig wurde (Art. 16 Abs. 2 AHVG).
Da das Verfahren erst mit dem Urteil des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts abgeschlossen wird, ist folglich auch die
Vollstreckungsverjährung noch nicht eingetreten.

6.3 Des Weitern bringt die Beschwerdeführerin vor, gemäss den EU-Richtlinien
müsse ein deutscher Staatsangehöriger keine doppelte Rente bezahlen. Wie es
sich damit verhält, braucht nicht geprüft zu werden, da das APF - wie bereits
erwähnt (vgl. Erw. 3.1) - auf dieses Verfahren nicht zur Anwendung kommt.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde von G.________ wird nicht eingetreten.

2.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde von R.________ wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1200.- werden R.________ auferlegt und mit dem
geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 8. Januar 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die  Präsidentin der IV. Kammer:   Die
Gerichtsschreiberin: