Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 172/2002
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H 172/02

Urteil vom 29. Januar 2003
III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Kernen; Gerichtsschreiberin
Bollinger

K.________, 1935, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Cornel
Wehrli, Geissgasse 7, 5070 Frick,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 28. Mai 2002)

Sachverhalt:

A.
Der am 21. Juli 1935 geborene K.________ reiste am 26. März 1963 in die
Schweiz ein und war hier zunächst an verschiedenen Stellen als Ingenieur
tätig. Nach einer Weiterbildung in Deutschland arbeitete er ab 1981 als
selbstständig erwerbender Physiotherapeut. Am 14. Juli 2000 meldete er sich
zum Bezug einer Altersrente an. Mit Verfügung vom 7. Januar 2002 sprach ihm
die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Aargau ab 1. August 2000 eine
Altersrente in Höhe von Fr. 1'403.- sowie eine Kinderrente für den 1988
geborenen Sohn in Höhe von Fr. 561.- und ab 1. Januar 2001 eine Altersrente
von Fr. 1'438.- sowie eine Kinderrente von Fr. 575.- zu. Die Berechnung
dieser Renten basierte auf der Rentenskala 32, entsprechend einer
Beitragsdauer von 32 Jahren und einem Monat und berücksichtigte
Beitragslücken in den Jahren 1981 bis 1984.

B.
K.________ liess dagegen Beschwerde erheben und die Ausrichtung einer Alters-
und Kinderrente ohne Beitragslücken in den Jahren 1981 bis 1984 beantragen.
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wies die Beschwerde mit Entscheid
vom 28. Mai 2002 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt K.________ an seinem vorinstanzlich
gestellten Rechtsbegehren festhalten. Die Ausgleichskasse und das Bundesamt
für Sozialversicherung verzichten auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz hat die Voraussetzungen für eine Berichtigung der Eintragungen
in den individuellen Konten (Art. 141 Abs. 3 AHVV; BGE 117 V 262 ff. Erw. 3)
und die Rechtsprechung zum öffentlich-rechtlichen Vertrauensschutz (aus Art.
4 Abs. 1 aBV abgeleitete und unter Art. 9 und 5 Abs. 3 BV weiterhin geltende
Rechtsprechung: RKUV 2000 Nr. KV 126 S. 223 f. mit Hinweis; BGE 121 V 66 Erw.
2) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

2.
Im vorliegenden Verfahren ist nicht mehr streitig, dass der Beschwerdeführer
die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Kontenberichtigung im
Leistungsfall nicht erfüllt. Zu prüfen bleibt einzig, ob er darauf vertrauen
durfte, seine Versicherteneigenschaft habe auch während der Jahre 1981 bis
1984 weiterbestanden, obwohl ihm die für jene Zeitspanne einbezahlten
Beiträge von der Ausgleichskasse zurückvergütet worden waren.

2.1  Unbestrittenerweise hatte die Ausgleichskasse dem Beschwerdeführer am
21. Februar 1985 Fr. 2'933.30 mit dem Vermerk "zuviel bezahlte Beiträge pro
1981/84" zurückerstattet. Aus diesem Vermerk schliesst der Beschwerdeführer,
er sei in den Jahren 1981 bis 1984 weiterhin versichert geblieben. Zum einen
seien lediglich "zuviel bezahlte Beiträge" zurückerstattet worden, zum andern
habe er nicht den gesamten einbezahlten Betrag, sondern nur eine Teilsumme
zurückerhalten. Überdies seien für das Jahr 1985 die entsprechenden Beiträge
weiterhin erhoben worden, obwohl von Januar bis September 1985 keine Änderung
in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten sei. Ein Ausschluss aus der
Versicherung hätte ihm schliesslich mittels formeller Verfügung, die auch auf
die Folgen der Rückzahlung (Beitragslücke) aufmerksam gemacht hätte,
mitgeteilt werden müssen. Das kantonale Gericht erwägt, aus einem Vermerk auf
dem Auszahlungsbeleg mit dem Wortlaut "zuviel bezahlte Beiträge 81/84" habe
der Beschwerdeführer nicht in guten Treuen auf das Andauern seiner
Versicherung in der schweizerischen AHV schliessen können. Es fehle an der
genügenden Klarheit und Eindeutigkeit zur Bildung einer Vertrauensgrundlage.

2.2  Auf den Vertrauensschutz kann sich nur berufen, wer selber ein gewisses
Mindestmass an Umsicht und Selbstverantwortung walten lässt. Wer von der
Versicherung die für eine bestimmte Zeitspanne einbezahlten Beträge
zurückerhält, kann aus diesem Vorgang allein nicht schliessen, seine
Versicherteneigenschaft bleibe davon unberührt, im Gegenteil. Nimmt eine
Person eine Beitragsrückerstattung entgegen und will sie gleichwohl Gewähr
für ihren Versicherungsschutz haben, so ist es ihr zumindest zumutbar, sich
nach Erhalt einer solchen Rückzahlung über die Folgen für das
Versicherungsverhältnis zu informieren. Der Beschwerdeführer hat im Anschluss
an die am 21. Februar 1985 erfolgte Beitragsrückerstattung keine Schritte in
dieser Richtung unternommen und sich vielmehr mit der Auffassung der
Ausgleichskasse, sein Erwerbsort liege in den Jahren 1981 bis 1984 nicht in
der Schweiz (vgl. Art. 1 Abs. 1 lit. b AHVG), abgefunden. Er kann deshalb
nicht in guten Treuen davon ausgehen, während eben dieser Periode versichert
geblieben zu sein. Dass der Beschwerdeführer eine Nachfrage unterlassen hat,
obwohl dazu angesichts der fehlenden Eindeutigkeit des Vermerks auf dem
Auszahlungsbeleg genügend Veranlassung bestanden hätte, kann er im Rentenfall
nicht der Ausgleichskasse anlasten. Sodann trifft es nicht zu, dass die
Beitragsrückzahlung in einer formellen Verfügung hätte ergehen müssen. Gerade
im Beitragswesen entspricht das faktische Verwaltungshandeln, das - sofern
und soweit es unbestritten bleibt - nicht in die Form einer formellen
Verfügung gekleidet wird, einer gängigen Praxis. Ein solches Vorgehen ist
insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nicht zu
beanstanden, umso weniger als keine gesetzliche Informationspflicht der
Behörden bestand (vgl. dazu SZS 2001 S. 493 mit Hinweis). Darüber hinaus wäre
es dem Beschwerdeführer unbenommen gewesen, sich gegen das faktische
Verwaltungshandeln (Beitragsrückzahlung) mit rechtlichen Mitteln zur Wehr zu
setzen, wenn er damals damit nicht einverstanden gewesen wäre (BGE 126 V 24
Erw. 4b in fine).

2.3  Zu prüfen bleibt, wie es sich mit dem Vorbringen verhält, er habe nicht
die gesamten während der Jahre 1981 bis 1984 geleisteten Beiträge in Höhe von
Fr. 3'318.30, sondern lediglich Fr. 2'933.30 zurückerhalten. Das kantonale
Gericht hat die Zahlung von Fr. 2'933.30 übersteigenden Beiträgen als
"beweislos im Raum (stehend)" bezeichnet, da der handschriftliche Vermerk auf
der Beitragsverfügung vom 27. April 1984, wonach der Beschwerdeführer den
dort aufgeführten Quartalsbeitrag von Fr. 192.50 viermal geleistet habe, die
effektive Zahlung von mehr als Fr. 2'933.30 nicht beweise. Der Versicherte
wendet dagegen ein, zum einen würden Quartalsbeiträge bekanntlich viermal im
Jahr erhoben und bei Verzug mit entsprechenden rechtlichen Mitteln
durchgesetzt. Zum andern ergebe sich aus dem ihm zur Verfügung gestellten
Kontenblatt, dass er im Jahre 1984 zumindest dreimal einen Betrag von Fr.
192.50 (Fr. 186.90 + Fr 5.60) bezahlt habe.

Den Akten lässt sich entnehmen, dass die Ausgleichskasse mit
Beitragsverfügung vom 12. April 1983 den AHV-Beitrag für das Jahr 1982 auf
Fr. 770.05 festgesetzt und diesen zusammen mit dem Beitrag für das Jahr 1981
(Fr. 815.75) und dem Beitrag für das erste Quartal 1983 (Fr. 192.50), also
insgesamt Fr. 1'778.30, am 28. April 1983 in Rechnung gestellt hat. Diesen
Betrag hat der Beschwerdeführer am 20. Mai 1983 überwiesen. Aus dem
Kontenblatt der Ausgleichskasse geht sodann hervor, dass dem Beschwerdeführer
am 29. Juli und 12. November 1983 zwei weitere (Quartals-) Zahlungen von je
Fr. 192.50 sowie im Jahre 1984 (am 18. Februar, 15. Mai, 31. Juli und 6.
Dezember 1984) vier Zahlungen à Fr. 192.50, somit insgesamt weitere Fr.
1'155.- (6 x Fr. 192.50) gutgeschrieben wurden. Eine vierte Quartalszahlung
für das Jahr 1983 ist dagegen nicht erstellt. Daraus ergibt sich, dass der
Beschwerdeführer - entgegen seiner eigenen Berechnung - Fr. 2'933.30 (Fr.
1'778.30 + Fr. 1'155.-) und damit genau jene Summe einbezahlt hat, die ihm am
21. Februar 1985 zurückerstattet worden ist. Die zusätzliche Differenz zu dem
vom Versicherten behaupteten Betrag von Fr. 3'318.30 erklärt sich
schliesslich damit, dass ihm in der Beschwerde an die Vorinstanz ein
Additionsfehler unterlaufen ist (Fr. 815.75 + Fr. 770.05 + Fr. 770.- + Fr.
770.- = Fr. 3'125.80 und nicht Fr. 3'318.30). Da dem Beschwerdeführer somit
sämtliche von ihm bezahlten Beiträge zurückerstattet worden sind, bestand
auch unter diesem Gesichtspunkt keine Veranlassung, von einer
ununterbrochenen Versicherteneigenschaft in den Jahren 1981 bis 1984
auszugehen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 600.- wird dem Beschwerdeführer
zurückerstattet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 29. Januar 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: