Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 160/2002
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2002
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2002


H 160/02
H 161/02
Urteil vom 24. März 2003
III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiber
Grunder

H 160/02
P.________, Beschwerdeführer,

gegen

Ausgleichskasse SPIDA, Bergstrasse 21, 8044 Zürich, Beschwerdegegnerin,

und

H 161/02
S.________ AG, Beschwerdeführerin

gegen

Ausgleichskasse SPIDA, Bergstrasse 21, 8044 Zürich, Beschwerdegegnerin,

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 22. April 2002)

Sachverhalt:

A.
Die Firma S.________ AG ist den Ausgleichskassen SPIDA angeschlossen.
Anlässlich einer Arbeitgeberkontrolle gelangte der Revisor zum Schluss, dass
die im Jahre 1999 an P.________ ausgerichteten Akkord-Entschädigungen in Höhe
von Fr. 27'664.- Entgelte aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit darstellten,
weshalb auf der gesamten Summe AHV/IV/EO- und AlV-Beiträge zu entrichten
seien. Mit Verfügung vom 19. Juli 2000, die in Kopie auch P.________ eröffnet
wurde, forderte die Ausgleichskasse daher von der S.________ AG paritätische
Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von Fr. 4'302.10 (inkl. Beiträge an die
kantonale Familienausgleichskasse und Verwaltungskosten) nach.

B.
Die hiegegen erhobenen Beschwerden der S.________ AG sowie von P.________
wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 22.
April 2002 ab.

C.
Sowohl die S.________ AG als auch P.________ führen
Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragen, der vorinstanzliche Entscheid
und die Verwaltungsverfügung seien aufzuheben. Zudem legt P.________
verschiedene neue Beweismittel (Bilanz und Erfolgsrechnung für das Jahr 1999;
Rechnungsbelege) auf und ersucht um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege.

Die Ausgleichskassen SPIDA und das Bundesamt für Sozialversicherung
verzichten auf Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann nur so weit eingetreten werden,
als Sozialversicherungsbeiträge kraft Bundesrechts streitig sind. Im
vorliegenden Verfahren ist daher nicht zu prüfen, wie es sich bezüglich der
Beitragsschuld gegenüber der Ausgleichskasse für kantonale Familienzulagen
verhält (BGE 124 V 146 Erw. 1 mit Hinweis).

2.
Da den beiden Verwaltungsgerichtsbeschwerden derselbe Sachverhalt zu Grunde
liegt, sich die gleichen Rechtsfragen stellen und die Rechtsmittel den
nämlichen vorinstanzlichen Entscheid betreffen, rechtfertigt es sich, die
beiden Verfahren zu vereinigen und in einem einzigen Urteil zu erledigen (BGE
128 V 126 Erw. 1 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 128 V 194 Erw. 1).

3.
3.1 Da keine Versicherungsleistungen streitig sind, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob der vorinstanzliche Entscheid
Bundesrecht verletzt, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b
sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

Ferner ist Art. 114 Abs. 1 OG zu beachten, wonach das Eidgenössische
Versicherungsgericht in Abgabestreitigkeiten an die Parteibegehren nicht
gebunden ist, wenn es im Prozess um die Verletzung von Bundesrecht oder um
die unrichtige oder unvollständige Feststellung des Sachverhalts geht.

3.2 Im Rahmen von Art. 105 Abs. 2 OG ist die Möglichkeit, im Verfahren vor
dem Eidgenössischen Versicherungsgericht neue tatsächliche Behauptungen
aufzustellen oder neue Beweismittel geltend zu machen, weitgehend
eingeschränkt. Nach der Rechtsprechung sind nur jene neuen Beweismittel
zulässig, welche die Vorinstanz von Amtes wegen hätte erheben müssen und
deren Nichterheben eine Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften
darstellt (BGE 121 II 99 Erw. 1c, 120 V 485 Erw. 1b, je mit Hinweisen).

Der Beschwerdeführer hat schon im vorinstanzlichen Verfahren geltend gemacht,
er sei neben dem Betrieb einer Teigwarenproduktion nicht ausschliesslich für
die S.________ AG erwerbstätig gewesen. Die Vorinstanz wäre daher
verpflichtet gewesen, über diesen tatsächlichen Umstand gemäss Art. 85 Abs. 2
lit. c AHVG von Amtes Beweismittel zu erheben. Nachdem sie dies unterlassen
hat, liegt insoweit eine Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift
vor, weshalb es sich bei den letztinstanzlich aufgelegten Beweismitteln nicht
um unzulässige Noven handelt.

4.
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen über die
unselbszständige (Art. 5 Abs. 2 AHVG) und die selbstständige Erwerbstätigkeit
(Art. 9 Abs. 1 AHVG) sowie die von der Rechtsprechung herangezogenen
Unterscheidungskriterien für die entsprechende Beurteilung einer konkreten
Tätigkeit (BGE 123 V 162 Erw. 1, 122 V 171 Erw. 3, 283 Erw. 2, 119 V 161 Erw.
2 mit Hinweisen) richtig wiedergegeben. Darauf wird verwiesen.

Zu ergänzen ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz
über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober
2000 im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden
Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 19. Juli 2000)
eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom
Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1,
121 V 366 Erw. 1b).

5.
Streitgegenstand ist einzig die Frage, ob die bei der S.________ AG erzielten
Einkünfte Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit sind.

5.1 Nach den verbindlichen und im Uebrigen unbestrittenen Feststellungen des
kantonalen Gerichts betrieb der Beschwerdeführer seit einiger Zeit als
Selbstständigerwerbender ein Unternehmen zur Herstellung von biologischem
Brot (recte: Teigwaren). Während der Aufbauphase dieses Geschäfts hat er im
Jahre 1999 für die S.________ AG Elektroarbeiten erledigt, die diese aus
Kapazitätsgründen nicht mit eigenen Arbeitskräften zu erfüllen vermochte.
Dabei ist der Beschwerdeführer mit Fr. 40.- (einschliesslich Fr. 7.-
Spesenersatz) pro Stunde entschädigt worden. Die Vorinstanz hat sodann
erwogen, aus diesem Sachverhalt sei zu schliessen, dass der Beschwerdeführer
als Akkordant erwerbstätig war, was praxisgemäss in der Regel für eine
unselbstständige Erwerbstätigkeit spreche. Ausschlaggebend für die
Statusfrage sei, dass er weder ein Inkasso- noch ein Delcredererisiko
getragen habe, weil er weder im eigenen Namen noch auf eigene Rechnung
gegenüber Dritten gehandelt habe. Nachdem auch keine bedeutenden
Investitionen vorgenommen worden seien, fehle es an einem typischen
Unternehmerrisiko, das sich bspw. dann verwirkliche, wenn infolge eines
Einbruchs der Auftragslage weiterhin laufende Kosten zu tragen seien. Ob eine
Pflicht zur Annahme der Aufträge bestanden habe, könne nicht abschliessend
beurteilt werden, angesichts der Tatsache jedoch, dass er keine Mitarbeiter
beschäftigte, sei davon auszugehen, dass die Parteien zumindest
stillschweigend von einer persönlichen Auftragserfüllung ausgegangen seien.
Nachdem der Beschwerdeführer vollständig von der Auftragslage der S.________
AG abhängig gewesen sei, könne er nicht als gleichberechtigter
Geschäftspartner im Sinne der Rechtsprechung angesehen werden.

5.2 Diese Betrachtungsweise kann nicht als bundesrechtswidrig bezeichnet
werden. Soweit mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde die bereits im kantonalen
Verfahren erhobenen Rügen wiederholt werden, wird auf die zutreffenden und
nicht zu beanstandenden Erwägungen im angefochtenen Entscheid verwiesen.

Zu ergänzen ist zunächst, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe
für seine Arbeitseinsätze sein eigenes Fahrzeug benützen müssen, was eine ins
Gewicht fallende Investition darstelle, unerheblich ist. Nach der
Rechtsprechung stellt die Anschaffung eines Personenwagens selbst dann kein
spezifisches Unternehmerrisiko dar, wenn davon die Erfüllung beruflicher
Aufgaben abhängt. Die private Verwendung eines Automobils ist heute im
Allgemeinen auch dann ein ausreichender Grund für seine Anschaffung, wenn
keine berufliche Nutzung beabsichtigt wird, weshalb dem Erwerb eines
Fahrzeugs für die Abgrenzung von selbstständiger und unselbstständiger
Erwerbstätigkeit keine entscheidende Bedeutung beigemessen werden kann (ZAK
1992 S. 164 f. Erw. 4a und 1983 S. 443 Erw. 4a).

Sodann wird geltend gemacht, der Beschwerdeführer habe für verschiedene
Auftraggeber ausserhalb seines eigenen Betriebs gearbeitet und im Jahre 1999
nur deshalb überwiegend Aufträge der S.________ AG entgegengenommen, weil
viele Angebote eingegangen seien. Das Gesetz sieht für Beitragspflichtige,
die mehrere Erwerbstätigkeiten ausüben, keine Gesamtbeurteilung ihrer
erwerblichen Aktivitäten nach Massgabe der wirtschaftlichen Bedeutung der
einzelnen Betätigungen vor. Die strikte Unterscheidung nach den Art. 5 und 9
AHVG in selbstständige und unselbstständige Erwerbstätigkeit bei
Mehrfachbeschäftigten wird nach der Rechtsprechung nur dann durchbrochen,
wenn Koordinationsgesichtspunkten Beachtung zu schenken ist. Solchen ist dann
Rechnung zu tragen, wenn gleichzeitig mehrere erwerbliche Tätigkeiten für
verschiedene oder denselben Auftrag- oder Arbeitgeber ausgeübt werden. Es
soll nach Möglichkeit vermieden werden, dass verschiedene Erwerbstätigkeiten
für denselben Arbeit- oder Auftraggeber oder dieselbe Tätigkeit für
verschiedene Arbeit- oder Auftraggeber unterschiedlich, teils als
selbstständige, teils als unselbstständige Erwerbstätigkeit, qualifiziert
werden (BGE 123 V 167 Erw. 4a und 119 V 164 Erw. 3b mit Hinweis). Die
zitierte Rechtsprechung setzt voraus, dass das fragliche Rechtsverhältnis
Merkmale beider Erwerbsarten enthält, es sich mithin um einen Grenzfall
handelt (Urteil S. vom 4. Juli 2000, H 300/98 und nicht veröffentlichtes
Urteil B. vom 19. August 1996, H 214/95). Im vorliegenden Fall sprechen die
Kriterien klar zugunsten einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit. Zudem
wurden nach der letztinstanzlich aufgelegten Erfolgsrechnung im Jahre 1999
neben den Einkünften des Teigwarenbetriebs Einnahmen aus anderen Quellen in
Höhe von Fr. 31'299.- erzielt, wovon Fr. 27'664.- von der S.________ AG
stammen. Angesichts dieses Verhältnisses besteht kein Anlass, ausnahmsweise
Koordinationsgesichtspunkten gegenüber der strikten gesetzlichen
Unterscheidung in selbstständige und unselbstständige Erwerbstätigkeit
Vorrang einzuräumen.

6.
Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege kann stattgegeben werden (Art. 152
in Verbindung mit Art. 135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist und die
Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen ist (BGE 125 V 202 Erw. 4a
und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art.
152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der
Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu imstande
ist.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerden werden abgewiesen, soweit darauf
einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von total Fr. 1'400.- werden der S.________ AG und dem
Beschwerdeführer je zur Hälfte auferlegt. Der Anteil der S.________ AG wird
mit dem geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 700.- verrechnet; der Anteil der
Beschwerdeführers wird zufolge Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung
einstweilen auf die Gerichtskasse genommen.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 24. März 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: