Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 127/2002
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H 127/02

Urteil vom 14. April 2003
III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiberin
Fleischanderl

R.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Hans Stünzi,
Seestrasse 162a, 8810 Horgen,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 27. Februar 2002)

Sachverhalt:

A.
Die in Zürich domizilierte Firma S.________ GmbH war seit 29. Juni 1993 im
Handelsregister eingetragen und seit August desselben Jahres der
Ausgleichskasse des Kantons Zürich als beitragspflichtige Arbeitgeberin
angeschlossen. Am 26. Februar 1997 wurde über die Gesellschaft der Konkurs
eröffnet, am 12. Mai 1997 jedoch mangels Aktiven wieder eingestellt. Mit
Verfügung vom 1. April 1998 verpflichtete die Ausgleichskasse R.________,
seit der Firmengründung zusammen mit X.________ als Gesellschafterin und
Geschäftsführerin der Firma S.________ GmbH im Handelsregister aufgeführt,
zur Bezahlung von Schadenersatz für nicht mehr erhältliche bundesrechtliche
Sozialversicherungsbeiträge (zuzüglich Verwaltungskosten, Verzugszinsen und
Gebühren) sowie FAK-Beiträge in Höhe von insgesamt Fr. 19'859.85.

B.
Die auf Einspruch der Belangten hin von der Ausgleichskasse am 27. Mai 1998
erhobene Klage mit dem Begehren, R.________ habe Schadenersatz im Ausmass von
Fr. 19'739.85 zu entrichten, hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich teilweise gut, indem es die Beklagte verpflichtete, der
Ausgleichskasse Fr. 18'696.65 zu bezahlen (Entscheid vom 27. Februar 2002).

C.
R.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, in
Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei die Schadenersatzklage
abzuweisen. Sie reicht neu u.a. die Kopie einer am 15. Juni 1993 zuhanden des
X.________ ausgestellten Vollmacht betreffend die Geschäftsführung ein.

Während die Ausgleichskasse unter Hinweis auf die Erwägungen im kantonalen
Entscheid keinen ausdrücklichen Antrag stellt, verzichtet das Bundesamt für
Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann nur so weit eingetreten
werden, als die Schadenersatzforderung kraft Bundesrechts streitig ist. Im
vorliegenden Verfahren ist deshalb auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde in
dem Umfang nicht einzutreten, als sie sich gegen die Schadenersatzforderung
für entgangene Beiträge an die kantonale Familienausgleichskasse richtet
(vgl. BGE 124 V 146 Erw. 1 mit Hinweis).

1.2 Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b
sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
Im Rahmen von Art. 105 Abs. 2 OG ist die Möglichkeit, im Verfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht neue tatsächliche Behauptungen
aufzustellen oder neue Beweismittel geltend zu machen, weitgehend
eingeschränkt. Nach der Rechtsprechung sind nur jene neuen Beweismittel
zulässig, welche die Vorinstanz von Amtes wegen hätte erheben müssen und
deren Nichterheben eine Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften
darstellt (BGE 121 II 99 Erw. 1c, 120 V 485 Erw. 1b, je mit Hinweisen).

2.
2.1 Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im AHV-Recht, insbesondere auch hinsichtlich
der Arbeitgeberhaftung nach Art. 52 AHVG sowie Art. 81 und 82 AHVV geändert
worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze
massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden
Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1, 126 V 166 Erw. 4b), kommen
im vorliegenden Fall jedoch die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden
Bestimmungen zur Anwendung.

2.2 Die Vorinstanz hat unter Hinweis auf Gesetz (Art. 52 AHVG) und
Rechtsprechung (vgl. statt vieler BGE 123 V 15 Erw. 5b mit Hinweisen) die
Voraussetzungen zutreffend dargelegt, unter welchen das Organ einer
juristischen Person den der Ausgleichskasse in Missachtung der Vorschriften
über die Beitragsabrechnung und -bezahlung (Art. 14 Abs. 1 AHVG, Art. 34 ff.
AHVV [in der bis Ende Dezember 2000 gültigen Fassung]) entstandenen Schaden
zu ersetzen hat. Darauf kann verwiesen werden. Dem kantonalen Gericht ist
insbesondere beizupflichten, dass für Beiträge, die nach der Konkurseröffnung
fällig wurden, keine Haftung besteht (vgl. AHI 1994 S. 36 Erw. 6b). Richtig
wiedergegeben wurde im angefochtenen Entscheid ferner, dass formell
eingesetzte Geschäftsführer einer GmbH wie auch Personen, die faktisch die
Funktion eines Geschäftsführers ausüben, für den der Ausgleichskasse zufolge
nicht bezahlter Bundessozialversicherungsbeiträge entstandenen Schaden nach
den gleichen Grundsätzen wie Organe einer Aktiengesellschaft haften. Dagegen
besteht für den blossen Gesellschafter einer GmbH vorbehältlich einer
abweichenden statutarischen Regelung keine Pflicht zur Kontrolle oder
Überwachung der Geschäftsführung, weshalb ihm das Fehlverhalten der
Gesellschaft auch nicht angerechnet werden darf (BGE 126 V 237; AHI 2002 S.
172).

3.
3.1 Nach den grundsätzlich verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (vgl.
Erw. 1.2 hievor) bezahlte die Arbeitgeberfirma die quartalsweise erhobenen
Pauschalen für die paritätischen Sozialversicherungsbeiträge bereits für das
Jahr 1994 nur noch teilweise. In der Folge musste die Firma regelmässig
gemahnt und betrieben werden, blieb aber die restlichen Beiträge bis Ende
1996 schuldig. Daraus erhellt, dass die Gesellschaft praktisch während der
ganzen Dauer ihres Bestehens kein geordnetes AHV-Beitragswesen geführt hat.
Durch dieses Vorgehen wurden die Vorschriften von Art. 14 Abs. 1 AHVG und
Art. 34 AHVV verletzt, sodass die Haftungsvoraussetzung der
Widerrechtlichkeit rechtsprechungsgemäss zu bejahen ist.

3.2
3.2.1Es bleibt zu prüfen, ob sich die Beschwerdeführerin, welche nach dem
Handelsregisterauszug - zusammen mit X.________ - im Zeitpunkt der
Beitragsausstände als Gesellschafterin und Geschäftsführerin amtete, die
Missachtung der öffentlichrechtlichen Arbeitgeberpflichten als qualifiziertes
Verschulden (grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz) anrechnen zu lassen hat.
Während das kantonale Gericht dies bejaht, wird in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend gemacht, die Beschwerdeführerin habe
seit der Gründung der Gesellschaft faktisch keine Geschäftsführungsfunktionen
inne gehabt, weshalb ihr in ihrer Stellung als blosse Gesellschafterin das
Fehlverhalten der Firma rechtsprechungsgemäss nicht vorgehalten werden könne.

3.2.2 Wie bereits im kantonalen Verfahren einlässlich dargelegt wurde, vermag
die Beschwerdeführerin aus dem Austrittsschreiben vom 4. März 1994 nichts zu
Gunsten ihres Standpunktes abzuleiten. Namentlich konnte sie - es fehlt an
einer entsprechenden statutarischen Grundlage - als Gründungsgesellschafterin
nicht einseitig von ihrer Pflicht zur Geschäftsführung zurücktreten (vgl.
Art. 811 Abs. 1 OR). Ferner wird weder rechtsgenüglich belegt, dass
X.________ als einziger Mitgesellschafter und -geschäftsführer mit ihrem
Austritt aus der Gesellschaft - im Sinne eines Gesellschaftsbeschlusses -
einverstanden gewesen wäre, noch macht die Beschwerdeführerin geltend, ihren
Gesellschaftsanteil abgetreten (Art. 791 OR) oder auf Austritt geklagt zu
haben (Art. 822 Abs. 2 OR). Eine derartige Änderung der
Gesellschaftsverhältnisse hätte überdies dem Handelsregisteramt mitgeteilt
werden müssen (Art. 790 Abs. 2 OR in Verbindung mit Art. 91 der
Handelsregisterverordnung, Art. 937 OR in Verbindung mit Art. 59 der
Handelsregisterverordnung). Gegen eine Übertragung der Geschäftsführung auf
X.________ (vgl. Art. 811 Abs. 2 OR), wie in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgebracht, spricht nebst der anders lautenden
Eintragung im Handelsregister sodann der Umstand, dass gemäss Art. 813 Abs. 1
OR mindestens einer der Geschäftsführer in der Schweiz wohnhaft sein muss.
Laut Handelsregisterauszug hat X.________ seinen Wohnsitz indes in der
Türkei, weshalb, sofern dem Amt eine Änderung der Gesellschaftsverhältnisse
im Sinne einer derartigen Übertragung der Geschäftsführungsaufgaben angezeigt
worden wäre, die Behörde der Gesellschaft eine Frist zur Wiederherstellung
des gesetzmässigen Zustandes gesetzt und sie nach fruchtlosem Ablauf von
Amtes wegen aufgelöst hätte (Art. 813 Abs. 2 OR). An diesem Ergebnis nichts
ändern kann nach dem Dargelegten, da einzig das Innenverhältnis der
Gesellschafter beschlagend, auch die letztinstanzlich erstmals aufgelegte -
und deshalb im vorliegenden Verfahren ohnehin nicht zu berücksichtigende
(vgl. Erw. 1.2 in fine hievor) - Kopie einer Vollmacht vom 15. Juni 1993,
wonach die Beschwerdeführerin X.________ zur Geschäftsführung bevollmächtigt
hat. Da somit jedenfalls nicht ausgewiesen ist, dass der Ausgleichskasse eine
Übertragung der Geschäftsführungsbefugnisse bekannt gewesen ist bzw. hätte
sein sollen, kann ihr diese Tatsache, deren Eintragung im Handelsregister
vorgeschrieben wäre, selbst bei Annahme der Geltung im Innenverhältnis nicht
entgegengehalten werden (Art. 937 in Verbindung mit Art. 933 Abs. 2 OR).

3.3 In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird im Übrigen nichts, namentlich
auch nicht in masslicher Hinsicht, dargetan, was die tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz bezüglich Haftungsvoraussetzungen und
Schadenshöhe als mangelhaft im Sinne von Art. 105 Abs. 2 OG oder die
rechtliche Würdigung als bundesrechtswidrig erscheinen liesse. Der
angefochtene Entscheid erweist sich damit als rechtens.

4.
Das Verfahren ist kostenpflichtig, weil nicht die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen zu beurteilen war (Erw. 1.2 hievor;
Art. 134 OG e contrario). Entsprechend dem Ausgang des Prozesses wird die
Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art.
135 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt und
mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 14. April 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: