Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen B 97/2002
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B 97/02

Urteil vom 9. April 2003
III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiberin
Hofer

Patria-Stiftung zur Förderung der Personalversicherung, St. Alban-Anlage 26,
4002 Basel, Beschwerdeführerin,

gegen

M.________, 1942, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno
Häfliger, Schwanenplatz 7, 6004 Luzern

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn

(Entscheid vom 16. September 2002)

Sachverhalt:

A.
Der 1942 geborene M.________ war bei der Firma R.________ AG,  als
Kundenberater angestellt, als er am 26. Mai 1997 einen Verkehrsunfall erlitt.
Gemäss Verfügung vom 10. Juli 2001 bezog er mit Wirkung ab 1. Juli 2001 eine
Rente der SUVA entsprechend einer Erwerbsunfähigkeit von 66.66 %. Nachdem ihm
mit Verfügung vom 11. Januar 2002 zudem mit Wirkung ab 1. Mai 1998 eine ganze
Rente der Invalidenversicherung samt Zusatzrente für die Ehefrau von
monatlich insgesamt Fr. 2571.- zugesprochen worden war, teilte die SUVA
M.________ mit Verfügung vom 7. Januar 2002 mit, sie richte ihre Rente als
Komplementärrente aus (Monatsrente von Fr. 3190.-). Auf Ersuchen des
M.________ vom 8. Januar 2002 hin teilte die Patria-Stiftung zur Förderung
der Personalversicherung (nachfolgend Patria-Stiftung), bei welcher
M.________ über die Firma R.________ AG berufsvorsorgeversichert ist, mit
Schreiben vom 17. Januar 2002 mit, dass die anrechenbaren Einkünfte 90 % des
mutmasslich entgangenen Verdienstes übersteigen würden und daher keine
Invalidenrente zur Auszahlung gelangen könne.

B.
Mit Eingabe vom 8. April 2002 liess M.________ Klage gegen die
Patria-Stiftung erheben und beantragen, die Vorsorgeeinrichtung habe ihm eine
BVG-Invalidenrente von Fr. 12'632.- zu entrichten.

Mit Entscheid vom 16. September 2002 schrieb das Versicherungsgericht des
Kantons Solothurn das Verfahren zufolge Klageanerkennung als gegenstandslos
geworden von der Geschäftskontrolle ab (Dispositiv-Ziffer 1 und 2) und
verpflichtete die Patria-Stiftung, dem Kläger eine Parteientschädigung von
Fr. 2500.- zu bezahlen (Dispositiv-Ziffer 3).

C.
Die Patria-Stiftung führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, es
sei Dispositiv-Ziffer 3 des vorinstanzlichen Entscheids, womit sie zur
Zahlung einer Parteientschädigung verpflichtet worden sei, aufzuheben.

Während kantonales Gericht und M.________ auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen, verzichtet des Bundesamt für
Sozialversicherung auf eine förmliche Stellungnahme.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Eidgenössische Versicherungsgericht ist zur Überprüfung der
Parteientschädigungen auf dem Gebiet der beruflichen Vorsorge, welche auf
kantonalem Recht beruhen (BGE 124 V 286 Erw. 2 mit Hinweisen, 112 V 111 f.),
sachlich zuständig (BGE 126 V 143).

2.
Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b
sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

3.
3.1 Nach der Rechtsprechung besteht kein allgemein anerkannter
Rechtsgrundsatz, wonach der obsiegenden, durch einen Anwalt vertretenen
Partei eine Parteientschädigung zugesprochen werden muss (Urteil der II.
Öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts vom 25. Oktober 2002, 2.
P. 144/2002; zu Art. 4 aBV ergangene, weiterhin anwendbare Rechtsprechung:
BGE 117 V 403 Erw. 1b mit Hinweisen, 104 Ia 9). Im erstinstanzlichen
Klageverfahren der beruflichen Vorsorge ist es daher dem kantonalen Recht
überlassen, ob und unter welchen Voraussetzungen es einen Anspruch auf
Parteientschädigung vorsehen will. Den auf kantonalem Recht beruhenden
Entscheid über die Zusprechung oder Verweigerung einer Parteientschädigung
hat das Eidgenössische Versicherungsgericht daher nur daraufhin zu
überprüfen, ob die Anwendung der entsprechenden kantonalen Bestimmungen zu
einer Verletzung von Bundesrecht (Art. 104 lit. a OG) geführt hat,
insbesondere des Verbots der Willkür oder des überspitzten Formalismus (SVR
2001 AHV Nr. 4 S. 11 Erw. 2; zu Art. 4 Abs. 1 aBV ergangene, weiterhin
geltende Rechtsprechung: BGE 125 V 408 Erw. 3a, 114 V 86 Erw. 4a, je mit
Hinweisen).

3.2 Gemäss Art. 9 BV hat jede Person Anspruch darauf, von den staatlichen
Organen ohne Willkür behandelt zu werden. Nach der Rechtsprechung ist eine
Entscheidung willkürlich, wenn sie eine Norm oder einen klaren und
unumstrittenen Rechtsgrundsatz offensichtlich schwer verletzt, sich mit
sachlichen Gründen schlechthin nicht vertreten lässt oder in stossender Weise
dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Willkürliche Rechtsanwendung liegt
nicht schon vor, wenn eine andere Lösung in Betracht zu ziehen oder sogar
vorzuziehen wäre (BGE 128 I 182 Erw. 2.1, 127 I 41 Erw. 2a, 56 Erw. 2b, 70
Erw. 5a, 126 I 170 Erw. 3a; zu Art. 4 Abs. 1 aBV ergangene, weiterhin
geltende Rechtsprechung: BGE 125 I 168 Erw. 2a, 125 II 15 Erw. 3a, 124 I 316
Erw. 5a, 124 V 139 Erw. 2b, je mit Hinweisen).

4.
Das kantonale Gericht hat erwogen, der Kläger habe die entscheidenden
Unterlagen zwar erst im Klageverfahren aufgelegt. Gemäss Art. 29.1 des
Personalvorsorge-Reglements der Patria-Stiftung vom Januar 1996 hätten die
Anspruchsberechtigten zur Begründung des Leistungsanspruchs die verlangten
Dokumente einzureichen. Das Reglement verpflichte dazu, etwaige Fragen zum
Leistungsanspruch zu beantworten und einer allfälligen Aufforderung zur
Einreichung von Urkunden nachzukommen. Dem Kläger könne kein Vorwurf gemacht
werden, dass er nach der ablehnenden Antwort der Patria-Stiftung vom 17.
Januar 2002 - ohne vorgängig mit dieser zu verhandeln - Klage eingereicht
habe. Unter Umständen hätte sich zwar ein Prozess vermeiden lassen, doch
würde der Grundsatz der Unentgeltlichkeit des Verfahrens verletzt, wenn
jedesmal leichtfertige oder mutwillige Prozessführung anzunehmen wäre, wenn
die klagende Partei wichtige Urkunden erst vor dem Gericht einreiche.
Die Patria-Stiftung wendet dagegen ein, gestützt auf das Reglement wäre der
heutige Beschwerdegegner verpflichtet gewesen, ihr die für die
Gehaltsberechnung relevanten Unterlagen unaufgefordert einzureichen und nicht
bis zum Gerichtsverfahren damit zuzuwarten.

5.
5.1 Nach Art. 24 Abs. 1 BVV2 in Verbindung mit Art. 34 Abs. 2 BVG kann die
Vorsorgeeinrichtung die Hinterlassenen- und Invalidenleistungen kürzen,
soweit sie zusammen mit anderen anrechenbaren Einkünften 90 % des mutmasslich
entgangenen Verdienstes übersteigen. Als anrechenbare Einkünfte gelten gemäss
Abs. 2 Leistungen gleicher Art und Zweckbestimmung, die der
anspruchsberechtigten Person aufgrund des schädigenden Ereignisses
ausgerichtet werden, wie Renten oder Kapitalleistungen mit ihrem
Rentenumwandlungswert in- und ausländischer Sozialversicherungen und
Vorsorgeeinrichtungen, mit Ausnahme von Hilflosenentschädigungen, Abfindungen
und ähnliche Leistungen; Bezügern von Invalidenleistungen wird überdies das
weiterhin erzielte Erwerbseinkommen angerechnet. Gemäss Abs. 4 dieser
Bestimmung muss der Leistungsberechtigte der Vorsorgeeinrichtung über alle
anrechenbaren Einkünfte Auskunft geben. Der unter der Überschrift "Kürzung
bei Überentschädigung" stehende Art. 30.1 des Personalvorsorge-Reglementes
schreibt ebenfalls vor, dass die berechtigte Person der Stiftung über alle
massgebenden Einkünfte Auskunft zu geben hat. Gemäss Art. 25 Abs. 1 BVV2 kann
die Vorsorgeeinrichtung ihre Leistungen nach Art. 24 kürzen, wenn die
Unfallversicherung oder die Militärversicherung für den gleichen
Versicherungsfall leistungspflichtig ist. Die Überentschädigung bildet
hinsichtlich des strittigen Rentenanspruchs weder eine negative
Anspruchsvoraussetzung, noch eine anspruchsbegründende Tatsache, sondern
einen Kürzungsgrund, wofür nach den allgemeinen Beweisregeln die
Beschwerdeführerin beweisbelastet ist (Urteil S. vom 24. Mai 2000, B 12/98 =
Plädoyer 2000 Nr. 4 S. 60).

5.2 Im Bereich der beruflichen Vorsorge tragen zunächst die
Vorsorgeeinrichtungen die Verantwortung zur Abklärung des
leistungsbegründenden Sachverhalts. Auch unter der Herrschaft des
Untersuchungsgrundsatzes bleibt aber die Abklärungsarbeit nicht völlig der
Vorsorgeeinrichtung überlassen. Die Versicherten haben Mitwirkungsrechte,
welche das Korrelat zur Untersuchungsmaxime darstellen (Roman Schnyder, Das
nichtstreitige Verfahren in der beruflichen Vorsorge, Aachen 1996, S. 130).

Mit Schreiben vom 8. Januar 2002 ersuchte der Beschwerdegegner unter Beilage
der Verfügung der SUVA vom 7. Januar 2002 die Patria-Stiftung um Prüfung des
Anspruchs auf eine BVG-Rente. Mit einem weiteren Schreiben vom 17. Januar
2002 reichte er die Verfügung der Invalidenversicherung vom 11. Januar 2002
und die Verfügung der SUVA vom 7. Januar 2002 ein und verlangte die
Rentenberechnung bis Ende Januar 2002. Dieses Schreiben hat sich
offensichtlich mit jenem der Patria-Stiftung gleichen Datums gekreuzt, mit
welchem diese eine Überentschädigungsberechnung unter Berücksichtigung von 90
% eines mutmasslich entgangenen Verdienstes von Fr. 69'123.-, der
IV-Rentenansprüche von Fr. 30'852.- und der Komplementärrente der SUVA von
Fr. 38'280.- vornahm, sodass kein Raum für eine BVG-Invalidenrente bestand.
Diese Berechnung hat die Beschwerdeführerin offensichtlich ohne Beizug der
Akten der Invaliden- und der Unfallversicherung vorgenommen. In der Folge hat
der Beschwerdegegner zum massgebenden Verdienst ergänzende Abklärungen
getroffen und dem kantonalen Gericht zusammen mit der Klage weitere
Unterlagen eingereicht.

Beim Verdienst von Fr. 69'123.- gemäss Schreiben der Patria-Stiftung vom 17.
Januar 2002 handelt es sich um 90 % des Jahresverdienstes von Fr. 76'803.-
(Fr. 5760.25 x 12), welcher der Komplementärrentenverfügung der SUVA vom 7.
Januar 2002 zugrunde lag. Nach der Rechtsprechung ist der Begriff des
"mutmasslich entgangenen Verdienstes" im Sinne von Art. 24 Abs. 1 BVV2
indessen nicht gleichbedeutend mit dem "versicherten Verdienst" gemäss Art.
20 Abs. 2 UVG. Während es sich beim versicherten Verdienst um den innerhalb
eines Jahres vor dem Unfall bezogenen Lohn handelt (Art. 15 Abs. 2 UVG),
bezieht sich der mutmasslich entgangene Verdienst gemäss Art. 24 Abs. 1 BVV2
auf das hyothetische Einkommen, das die versicherte Person ohne Invalidität
erzielen könnte (BGE 122 V 151). Indem die Vorsorgeeinrichtung den bei der
SUVA versicherten Jahresverdienst ohne Weiteres dem mutmasslich entgangenen
Jahresverdienst gleichgesetzt hat, hat sie klar den Untersuchungsgrundsatz
verletzt.

Vor dem Hintergrund der vorprozessualen Unterlassungen der Patria-Stiftung
kann es dem Beschwerdegegner mit Blick auf den Anspruch auf
Parteientschädigung nicht zum Nachteil gereichen, dass er selber ergänzende
Unterlagen beigezogen und gestützt darauf Klage eingereicht hat, zumal es
nicht Aufgabe des Versicherten ist, diejenigen Beweiselemente
zusammenzutragen, über welche sich die Versicherung ohne grossen Aufwand
selber Klarheit zu schaffen vermöchte. Die vorinstanzliche Zusprechung einer
Parteientschädigung hält daher vor Bundesrecht stand.

6.
Ausgangsgemäss hat die Patria-Stiftung die Gerichtskosten zu tragen, da das
Verfahren kostenpflichtig ist (Art. 134 OG e contrario und Art. 156 Abs. 1
OG). Überdies hat sie dem Beschwerdegegner eine Parteientschädigung zu
bezahlen (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 600.- werden der Patria-Stiftung zur Förderung der
Personalversicherung auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss
verrechnet.

3.
Die Patria-Stiftung zur Förderung der Personalversicherung hat dem
Beschwerdegegner für das Verfahren vor dem Eidgenössischen
Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1500.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 9. April 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: