Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen B 82/2002
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B 82/02

Urteil vom 18. Februar 2003
II. Kammer

Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Ursprung und Frésard;
Gerichtsschreiberin Kopp Käch

D.________, 1968, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Kreso
Glavas, Markusstrasse 10, 8006 Zürich,

gegen

BVG Sammelstiftung der Rentenanstalt, Rentenanstalt/Swiss Life, General
Guisan-Quai 40, 8022 Zürich, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau, als Versicherungsgericht, Weinfelden

(Entscheid vom 10. Juli 2002)

Sachverhalt:

A.
Der 1968 geborene D.________ arbeitete seit 1989 als Bauarbeiter bei der
W.________ AG und war über die Arbeitgeberin bei der BVG-Sammelstiftung der
Rentenanstalt (nachfolgend: Stiftung) berufsvorsorgerechtlich versichert.
Nach einem Sturz am 2. März 1995 stellten sich bei D.________ Rückenschmerzen
in der Lendengegend ein. Am 21. August 1995 suchte er deswegen Dr. med.
L.________ auf, welcher den Versicherten an den Rheumatologen Dr. med.
S.________ überwies. Dieser stellte am 28. August 1995 ein lumbospondylogenes
Syndrom links bei muskulärer Dysbalance, Status nach Bagatelltrauma und bei
Tendenz zu Panvertebralsyndrom/funktionellen Beschwerden fest und empfahl
eine intensive stationäre Rehabilitation. Nach einem Aufenthalt in der Klinik
T.________ vom 6. September bis 3. Oktober 1995 diagnostizierte Dr. med.
S.________ am 27. November 1995 ein panvertebrales Schmerzsyndrom bei Status
nach Bagatelltrauma, bei muskulärer Dysbalance und bei MRI-mässig diskreten
degenerativen, nicht relevanten Veränderungen.

D. ________ war ab 21. August 1995 zunächst zu 100 %, ab 15. Oktober 1995 zu
50 % arbeitsunfähig geschrieben. Ab 1. Februar 1996 hielt Dr. med. S.________
den Versicherten sowohl für eine leichte Arbeit wie auch als Bauarbeiter für
voll arbeitsfähig. D.________ fühlte sich indessen arbeitsunfähig. Die
W.________ AG löste das Arbeitsverhältnis wegen Nichtbefolgens von
Arztweisungen sowie unerlaubten Fernbleibens von der Arbeit auf, worauf der
Versicherte Arbeitslosentaggelder bezog. Bereits mit in Rechtskraft
erwachsener Verfügung vom 12. Dezember 1995 hatte die SUVA eine
Leistungspflicht verneint. Am 15. Oktober 1996 meldete sich D.________ zum
Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung an. Im April 1998 führte die
Medizinische Abklärungsstelle (MEDAS) eine polydisziplinäre Begutachtung
durch (Bericht vom 17. April 1998). Dabei wurde festgestellt, dass die
Arbeitsfähigkeit aus neurologischer und rheumatologischer Sicht nicht
eingeschränkt, hingegen eine 50%ige Arbeitsunfähigkeit aus psychischen
Gründen gegeben sei. Der Beginn der reduzierten Arbeitsfähigkeit wurde auf
den 2. April 1998 festgelegt. In der Folge erhielt D.________ ab 1. April
1998 eine halbe IV-Rente, welche mit Wirkung ab 1. September 2001 auf eine
ganze Rente erhöht wurde. Nach einem Aufenthalt in der Klinik für Psychiatrie
und Psychotherapie X.________ stellte die MEDAS in ihrem Bericht vom 18. Juli
2000 eine im Wesentlichen unveränderte Situation fest.

B.
Am 6. Februar 2002 liess D.________ Klage gegen die Stiftung erheben und
beantragen, die Vorsorgeeinrichtung sei zu verpflichten, ihm die
BVG-Leistungen ab 1. April 1998 zu 50 % und ab 1. September 2001 zu 100 % zu
entrichten, dies zuzüglich Verzugszins von 5 % seit der jeweiligen
Rentenfälligkeit sowie zuzüglich Beitragsbefreiung für die Sparbeiträge an
das Alterskapital. Mit Entscheid vom 10. Juli 2002 wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau die Klage ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt D.________ das im Klageverfahren
gestellte Rechtsbegehren erneuern.

Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und die Stiftung schliessen auf
Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die vorliegende Streitigkeit unterliegt der Gerichtsbarkeit der in Art. 73
BVG erwähnten richterlichen Behörden, welche sowohl in zeitlicher als auch in
sachlicher Hinsicht zuständig sind (BGE 122 V 323 Erw. 2, 120 V 18 Erw. 1a,
je mit Hinweisen).

2.
2.1 Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Anspruch auf
Invalidenleistungen der obligatorischen beruflichen Vorsorge (Art. 23 BVG)
und über das für die Leistungspflicht der ehemaligen Vorsorgeeinrichtung
massgebende Erfordernis des engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhanges
zwischen Arbeitsunfähigkeit und Invalidität (BGE 123 V 264 Erw. 1c, 120 V 117
Erw. 2c/aa und bb mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Richtig sind auch die
Ausführungen des kantonalen Gerichts über den Beweiswert von medizinischen
Gutachten und Arztberichten (BGE 125 V 352 Erw. 3). Darauf kann verwiesen
werden.

2.2 Die Invalidenleistungen nach BVG werden von derjenigen
Vorsorgeeinrichtung geschuldet, welcher die den Anspruch erhebende Person bei
Eintritt des versicherten Ereignisses angeschlossen war. Im Bereich der
obligatorischen beruflichen Vorsorge fällt dieser Zeitpunkt nicht mit dem
Eintritt der Invalidität nach IVG, sondern mit dem Eintritt der
Arbeitsunfähigkeit zusammen, deren Ursache zur Invalidität geführt hat (vgl.
Art. 23 BVG). Auf diese Weise wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die
versicherte Person meistens erst nach einer längeren Zeit der
Arbeitsunfähigkeit (nach einer Wartezeit von einem Jahr gemäss Art. 29 Abs. 1
lit. b IVG in Verbindung mit Art. 26 BVG) invalid wird. Damit nämlich der
durch die zweite Säule bezweckte Schutz zum Tragen kommt, muss das
Invaliditätsrisiko auch dann gedeckt sein, wenn es rechtlich gesehen erst
nach einer langen Krankheit eintritt, während welcher die Person unter
Umständen aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist und daher nicht mehr
dem Obligatorium unterstanden hat (BGE 123 V 264 Erw. 1b, 121 V 101 Erw. 2a,
120 V 116 Erw. 2b, je mit Hinweisen). Der Zeitpunkt des Eintritts der
massgebenden Arbeitsunfähigkeit muss indes hinlänglich ausgewiesen sein. Wenn
im Arbeitsvertragsrecht bereits eine Arbeitsunfähigkeit von wenigen Tagen
durch ein ärztliches Zeugnis oder auf andere Weise bewiesen werden muss, darf
hinsichtlich des erwähnten Eintritts der berufsvorsorgerechtlich relevanten
Arbeitsunfähigkeit mit viel weitreichenderen Folgen (lebenslange
Rentenleistungen, etc.) auf einen hinreichend klaren Nachweis nicht
verzichtet werden. Er darf nicht durch spekulative Annahmen und Überlegungen
ersetzt werden, sondern hat nach dem im Sozialversicherungsrecht üblichen
Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 126 V 360 Erw. 5b mit
Hinweisen) zu erfolgen (zum Ganzen: Urteil B. vom 22. Februar 2002, B 35/00).

3.
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch des Beschwerdeführers auf eine
Invalidenrente der Beschwerdegegnerin. Ein solcher ist zu bejahen, wenn
während der Anstellungsdauer bei der vormaligen Arbeitgeberin, der W.________
AG, bzw. noch innerhalb der Nachdeckungsfrist von einem Monat nach Auflösung
des Vorsorgeverhältnisses gemäss Art. 10 Abs. 3 BVG, eine relevante
Arbeitsunfähigkeit eingetreten und zwischen dieser und der Invalidität, die
den Anspruch auf Rentenleistungen der Invalidenversicherung ab 1. April 1998
begründet hat, der erforderliche sachliche und zeitliche Zusammenhang gegeben
ist.

Aus den Akten nicht klar ersichtlich ist, wann genau das Arbeitsverhältnis
bei der W.________ AG geendet hat. Gemäss Sachverhaltsdarstellung der
Vorinstanz wurde der Beschwerdeführer per Ende Februar 1996 fristlos
entlassen und bezog in der Folge Arbeitslosentaggelder. Der
Arbeitgeberauskunft vom 13. Dezember 1996 ist indessen zu entnehmen, dass das
Angestelltenverhältnis bis 30. April 1996 gedauert habe, wobei als letzter
effektiver Arbeitstag ebenfalls der 30. April 1996 angegeben wurde. Die
Auflistung der AHV-beitragspflichtigen Einkommen enthält ab Februar 1996
keine Lohnzahlungen mehr; darauf vermerkt ist, der Beschwerdeführer sei ab
März bis Austritt ferngeblieben. Gemäss Abschlussbericht der IV-Stelle des
Kantons Thurgau vom 11. Februar 1999 dauerte das Arbeitsverhältnis vom 4.
März 1989 bis 30. April 1996. Es ist jedoch gleichzeitig vermerkt, dass der
Versicherte ab 6. März 1996 bis 31. März 1998 Arbeitslosentaggelder bezogen
habe. Dem Auszug aus dem individuellen Konto des Amtes für AHV und IV des
Kantons Thurgau schliesslich ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer im
Januar und Februar 1996 noch Einkommen von der W.________ AG bezog und ab
April 1996 bis März 1998 Arbeitslosenentschädigung erhielt. Ob das
Arbeitsverhältnis Ende Februar 1996 oder aber Ende April 1996 geendet hat,
braucht indessen - wie aus den nachfolgenden Erwägungen ersichtlich ist -
nicht weiter abgeklärt zu werden.

4.
4.1 Nach einem Sturz im März 1995 wurde der Beschwerdeführer wegen eines
Rückenleidens aus rheumatologischer Sicht ab 21. August 1995 zu 100 %, ab 15.
Oktober 1995 zu 50 % arbeitsunfähig geschrieben. Ab 1. Februar 1996
attestierte ihm der behandelnde Arzt Dr. med. S.________ eine 100%ige
Arbeitsfähigkeit, dies im Bericht vom 26. Januar 1996 sowohl für eine leichte
Arbeit wie auch als Bauarbeiter, rückblickend im Arztbericht vom 13. November
1996 zumindest für leichte Arbeiten. Nach Auflösung des
Angestelltenverhältnisses durch die Arbeitgeberin nahm der Versicherte keine
neue Erwerbstätigkeit auf. Zunächst bezog er Arbeitslosenentschädigung; im
Oktober 1996 meldete er sich bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug
an. Bei der im Rahmen der Abklärungen der Invalidenversicherung erfolgten
Begutachtung durch die MEDAS wurde eine andauernde histrionische
Persönlichkeitsstörung bei chronischem generalisiertem Schmerzsyndrom ohne
somatisches Korrelat mit Aggravationstendenz diagnostiziert. Der Beginn der
aus psychischen Gründen auf 50 % reduzierten Arbeitsfähigkeit wurde auf 2.
April 1998 festgesetzt (Bericht vom 17. April 1998). Diese Diagnose sowie der
Zeitpunkt des Beginns der aus psychischen Gründen eingeschränkten
Arbeitsfähigkeit wurden im MEDAS-Bericht vom 18. Juli 2000 bestätigt. Die
Zusprechung von Leistungen der Invalidenversicherung erfolgte wegen diesen
psychischen Beschwerden.

4.2 Gestützt auf die medizinische Aktenlage hat die Vorinstanz zu Recht das
Vorliegen eines engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhangs zwischen der
Arbeitsunfähigkeit des Beschwerdeführers während der Anstellung bei der
W.________ AG und den Beschwerden, die zur Invalidität geführt haben,
verneint. Gemäss den beiden MEDAS-Gutachten vom 17. April 1998 und 18. Juli
2000, welche die von der Rechtsprechung verlangten Kriterien für Arztberichte
(BGE 125 V 352 Erw. 3a) vollumfänglich erfüllen, ist die invalidisierende
Einschränkung der Arbeitsfähigkeit ausschliesslich auf psychopathologische
Gründe zurückzuführen und deren Beginn auf 2. April 1998, somit auf einen
Zeitpunkt längst nach Beendigung des Angestelltenverhältnisses und der
Nachdeckungsfrist, festzusetzen. Wie das kantonale Gericht zutreffend
festgestellt hat, vermögen die medizinischen Berichte des Dr. med. S.________
den Zeitpunkt des Beginns nicht zu widerlegen. Als behandelnder Arzt hat er
in verschiedenen Berichten (so z.B. am 26. Januar, 23. Oktober, 13. November
1996 und 21. Februar 1997) die vom Beschwerdeführer subjektiv empfundene
Arbeitsunfähigkeit aus rheumatologischer Sicht nicht zu erklären vermocht.
Wohl hat er, obschon nicht Facharzt der Psychiatrie, am 26. Januar 1996,
nicht diagnostisch, sondern als Erklärungsversuch, eine psychosomatische
Komponente als an der Arbeitsunfähigkeit mitbeteiligt angenommen. Dieser
Erklärungsversuch ist jedoch nur eine von verschiedenen möglichen Deutungen,
finden sich doch in den meisten medizinischen Berichten über den
Beschwerdeführer, auch in denjenigen des Dr. med. S.________ vom 23. Oktober
und 13. November 1996, Hinweise auf Rentenbegehrlichkeit und Aggravation. Die
vom beigezogenen Facharzt genau gefasste Diagnose und der Zeitpunkt des
Beginns der daraus resultierenden Arbeitsunfähigkeit vermögen dadurch nicht
in Frage gestellt zu werden.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau,
als Versicherungsgericht, und dem Bundesamt für Sozialversicherung
zugestellt.

Luzern, 18. Februar 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Vorsitzende der II. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: