Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen B 73/2002
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2002
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2002


B 73/02

Urteil vom 8. April 2003

I. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichter Borella, Lustenberger, Ursprung und Frésard;
Gerichtsschreiber Nussbaumer

Bundesamt für Sozialversicherung, Effingerstrasse 20, 3003 Bern,
Beschwerdeführer,

gegen

1. Patria-Stiftung zur Förderung der Personal-  versicherung, St.
Alban-Anlage 26, 4002 Basel,  Beschwerdegegnerin, vertreten durch die
Patria,  Schweizerische Lebensversicherungs-Gesellschaft,
 Gartenstrasse 25, 8039 Zürich,
2. A.________, Beschwerdegegner

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn

(Entscheid vom 13. Juni 2002)

Sachverhalt:

A.
A. ________ und B.________ heirateten am 27. Juni 1986. Mit Urteil des
Richteramtes X.________ vom 20. Dezember 2001, welches am 26. Januar 2002 in
Rechtskraft erwuchs, wurde ihre Ehe geschieden. In Ziff. 8 der gerichtlich
genehmigten Scheidungskonvention einigten sie sich auf den gesetzlich
vorgesehenen Vorsorgeausgleich (hälftige Teilung) per 31. Oktober 2001.

B.
Nach Überweisung der Sache durch das Scheidungsgericht verpflichtete das
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn in Dispositiv-Ziff. 1 seines
Entscheids vom 13. Juni 2002 die Patria Schweizerische
Lebensversicherungs-Gesellschaft, Fr. 41'846.- vom Vorsorgekonto des
A.________ auf das Freizügigkeitskonto von B.________ bei der Bank Y.________
zu übertragen.

C.
Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) führt
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, in Aufhebung von Ziff. 1 des
vorinstanzlichen Entscheiddispositivs sei die Patria Stiftung zur Förderung
der Personalversicherung anzuweisen, zu Lasten des Vorsorgekontos von
A.________ Fr. 41'846.- nebst Verzugszinsen von 4,25 % nach Ablauf von 30
Tagen seit Datum des Entscheids des Eidgenössischen Versicherungsgerichts auf
das Freizügigkeitskonto von B.________ bei der Bank Y.________ zu überweisen.
Die Personalvorsorgestiftung sei weiter anzuweisen, B.________ zusätzlich zur
festgelegten Austrittsleistung von Fr. 41'846.- die auf diesem Betrag in der
Zeitspanne zwischen Rechtskraft des Scheidungsurteils und Datum der
Überweisung der Austrittsleistung angefallenen reglementarischen Zinsen zu
vergüten.

Die Vorsorgeeinrichtung sowie A.________ und B.________ verzichten auf eine
Vernehmlassung, während das kantonale Gericht die Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
A. ________ ist für seine Tätigkeit als Arbeitnehmer der Firma Z.________ im
Rahmen der beruflichen Vorsorge bei der Patria Stiftung zur Förderung der
Personalversicherung versichert. Diese Vorsorgeeinrichtung ist im
vorliegenden Verfahren passivlegitimiert und zur Entrichtung der
Ausgleichszahlung verpflichtet. Entgegen dem Entscheid des kantonalen
Versicherungsgerichts ist die Patria Schweizerische
Lebensversicherungs-Gesellschaft lediglich Vertreterin der
Vorsorgeeinrichtung.

2.
2.1 Die vorliegende Streitigkeit unterliegt der Gerichtsbarkeit der in Art. 73
BVG erwähnten richterlichen Behörden, welche sowohl in zeitlicher als auch in
sachlicher Hinsicht zuständig sind (BGE 122 V 323 Erw. 2, 120 V 18 Erw. 1a,
je mit Hinweisen). Das Gericht nach Art. 73 BVG, das gemäss Art. 25 und 25a
FZG auch für Streitigkeiten auf dem Gebiete der Freizügigkeit der beruflichen
Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge zuständig ist, hat den Streit
von Amtes wegen an die Hand zu nehmen und die Teilung der Austrittsleistung
gestützt auf den vom Scheidungsgericht bestimmten Aufteilungsschlüssel
durchzuführen (BGE 128 V 46 Erw. 2c mit Hinweisen).

2.2 Beim Prozess um Ausgleichszahlungen aus beruflicher Vorsorge im
Scheidungsfall handelt es sich wie bei Austrittsleistungen (Entstehung, Höhe,
Erfüllung usw.) um einen Streit um Versicherungsleistungen, weshalb sich die
Überprüfungsbefugnis des Eidgenössischen Versicherungsgerichts nach Art. 132
OG richtet. Danach ist die Kognition nicht auf die Verletzung von Bundesrecht
einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens beschränkt,
sondern sie erstreckt sich auch auf die Angemessenheit der angefochtenen
Verfügung. Das Gericht ist dabei nicht an die vorinstanzliche Feststellung
des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden und kann über die Begehren der
Parteien zu deren Gunsten oder Ungunsten hinausgehen. Ferner ist das
Verfahren regelmässig kostenlos (Art. 134 OG; BGE 114 V 36 Erw. 1c).

3.
3.1 Art. 122 Abs. 1 ZGB räumt jedem Ehegatten Anspruch auf die Hälfte der
nach dem Freizügigkeitsgesetz vom 17. Dezember 1993 für die Ehedauer zu
ermittelnden Austrittsleistung des anderen Ehegatten ein, wenn ein Ehegatte
oder beide Ehegatten einer Einrichtung der beruflichen Vorsorge angehören und
bei keinem Ehegatten ein Vorsorgefall eingetreten ist. Die Teilung der
Austrittsleistung wird nach den Art. 22 - 22c FZG durchgeführt, wobei im
Falle der Nichteinigung die Zuständigkeit des Gerichts nach Art. 73 BVG
vorgesehen ist (Art. 25a FZG; Art. 141 und 142 ZGB). Die geteilte
Austrittsleistung hat dem beruflichen Vorsorgeschutz grundsätzlich erhalten
zu bleiben (Art. 22 Abs. 1, Art. 22b Abs. 2 in Verbindung mit Art. 3-5 FZG).

3.2
3.2.1Nach Art. 15 Abs. 1 lit. a BVG besteht das Altersguthaben aus den
Altersgutschriften samt Zinsen für die Zeit, während der der Versicherte der
Vorsorgeeinrichtung angehört hat. Der vom Bundesrat festzulegende
Mindestzinssatz (Art. 15 Abs. 2 BVG) betrug bis Ende Dezember 2002 4 %; seit
1. Januar 2003 ist er auf 3,25 % festgesetzt (Art. 12 BVV2 in der Fassung
gemäss Änderung vom 23. Oktober 2002).

Die zu teilende Austrittsleistung eines Ehegatten entspricht gemäss Art. 22
Abs. 2 FZG der Differenz zwischen der Austrittsleistung zuzüglich allfälliger
Freizügigkeitsguthaben im Zeitpunkt der Ehescheidung und der
Austrittsleistung zuzüglich allfälliger Freizügigkeitsguthaben im Zeitpunkt
der Eheschliessung (vgl. Art. 24 FZG). Für diese Berechnung sind die
Austrittsleistung und das Freizügigkeitsguthaben im Zeitpunkt der
Eheschliessung auf den Zeitpunkt der Ehescheidung aufzuzinsen gemäss dem im
entsprechenden Zeitraum gültigen Mindestzinssatz nach Art. 12 BVV2 (Art. 8a
Abs. 1 FZV). Für die Zeit vor dem 1. Januar 1985 gilt der Zinssatz von 4 %
(Art. 8a Abs. 2 FZV).

Nach Art. 2 Abs. 3 FZG wird die Austrittsleistung mit dem Austritt aus der
Vorsorgeeinrichtung fällig. Ab diesem Zeitpunkt ist ein Verzugszins zu
zahlen. Dieser entspricht nach Art. 7 FZV dem in Art. 12 BVV2 geregelten
BVG-Mindestzinssatz plus einem Viertel Prozent.

3.2.2 Die in diesen Bestimmungen geregelte Verzinsung der Vorsorgeguthaben
bildet wesentliches Merkmal der beruflichen Vorsorge. Die
Vorsorgeeinrichtungen sind verpflichtet, die Altersguthaben zu einem
Mindestsatz zu verzinsen. Für die Berechnung der zu teilenden
Austrittsleistung wird der im Zeitpunkt der Eheschliessung vorhandene Betrag
ebenfalls aufgezinst. Damit verbleibt der während der Ehe aufgelaufene Zins
dem Ehegatten, welcher der beruflichen Vorsorge angehört (Botschaft des
Bundesrates über die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 15.
November 1995, BBl 1996 I 107). Mit dem Ausscheiden aus der
Vorsorgeeinrichtung wird die Austrittsleistung fällig und ist ab diesem
Zeitpunkt von der Vorsorgeeinrichtung zu verzinsen (vgl. auch BGE 119 V 135
Erw. 4c). Diese Pflicht zur Entrichtung eines Verzugszinses auf der
Austrittsleistung (vgl. Art. 2 Abs. 3 FZG) wird in der bundesrätlichen
Botschaft  zum Bundesgesetz über die Freizügigkeit in der beruflichen
Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge vom 26. Februar 1992 (BBl 1992
III 572) wie folgt begründet:
"Damit der Vorsorgeschutz bei einem Stellenwechsel nicht geschmälert wird,
muss vorgesehen werden, dass die Austrittsleistung ab Verlassen der
Vorsorgeeinrichtung zu verzinsen ist. In der Praxis gewähren zwar die
Vorsorgeeinrichtungen vielfach keinen Zins, wenn die Austrittsleistung
innerhalb eines Monats nach Fälligkeit überwiesen wird. Diese Praxis
benachteiligt aber die Vorsorgenehmer, die beispielsweise von einer
Spareinrichtung zu einer andern Spareinrichtung wechseln, da auch die
Letztere für diesen Monat keinen Zins gutschreibt, der entstehende
Zinsverlust beeinträchtigt direkt den Vorsorgeschutz. Diese Praxis
benachteiligt auch die Vorsorgenehmer, denen die Austrittsleistung bar
ausbezahlt wird. Die sofortige Verzinsung der Austrittsleistung ab
Freizügigkeitsfall stellt geringe administrative Probleme, die sich mit
entsprechenden Valutierungsvorschriften bei der Überweisung lösen lassen."
Mit der (durchgehenden) Verzinsung der Vorsorgeguthaben soll der
Vorsorgeschutz erhalten bleiben. Diese Überlegungen haben ihre Gültigkeit
auch für den Fall der verfahrensmässig bedingten Verzögerung der Aufteilung
der Austrittsleistungen bei Ehescheidung und deren Vollzug. Dem Gesichtspunkt
der Wahrung und Erhaltung des Vorsorgeschutzes würde es ebenfalls
zuwiderlaufen, wenn die Einrichtung der beruflichen Vorsorge (vgl. dazu auch
BGE 128 V 45 Erw. 2b mit Hinweisen) vom Zeitpunkt der Scheidung bis zur
Übertragung mit dem Guthaben, das der ausgleichsberechtigten geschiedenen
Person zusteht, Anlagen tätigen und Erträge erzielen oder der andere
geschiedene Ehepartner von den Zinsen auf dem ganzen Altersguthaben alleine
profitieren könnte. Der Grundsatz der durchgehenden Verzinsung gilt auch für
den Fall, wenn - wie hier - die Teilung der Austrittsleistung auf einen
Zeitpunkt vor dem Datum des Ehescheidungsurteils vorgenommen wird.

3.3 Demzufolge ist die dem ausgleichsberechtigten Ehegatten im Falle der
Scheidung zustehende Austrittsleistung vom massgebenden Stichtag der Teilung
an bis zum Zeitpunkt der Überweisung oder des Beginns der Verzugszinspflicht
zu verzinsen.

4.
Es stellt sich des Weitern die Frage, zu welchem Satz die Austrittsleistungen
zu verzinsen sind.

4.1 Im Rahmen des Obligatoriums werden die Altersguthaben mindestens zu dem
in Art. 12 BVV2 festgelegten Zinssatz verzinst.  Dieser Mindestzinssatz ist
auch für die Verzinsung der dem ausgleichsberechtigten Ehegatten geschuldeten
Austrittsleistung heranzuziehen. Sofern das Reglement (vgl. dazu Riemer, Das
Recht der beruflichen Vorsorge in der Schweiz, S. 58 § 2 Rz 35 ff., § 4 Rz
15-17) für die Verzinsung der Altersguthaben einen höheren Zinssatz vorsieht,
gelangt dieser zur Anwendung. Im Bereich des Obligatoriums hat daher eine
Vorsorgeeinrichtung auf der Austrittsleistung (Art. 122 ZGB, Art. 22 FZG) den
Mindestzinssatz von Art.12 BVV2 oder den allenfalls höheren reglementarischen
Zins zu vergüten.
Umhüllende Leistungs- oder Beitragsprimatkassen haben die Austrittsleistung
mit dem reglementarischen Zinssatz zu verzinsen, sofern damit im Rahmen der
so genannten Schattenrechnung dem BVG-Mindestzinssatz Genüge getan wird. Für
nur in der weitergehenden Vorsorge tätige Vorsorgeeinrichtungen gilt
ebenfalls in erster Linie der reglementarische Zinssatz. Sieht in diesen
beiden Fällen das Reglement keinen Zinssatz vor, so rechtfertigt es sich,
subsidiär den in Art. 12 BVV2 vorgesehenen Mindestzinssatz anzuwenden. Dieses
Vorgehen ist angezeigt, da Art. 8a FZV bei der Teilung der Austrittsleistung
infolge Scheidung ebenfalls auf den im entsprechenden Zeitraum gültigen
Zinssatz nach Art. 12 BVV2 greift.

4.2 Zu prüfen ist schliesslich, von welchem Zeitpunkt an eine
Vorsorgeeinrichtung auf der Austrittsleistung gegebenenfalls einen
Verzugszins schuldet.

4.2.1 Wird die Austrittsleistung infolge Einigung der Parteien unter Einbezug
der Vorsorgeeinrichtung im Verfahren nach Art. 141 ZGB ermittelt, so eröffnet
das Scheidungsgericht der Vorsorgeeinrichtung das rechtskräftige Urteil
bezüglich der sie betreffenden Punkte unter Einschluss der nötigen Angaben
für die Überweisung des vereinbarten Betrages (Art. 141 Abs. 2 ZGB). Von
diesem Zeitpunkt an verfügt die  Vorsorgeeinrichtung über alle zur
Überweisung der Austrittsleistung erforderlichen Angaben. Mit dem BSV ist ihr
eine Zahlungsfrist von 30 Tagen, gerechnet ab Eröffnung des
Scheidungsurteils, einzuräumen, bevor die Verzugszinspflicht einsetzt.

4.2.2 Etwas anders verhält sich die Situation, wenn nicht das
Scheidungsgericht, sondern das Vorsorgegericht gestützt auf Art. 142 ZGB die
Austrittsleistung in betraglicher Hinsicht ermittelt hat. In diesem Fall
steht mit der Eröffnung noch nicht fest, zu welchem Zeitpunkt der Entscheid
des Vorsorgegerichts rechtskräftig wird. Als Stichtag für den Beginn der
30tägigen Zahlungsfrist ist daher auf den Eintritt der Rechtskraft des
kantonalen Gerichtsentscheids, bei dessen Weiterzug auf den Tag der
Ausfällung der Entscheidung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts (Art.
38 in Verbindung mit Art. 135 OG) abzustellen.

4.2.3 In betraglicher Hinsicht ist der Verzugszins auf der Austrittsleistung
samt dem reglementarischen oder gesetzlichen Zins bis zum Zeitpunkt des
Beginns der Verzugszinspflicht zu bezahlen.

5.
Aus diesen Erwägungen folgt, dass die Beschwerdegegnerin auf der B.________
geschuldeten Austrittsleistung in Höhe von Fr. 41'846.- ab 1. November 2001
einen Zins in reglementarischer oder gesetzlicher (Mindest-)Höhe bis zum
Zeitpunkt der Überweisung zu entrichten hat. Ab 31. Tag nach Erlass des
vorliegenden Urteils wäre ein Verzugszins von 3,5 % (vgl. Art. 7 FZV in
Verbindung mit Art. 12 BVV2) zu bezahlen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird Dispositiv- Ziff. 1 des
Entscheids des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 13. Juni 2002
insofern abgeändert, als die Patria Stiftung zur Förderung der
Personalversicherung die Austrittsleistung zusätzlich ab 1. November 2001 im
Sinne der Erwägungen zu verzinsen hat.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn und B.________ zugestellt.

Luzern, 8. April 2003

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der I. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: