Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen B 64/2002
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B 64/02

Urteil vom 3. April 2003
II. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiber Flückiger

Pensionskasse Gemeinde X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch
Rechtsanwalt Dr. Mark Kurmann, Schweizerhofquai 2, 6004 Luzern,

gegen

H.________, 1947, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno
Häfliger, Schwanenplatz 7, 6004 Luzern

Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern

(Entscheid vom 17. Juni 2002)

Sachverhalt:

A.
Die 1947 geborene H.________ war bei der Gemeinde X.________ als
Kindergärtnerin angestellt und bei der Pensionskasse des Gemeindepersonals
X.________ (Vorsorgeeinrichtung) berufsvorsorgerechtlich versichert. Sie
erlitt am 29. Mai 1994 einen ersten und am 4. Dezember 1996 einen zweiten
Verkehrsunfall, welche zu einem invalidisierenden Gesundheitsschaden führten.
Die IV-Stelle Luzern sprach der Versicherten mit Verfügung vom 4. Februar
1998 für die Zeit vom 1. April 1996 bis 30. Juni 1996 eine Viertelsrente
(Invaliditätsgrad 41 %) und ab 1. Juli 1996 eine ganze Rente
(Invaliditätsgrad 69 %) zu. Zudem bezog H.________ zunächst Taggelder und ab
1. Februar 1999 eine Komplementärrente des obligatorischen Unfallversicherers
Y.________ Schweizerische Versicherungs-Gesellschaft.

Die Vorsorgeeinrichtung richtete der Versicherten vom 1. April bis 30. Juni
1996 eine auf reglementarischer Grundlage basierende Viertelsrente und ab 1.
Juli 1996 eine volle Invalidenrente aus (als "Rentenverfügung der
Pensionskasse" bezeichnetes Schreiben vom 3. Juli 1998). Mit Brief vom 4.
November 1999 stellte sie jedoch ihre Leistungen per 1. November 1999 ein. In
der Folge machte sie eine Rückforderung geltend mit der Begründung, die
ausgerichteten Leistungen hätten zu einer Überentschädigung geführt.

B.
Die Versicherte liess beim Verwaltungsgericht des Kantons Luzern Klage
erheben mit dem Rechtsbegehren, es sei festzustellen, dass die Rentenbeträge
für die Zeit vom 1. April 1996 bis 31. Oktober 1999 zu Recht ausgerichtet
worden seien, und es sei die Vorsorgeeinrichtung zu verpflichten, für die
Zeit ab 1. November 1999 bis auf weiteres eine ungekürzte Invalidenrente
auszurichten.

Mit Entscheid vom 17. Juni 2002 stellte das Verwaltungsgericht des Kantons
Luzern fest, dass die Klägerin in der Zeit vom 1. Juli 1996 bis 31. Oktober
1999 Pensionskassenleistungen in Höhe von Fr. 9556.50 zu viel bezogen habe
(Dispositiv-Ziffer 1), welche unter dem Vorbehalt eines allfälligen Erlasses
mit den laufenden Rentenleistungen verrechnet werden könnten
(Dispositiv-Ziffer 2) . Es verpflichtete die beklagte Vorsorgeeinrichtung,
der Klägerin ab 1. November 1999 bis auf weiteres eine ungekürzte BVG-Rente
im Betrag von monatlich Fr. 1992.95 zu bezahlen (Dispositiv-Ziffer 3) und ihr
ausserdem eine Parteientschädigung auszurichten (Dispositiv-Ziffer 4).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt die Pensionskasse der Gemeinde
X.________ beantragen, es sei festzustellen, dass die Versicherte während der
Zeit vom 1. Juli 1996 bis 31. Oktober 1999 Pensionskassenleistungen im Betrag
von Fr. 30'760.- unrechtmässig bezogen habe, die Beschwerdeführerin sei zu
verpflichten, der Versicherten ab November 1999 bis zu einer allfälligen
Revision gekürzte Invalidenrenten in Höhe von monatlich Fr. 1627.-
auszurichten, und es sei festzustellen, dass die Beschwerdeführerin ihre
Rentenleistungen bis zum Betrag von Fr. 30'760.- verrechnen dürfe.
Eventualiter wird die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz beantragt.

H. ________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen.
Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Anspruch
auf Invalidenleistungen der beruflichen Vorsorge (Art. 23 BVG), die Höhe der
Rente (Art. 24 BVG), die Verhinderung ungerechtfertigter Vorteile der
versicherten Person (Art. 34 Abs. 2 BVG, Art. 24 BVV2) sowie die
Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen (vgl. auch BGE 128 V 52 Erw.
3a, 236) und die Zulässigkeit der Verrechnung eines Rückforderungsanspruchs
mit laufenden Leistungen (Art. 39 BVG; vgl. auch BGE 128 V 53 Erw. 4a mit
Hinweisen) zutreffend dargelegt. Gleiches gilt unbestrittenermassen
hinsichtlich der  entsprechenden Regelungen in den Statuten und im Reglement
der Beschwerdeführerin. Darauf wird verwiesen.

2. Gegenstand des Rechtsstreits bildet die Überentschädigungsberechnung
gemäss Art. 24 BVV2. In diesem Rahmen sind die von der Beschwerdeführerin für
den Zeitraum vom 1. April 1996 bis 31. Oktober 1999 erbrachten Zahlungen, der
Betrag der ungekürzten Invalidenrente, die Höhe der "anderen anrechenbaren
Einkünfte" gemäss Art. 24 Abs. 1 BVV2 (Rente der Invalidenversicherung,
Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung) sowie der mutmasslich
entgangene Verdienst aus der Anstellung als Kindergärtnerin und Lehrerin im
Deutschunterricht für Fremdsprachige unbestritten. Gleiches gilt hinsichtlich
der Möglichkeit einer Rückforderung und deren Verrechnung mit laufenden
Leistungen. Streitig und zu prüfen ist dagegen die Höhe des in die
Überentschädigungsberechnung einzubeziehenden (BGE 126 V 93) mutmasslich
entgangenen Verdienstes aus der von der Beschwerdeführerin seit 1992
nebenberuflich ausgeübten selbstständigen Erwerbstätigkeit als
Körpertherapeutin.

3.
3.1 Die Vorinstanz ging davon aus, da die Beschwerdegegnerin mit einem Pensum
von 83.5 % fest angestellt gewesen sei, verbleibe für die selbstständige
Erwerbstätigkeit als Körpertherapeutin ein Restpensum von 16.5 %, was bei
einer 42-Stunden-Woche sieben Stunden entspreche. Auf der Basis eines
Stundenansatzes von Fr. 80.- sowie bei 4.3 Wochen pro Monat errechnete das
kantonale Gericht jährliche Bruttoeinnahmen von Fr. 28'896.-, wovon es
Unkosten von rund Fr. 11'000.- in Abzug brachte, sodass bezogen auf das Jahr
1994 ein Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit als Körpertherapeutin
von rund Fr. 18'000.- resultierte. Weiter nahm die Vorinstanz an, in den drei
Folgejahren hätte die Versicherte ihre selbstständige Erwerbstätigkeit
erweitert und dadurch den entsprechenden Verdienst um Fr. 2000.- pro Jahr
steigern können. Damit ergaben sich Einkünfte von Fr. 22'000.- für 1996 und
Fr. 24'000.- ab 1997.

3.2 Die Beschwerdeführerin erachtet den Stundenansatz von Fr. 80.- als
überhöht. Ausserdem macht sie geltend, die Versicherte hätte nie sieben
Wochenstunden ohne jegliche Ausfälle verrechnen können. Die Unhaltbarkeit der
vorinstanzlichen Berechnungsweise werde daraus deutlich, dass ein
Jahreseinkommen von Fr. 24'000.- bei einem Pensum von 16.5 % einem
Jahresverdienst von Fr. 146'000.- bei vollzeitlicher Tätigkeit entspreche,
welcher für eine Körpertherapeutin offensichtlich übersetzt sei.

3.3
3.3.1Gemäss der Auskunft des Schweizerischen Verbandes für natürliches Heilen
vom 7. September 2000 beträgt der Stundenansatz der Verbandsmitglieder in der
Regel zwischen Fr. 60.- und Fr. 120.- pro Stunde, wobei ein Betrag von Fr.
80.- als angemessenes durchschnittliches Honorar gilt, während der
Höchstansatz bei Fr. 130.- liegt. Unter diesen Umständen ist nicht zu
beanstanden, dass die Vorinstanz ihrer Berechnung einen Betrag von Fr. 80.-
zu Grunde gelegt hat.

3.3.2 Dagegen ist der Beschwerdeführerin insoweit beizupflichten, als nicht
davon ausgegangen werden kann, dass bei einem Pensum von 16.5 % sieben
Stunden wöchentlich auf Dauer ohne Unterbruch angeboten werden können.
Vielmehr hätte die Versicherte mit Ausfällen und weiteren nicht
verrechenbaren Stunden (Fortbildung, Ferien, Feiertage, Krankheit, usw.)
rechnen müssen. Mit der Beschwerdeführerin ist auch anzunehmen, dass der aus
der Aufrechnung des Verdienstes von Fr. 24'000.- (1997) von 16.5 % auf 100 %
resultierende Betrag von Fr. 146'000.- unrealistisch ist.

3.3.3 Die berechtigten Einwände der Beschwerdeführerin lassen aber nicht ohne
weiteres den Schluss zu, die Vorinstanz habe den entgangenen Verdienst aus
selbstständiger Erwerbstätigkeit zu hoch angesetzt. Vielmehr stellt sich die
Frage, ob angenommen werden darf, dass die Versicherte ihre Gesamttätigkeit
auf ein Pensum von 100 % bzw. 42 Wochenstunden beschränkt hätte, oder ob,
entsprechend der Argumentation in der Vernehmlassung zur
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, von einem höheren Aufwand auszugehen ist.

3.3.4 Aus den Akten ergeben sich verschiedene Hinweise darauf, dass die
Versicherte in der Tat ihr Engagement für die selbstständige Erwerbstätigkeit
im Bereich der Körpertherapie erhöht hätte. Einmal steht fest, dass ihr
hiefür als Kindergärtnerin mit einem Pensum von 19.2 Stunden (bis 31. Juli
1999) genügend Zeit zur Verfügung stand. Aus ihrem Stundenplan ist
ersichtlich, dass sich die Präsenzzeiten auf sieben Halbtage pro Woche
beschränkten, währenddem vier Halbtage (einschliesslich Samstag Vormittag)
der Praxistätigkeit dienen konnten. Überdies steht fest, dass die
Beschwerdegegnerin als Alleinstehende keine weiter gehenden Erziehungs- oder
Haushaltspflichten zu erfüllen hatte. Ausserdem ist festzuhalten, dass sie
sich in den Jahren zuvor stets weitergebildet hat und daher für die Tätigkeit
entsprechend motiviert war. So hat sie, wie in der Vernehmlassung zur
Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu Recht ausgeführt wird, bereits im
Eröffnungsjahr eine wöchentliche Auslastung von 5.3 Stunden erreicht. Bis zum
Unfall im Jahre 1994 erhöhte sich dieser Ansatz bereits erheblich. Es ist
also ohne weiteres davon auszugehen, dass die Versicherte ihr Engagement
nicht auf sieben Stunden pro Woche beschränkt, sondern gegen das Doppelte an
Zeit eingesetzt hätte, um durchschnittlich sieben Wochenstunden verrechnen zu
können. Diese Betrachtungsweise geht auch mit der Erfahrung einher, dass
Selbstständigerwerbende mitunter einen zeitlich erheblich höheren Einsatz
leisten als Festangestellte.

Geht man davon aus, die Versicherte hätte wöchentlich noch ca. fünf bis
sieben Stunden aufgewendet, um sieben Wochenstunden tatsächlich verrechnen zu
können, gelangt man zu einer Wochenarbeitszeit von ca. 48 Stunden. Diese
Arbeitszeit erscheint für eine beruflich voll motivierte Person nicht
unangemessen hoch. Die vorinstanzliche Bezifferung des mutmasslichen
Verdienstes aus selbstständiger Erwerbstätigkeit lässt sich daher - zumindest
im Ergebnis - nicht beanstanden.

4.
Aus der Gegenüberstellung des so ermittelten mutmasslichen Verdienstes mit
den tatsächlich erzielten Einkommen berechnete das kantonale Gericht für den
Zeitraum vom 1. April 1996 bis 31. Oktober 1999 insgesamt Überbezüge in Höhe
von Fr. 9556.50, während es eine Kürzung zufolge Überentschädigung für die
Zeit ab 1. November 1999 ablehnte. Diese Berechnung ist, ausgehend von den
unbestrittenen Posten (Erw. 2 hievor) zuzüglich die Einkünfte aus
selbstständiger Tätigkeit von Fr. 22'000.- für 1996 bzw. Fr. 24'000.- für
1997 und die Folgejahre, unbestrittenermassen korrekt. Ebenso wurden die
Pflicht zur Rückerstattung des zu Unrecht bezogenen Betrags und die
Verrechenbarkeit dieser Rückforderung mit laufenden Renten - unter dem
Vorbehalt des Erlasses - zu Recht bejaht.

5.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem Prozessausgang entsprechend
hat die Beschwerdegegnerin Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 135 in
Verbindung mit Art. 159 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Pensionskasse der Gemeinde X.________ hat der Beschwerdegegnerin für das
Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine
Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu
bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 3. April 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: