Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen B 53/2002
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B 53/02

Urteil vom 18. Dezember 2002

I. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichter Borella, Meyer, Ferrari und Ursprung;
Gerichtsschreiberin Weber Peter

Bundesamt für Sozialversicherung, Effingerstrasse 20, 3003 Bern,
Beschwerdeführer,

gegen

Pensionskasse Appenzell A.Rh., c/o Landesbuchhaltung, Regierungsgebäude, 9102
Herisau, Beschwerdegegnerin,

betreffend F.________, 1961, vertreten durch Frank Th. Petermann,
Falkensteinstrasse 1-3, 9006 St. Gallen

Verwaltungsgericht von Appenzell Ausserrhoden, Trogen

(Entscheid vom 22. Mai 2002)

Sachverhalt:

A.
F. ________ musste ihre langjährige berufsvorsorgeversicherte Tätigkeit als
technische Operationsassistentin im Spital krankheitsbedingt aufgeben, worauf
sie durch die Invalidenversicherung zur technischen Kauffrau umgeschult
wurde. Dies erlaubte es ihr, am 1. September 2000 als Pharmareferentin im
Aussendienst eine Stelle anzutreten, welche sie auf den 31. Dezember 2001
verlor.

Mit Schreiben vom 26. Februar 2002 forderte die Pensionskasse Appenzell A.Rh.
die Versicherte zur Rückerstattung der vom 1. September 2000 bis 31. Dezember
2001 ausgerichteten Pensionskassenrenten von Fr. 1035.- monatlich, zuzüglich
Fr. 1063.35 im Januar 2002, total Fr. 17'623.35, unter dem Titel
unrechtmässig bezogener Leistungen (Ausübung einer rentenausschliessenden
Tätigkeit) auf. Sie stellte ihr die Kopie einer vom 4. September 2000
datierenden, auf eine frühere Wohnadresse lautende Verfügung der IV-Stelle
des Kantons Appenzell A.Rh. zu, worin die IV-Stelle eine
rentenausschliessende Eingliederung ab 1. September 2000 [Stellenantritt]
feststellte und die Ausrichtung der IV-Taggelder noch bis Ende August 2000
zusicherte.

B.
Mit einer Eingabe vom 17. März 2002 wandte sich F.________ an das
Verwaltungsgericht von Kantons Appenzell A.Rh. Diese mit «Beschwerde
betreffend Aussetzung der IV-Rente und Pensionsrente» betitelte Schrift
enthielt das Rechtsbegehren:
«1. Der Entscheid über die Aussetzung der IV-Rente und Pensionsrente sei
 aufzuheben. (...)

2. Die Forderung (Rückerstattung) der Pensionskasse sei abzuweisen.
(...)

3. Die IV und die kantonale Pensionskasse sei zu verpflichten,
F.________ die  ihr zustehenden Renten weiter zu bezahlen.»
Das Verwaltungsgericht von Appenzell A.Rh., mit dieser Eingabe vom 17. März
2002 konfrontiert, stellte einerseits fest, das Verfahren betreffend die
Verfügung der IV-Stelle vom 4. September 2000 sei weiterzuführen (wobei in
diesem Beschwerdeverfahren insbesondere die Frage einer fristauslösenden
früheren Zustellung der Verfügung an die Versicherte abzuklären sei); soweit
die Eingabe die Berufsvorsorgeleistungen betraf, ging das kantonale Gericht
andererseits, unter Berufung auf die Praxis, wonach den Vorsorgeeinrichtungen
die Verfügungskompetenz abgeht, davon aus, beide Parteien seien
«mit ihren Begehren (F.________: Weiterzahlung der Rente; Pensionskasse:
Rückforderung) auf das Klageverfahren im Sinne von Art. 73 des Bundesgesetzes
über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG, SR
831.40) zu verweisen. Auf die Beschwerde von F.________ bezüglich der
beruflichen Vorsorge (Leistungen der Pensionskasse, Rückerstattungspflicht)
wird daher nicht eingetreten.» (Entscheid vom 22. Mai 2002).

C.
Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) führt
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, es sei der kantonale
Gerichtsentscheid aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen,
damit diese das als Beschwerde bezeichnete Schreiben der Versicherten vom 17.
März 2002 als Klage behandle. Zur Begründung bringt das BSV vor, die
Versicherte habe durch ihr Schreiben vom 17. März 2002 «klar zu erkennen»
(gegeben), «dass sie sich - (...) - gegen die Rückerstattungspflicht wendet
und die Weiterausrichtung der bisherigen Rente verlangt». In rechtlicher
Hinsicht macht das BSV gestützt auf Art. 73 Abs. 2 BVG, welcher die Kantone
zur Einrichtung eines einfachen Verfahrens verpflichtet, und unter Berufung
auf die bundesrätliche Botschaft (BBl 1976 I 210) geltend, den Kantonen sei
für die Klage von Bundesrechts wegen keine besondere Form vorgeschrieben;
hingegen sei «in Analogie zu Art. 85 Abs. 2 Bst. b AHVG davon auszugehen,
dass die schriftliche Klage ein Rechtsbegehren und eine Begründung enthalten
müsste». Ferner hätte die Vorinstanz «in Analogie zu Art. 52 Abs. 2 VwVG» der
Versicherten eine kurze Nachfrist zur Behebung des von ihr beanstandeten
Mangels ansetzen müssen mit Androhen des Nichteintretens.

Dieser Betrachtungsweise tritt das kantonale Gericht in seiner Vernehmlassung
u.a. mit folgenden Argumenten entgegen:
«Weil die Versicherte im Klageverfahren jederzeit und nach kantonalem Recht
auch ohne Beizug eines Anwaltes eine begründete Klage einreichen kann, konnte
unserer Auffassung nach auf das Ansetzen einer Nachfrist verzichtet werden.
Das BSV verkennt, dass die Nachfristansetzung nach Art. 85 Abs. 2 lit. b AHVG
auf das fristgebundene Beschwerdeverfahren und nicht auf das Klageverfahren
zugeschnitten ist.»
Die Pensionskasse verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Die zur Vernehmlassung eingeladene F.________, nunmehr anwaltlich vertreten,
stellt das Rechtsbegehren, auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei nicht
einzutreten; eventualiter sei sie abzuweisen. Den Nichteintretensantrag
begründet der Rechtsvertreter, Rechtsanwalt Dr. Frank Th. Petermann, mit dem
zwischenzeitlich erfolgten Rückzug der Beschwerde vor dem kantonalen Gericht
betreffend die Verfügung der IV-Stelle vom 4. September 2002 (recte: 4.
September 2000). Was die vom BSV befürwortete Nachfristansetzung anbelangt,
hält der Rechtsvertreter entgegen, eine solche scheide bei einer nicht an
eine Frist gebundenen Klage aus.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Entgegen den Ausführungen in der Vernehmlassung der Versicherten hängt die
Zulässigkeit der hier zu beurteilenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde des BSV
nicht davon ab, in welcher Weise das kantonale Gericht im
invalidenversicherungsrechtlichen Verfahren den Prozess erledigte, geschweige
denn davon, ob eine Anfechtung der Verfügung vom 4. September 2000 noch
prozessual möglich war. Gestützt auf Art. 4a Abs. 2 BVV1 in Verbindung mit
Art. 103 lit. b OG ist das BSV ohne weiteres befugt, durch
Verwaltungsgerichtsbeschwerde dem Eidgenössischen Versicherungsgericht die
Frage zur Beurteilung zu unterbreiten, ob das kantonale Gericht dadurch
Bundesrecht verletzt hat (Art. 104 lit. a OG), dass es auf die Eingabe der
Versicherten vom 17. März 2002 ohne Weiterungen in dem Umfange nicht eintrat,
als sie eine Klage in Bezug auf die berufsvorsorgerechtlichen Ansprüche der
Versicherten enthielt.

2.
2.1 Das Bundesrecht enthält für das kantonale Verfahren in
Berufsvorsorgesachen eine einzige Bestimmung, Art. 73 BVG, welche sowohl im
Obligatoriums- (Art. 6 BVG) als auch im weitergehenden Berufsvorsorgebereich
(Art. 49 Abs. 2 BVG) beachtlich ist. Nach dessen Abs. 1 bezeichnet jeder
Kanton ein Gericht, das als letzte kantonale Instanz über Streitigkeiten
zwischen Vorsorgeeinrichtungen, Arbeitgebern und Anspruchsberechtigten
entscheidet (Satz 1). Die Kantone sehen ein einfaches, rasches und in der
Regel kostenloses Verfahren vor; der Richter stellt den Sachverhalt von Amtes
wegen fest (Abs. 2). Der restliche Normgehalt des Art. 73 BVG betrifft die
örtliche Zuständigkeit (Abs. 3) und unterwirft die kantonalen Entscheide dem
Rechtsmittel der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidgenössische
Versicherungsgericht (Abs. 4).

2.1.1 Soweit die Versicherte mit ihrer Eingabe vom 17. März 2002 an das
kantonale Gericht die ihr von der Pensionskasse mit Schreiben vom 26. Februar
2002 angedrohte Rückerstattung der vom 1. September 2000 bis 31. Januar 2002
bezogenen Pensionskassenrenten beanstandet hat, ist das Nichteintreten des
kantonalen Gerichts ohne weiteres bundesrechtskonform. Das Nichteintreten
trägt dem Rechtsumstand Rechnung, dass die Vorsorgeeinrichtungen im Rahmen
von Art. 73 BVG praxisgemäss (BGE 115 V 224 und seitherige ständige
Rechtsprechung) keine Verfügungskompetenz besitzen - welche als
Anfechtungsobjekt eines Rechtsmittels in Betracht fiele - und dass für die -
allfällige - rechtliche Durchsetzung des Rückerstattungsanspruches einzig die
Pensionskasse Appenzell A.Rh. aktivlegitimiert (SZS 1998 S. 447) ist. Eine
negative Feststellungsklage seitens der Versicherten, des Inhalts, dass sie
der Pensionskasse nichts schulde, scheidet mangels der hiefür erforderlichen
Voraussetzungen (BGE 128 III 142 Erw. 2) aus. Demzufolge ist die richterliche
Prüfung der Begründetheit dieses Rückerstattungsanspruches einem Urteil
vorbehalten, welches auf eine entsprechende Klage der Pensionskasse hin zu
ergehen hätte, eine Klage, welche die Pensionskasse hier nach Lage der Akten
jedoch bisher nicht erhoben hat.

2.1.2 Allein unter dem Gesichtswinkel des Art. 73 BVG betrachtet ist sodann
bundesrechtlich ebenfalls unbedenklich, dass das kantonale Gericht auch
insoweit auf die Eingabe vom 17. März 2002 nicht eingetreten ist, als darin
die weitere Auszahlung der Pensionskassenrente (über den 31. Januar 2002
hinaus) beantragt, jedoch seitens der Versicherten nicht hinreichend
sachbezogen begründet worden war. Denn Art. 73 BVG verpflichtet das kantonale
Berufsvorsorgegericht nicht, der klagenden berufsvorsorgeversicherten Person
Gelegenheit zur Verbesserung der Klage einzuräumen, verbunden mit der
Androhung, dass im Unterlassungsfall auf das Rechtsmittel nicht eingetreten
werde.

2.2 Damit bleibt zu prüfen, ob sich eine entsprechende Verpflichtung des
kantonalen Berufsvorsorgegerichts sonst aus dem Bundesrecht, insbesondere dem
Bundesverfassungsrecht, ergibt. Dies ist unter allen in Frage kommenden
Rechtstiteln zu verneinen: Eine analogieweise Anwendung von Art. 85 Abs. 2
lit. b AHVG (Nachfristansetzung im Beschwerdeverfahren) fällt mangels
gesetzlicher Grundlage, einer Verweisungsnorm oder hinreichend
gleichgelagerter Verhältnisse, welche den Analogieschluss ohne gesetzliche
Grundlage gebieten würden (dazu BGE 125 III 128 ff. Erw. 1d und e, 122 III
414 f. Erw. 2b), ausser Betracht. Die Pflicht, der klagenden Person
Gelegenheit zur Verbesserung ihres Rechtsmittels einzuräumen, kann auch nicht
als in der Garantie eines einfachen Verfahrens enthaltene Anforderung
betrachtet werden. Das ist schon daraus ersichtlich, dass das Bundesrecht
zwischen der Einfachheitsanforderung (vgl. z.B. Art. 85 Abs. 2 lit. a AHVG)
und der Pflicht zur Nachfristansetzung/Verbesserungsaufforderung (vgl. z.B.
Art. 85 Abs. 2 lit. b AHVG) unterscheidet. Es bedürfte der letzteren
Bestimmungen nicht, wenn deren Inhalt schon von der Einfachheitsgarantie
erfasst wäre. Der bundesverfassungsrechtliche (Art. 29 Abs. 1 BV) und
konventionsrechtliche (Art. 6 Abs. 1 EMRK) Schutz der Justizgewährleistung
sodann ist von vornherein nicht betroffen, weil es der rechtsuchenden Person
im Anschluss an einen - zufolge Nichterfüllung der formellen
Klagevoraussetzungen - ergangenen Nichteintretensentscheid freisteht, von
neuem Klage zu erheben. Dieses Recht zur Klageeinreichung ist durch nichts
anderes begrenzt als durch die materiellrechtlichen Verjährungsfristen (Art.
41 BVG).

2.3 Hingegen ergibt sich eine Pflicht, dem Versicherten Gelegenheit zur
Verbesserung der unzureichenden Klage zu geben, aus dem kantonalen Recht. So
schreibt etwa § 173 Abs. 2 ZPO/AG vor, dass der Instruktionsrichter im Rahmen
der Klageprüfung den Kläger auf Mängel aufmerksam macht und ihm für die
Verbesserung oder den Rückzug der Klage eine kurze Frist einräumt (§ 173 Abs.
1 in Verbindung mit § 167 ZPO/AG). Im appenzell-ausserrhodischen
Zivilprozessrecht, welches auf das Klageverfahren in
Berufsvorsorgestreitigkeiten vor Verwaltungsgericht ergänzend anwendbar ist,
verhält es sich nicht anders (Art. 13 lit. f in Verbindung mit Art. 14 Abs. 3
Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit [bGS 143.6] und Art. 134 Abs. 2
und Abs. 3 Zivilprozessordnung [bGS 231.1]). Indessen entspringt diese von
Amtes wegen vorzunehmende Prüfung der formellen Klagevoraussetzungen (vgl.
Bühler/ Edelmann/Killer, Kommentar zur aargauischen ZPO, S. 368 N 3 zu § 173)
dem kantonalen Recht. Dessen Missachtung stellt keine Bundesrechtsverletzung
(Art. 104 lit. a OG) dar. Der vorinstanzliche Nichteintretensentscheid hält
daher vor der Verwaltungsgerichtsbeschwerde des BSV auch unter diesem
rechtlichen Gesichtswinkel stand, ganz abgesehen davon, dass das BSV nicht
mit der Massgeblichkeit des kantonalen Verfahrensrechts argumentiert. Bei
dieser Rechtslage ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde des BSV unbegründet.

3.
3.1 Weil es nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen, sondern ausschliesslich um prozessuale Fragen ging,
ist das Verfahren grundsätzlich kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario).
Dem unterliegenden BSV können jedoch keine Gerichtskosten auferlegt werden
(Art. 156 Abs. 2 OG).

3.2 Nach Art. 159 Abs. 2 OG darf im Verfahren der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde obsiegenden Behörden oder mit
öffentlich-rechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen in der Regel keine
Parteientschädigung zugesprochen werden. Dies gilt auch für die Träger oder
Versicherer der beruflichen Vorsorge gemäss BVG (BGE 126 V 149 Erw. 4, 118 V
169 Erw. 7). Obschon die Pensionskasse Appenzell A.Rh. formell obsiegt, hat
sie somit keinen Anspruch auf Parteientschädigung.

Der anwaltlich vertretenen Versicherten steht zufolge Obsiegens grundsätzlich
eine Parteientschädigung zu Lasten der unterliegenden Beschwerdeführerin zu
(Art. 159 OG). Im Hinblick darauf, dass in der Vernehmlassung der
Versicherten weitgehend am Prozessthema vorbei argumentiert wird und der
damit verbundene Aufwand somit nicht als für die gebotene Interessenwahrung
erforderlich betrachtet werden kann, rechtfertigt sich eine betraglich
reduzierte Parteikostenzusprechung.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Beschwerdeführerin hat der Versicherten für das Verfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1000.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht von Appenzell A.Rh.
und F.________ zugestellt.
Luzern, 18. Dezember 2002

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der I. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: