Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen B 4/2002
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B 4/02

Urteil vom 30. Oktober 2002
II. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichter Ursprung und Frésard; Gerichtsschreiberin
Bollinger

Pensionskasse Y.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Advokat Dr.
Manfred Bayerdörfer, Rathausstrasse 40/42, 4410 Liestal,

gegen

P.________, 1948, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Christian
Thöny, Quaderstrasse 16, 7000 Chur,

Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, Chur

(Entscheid vom 5. Juli 2001)

Sachverhalt:

A.
Der 1948 geborene P.________ leidet seit Ende der Achtzigerjahre an Hüft- und
Rückenbeschwerden. Vom 1. Mai 1992 bis zum 30. Juni 1995 war er als Bauführer
bei der Firma R.________ AG tätig und bei der Patria Schweizerische
Lebensversicherungsgesellschaft, seit 1. Januar 1996 bei der
BVG-Sammelstiftung der Rentenanstalt berufsvorsorgeversichert. Ab November
1993 war er wegen Hüftarthrose und Rückenleidens vollständig, vom 1. Februar
bis Ende Juni 1995, nach Implantation einer Hüfttotalprothese auf beiden
Seiten und anschliessender Rehabilitation, zu 50 % arbeitsunfähig. Vom 1.
August 1995 bis zum 31. Dezember 1996 war er bei der Firma D.________ AG
zunächst als Aussendienstmitarbeiter und später als Leiter der Stahlbiegerei
vollzeitlich angestellt und bei der Pensionskasse der Firma D.________ AG
(heute: Pensionskasse Y.________) versichert. Anschliessend bezog er während
rund eines Jahres Arbeitslosenentschädigung. Zwischen dem 9. Februar und dem
9. August 1998 absolvierte er ein Einarbeitungs- und Förderzeitpraktikum bei
der Sozialversicherungsanstalt Graubünden. Ab 10. August 1998 arbeitete er
kurze Zeit bei der Firma S.________ AG, musste diese Arbeit jedoch wegen
starker Zunahme der Rücken- und Hüftgelenkbeschwerden am 3. September 1998
wieder niederlegen. Mit Verfügungen vom 18. Dezember 2000 sprach ihm die
IV-Stelle des Kantons Graubünden mit Wirkung ab 1. Januar 1998 eine ganze
Invalidenrente nebst Zusatzrente für seine Ehefrau sowie Kinderrenten zu.

B.
Nachdem die Pensionskasse Y.________ die Ausrichtung einer Invalidenrente
abgelehnt hatte, liess P.________ am 13. Februar 2001 beim Verwaltungsgericht
des Kantons Graubünden Klage erheben mit dem Rechtsbegehren, die
Pensionskassse sei zu verpflichten, ihm die gesetzlichen und statutarischen
Leistungen gemäss BVG und Vorsorgevertrag zu entrichten. Nach Beiladung der
Helvetia Patria (als Rechtsnachfolgerin der Patria Schweizerische
Lebensversicherungsgesellschaft) und der BVG-Sammelstiftung der Rentenanstalt
sowie Durchführung eines doppelten Schriftenwechsels hiess das
Verwaltungsgericht die Klage gut und verpflichtete die beklagte Pensionskasse
zu Nachzahlungen im Betrag von Fr. 73'860.- und Ausrichtung einer monatlichen
Invalidenrente ab 1. Oktober 2001 von Fr. 1'619.- sowie einer Kinderrente von
Fr. 324.- im Monat (Entscheid vom 5. Juli 2001).

C.
Die Pensionskasse Y.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde einreichen
mit dem Antrag, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben; eventuell sei
die Klage teilweise gutzuheissen und sie zu verpflichten, Fr. 48'572.- als
Nachzahlung und Fr. 1'619.- als monatliche Invalidenrente sowie Fr. 324.- als
monatliche Kinderrente ab 1. Oktober 2001 zu bezahlen.

P. ________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen.
Die Helvetia Patria und die BVG-Sammelstiftung der Rentenanstalt verzichten
auf die Stellung von Anträgen; das Bundesamt für Sozialversicherung lässt
sich nicht vernehmen.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz hat die massgebenden Rechtsgrundlagen über die
Leistungspflicht bei einer Mehrzahl von Vorsorgeeinrichtungen und
insbesondere die Kriterien der Haftungsabgrenzung mehrerer
Vorsorgeeinrichtungen (Art. 23 BVG; BGE 120 V 117 Erw. 2c mit Hinweisen),
über die Höhe der Invalidenrente (Art. 24 BVG) sowie über den Beginn des
Anspruchs auf Invalidenleistungen (Art. 26 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 29
IVG; BGE 118 V 39) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht zu Recht die Pflicht der
Beschwerdeführerin zur Ausrichtung von Invalidenleistungen bejaht hat.

2.1 Mit den Parteien ist davon auszugehen, dass ein sachlicher Zusammenhang
zwischen dem seit Ende der Achtzigerjahre bestehenden Hüft- und Rückenleiden
und den Beschwerden, die letztmals für längere Zeit ab November 1993 und ab
1. Januar 1997 zu einer vollständigen bzw. zeitweilig 50 %-igen
Arbeitsunfähigkeit geführt haben, gegeben ist. Der Beschwerdegegner leidet an
einem lumbospondylogenen Syndrom und beidseitiger Coxarthrose (Bericht der
rheumatologischen Abteilung der Klinik X.________ vom 30. November 1999;
Berichte Dr. med. W.________ vom 2. November 1998 und 2. Februar 1999). Die
Arbeitsunfähigkeitsperioden von November 1993 bis Ende Juni 1995 und ab 1.
Januar 1997 waren denn auch durch diese Problematik bedingt. Streitig ist
hingegen, ob der zeitliche Zusammenhang mit der früheren
Arbeitsunfähigkeitsperiode von Februar 1993 bis Ende Juni 1995 durch die ab
1. August 1996 bei der Firma D.________ AG ausgeübte Tätigkeit unterbrochen
worden war.

2.2 Die Annahme eines engen zeitlichen Zusammenhangs setzt, wie die
Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, voraus, dass der Versicherte nach
Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nicht während längerer Zeit wieder
arbeitsfähig wurde. Die frühere Vorsorgeeinrichtung hat nicht für Rückfälle
oder Spätfolgen einer Krankheit einzustehen, die erst Jahre nach
Wiedererlangung der vollen Arbeitsfähigkeit eintreten. Anderseits darf nicht
bereits eine Unterbrechung des zeitlichen Zusammenhangs angenommen werden,
wenn der Versicherte bloss für kurze Zeit wieder an die Arbeit zurückgekehrt
ist. Ebenso wenig darf die Frage des zeitlichen Zusammenhanges zwischen
Arbeitsunfähigkeit und Invalidität in schematischer (analoger) Anwendung der
Regeln von Art. 88a Abs. 1 IVV beurteilt werden, wonach eine
anspruchsbeeinflussende Verbesserung der Erwerbsfähigkeit in jedem Fall zu
berücksichtigen ist, wenn sie ohne wesentliche Unterbrechung drei Monate
gedauert hat und voraussichtlich weiterhin andauern wird. Nach der
Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts sind bei der Frage
des zeitlichen Zusammenhangs die gesamten Umstände des konkreten Einzelfalls
zu berücksichtigen, namentlich die Art des Gesundheitsschadens, dessen
prognostische Beurteilung durch den Arzt und die Beweggründe, die den
Versicherten zur Wiederaufnahme der Arbeit veranlasst haben (BGE 120 V 117 f.
Erw. 2c/aa und bb mit Hinweis). In diesem Sinne wird man bei einem invaliden
Versicherten auch gestützt auf einen mehr als dreimonatigen
Eingliederungsversuch eine Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit nicht bejahen
können, wenn jener massgeblich auf sozialen Erwägungen beruhte und eine
dauerhafte Wiedereingliederung unwahrscheinlich war (BGE 120 V 118 Erw. 2c/bb
am Ende mit Hinweis). Entscheidend ist, ob der Versicherte während dieser
Zeit wirklich eine volle Leistung erbracht hat und ob die dauerhafte
Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit gestützt auf die Resultate des
Wiedereingliederungsversuchs als wahrscheinlich erscheint (SZS 1997 S. 67/68
Erw. 2a in fine mit Hinweis).

2.3 Nach der Implantation von Hüfttotalprothesen auf beiden Seiten
(Operationen vom 5. Januar und 28. Juni 1994) und erfolgreicher
Rehabilitation in der Klinik X.________ war der Versicherte wieder voll
arbeitsfähig (Arztbericht Dr. med. M.________ vom 2. November 1998) und gab
gegenüber der Firma D.________ AG auch selbst an, beschwerdefrei und in
seiner Arbeitsfähigkeit nicht eingeschränkt zu sein. Eine dauerhafte
Wiedereingliederung erschien demzufolge nicht unwahrscheinlich. Daran ändert
nichts, dass die Pensionskasse der Firma D.________ AG bei der Aufnahme des
Versicherten aus gesundheitlichen Gründen einen Vorbehalt anbrachte. Während
des Arbeitsverhältnisses bei der Firma R.________ AG war der Versicherte wie
folgt arbeitsunfähig: Von November 1993 bis 31. Januar 1995 zu 100 % und vom
1. Februar bis 30. Juni 1995 zu 50 %. Bei der Firma D.________ AG war er
wegen eines Harnweg- sowie eines pulmonalen Infekts während der Probezeit
1995 an einer unbekannten Anzahl Tagen arbeitsunfähig (Schreiben Firma
D.________ AG an den Versicherten vom 24. Oktober 1995). Wegen Hüft- und
Rückenbeschwerden trat sodann vom 8. November bis zum 13. November 1996 und
ab 1. Januar 1997 Arbeitsunfähigkeit ein (Arztzeugnis Dr. med. K.________ vom
29. November 1996; Schreiben IV-Stelle Chur an Beschwerdeführerin vom 9.
August 2001). Der letzte effektive Arbeitstag war am 20. Dezember 1996.
Daraus ergibt sich, dass der Beschwerdegegner seine Arbeitsfähigkeit ab 1.
August 1995 bis 20. Dezember 1996, also für eine Dauer von ungefähr 17
Monaten wiedererlangt hat. Den Akten lässt sich nichts entnehmen, was darauf
hindeutet, dass der Versicherte während dieser Zeit nicht die volle
Arbeitsleistung erbracht hätte. Gegenteils ist anzunehmen, die Firma
D.________ AG hätte ihm anstelle der Beschäftigung als
Aussendienstmitarbeiter die Leitung der Stahlbiegerei nicht angeboten, wenn
gesundheitliche und nicht fachliche Gründe zur ungenügenden Arbeitsleistung
geführt hätten. Angesichts der 17-monatigen Zeitspanne mit voller Arbeits-
und Erwerbsfähigkeit mangelt es am für einen Anspruch auf eine Invalidenrente
erforderlichen engen zeitlichen Konnex im Sinne der angeführten
Rechtsprechung (Erw. 1 hievor) zwischen der Arbeitsunfähigkeit von November
1993 bis Juni 1995 und der nunmehr in Frage stehenden Invalidität. Ob die
Arbeitslosenversicherung zu Recht von einer uneingeschränkten
Vermittlungsfähigkeit des Versicherten ausgegangen ist, kann offen bleiben,
da die 17Bmonatige volle Erwerbstätigkeit bei der Firma D.________ AG den
zeitlichen Zusammenhang zur Arbeitsunfähigkeitsperiode bei der Firma
R.________ AG ohnehin unterbrochen hat. Eine Leistungspflicht der
Vorsorgeeinrichtung der Firma S.________ AG kommt schliesslich deshalb nicht
in Frage, weil eine kurze Besserung oder beschwerdefreie Zeit von drei Wochen
nicht ausreicht, um die neue Vorsorgeeinrichtung als leistungspflichtig zu
erklären (BGE 120 V 118 Erw. 2c/aa).

2.4 Nach dem Gesagten kommt es für die Leistungspflicht der
Vorsorgeeinrichtung einzig darauf an, dass zwischen Arbeitsunfähigkeit und
Invalidität ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang gegeben ist.
Entgegen den Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde spielt es
demzufolge keine Rolle, dass die Dauer der Arbeitsunfähigkeit während des
Anstellungsverhältnisses bei der Firma R.________ AG diejenige bei der Firma
D.________ AG um einiges übertraf. Nur wenn nach einer längeren, vollen
Arbeitsfähigkeit angenommen werden kann, die Invalidität sei weggefallen, ist
bei erneuter Invalidität die neue Vorsorgeeinrichtung zur Leistung
verpflichtet (vgl. Hans-Ulrich Stauffer, Die berufliche Vorsorge, Ziff. 5 zu
Art. 23 BVG). Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass das kantonale
Gericht die Leistungspflicht der Beschwerdeführerin zu Recht bejaht hat.

3.
3.1 Hinsichtlich des Beginns der Leistungspflicht hat die Vorinstanz
zutreffend darauf hingewiesen, dass gemäss Art. 26 Abs. 1 BVG sinngemäss die
entsprechenden Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung
(Art. 29 IVG) gelten. Gehen die Vorsorgeeinrichtungen ausdrücklich oder unter
Hinweis auf das Gesetz vom gleichen Invaliditätsbegriff aus wie die
Invalidenversicherung, sind sie hinsichtlich des versicherten Ereignisses an
die Invaliditätsbemessung der IV-Stelle gebunden, es sei denn, dass diese
sich als offensichtlich unhaltbar erweist. Dies gilt auch in Bezug auf die
Entstehung des Rentenanspruchs, mithin dort, wo sich die Frage stellt, wann
die Arbeitsfähigkeit sich erheblich verschlechtert hat (BGE 120 V 109 Erw. 3c
mit Hinweisen; SZS 1997 S. 68 Erw. 2b).

3.2 Das kantonale Gericht hat zu Recht erwogen, dass die Feststellungen der
IV-Stelle hinsichtlich des Eintritts der invalidisierenden Arbeitsunfähigkeit
(1. Januar 1997, Beginn des Wartejahres gemäss Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG),
entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin, nicht offensichtlich
unhaltbar sind. Es liegen keine Umstände vor, welche es rechtfertigen würden,
von den grundsätzlich bindenden Festlegungen der IV-Organe abzugehen. Es ist
nachvollziehbar, dass die Beschwerden des Versicherten sich verstärkten, als
er am 1. Mai 1996 seine Tätigkeit im Aussendienst aufgeben musste und mit der
körperlich anstrengenderen Führung der Stahlbiegerei betraut wurde, weshalb
er sich auch Ende 1996 erneut bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug anmeldete. Die Abklärungen der IV-Stelle Chur haben denn auch
ergeben, dass der Versicherte seine Stelle bei der Firma D.________ AG
behinderungsbedingt aufgeben musste. Es bestehen demnach genügend Indizien
für die Annahme, dass sich die erneute Arbeitsunfähigkeit nach dem Wechsel
des Versicherten in die Stahlbiegerei gegen Ende 1996 manifestiert hat. Damit
fehlt es an ausreichenden Anzeichen für die Annahme, der IV-Entscheid sei
offensichtlich unhaltbar, weshalb die Festsetzung des Rentenbeginns auf den
1. Januar 1998 nicht zu beanstanden ist.

4.
Dem Ausgang des letztinstanzlichen Verfahrens entsprechend steht dem
Versicherten eine Parteientschädigung zu (Art. 135 OG in Verbindung mit Art.
159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Pensionskasse Y.________ hat dem Beschwerdegegner für das Verfahren vor
dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr.
2'500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der BVG-Sammelstiftung der Rentenanstalt,
Zürich, der Helvetia Patria, Basel, dem Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 30. Oktober 2002
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: