Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen B 43/2002
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B 43/02

Urteil vom 23. Januar 2003
III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiberin
Bollinger

A.________, 1970, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Kurt Balmer,
Glockengasse 18, 8001 Zürich,

gegen

Fürsorgestiftung der Bindella Unternehmungen AG und deren
Tochtergesellschaften c/o Bindella Terra Vite Vita SA, Hönggerstrasse 115,
8037 Zürich, Beschwerdegegner

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 18. April 2002)

Sachverhalt:

A.
Der 1970 geborene A.________ arbeitete seit Juni 1989 bei den Ristorante
X.________ als Hilfskoch. Am 17. April 1992 war er in einen Verkehrsunfall
verwickelt und erlitt dabei eine komplette Paraplegie. Die
Invalidenversicherung sprach ihm bei einem Invaliditätsgrad von 100 % eine
ganze Invalidenrente zu. Der Unfallversicherer (ELVIA Versicherungen)
erbrachte zunächst Taggeldleistungen und ab 1. Januar 1995 eine
Invalidenrente, ab 1. Juli 1998 als Komplementärrente. Die Schweizerische
Lebensversicherungs- und Rentenanstalt nahm namens und auftrags der
Vorsorgestiftung der MitarbeiterInnen der X.________ Gruppe (in der Folge:
Vorsorgestiftung) mit Schreiben vom 1. September und 29. Oktober 1999 zur
Leistungspflicht, die sie grundsätzlich anerkannte, Stellung. In der Folge
konnten sich der Vertreter von A.________ und die Vorsorgestiftung jedoch
nicht über die Höhe des mutmasslichen entgangenen Verdienstes einigen.

B.
Die gegen die Vorsorgestiftung am 29. Juni 2000 erhobene Klage, mit welcher
A.________ die Zusprechung einer über die bereits jährlich erbrachte
Rentenleistung von Fr. 3'108.- hinausgehende zusätzliche Rente von jährlich
Fr. 4'285.- ab 1. Januar 1999 beantragen liess, wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 18. April
2002 ab.

C.
A.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren,
das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Beschwerdegegnerin sei zu
verpflichten, die eingeklagten Leistungen zu erbringen. Eventualiter sei die
Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Die Beschwerdegegnerin schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, das Bundesamt für Sozialversicherung
verzichtet auf eine Stellungnahme.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht bezeichnet die Beschwerdegegnerin als "Fürsorgestiftung
der X.________ Unternehmungen AG und deren Tochtergesellschaften". Gemäss dem
mit Vernehmlassung vom 20. Juni 2002 eingereichten Internet-Teilauszug aus
dem Handelsregister des Kantons Zürich vom 17. Juni 2002 lautet die korrekte
Firma der Beschwerdegegnerin jedoch "Vorsorgestiftung der MitarbeiterInnen
der X.________ Gruppe". Die unzutreffende Bezeichnung ist daher zu
berichtigen (vgl. BGE 116 V 344 Erw. 4b, 110 V 349 Erw. 2).

2.
Der Beschwerdeführer beanstandet, dass die Vorinstanz keine mündliche
Verhandlung durchgeführt habe. Das kantonale Gericht hat von der Ristorante
X.________ schriftliche Auskünfte betreffend die hypothetischen
Verdienstmöglichkeiten des Beschwerdeführers ohne Eintritt des
Gesundheitsschadens eingeholt (Schreiben der Ristorante X.________ vom 8.
März 2002) und den Parteien mit Verfügung vom 13. März 2002 Gelegenheit zur
Stellungnahme geboten. Mit Eingabe vom 8. April 2002 beantragte der
Beschwerdeführer daraufhin im Sinne eines Eventualbegehrens die Befragung der
Vorgesetzten der Ristorante X.________, insbesondere Frau L.________, als
Zeugen anlässlich einer mündlichen Verhandlung. Dass die Vorinstanz
angesichts des klaren Resultats, welches sich nach korrekter Beweiswürdigung
der schriftlichen Beweisauskünfte und unter Berücksichtigung der weiteren
Akten (Schreiben Ristorante X.________ vom 13. Juni 1999 und 6. April 2000,
Einschätzungen des Berufsberaters Dr. phil. B.________ vom 7. Dezember 1999
und 7. März 2000, Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 29. Oktober 1999,
Lohnaufstellungen der Ristorante X.________ für Küchenmitarbeiter) ergeben
hat, darauf verzichtete, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, ist nicht
zu beanstanden. Einerseits sind die kantonalen Sozialversicherungsgerichte
befugt, schriftliche Beweisauskünfte einzuholen, was auch einer gängigen
Praxis entspricht (vgl. Urteile U. vom 9. Januar 2001, I 223/99 sowie vom 13.
Dezember 2001, I 523/01, und Urteil J. vom 17. April 2001, U 223/99).
Anderseits durfte die Vorinstanz den Eventualantrag des Beschwerdeführers,
die Vorgesetzten der Beschwerdegegnerin seien anlässlich einer mündlichen
Verhandlung als Zeugen zu befragen, durchaus als blossen Beweisantrag
verstehen (vgl. BGE 125 V 38 Erw. 2, 122 V 55 Erw. 3a, 120 V 8 Erw. 3d, je
mit Hinweisen). Der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung rechtfertigte
sich umso mehr, als in antizipierter Beweiswürdigung nicht anzunehmen ist,
die betreffenden Personen hätten im Zeugenstand andere Aussagen gemacht, als
sie schriftlich dargetan hatten.

3.
3.1 Das kantonale Gericht hat die Rechtsgrundlagen zum Anspruch auf
Invalidenleistungen der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und
Invalidenversicherung (Art. 23, 24 Abs. 1 und 26 BVG) sowie die einschlägigen
Koordinationsbestimmungen (Art. 34 Abs. 2 Satz 1 BVG in Verbindung mit Art.
24 Abs. 1 BVV2) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Streitig und zu
prüfen ist die Höhe des mutmasslich entgangenen Verdienstes. Zu ergänzen ist,
dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im
vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt
eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom
Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1,
121 V 366 Erw. 1b).

3.2 Der Sozialversicherungsprozess ist vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht.
Danach hat das Gericht von Amtes wegen für die richtige und vollständige
Abklärung des rechtserheblichen Sachverhaltes zu sorgen. Dieser Grundsatz
gilt indessen nicht uneingeschränkt; er findet sein Korrelat in den
Mitwirkungspflichten der Parteien (BGE 125 V 195 Erw. 2, 122 V 158 Erw. 1a,
je mit Hinweisen).

Der Untersuchungsgrundsatz schliesst die Beweislast im Sinne einer
Beweisführungslast begriffsnotwendig aus. Im Sozialversicherungsprozess
tragen mithin die Parteien in der Regel eine Beweislast nur insofern, als im
Falle der Beweislosigkeit der Entscheid zu Ungunsten jener Partei ausfällt,
die aus dem unbewiesen gebliebenen Sachverhalt Rechte ableiten wollte. Diese
Beweisregel greift allerdings erst Platz, wenn es sich als unmöglich erweist,
im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes auf Grund einer Beweiswürdigung einen
Sachverhalt zu ermitteln, der zumindest die Wahrscheinlichkeit für sich hat,
der Wirklichkeit zu entsprechen (BGE 117 V 264 Erw. 3b mit Hinweisen).
Die Überentschädigung stellt hinsichtlich des strittigen Rentenanspruchs
einen - gegebenenfalls vollumfänglichen - Kürzungsgrund dar, wofür nach den
allgemeinen Beweisregeln die Beschwerdegegnerin beweisbelastet ist (vgl.
Kummer, Berner Kommentar, N 164 ff. zu Art. 8 ZGB; RKUV 1994 U 206 S. 326
ff.). Nach der Rechtsprechung ist unter dem Begriff des "mutmasslich
entgangenen Verdienstes" im Sinne von Art. 24 Abs. 1 BVV2 das hypothetische
Einkommen zu verstehen, das die versicherte Person ohne Invalidität erzielen
könnte (BGE 122 V 151). Dieses entspricht rechtlich nicht (und betraglich
höchstens zufällig) dem versicherten Verdienst oder dem bei Eintritt der
Invalidität tatsächlich erzielten Einkommen. Gemäss BGE 123 V 277 Erw. 2b
unterliegt der mutmasslich entgangene Verdienst keiner oberen Grenze, wie
z.B. dem Maximalbetrag des koordinierten Lohnes. Massgebend für die
Bestimmung des hypothetischen Einkommens ist der Zeitpunkt, in welchem sich
die Kürzungsfrage stellt. Als Faktor der Überentschädigungsberechnung kann er
im Rahmen von Art. 24 Abs. 5 BVV2 sodann jederzeit neu festgelegt werden (BGE
123 V 197 Erw. 5a mit Hinweisen). Bei der Ermittlung des hypothetischen
Verdienstes ist weiter zu beachten, dass die Annahme einer im Vergleich zum
versicherten Verdienst überproportional (d.h. über die Lohn- und
Preisentwicklung hinausgehenden) hohen Einkommensentwicklung auf
Lebensgeschehnissen gründen muss, die schon in der Zeit vor dem Eintritt des
versicherten Ereignisses ihren Anfang genommen haben, es sei denn, die
Einkommenserhöhung habe von der Natur des ihr zu Grunde liegenden Motivs her
überhaupt erst nach dem versicherten Ereignis eintreten können (vgl. nicht
publiziertes Urteil Y. vom 25. Oktober 2002; B 70/01).

3.3 Die vorinstanzlichen Ausführungen zur Höhe des mutmasslich entgangenen
Verdienstes, die unter Berücksichtigung der Akten ergangen sind und auf einer
umfassenden, sorgfältigen Beweiswürdigung beruhen, erweisen sich als
zutreffend, so dass darauf verwiesen werden kann. Das kantonale Gericht hat
nicht nur die verschiedenen Angaben des ehemaligen Arbeitgebers gründlich
gewürdigt, sondern auch die branchenüblichen Löhne sowie die schweizerische
Lohnstrukturerhebung in seine Erwägungen einbezogen. Wenn es dabei zum
Schluss gelangte, der Beschwerdeführer hätte im Jahre 1999 mutmasslich ein
Jahreseinkommen von Fr. 46'800.-- (13 x Fr. 3'600.-) erzielt, hält dies einer
Überprüfung durch das Eidgenössische Versicherungsgericht Stand. Die Einwände
des Beschwerdeführers wie auch die von ihm letztinstanzlich eingereichten
Berichte des Dr. B.________ vom 26. November 1997 und 15. Mai 2002 vermögen
zu keinem anderen Ergebnis zu führen. Ein beruflicher Aufstieg zum Teamchef
wäre ohne Absolvierung einer Berufslehre als Koch auch bei Verbesserung der
Deutschkenntnisse nicht denkbar gewesen (vgl. Schreiben der Ristorante
X.________ vom 8. März 2002). Konkrete Anhaltspunkte für die Absolvierung
einer Berufslehre und damit einen möglichen Karrieresprung des
Beschwerdeführers fehlen aber, weshalb ein solcher nicht als überwiegend
wahrscheinlich angenommen werden kann. Vor diesem Hintergrund vermögen die
von Dr. B.________ aufgezeigten Einkommensmöglichkeiten zwar in einer
Unternehmung mit dynamischer Gehaltspolitik nicht gerade unrealistisch sein,
sie sind jedoch im vorliegenden Fall nicht mit rechtsgenüglicher
Wahrscheinlichkeit erstellt. Zu ergänzenden Abklärungen besteht schliesslich
umso weniger Anlass, als es sich beim mutmasslich entgangenen Verdienst um
ein hypothetisches Einkommen handelt, weshalb bei dessen Festsetzung ein
gewisser Ermessensspielraum besteht (BGE 123 V 93 Erw. 3b). Dieses Ermessen
hat die Vorinstanz in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt, wenn sie den
mutmasslich entgangenen Verdienst auf monatlich Fr. 3'600.- festgesetzt hat.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 23. Januar 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: