Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen B 42/2002
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2002
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2002


B 42/02

Urteil vom 11. Februar 2003
II. Kammer

Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Ursprung und Frésard; Gerichtsschreiber
Grunder

M.________, 1956, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Beat
Wachter, Obergasse 34, 8400 Winterthur,

gegen

Pensionskasse R.________, Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 11. April 2002)

Sachverhalt:

A.
Der 1956 geborene M.________ leidet seit ca. 1984 an Hüft- und
Rückenbeschwerden (schwere Coxarthrose rechts, Osteochondrose L5/S1 bei
lumbosacraler Uebergangsstörung mit Sacralisation von L5 und Nearthrose
rechts). Ab 17. Juli 1989 war er als Schlosser bei der Fabrik R.________ AG,
angestellt und dadurch bei der Pensionskasse R.________
berufsvorsorgerechtlich versichert. Nach einer im Kantonsspital Y.________
durchgeführten intertrochantären Osteotomie am 7. März 1990 war er ab 12.
Juli 1990 als Schlosser nur noch zu 50 % arbeitsfähig, wobei ihm gemäss
ärztlicher Beurteilung vorwiegend im Sitzen zu verrichtende Tätigkeiten
vollumfänglich zumutbar waren (Bericht des Kantonsspitals Y.________ vom 21.
November 1990). Die Fabrik R.________ AG wies ihm vorübergehend leichtere
Arbeiten zu und löste das Arbeitsverhältnis per Ende Juli 1991 auf. Mit
Gesuch vom 12. November 1990 meldete sich M.________ zur Berufsberatung und
Umschulung auf eine neue Tätigkeit bei der Invalidenversicherung an. Die
Ausgleichskasse des Kantons Zürich sprach eine voraussichtlich vier Jahre
dauernde kaufmännische Ausbildung ab 12. August 1991 im Centre Z.________,
bzw. am Zentrum F.________, zu (Verfügungen vom 17. Juli 1991, 7. September
1992 und 12. August 1993). Im Januar 1994 brach M.________ die Ausbildung
wegen zunehmender Schmerzen im Hüftgelenk ab und liess sich am 2. Februar
1994 im Kantonsspital Y.________ eine Hüfttotalprothese rechts einsetzen. Die
Ausgleichskasse des Kantons Zürich stellte die Leistungen mit Verfügung vom
25. April 1994 ein mit der Begründung, in Berücksichtigung des
Gesundheitszustandes und der als gering einzustufenden Aussichten, die
Handelsschule erfolgreich abzuschliessen, könne der Zweck der
Eingliederungsmassnahme nicht erreicht werden.

Die Ärzte des Kantonsspitals Y.________ gaben an, dass ca. 6 Monate nach der
Operation wiederum eine uneingeschränkte Arbeitsfähigkeit in einer
abwechslungsreichen Tätigkeit ohne Heben und Tragen schwerer Lasten und ohne
Notwendigkeit, auf Leitern steigen zu müssen, erreicht worden sei (Bericht
vom 12. Juni 1995). Ab 27. April 1994 (Beginn der zweijährigen Rahmenfrist)
bezog der Versicherte Leistungen der Arbeitslosenversicherung bei einer
Vermittlungsfähigkeit von 100 % für eine Bürotätigkeit. Mit Gesuch vom 23.
Mai 1995 meldete sich M.________ zum Bezug einer Invalidenrente an. Die
IV-Stelle des Kantons Zürich holte die Berichte der Arbeitgeberin (vom 6.
Juli 1995), des verwaltungsinternen Berufsberaters über die
Eingliederungsmöglichkeiten (vom 22. August 1995), des Kantonsspitals
Y.________ vom 12. Juni 1995 sowie des Dr. med. H.________ vom 20. Juli 1995
ein und beauftragte die Medizinische Abklärungsstelle der
Invalidenversicherung am Kantonsspital G.________ (nachfolgend: MEDAS) mit
der Erstellung eines polydisziplinären Gutachtens (vom 28. Juni 1996). Die
Orthopädin, Frau Dr. med. E.________, kam zum Schluss, dass eine Tätigkeit
als Maschinenschlosser nicht mehr zumutbar sei, der Versicherte indessen eine
rückenadaptierte und dem Zustand nach Hüftendoprothesen-Operation angemessene
Tätigkeit ohne weiteres vollschichtig ausüben könne (Bericht vom 5. Juni
1996). Der Psychiater, Dr. med. S.________, diagnostizierte ein
Schmerzsyndrom aus dem rheumatologischen Formenkreis bei Status nach
Hüftprothese rechts wegen Coxarthrose, eine zyklothyme Persönlichkeit
(ICD-10: F60.8) und Störungen durch multiplen Suchtmittelabusus (ICD-10: F19)
und schätzte die Arbeitsfähigkeit in jeglicher Tätigkeit um 50 %
eingeschränkt ein (Bericht vom 24. Mai 1996). Nach durchgeführtem
Vorbescheidverfahren sprach die IV-Stelle M.________ mit Verfügung vom 8.
November 1999 eine halbe Invalidenrente bei einem ab 1. Januar 1994
bestehenden Invaliditätsgrad von 58 % zu.

B.
Nachdem die Pensionskasse R.________ mit Schreiben vom 24. November 1999 das
Gesuch um Ausrichtung von Invalidenleistungen im Rahmen der obligatorischen
beruflichen Vorsorge abgelehnt hatte, liess M.________ am 20. April 2000 beim
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich Klage einreichen und die
Zusprechung der gesetzlich und reglementarisch geschuldeten Leistungen sowie
eventualiter die Einholung eines fachärztlichen Gutachtens beantragen. Das
kantonale Gericht wies die Klage mit Entscheid vom 11. April 2002 ab.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt M.________ die vorinstanzlich
gestellten Rechtsbegehren erneuern. Gleichzeitig beantragt er die
unentgeltliche Verbeiständung .

Die Pensionskasse R.________ schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung
(nachfolgend: BSV) beantragt, es sei ein medizinisches Gutachten einzuholen
zur Frage, ob das Hüftleiden eine adäquat kausale Ursache der psychischen
Erkrankung sei, und gestützt darauf sei die Beschwerde zu beurteilen.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Anspruch auf
Invalidenleistungen der obligatorischen beruflichen Vorsorge (Art. 23 und 24
Abs. 1 BVG), das für die Leistungspflicht der ehemaligen Vorsorgeeinrichtung
massgebende Erfordernis des engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhangs
zwischen Arbeitsunfähigkeit und Invalidität (BGE 123 V 264 Erw. 1c, 120 V 117
f. Erw. 2c/aa und bb mit Hinweisen) sowie die Verbindlichkeit der Beschlüsse
der Organe der Invalidenversicherung für die Einrichtungen der beruflichen
Vorsorge (BGE 123 V 271 Erw. 2a, 120 V 108 Erw. 3c, je mit Hinweisen)
zutreffend wiedergegeben. Darauf wird verwiesen.

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführer Anspruch auf eine
Invalidenrente der Pensionskasse R.________ hat. Besteht zwischen einer
während der Versicherungsdauer vom 17. Juli 1989 bis 31. Juli 1991 (bzw. der
Nachdeckungsfrist von dreissig Tagen nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses
gemäss Art. 10 Abs. 3 BVG in der bis 31. Dezember 1994 geltenden Fassung)
aufgetretenen Arbeitsunfähigkeit und der nachfolgenden Invalidität, die den
Anspruch auf eine Teilrente der Invalidenversicherung ab 1. Januar 1994
begründete, sowohl in sachlicher als auch in zeitlicher Hinsicht ein enger
Zusammenhang, wird die Vorsorgeeinrichtung Pensionskasse R.________, welcher
der Versicherte im Zeitpunkt des Eintritts seiner Arbeitsunfähigkeit
angeschlossen war, leistungspflichtig.

2.1 Es ist unbestritten und steht aufgrund der Akten fest, dass der
Beschwerdeführer wegen der Coxarthrose ab Juli 1990 als Maschinenschlosser
nur noch zu 50 % arbeitsfähig war. Gemäss Bericht des Dr. med. I.________,
Kantonsspital Y.________, vom 21. November 1990, bestand im damaligen
Zeitpunkt eine vollständige Arbeitsfähigkeit für Tätigkeiten, die vorwiegend
im Sitzen ausgeübt werden konnten. Am 12. August 1991, unmittelbar nach
Beendigung des Arbeitsverhältnisses, begann der Beschwerdeführer die
Umschulung zum kaufmännischen Angestellten, die er Anfang 1994 wegen
zunehmender Schmerzen im Hüftgelenk abbrach. Der Versicherte war somit
während mehr als zwei Jahren in der Lage, eine Ausbildung zu absolvieren, die
ihn in gleichem Masse wie die Ausübung einer zeitlich uneingeschränkten, den
Leiden angepassten Arbeitstätigkeit beanspruchte. Auch nach der Operation vom
2. Februar 1995 (Hüfttotalprothese) blieb er gemäss Bericht des
Kantonsspitals Y.________ vom 12. Juni 1995 und dem Gutachten der MEDAS
hinsichtlich des körperlichen Gesundheitszustandes in einer zumutbaren
Tätigkeit weiterhin uneingeschränkt leistungsfähig. Er hatte zudem durch die
Tatsache, dass er ab April 1994 Arbeitslosenentschädigung bezogen und dabei
eine vollständige Vermittlungsfähigkeit angegeben hatte, nach aussen
unmissverständlich kundgetan, vollständig arbeitsfähig zu sein (vgl. Urteil
H. vom 21. November 2002, B 23/01). Damit hatte er nach dem Ende des
Versicherungsverhältnisses am 30. August 1991 nicht nur vorübergehend,
sondern während langer Zeit seine Arbeitsfähigkeit vollumfänglich
wiedererlangt, weshalb praxisgemäss der zeitliche Zusammenhang unterbrochen
wurde (BGE 123 V 264 Erw. 1c mit Hinweis). Nicht zu prüfen ist der von der
Invalidenversicherung festgelegte Beginn der durch das psychische Leiden
bedingten Invalidität ab Januar 1994, da dieser von keiner Seite in Frage
gestellt wird und zudem aufgrund der Akten ausgeschlossen werden kann, dass
der Beschwerdeführer schon vor diesem Zeitpunkt wegen der psychiatrisch
erhobenen Befunde arbeitsunfähig war.

2.2 Mit der Verneinung des engen zeitlichen Zusammenhangs kann an sich offen
bleiben, ob das Erfordernis des engen sachlichen Zusammenhangs erfüllt ist.
Nachdem sowohl der Beschwerdeführer als auch das BSV geltend machen, es sei
von rechtserheblicher Bedeutung, ob das Hüftleiden Ursache der psychischen
Erkrankung sei, ist auf die Rechtsfrage einzugehen.

Eine sachliche Konnexität liegt vor, wenn der der Invalidität zu Grunde
liegende Gesundheitsschaden im Wesentlichen derselbe ist, der seinerzeit zur
Arbeitsunfähigkeit geführt hat (BGE 123 V 264 Erw. 1c mit Hinweis). Dabei ist
nicht von Belang, ob zwischen der Krankheit, die der Arbeitsunfähigkeit zu
Grunde liegt, und dem Leiden, das die Invalidität zur Folge hatte, ein
Kausalzusammenhang besteht. Ausschlaggebend ist allein, dass die Coxarthrose
verglichen mit den vom Psychiater beschriebenen psychischen Leiden qualitativ
eine wesentlich unterscheidbare, anders geartete Krankheit ist. Das ergibt
sich deutlich aus dem Bericht des Dr. med. S.________ vom 24. Mai 1996,
wonach der chronifizierte Zustand im Wesentlichen Folge der ausgeprägt
zyklothymen Persönlichkeit sei, wobei für die Entwicklung überwiegend
psychosoziale Faktoren massgebend seien, wie die ambivalente Beziehung zur
Ursprungsfamilie in der Türkei, ein durch Folterung staatlicher Behörden in
der Jugend ausgelöstes Trauma, Integrationsprobleme (unsteter Lebenswandel),
ein ausgeprägtes Suchtverhalten (Drogen-, Alkoholkonsum und übermässiges
Essen) sowie die unbefriedigende Beziehung zur Ehefrau. Die körperlichen
Beschwerden seien in dem Sinne psychisch überlagert, dass das Erleben und
Präsentieren der Beschwerden sowie der Heilungsverlauf, inklusive der Verlauf
der Rehabilitationsmassnahmen, und der Umgang mit dem Medizinal- und
Sozialversicherungssystem stark beeinflusst seien von den genannten Faktoren.
Diesen klaren Ausführungen ist nichts beizufügen. Auf die beantragte
Einholung eines fachärztlichen Gutachtens zur Frage, ob ein
Kausalzusammenhang zwischen der Coxarthrose und den psychischen Leiden
bestehe, ist daher zu verzichten.

3.
Dem Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung kann stattgegeben werden (Art.
152 in Verbindung mit Art. 135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die
Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen ist und die Vertretung
geboten war (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Es
wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach
die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn
sie später dazu imstande ist.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwalt Beat
Wachter, Winterthur, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen
Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr 2500.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 11. Februar 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Vorsitzende der II. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: