Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen B 113/2002
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2002
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2002


B 113/02

Urteil vom 8. Juli 2003
III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiber
Nussbaumer

Bundesamt für Sozialversicherung, Effingerstrasse 20, 3003 Bern,
Beschwerdeführer,

gegen

1. L.________,
2. Rentenanstalt Swiss Life, General-Guisan-Quai 40, 8022 Zürich,

Beschwerdegegner,

Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau

(Entscheid vom 22. Oktober 2002)

Sachverhalt:

A.
L. ________ und S.________ heirateten am 24. Februar 1979. Mit Urteil des
Bezirksgerichts X.________ vom 29. November 2001, welches am 4. Juni 2002 in
Rechtskraft erwuchs, wurde ihre Ehe geschieden. In Ziff. 4 des Dispositivs
des Scheidungsurteils wurde festgestellt, dass jede Partei Anspruch auf die
Hälfte der für die Ehedauer zu ermittelnden Austrittsleistung der anderen
Partei hat.

B.
Nach Überweisung der Sache durch das Scheidungsgericht verpflichtete das
Versicherungsgericht des Kantons Aargau in Dispositiv-Ziffer 1 seines
Entscheides vom 22. Oktober 2002 die Rentenanstalt Swiss Life, zu Lasten des
Freizügigkeitskontos von L.________ den Betrag von Fr. 88'156.50 nebst 4,25 %
Zins seit 4. Juni 2002 auf das Vorsorgekonto der S.________ bei der La
Collective de Prévoyance zu bezahlen.

C.
Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) führt
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, Ziff. 1 des vorinstanzlichen
Entscheiddispositivs sei in dem Sinne zu ändern, dass der Verzugszins in der
Höhe von einem Viertel Prozent mehr als der BVG-Mindestzinssatz gemäss Art.
12 BVV2 erst nach Ablauf von 30 Tagen seit Datum des Entscheids des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts geschuldet sei. Ferner sei die
Rentenanstalt Swiss Life anzuweisen, zusätzlich zur festgelegten
Austrittsleistung von Fr. 88'156.50 die auf diesem Betrag in der Zeitspanne
zwischen Rechtskraft des Scheidungsurteils und Datum der Überweisung der
Austrittsleistung angefallenen reglementarischen Zinsen zu vergüten.

Die Rentenanstalt Swiss Life schliesst hinsichtlich der Weiterverzinsung der
Austrittsleistung bis zum Eintritt der Rechtskraft des Scheidungsurteils auf
Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Kantonales Gericht, L.________
und S.________ und die La Collective de Prévoyance verzichten auf eine
Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Die vorliegende Streitigkeit unterliegt der Gerichtsbarkeit der in Art.
73 BVG erwähnten richterlichen Behörden, welche sowohl in zeitlicher als auch
in sachlicher Hinsicht zuständig sind (BGE 122 V 323 Erw. 2, 120 V 18 Erw.
1a, je mit Hinweisen). Das Gericht nach Art. 73 BVG, das gemäss Art. 25 und
25a FZG auch für Streitigkeiten auf dem Gebiete der Freizügigkeit der
beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge zuständig ist, hat
den Streit von Amtes wegen an die Hand zu nehmen und die Teilung der
Austrittsleistung gestützt auf den vom Scheidungsgericht bestimmten
Aufteilungsschlüssel durchzuführen (BGE 128 V 46 Erw. 2c mit Hinweisen).

1.2 Beim Prozess um Ausgleichszahlungen aus beruflicher Vorsorge im
Scheidungsfall handelt es sich wie bei Austrittsleistungen (Entstehung, Höhe,
Erfüllung usw.) um einen Streit um Versicherungsleistungen, weshalb sich die
Überprüfungsbefugnis des Eidgenössischen Versicherungsgerichts nach Art. 132
OG richtet. Danach ist die Kognition nicht auf die Verletzung von Bundesrecht
einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens beschränkt,
sondern sie erstreckt sich auch auf die Angemessenheit der angefochtenen
Verfügung. Das Gericht ist dabei nicht an die vorinstanzliche Feststellung
des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden und kann über die Begehren der
Parteien zu deren Gunsten oder Ungunsten hinausgehen. Ferner ist das
Verfahren regelmässig kostenlos (Art. 134 OG; BGE 114 V 36 Erw. 1c).

2.
2.1 Art. 122 Abs. 1 ZGB räumt jedem Ehegatten Anspruch auf die Hälfte der nach
dem Freizügigkeitsgesetz vom 17. Dezember 1993 für die Ehedauer zu
ermittelnden Austrittsleistung des anderen Ehegatten ein, wenn ein Ehegatte
oder beide Ehegatten einer Einrichtung der beruflichen Vorsorge angehören und
bei keinem Ehegatten ein Vorsorgefall eingetreten ist. Die Teilung der
Austrittsleistung wird nach den Art. 22 - 22c FZG durchgeführt, wobei im
Falle der Nichteinigung die Zuständigkeit des Gerichts nach Art. 73 BVG
vorgesehen ist (Art. 25a FZG; Art. 141 und 142 ZGB). Die geteilte
Austrittsleistung hat dem beruflichen Vorsorgeschutz grundsätzlich erhalten
zu bleiben (Art. 22 Abs. 1, Art. 22b Abs. 2 in Verbindung mit Art. 3-5 FZG).

2.2 Nach Art. 15 Abs. 1 lit. a BVG besteht das Altersguthaben aus den
Altersgutschriften samt Zinsen für die Zeit, während der der Versicherte der
Vorsorgeeinrichtung angehört hat. Der vom Bundesrat festzulegende
Mindestzinssatz (Art. 15 Abs. 2 BVG) betrug bis Ende Dezember 2002 4 %; seit
1. Januar 2003 ist er auf 3,25 % festgesetzt (Art. 12 BVV2 in der Fassung
gemäss Änderung vom 23. Oktober 2002).

Die zu teilende Austrittsleistung eines Ehegatten entspricht gemäss Art. 22
Abs. 2 FZG der Differenz zwischen der Austrittsleistung zuzüglich allfälliger
Freizügigkeitsguthaben im Zeitpunkt der Ehescheidung und der
Austrittsleistung zuzüglich allfälliger Freizügigkeitsguthaben im Zeitpunkt
der Eheschliessung (vgl. Art. 24 FZG). Für diese Berechnung sind die
Austrittsleistung und das Freizügigkeitsguthaben im Zeitpunkt der
Eheschliessung auf den Zeitpunkt der Ehescheidung aufzuzinsen gemäss dem im
entsprechenden Zeitraum gültigen Mindestzinssatz nach Art. 12 BVV2 (Art. 8a
Abs. 1 FZV). Für die Zeit vor dem 1. Januar 1985 gilt der Zinssatz von 4 %
(Art. 8a Abs. 2 FZV).

Nach Art. 2 Abs. 3 FZG wird die Austrittsleistung mit dem Austritt aus der
Vorsorgeeinrichtung fällig. Ab diesem Zeitpunkt ist ein Verzugszins zu
zahlen. Dieser entspricht nach Art. 7 FZV dem in Art. 12 BVV2 geregelten
BVG-Mindestzinssatz plus einem Viertel Prozent.

2.3 Aus diesen Bestimmungen und den Materialien (Botschaft des Bundesrates
über die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 15. November
1995, BBl 1996 I 107, sowie zum Bundesgesetz über die Freizügigkeit in der
beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge vom 26. Februar
1992, BBl 1992 III 572) hat das Eidgenössische Versicherungsgericht in den
Urteilen K. (B 88/02; noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht)
und F. (B 73/02) vom 8. April 2003 geschlossen, die (durchgehende) Verzinsung
der Vorsorgeguthaben bilde wesentliches Merkmal der beruflichen Vorsorge. Die
dem ausgleichsberechtigten Ehegatten im Falle der Scheidung zustehende
Austrittsleistung sei daher vom massgebenden Stichtag der Teilung an bis zum
Zeitpunkt der Überweisung oder des Beginns der Verzugszinspflicht zu
verzinsen.

2.4 Zur Frage, zu welchem Satz die Austrittsleistungen zu verzinsen sind, hat
das Eidgenössische Versicherungsgericht in den beiden erwähnten Urteilen
folgendes festgehalten:
Im Rahmen des Obligatoriums werden die Altersguthaben mindestens zu dem in
Art. 12 BVV2 festgelegten Zinssatz verzinst. Dieser Mindestzinssatz ist auch
für die Verzinsung der dem ausgleichsberechtigten Ehegatten geschuldeten
Austrittsleistung heranzuziehen. Sofern das Reglement (vgl. dazu Riemer, Das
Recht der beruflichen Vorsorge in der Schweiz, S. 58 § 2 Rz 35 ff., § 4 Rz
15-17) für die Verzinsung der Altersguthaben einen höheren Zinssatz vorsieht,
gelangt dieser zur Anwendung. Im Bereich des Obligatoriums hat daher eine
Vorsorgeeinrichtung auf der Austrittsleistung (Art. 122 ZGB, Art. 22 FZG) den
Mindestzinssatz von Art.12 BVV2 oder den allenfalls höheren reglementarischen
Zins zu vergüten.
Umhüllende Leistungs- oder Beitragsprimatkassen haben die Austrittsleistung
mit dem reglementarischen Zinssatz zu verzinsen, sofern damit im Rahmen der
so genannten Schattenrechnung dem BVG-Mindestzinssatz Genüge getan wird. Für
nur in der weitergehenden Vorsorge tätige Vorsorgeeinrichtungen gilt
ebenfalls in erster Linie der reglementarische Zinssatz. Sieht in diesen
beiden Fällen das Reglement keinen Zinssatz vor, so rechtfertigt es sich,
subsidiär den in Art. 12 BVV2 vorgesehenen Mindestzinssatz anzuwenden. Dieses
Vorgehen ist angezeigt, da Art. 8a FZV bei der Teilung der Austrittsleistung
infolge Scheidung ebenfalls auf den im entsprechenden Zeitraum gültigen
Zinssatz nach Art. 12 BVV2 greift.

2.5 Schliesslich hat das Eidgenössische Versicherungsgericht in den beiden
erwähnten Urteilen zur Frage, von welchem Zeitpunkt an eine
Vorsorgeeinrichtung auf der Austrittsleistung gegebenenfalls einen
Verzugszins schuldet, Folgendes erwogen:
2.5.1Wird die Austrittsleistung infolge Einigung der Parteien unter Einbezug
der Vorsorgeeinrichtung im Verfahren nach Art. 141 ZGB ermittelt, so eröffnet
das Scheidungsgericht der Vorsorgeeinrichtung das rechtskräftige Urteil
bezüglich der sie betreffenden Punkte unter Einschluss der nötigen Angaben
für die Überweisung des vereinbarten Betrages (Art. 141 Abs. 2 ZGB). Von
diesem Zeitpunkt an verfügt die  Vorsorgeeinrichtung über alle zur
Überweisung der Austrittsleistung erforderlichen Angaben, weshalb  ihr eine
Zahlungsfrist von 30 Tagen, gerechnet ab Eröffnung des Scheidungsurteils,
einzuräumen ist, bevor die Verzugszinspflicht einsetzt.

2.5.2 Etwas anders verhält sich die Situation, wenn nicht das
Scheidungsgericht, sondern das Vorsorgegericht gestützt auf Art. 142 ZGB die
Austrittsleistung in betraglicher Hinsicht ermittelt hat. In diesem Fall
steht mit der Eröffnung noch nicht fest, zu welchem Zeitpunkt der Entscheid
des Vorsorgegerichts rechtskräftig wird. Als Stichtag für den Beginn der
30tägigen Zahlungsfrist ist daher auf den Eintritt der Rechtskraft des
kantonalen Gerichtsentscheids, bei dessen Weiterzug auf den Tag der
Ausfällung der Entscheidung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts (Art.
38 in Verbindung mit Art. 135 OG) abzustellen.

2.5.3 In betraglicher Hinsicht ist der Verzugszins auf der Austrittsleistung
samt dem reglementarischen oder gesetzlichen Zins bis zum Zeitpunkt des
Beginns der Verzugszinspflicht zu bezahlen.

3.
Aus diesen Erwägungen folgt, dass die Beschwerdegegnerin auf der S.________
geschuldeten Austrittsleistung in Höhe von Fr. 88'156.50 ab 4. Juni 2002
einen Zins in reglementarischer oder gesetzlicher (Mindest-)Höhe bis zum
Zeitpunkt der Überweisung zu entrichten hat. Ab 31. Tag nach Erlass des
vorliegenden Urteils wäre ein Verzugszins von 3,5 % (vgl. Art. 7 FZV in
Verbindung mit Art. 12 BVV2) zu bezahlen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird Dispositiv-Ziffer 1 des
Entscheids des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 22. Oktober 2002
insofern abgeändert, als die Rentenanstalt Swiss Life die Austrittsleistung
ab 4. Juni 2002 im Sinne der Erwägungen zu verzinsen hat.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, S.________, der La Collective de Prévoyance,
Genf, und dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau zugestellt.

Luzern, 8. Juli 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: