Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen B 110/2002
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B 110/02

Urteil vom 13. November 2003
III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiber
Ackermann

S.________, 1971, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Karin
Caviezel, Belmontstrasse 1, 7000 Chur,

gegen

Pensionskasse der Firma X.________, Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 21. Oktober 2002)

Sachverhalt:

A.
S. ________, geboren 1971, leidet seit Geburt an Hypothyreose (mangelhafte
Hormonversorgung wegen Unterfunktion der Schilddrüse) und erhielt deswegen in
seiner Kindheit Leistungen der Invalidenversicherung. Er arbeitete vom 1.
Juli 1995 bis zu seiner fristlosen Entlassung am 11. November 1995 als
Verkäufer für die Firma X.________ und war anschliessend arbeitslos. Nachdem
er sich am 25. Juni 1996 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug
angemeldet hatte, nahm die Verwaltung Abklärungen in erwerblicher und
medizinischer Hinsicht vor (Berichte des Dr. med. E.________, Kinder- und
Jugendmedizin FMH, speziell Hormonkrankheiten, vom 9. Juli 1996 sowie des Dr.
med. R.________, Spezialarzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 15.
Oktober 1996). Mit Verfügungen vom 22. Januar 1999 erhielt S.________ mit
Wirkung vom 1. November 1996 bis zum 30. September 1997 sowie ab dem 1. Juli
1998 bei einem Invaliditätsgrad von 92 % eine ganze Rente der
Invalidenversicherung zugesprochen.
Die Pensionskasse der Firma X._______ lehnte das am 23. Februar 1999
gestellte Gesuch um Zusprechung einer berufsvorsorgerechtlichen
Invalidenrente mit Schreiben vom 19. November 1999 ab, da die
Arbeitsunfähigkeit, welche zur Invalidität geführt habe, nicht während der
Versicherungszeit entstanden sei; zudem trat die Pensionskasse wegen
Verletzung der Anzeigepflichten durch S.________ per sofort vom
überobligatorischen Vorsorgevertrag zurück.

B.
Die von S.________ gegen die Pensionskasse am 9. April 2001 eingereichte
Klage auf Ausrichtung einer Invalidenrente wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 21. Oktober
2002 ab.

C.
S.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Rechtsbegehren,
unter teilweiser Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei die Sache zur
Berechnung der ihm ab dem 1. November 1996 zustehenden Invalidenrente an das
kantonale Gericht zurückzuweisen; eventualiter sei die Pensionskasse zu
verpflichten, ihm in Gutheissung der Klage rückwirkend ab dem 1. November
1996 eine ganze Invalidenrente auf der Basis eines versicherten Einkommens
von Fr. 28'560.-, nebst Zins zu 5 % seit der Klageeinreichung, auszurichten,
mindestens aber monatlich Fr. 1599.- vom 1. November bis 31. Dezember 1996,
Fr. 1581.- vom 1. Januar bis 31. Dezember 1997, Fr. 1611.- vom 1. Januar bis
31. Dezember 1998, Fr. 1623.- vom 1. Januar bis 31. Dezember 1999, Fr. 1653.-
vom 1. Januar bis 31. Dezember 2000 sowie Fr. 1636.- ab dem 1. Januar 2001.
Ferner lässt er die Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung beantragen.
Die Pensionskasse schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung
verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Richtig sind die Darlegungen des kantonalen Gerichts betreffend die
massgebenden gesetzlichen Bestimmungen und Grundsätze über den Anspruch auf
Invalidenleistungen (Art. 23 BVG; BGE 123 V 264 Erw. 1b, 121 V 101 Erw. 2a,
120 V 116 Erw. 2b), den engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen
der während der Versicherungsdauer aufgetretenen Arbeitsunfähigkeit und der
Invalidität (SZS 2002 S. 156 Erw. 2b), die Höhe der Invalidenrente (Art. 24
Abs. 1 BVG) sowie den Beginn des Anspruchs auf Invalidenleistungen (Art. 26
Abs. 1 BVG in Verbindung mit Art. 29 IVG in der bis Ende Dezember 2002
geltenden Fassung). Dasselbe gilt hinsichtlich der Rechtsprechung, wonach
Vorsorgeeinrichtungen, die ausdrücklich oder unter Hinweis auf das Gesetz vom
gleichen Invaliditätsbegriff ausgehen wie die Invalidenversicherung, an die
Invaliditätsbemessung der Organe der Invalidenversicherung (und deren
Festlegung des Eintritts der invalidisierenden Arbeitsunfähigkeit) gebunden
sind, wenn diese sich nicht als offensichtlich unhaltbar erweist (BGE 126 V
311 Erw. 1 in fine, 123 V 271 Erw. 2a, 120 V 109 Erw. 3c). Darauf wird
verwiesen.

2.
Streitig ist der Anspruch auf eine Invalidenrente der zweiten Säule. In
diesem Zusammenhang ist zu prüfen, ob die Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache
zur Invalidität geführt hat, während des Arbeitsverhältnisses mit der Firma
X.________ (resp. während eines Monates nach dessen Ende; Art. 10 Abs. 3 BVG)
und damit während der Dauer des Versicherungsverhältnisses mit der
Pensionskasse der Firma X.________ eingetreten ist.

2.1 Die Vorinstanz geht aufgrund der Akten davon aus, dass zwischen dem 1.
Juli und dem 11. November 1995 keine gesundheitsbedingte Verminderung des -
allenfalls schon früher eingeschränkten - Leistungsvermögens eingetreten sei;
wegen der Restfolgen der Entwicklungsverzögerung in der Kindheit und der
Jugendzeit sei vielmehr eine latente Arbeitsunfähigkeit anzunehmen, die sich
erstmals während der Tätigkeit bei der Firma X.________ in vollem Umfang
manifestiert habe. Der Beschwerdeführer ist demgegenüber der Ansicht, es sei
nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellt, dass er schon beim
Eintritt ins Erwerbsleben latent arbeitsunfähig gewesen sei, denn an den
früheren Arbeitsstellen (Bürolehre, zwei Arbeitsplätze) sei er jeweils
uneingeschränkt arbeitsfähig gewesen. Da er seit der Tätigkeit bei der Firma
X.________ jedoch nur noch im Umfang von 50 % arbeitsfähig sei, müsse "die
Krankheit bzw. deren Folgen auf die funktionelle Leistungsfähigkeit" während
der Dauer des Versicherungsverhältnisses bei der Pensionskasse der Firma
X.________ eingetreten sein.

2.2 Zunächst ist die Frage zu beantworten, ob der Beschwerdeführer an einem
Gesundheitsschaden mit Auswirkungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit
leidet. In dieser Hinsicht hält Dr. med. R.________ in seinem
Abklärungsbericht zuhanden der Invalidenversicherung vom 15. Oktober 1996
fest, beim Beschwerdeführer seien "Residuen der in seiner Kindheit und Jugend
wohldokumentierten psychomotorischen Retardierung in Form von Leistungs- und
Lernbehinderung auch heute psychometrisch fassbar". Der Psychiater bejaht im
Weiteren das Vorliegen eines geistigen Gesundheitsschadens, nämlich eine
durch den angeborenen Schilddrüsen-Hormonmangel bedingte psychomotorische
Entwicklungsverzögerung mit entsprechenden Schwierigkeiten während der
obligatorischen Schulzeit und der Lehre. Dr. med. R.________ schätzt die
Arbeitsunfähigkeit im angestammten Bürobereich auf 50 %, erachtet jedoch eine
Prüfung der beruflichen Eignungen als angebracht, allenfalls wäre eine
Anlehre in einem manuellen Beruf zu erwägen. Wegen mangelnder handwerklicher
Fähigkeiten und nicht realistischen Zielvorstellungen sowie auf Wunsch des
Beschwerdeführers wurde die von der Invalidenversicherung in der Folge
vorgenommene berufliche Abklärung dennoch im Bürobereich durchgeführt; sie
ergab eine Arbeitsfähigkeit von etwa 30 % in einem geschützten Rahmen, was
schliesslich zum Invaliditätsgrad in der Invalidenversicherung von 92 %
führte. Damit ist davon auszugehen, dass ein Gesundheitsschaden mit
Auswirkungen auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit besteht; dies ist denn
auch nicht bestritten.

2.3 Es ist im Weiteren zu prüfen, ob der Beschwerdeführer bei Eintritt der
Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat, versichert
gewesen ist (Art. 23 BVG).
Aus den Akten ergibt sich, dass der Beschwerdeführer wegen der angeborenen
Krankheit der Schilddrüse in seiner Kindheit und seiner Jugend medizinische
und pädagogisch-therapeutische Massnahmen sowie Pflegebeiträge der
Invalidenversicherung erhalten hat und später als sein Jahrgang eingeschult
worden ist. Nach Abschluss der Schulzeit musste der Beschwerdeführer wegen
schulischer Schwierigkeiten anstelle der geplanten kaufmännischen Ausbildung
eine Bürolehre absolvieren. Anschliessend arbeitete er in der Spedition des
Lehrbetriebes sowie später als Verkäufer in einer Videothek, bevor er
schliesslich im Juli 1995 seine Stelle in der Firma X.________ antrat. Dieser
Arbeitsplatz wurde ihm nach gut vier Monaten wegen Leistungsmangel und vor
allem wegen Unpünktlichkeit fristlos gekündet. In der Folge war er während
eines Jahres in einem (befristeten) Beschäftigungsprogramm der
Arbeitslosenversicherung tätig; seit der Durchführung der beruflichen
Abklärung durch die Invalidenversicherung (vgl. Erw. 2.2 hievor) ist er
offensichtlich nicht mehr erwerbstätig gewesen. Obwohl die Kündigung der
Firma X.________ mit mangelnder Leistung und Unpünktlichkeit begründet worden
ist, ist dennoch davon auszugehen, dass es sich nicht um invaliditätsfremde
Faktoren, sondern um gesundheitsbedingte Eigenschaften des Beschwerdeführers
handelt, denn während der beruflichen Abklärung durch die
Invalidenversicherung sind genau die gleichen Symptome aufgetreten, die
scheinbar auf eine falsche Einstellung der - wegen der angeborenen
Schilddrüsenkrankheit notwendigen - Hormonsubstitution zurückzuführen sind.
Damit ist aber gleichzeitig mit dem im Sozialversicherungsrecht notwendigen
Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 126 V 360 Erw. 5b mit
Hinweisen) erstellt, dass die Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur
Invalidität geführt hat, auf dem angeborenen Gesundheitsschaden basiert und
nicht auf einer während der Anstellungsdauer in der Firma X.________ neu
entstandenen Ursache. Es ist deshalb - zusammen mit der Vorinstanz - davon
auszugehen, dass der Beschwerdeführer wegen der Folgen seiner angeborenen
Krankheit während seiner ganzen Erwerbszeit latent arbeitsunfähig gewesen ist
und sich diese Arbeitsunfähigkeit - aus was für Gründen auch immer - erst
während der Tätigkeit für die Firma X.________ manifestiert hat. Es liegt
auch keine Verschlimmerung des angeborenen Gesundheitsschadens während der
gut viermonatigen Tätigkeit für die Firma X.________ (oder innert eines
Monates nach deren Ende; Art. 10 Abs. 3 BVG) vor, da die in den Akten
liegenden Arztberichte nicht den geringsten entsprechenden Hinweis enthalten.
Vielmehr führen sowohl Dr. med. E.________ in seinem Bericht vom 9. Juli 1996
wie auch der Psychiater Dr. med. R.________ im Bericht vom 15. Oktober 1996
die gesundheitlichen Probleme auf die angeborene Hypothyreose zurück. Daran
ändert auch die Auffassung in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nichts, dass
vor dem Stellenantritt in der Firma X.________ eine vollständige und nachher
bloss eine eingeschränkte Arbeitsfähigkeit bestanden habe, da dies auf eine
unzulässige Argumentation "post hoc ergo propter hoc" hinausläuft. Bei der
vorliegenden Sachlage erweisen sich weitere Abklärungen als nicht notwendig
(antizipierte Beweiswürdigung; BGE 124 V 94 Erw. 4b). Dass sich die latent
vorbestehende Arbeitsunfähigkeit erst während der Tätigkeit für die Firma
X.________ manifestiert hat, wird im Übrigen dadurch bestätigt, dass die
Invalidenversicherung den Beginn des Wartejahrs gemäss Art. 29 Abs. 1 lit. b
IVG auf November 1995, d.h. auf den Zeitpunkt der Kündigung durch die Firma
X.________, angesetzt hat, da vorher keine Anhaltspunkte für eine Auswirkung
der latenten Arbeitsunfähigkeit bestanden haben. Damit ist davon auszugehen,
dass der Beschwerdeführer schon beim Stellenantritt als Verkäufer für die
Firma X.________ latent arbeitsunfähig gewesen ist, und er bei Eintritt der
Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat, (noch) nicht
bei der Pensionskasse der Firma X.________ versichert gewesen ist, weshalb er
keinen Anspruch auf Leistungen dieser Pensionskasse hat. Ob der
Beschwerdeführer bei Stellenantritt sogar zu mindestens zwei Dritteln invalid
gewesen ist und deshalb gar nicht obligatorisch bei der Pensionskasse der
Firma X.________ versichert gewesen sein konnte (Art. 2 Abs. 2 BVG in
Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 lit. d BVV2), braucht hier nicht entschieden zu
werden.

3.
Da es um Versicherungsleistungen geht, sind gemäss Art. 134 OG keine
Gerichtskosten zu erheben.
Die unentgeltliche Verbeiständung kann gewährt werden (Art. 152 Verbindung
mit Art. 135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die Beschwerde nicht
als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung geboten war (BGE 125 V 202
Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf
Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der
Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande
ist.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwältin
Karin Caviezel, Chur, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen
Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 13. November 2003

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: