Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Anklagekammer 8G.41/2002
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8G.41/2002/pai

                 A N K L A G E K A M M E R
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                 Sitzung vom 25. April 2002

Es wirken mit: Bundesrichter Corboz, Präsident der Anklage-
kammer, Bundesrichter Nay, Aeschlimann und Gerichtsschreiber
Monn.

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                         In Sachen

Eidgenössisches Untersuchungsrichteramt, Gesuchsteller,

                           gegen

A.________, Gesuchsgegner, vertreten durch Fürsprecher Peter
Kaufmann, Amthausgasse 1, Bern,

                         betreffend
            Verlängerung der Untersuchungshaft,

            zieht die Anklagekammer in Erwägung:

        1.- a) Seit dem 27. Januar 2000 führt die Eid-
genössische Steuerverwaltung (EStV) gegen A.________ und
einen Mitgesellschafter bei der X.________ GmbH eine
Strafuntersuchung wegen des Verdachts auf Leistungsbetrug im
Sinne von Art. 14 des Bundesgesetzes über das Verwaltungs-
strafrecht (VstrR, SR 313.0). Er wird verdächtigt, zwischen
April 1998 und Juli 1999 mittels wahrheitswidriger Steuer-
erklärungen gegenüber der Mehrwertsteuerbehörde acht un-
rechtmässige Rückzahlungen von Vorsteuern in Höhe von ins-
gesamt 4,6 Millionen Franken erwirkt zu haben.

        Im Verlaufe des Verwaltungsstrafverfahrens kam zu-
dem der Verdacht auf, dass Mitarbeiter der Abteilung Mehr-
wertsteuer der EStV an diesen Vorgängen beteiligt gewesen
sein könnten.

        Konkret wird A.________ vorgeworfen, er habe den in
jener Zeit in der Hauptabteilung Mehrwertsteuer bei der EStV
für die X.________ GmbH als Revisor tätig gewesenen
B.________ bestochen.

        Gestützt auf eine Strafanzeige der EStV eröffnete
die Bundesanwaltschaft (BA) am 11. März 2002 ein gerichts-
polizeiliches Ermittlungsverfahren gegen A.________ wegen
des Verdachts der Bestechung von Amtsträgern des Bundes im
Sinne von Art. 288 aStGB. Am 12. März 2002 erliess die BA
einen entsprechenden Haftbefehl.

        Am 13. März 2002 eröffnete die BA dem Beschuldigten
die Haft. Die eidgenössische Untersuchungsrichterin be-
stätigte die Haft am 15. März 2002. Sie ging dabei davon
aus, der Haftgrund der Kollusionsgefahr sei erfüllt.

        b) Mit Eingabe vom 26. März 2002 stellte die BA
bei der Anklagekammer des Bundesgerichts gestützt auf
Art. 51 Abs. 2 BStP das Gesuch, es sei die Verlängerung der
Untersuchungshaft von A.________ um eine von der An-
klagekammer festzusetzende angemessene Dauer, mindestens
jedoch bis 15. Mai 2002, zu bewilligen.

        Die Anklagekammer hiess das Gesuch am 4. April 2002
gut und verlängerte die gestützt auf Art. 44 Ziff. 2 BStP
verfügte Untersuchungshaft bis Freitag, 19. April 2002. Sie
ging dabei davon aus, dass die Ermittlungen, die zur Klärung
der eine Kollusionsgefahr begründenden offenen Fragen durch-
zuführen seien, beförderlich getätigt werden müssen und
nicht übermässig umfangreich seien, weshalb die beantragte
Haftverlängerung bis 15. Mai 2002 unverhältnismässig lang
sei; unter dem Gesichtswinkel der Verhältnismässigkeit er-
scheine eine Haftverlängerung bis 19. April 2002 als ange-
messen (8G.25/2002).

        c) Nach Abschluss des gerichtspolizeilichen Er-
mittlungsverfahrens beantragte die BA am 12. April 2002 beim
Eidgenössischen Untersuchungsrichteramt gestützt auf
Art. 108 Abs. 1 BStP die Einleitung einer Eidgenössischen
Voruntersuchung gegen A.________.

        d) Mit Eingabe vom 18. April 2002 stellt der Eid-
genössische Untersuchungsrichter bei der Anklagekammer des
Bundesgerichts gestützt auf Art. 51 Abs. 2 BStP das Gesuch,
es sei die Verlängerung der Untersuchungshaft von A.________
um eine von der Anklagekammer festzusetzende angemessene
Dauer, mindestens jedoch bis 15. Juni 2002, zu bewilligen.

        Die Anklagekammer lud den Beschuldigten am
19. April 2002 ein, bis zum 24. April 2002 zum Gesuch des
Eidgenössischen Untersuchungsrichters Stellung zu nehmen.

        A.________ beantragt mit Eingabe vom 22. April
2002, er sei unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu
entlassen.

     2.- Das vorliegende Gesuch um erneute Haftverlängerung
muss - wie bereits das erste Gesuch gemäss Art. 51 Abs. 2
BStP - am letzten Tag der Frist bei einer schweizerischen
Poststelle aufgegeben werden (Urteil der Anklagekammer
8G.25/2002 vom 4. April 2002, E. 2). Die Gesuchstellerin hat
diese Frist gewahrt.

     3.- a) Es kann zunächst insbesondere in rechtlicher
Hinsicht auf das Urteil der Anklagekammer vom 4. April 2002
verwiesen werden.

        b) Der Gesuchsteller macht geltend, die Akten, die
28 Bundesordner der BA sowie 23 Bundesordner der EStV um-
fassten, seien ihm am 15. April 2002 übergeben worden. Er

sei im Begriff, die vorliegenden Akten und Unterlagen zu
studieren und auszuwerten, was mit Blick auf das umfang-
reiche Aktenmaterial geraume Zeit beanspruche. Anschliessend
seien unter anderem noch verschiedene Einzel- und allenfalls
Konfrontationseinvernahmen durchzuführen. Es bedürfe keiner
langen Ausführungen, um darzutun, dass die noch durchzu-
führenden Untersuchungshandlungen wegen der erst vor einigen
Tagen erfolgten Aktenübergabe an das Eidgenössische Unter-
suchungsrichteramt noch nicht hätten getätigt werden können.
Solange diese Untersuchungshandlungen nicht vorgenommen
worden seien, bestehe weiterhin die konkrete Gefahr, dass
der Gesuchsgegner in Freiheit kolludieren und den Zweck der
Untersuchung vereiteln könnte.

        Der Gesuchsgegner bringt dagegen vor, er habe in
der Zwischenzeit am 4. April 2002 ein umfassendes und voll-
umfängliches Geständnis abgelegt und sei am 11. April 2002
ein weiteres Mal einvernommen worden. Der Umstand, dass der
Gesuchsteller das umfangreiche Aktenmaterial vorerst sichten
müsse, dürfe nicht für eine Hafterstreckung "missbraucht"
werden. Dazu komme, dass im Gesuch die angebliche Kol-
lusionsgefahr nirgends konkretisiert worden sei. Und
schliesslich seien die wesentlichen Beweismassnahmen
(Sperren von Konten, Beschlagnahme diverser Akten, Einver-
nahmen etc.) bereits durchgeführt worden.

        c) Dem Gesuch um (erneute) Verlängerung der Unter-
suchungshaft muss entnommen werden können, welche konkreten
Indizien den Verdacht begründen, dass der Beschuldigte in
Freiheit kolludieren (zum Beispiel Spuren beseitigen oder
Beteiligte oder Drittpersonen beeinflussen) könnte; die
Angabe, dass diese Möglichkeit theoretisch besteht, reicht
nicht aus.

        Das vorliegende Gesuch genügt den Begründungs-
anforderungen nicht. Der Gesuchsteller macht nur geltend, er
habe das umfangreiche Aktenmaterial noch nicht hinlänglich
studieren und auswerten können und gedenke, noch weitere
Einvernahmen durchzuführen. Daraus ergeben sich jedoch
offensichtlich keine konkreten Indizien dafür, dass der Ge-
suchsgegner in Freiheit kolludieren könnte.

        Der Gesuchsteller verweist denn auch zur Hauptsache
auf die Eingabe der BA vom 26. März 2002. Auch dieser Hin-
weis genügt jedoch nicht. Die Anklagekammer hat in ihrem
Entscheid vom 4. April 2002 deutlich gemacht, dass die ihr
damals vorliegenden Informationen nur eine verhältnismässig
kurze Haftverlängerung bis 19. April 2002 zuliessen, zumal
die zur Beseitigung der Kollusionsgefahr noch durchzufüh-
renden Ermittlungen nicht übermässig umfangreich seien und
rasch durchgeführt werden könnten. Dass diese Annahme der
Anklagekammer unrichtig gewesen wäre, wird im neuen Gesuch
nicht geltend gemacht.

        Inwieweit die Ermittlungen nach dem Entscheid der
Anklagekammer beförderlich vorangetrieben worden sind, ist
dem neuen Gesuch nicht zu entnehmen. Der Gesuchsteller führt
jedoch aus, dass die BA das gerichtspolizeiliche Ermitt-
lungsverfahren am 12. April 2002 - also während der durch
die Anklagekammer eingeräumten Frist - als abgeschlossen
betrachtet und deshalb beim Eidgenössischen Untersuchungs-
richteramt die Einleitung einer Eidgenössischen Vorunter-
suchung gegen den Gesuchsgegner beantragt hat. Ob diese
Umteilung zum richtigen Zeitpunkt vorgenommen worden ist,
kann und muss nicht geprüft werden; sie darf jedenfalls
nicht zu einer Verzögerung der Ermittlungen führen, die die
Kollusionsgefahr rasch beseitigen könnten.

        Gesamthaft gesehen besteht aufgrund der vor-
liegenden Informationen höchstens die theoretische Möglich-
keit, dass der Gesuchsgegner in Freiheit kolludieren könnte.
Dies reicht für eine Haftverlängerung nicht aus. Das Gesuch
muss folglich abgewiesen werden.

             Demnach erkennt die Anklagekammer:

     1.- Das Gesuch wird abgewiesen.

     2.- Der Eidgenössische Untersuchungsrichter wird an-
gewiesen, A.________ unverzüglich aus der Haft zu entlassen.

     3.- Es werden keine Kosten erhoben.

     4.- Dem Gesuchsgegner wird für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 1'000.-- aus der
Bundesgerichtskasse entrichtet.

     5.- Dieses Urteil wird den Parteien schriftlich mit-
geteilt.

                       ______________

Lausanne, 25. April 2002

                 Im Namen der Anklagekammer
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
         Der Präsident:     Der Gerichtsschreiber: