Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Anklagekammer 8G.29/2002
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8G.29/2002/kra

                A N K L A G E K A M M E R
                *************************

                      4. April 2002

Es wirken mit: Bundesrichter Nay, Vizepräsident der
Anklagekammer, Raselli, Kolly und Gerichtsschreiber Monn.

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                        In Sachen

Generalprokurator des Kantons  B e r n, Gesuchsteller,

                          gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons  S o l o t h u r n,
Gesuchsgegnerin,

                        betreffend
    Bestimmung des Gesuchstandes in Sachen A.________,
                 B.________ und Konsorten,

hat sich ergeben:

     A.- a) Am 16. November 2001 wurde im Kanton Bern
gegen A.________ und B.________ eine Strafuntersuchung
eröffnet. Die beiden waren am Abend dieses Tages mit einem
Personenwagen in Biel unterwegs. Dabei kam es zu Diskus-
sionen mit einer Gruppe von Personen schwarzer Hautfarbe,
in deren Verlauf der Personenwagen beschädigt wurde. In
der Folge soll B.________ mit einem Zusatzlenkradschloss
auf C.________ eingeprügelt und ihm das Portemonnaie und
das Natel gestohlen haben. C.________ erlitt eine Quetsch-
wunde am Kopf.

        Gemäss den teilweise bereits zuvor in verschie-
denen Kantonen durchgeführten Ermittlungen betraf die
Strafuntersuchung weitere verdächtige Personen und
schliesslich insgesamt 49 Delikte, die zur Hauptsache in
den Kantonen Bern und Solothurn begangen worden sein sol-
len. Dabei geht es insbesondere um den Vorwurf des banden-
mässigen Diebstahls. Die ersten vier Delikte sollen im
Kanton Solothurn begangen worden sein, wo am 27. Mai 2001
auch die erste Strafanzeige eingegangen war.

        b) Da der Gerichtsstand streitig war, führten die
Behörden der Kantone Bern und Solothurn entsprechende Ver-
handlungen. Zu einer Einigung kam es nicht.

     B.- Der Generalprokurator des Kantons Bern wendet
sich mit Eingabe vom 26. März 2002 an die Anklagekammer
des Bundesgerichts und beantragt, die Behörden des Kantons
Solothurn seien berechtigt und verpflichtet zu erklären,
die weitere Strafverfolgung gegen A.________, B.________
und Konsorten durchzuführen.

        Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn be-
antragt in ihrer Vernehmlassung vom 28. März 2002 sinnge-
mäss, das Gesuch des Generalprokurators des Kantons Bern
sei abzuweisen.

           Die Anklagekammer zieht in Erwägung:

     1.- Wird jemand wegen mehrerer, an verschiedenen Or-
ten verübter strafbarer Handlungen verfolgt, so sind die
Behörden des Ortes, wo die mit der schwersten Strafe be-
drohte Tat verübt worden ist, auch für die Verfolgung und
Beurteilung der andern Taten zuständig. Sind die straf-
baren Handlungen mit der gleichen Strafe bedroht, so sind
die Behörden des Ortes zuständig, wo die Untersuchung zu-
erst angehoben worden ist (Art. 350 Ziff. 1 StGB).

     2.- a) Der Gesuchsteller anerkennt, dass in Bezug auf
den Vorfall vom 16. November 2001 ein Raub vorliegen
könnte. Da dieser Vorfall der gleichen Strafdrohung wie
der gewerbsmässige Diebstahl unterliege und die Strafun-
tersuchung zuerst im Kanton Solothurn angehoben worden
sei, seien die Behörden dieses Kantons für alle Vorfälle
zuständig.

        Die Gesuchsgegnerin vertritt in ihrer Vernehm-
lassung demgegenüber die Auffassung, in Bezug auf den
Vorfall vom 16. November 2001 komme nicht nur ein gewöhn-
licher Raub, sondern sowohl eine versuchte Tötung als auch
ein besonders gefährlicher Raub im Sinne von Art. 140
Ziff. 3 StGB in Frage. Da sich somit der Ort der schwers-

ten Tat im Kanton Bern befinde, seien dessen Behörden be-
rechtigt und verpflichtet zu erklären, alle Taten zu ver-
folgen und zu beurteilen.

        Beide Parteien sind sich im Übrigen einig, dass
ein Abweichen vom gesetzlichen Gerichtsstand nicht in
Frage kommt.

        b) Es ist im vorliegenden Verfahren demnach nur
zu prüfen, ob Art. 140 Ziff. 3 StGB oder der Tatbestand
der versuchten vorsätzlichen Tötung auf die Tat vom
16. November 2001 Anwendung finden können.

        Wie es sich mit der Qualifikation des Raubes ver-
hält, kann offen bleiben, weil auf Grund der vorliegenden
Unterlagen ein Tötungsversuch nicht ausgeschlossen werden
kann.

        Dabei sind die Aussagen von Bedeutung, die
A.________ noch am 16. November 2001 vor der Kantonspoli-
zei machte. Er sagte wörtlich aus: "Bevor ich richtig an-
halten konnte, hatte "D".________ (d.h. B.________) einen
der Schwarzen mit dem Lenkerschloss niedergeschlagen. Ich
konnte nicht mehr verhindern, dass er ihn auf den Kopf
schlug ... "D".________ wollte noch mehr auf den Schwarzen
einschlagen, ich hielt ihn davon ab. Der zweite Schlag
traf mich am linken Handgelenk ... "D".________ war sehr
wütend" (Befragung von 0810 Uhr, S. 2). Und A.________
ergänzte bei derselben Befragung: "Als ich aus dem Auto
ausgestiegen war, lag der Schwarze bereits am Boden.
"D".________ hatte ihn mit einer Hand am Hals gepackt, mit
der anderen wollte er mit dem Lenkradschloss zuschlagen"
(S. 3). Einige Stunden später sagte A.________ ebenfalls
vor der Kantonspolizei aus: "Der Schwarze lag,
"D".________ war mit einem Knie über ihn gebückt. Als ich
den Schwarzen sah, dachte ich zunächst, er sei tot ...

"D".________ stand auf und wollte nochmals mit dem Schloss
auf den Schwarzen schlagen ... Als "D".________ nochmals
schlug, erwischte er mich am linken Handgelenk, den
Schwarzen glaublich am Oberarm ... Ich habe noch nie im
Leben jemanden so aufgeregt gesehen wie nunmehr
"D".________" (Befragung von 1250 Uhr, S. 3).

        Auf Grund dieser Aussagen ist im vorliegenden
Verfahren davon auszugehen, dass B.________ in seiner
grosser Wut und Aufregung weiter mit dem gefährlichen Zu-
satzlenkradschloss auf das bereits niedergeschlagene und
verletzte Opfer eingeschlagen hätte, wenn er durch
A.________ nicht daran gehindert worden wäre. Bei dieser
Sachlage fällt ein eventualvorsätzlicher Tötungsversuch in
Betracht, was nach der konstanten Praxis der Anklagekammer
genügt, um bei der Bestimmung des Gerichtsstandes darauf
abzustellen.

        Der Gesuchsteller verweist in diesem Zusammenhang
nur darauf, dass B.________ zwar angedroht habe, er werde
sein Opfer töten, dass es jedoch "weltfremd" wäre, aus
solchen "Sprüchen" einen Tötungsvorsatz zu konstruieren
(Gesuch S. 4 Ziff. 4). Damit verkennt der Gesuchsteller,
dass B.________ nicht nur Drohungen ausgestossen hat,
sondern mit erheblicher Vehemenz daran ging, seine
Drohungen wahr zu machen.

        Da ein Tötungsversuch nicht ausgeschlossen werden
kann und damit die schwerste Tat, die einem Mittäter zur
Last gelegt wird, im Kanton Bern begangen worden sein
soll, ist das Gesuch abzuweisen.

            Demnach erkennt die Anklagekammer:

     1.- Das Gesuch wird abgewiesen, und die Behörden des
Kantons Bern werden berechtigt und verpflichtet erklärt,
die A.________, B.________ und Konsorten zur Last gelegten
strafbaren Handlungen zu verfolgen und zu beurteilen.

     2.- Es werden keine Kosten erhoben.

     3.- Dieses Urteil wird dem Generalprokurator des
Kantons Bern und der Staatsanwaltschaft des Kantons
Solothurn schriftlich mitgeteilt.

                        _________

Lausanne, 4. April 2002

                Im Namen der Anklagekammer
            des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                    Der Vizepräsident:

                  Der Gerichtsschreiber: