Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Anklagekammer 8G.28/2002
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8G.28/2002/pai

                 A N K L A G E K A M M E R
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                 Sitzung vom 4. April 2002

Es wirken mit: Bundesrichter Nay, Vizepräsident der An-
klagekammer, Bundesrichter Aeschlimann, Raselli und
Gerichtsschreiber Monn.

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                         In Sachen

Schweizerische Bundesanwaltschaft, Gesuchstellerin,

                           gegen

D.________, Gesuchsgegner, vertreten durch Fürsprecher Urs
Wüthrich, Zentralplatz 51, Biel,

                         betreffend
 Verlängerung der Untersuchungshaft (Art. 51 Abs. 2 BStP),

            zieht die Anklagekammer in Erwägung:

     1.- a) Seit dem 27. Januar 2000 führt die Eid-
genössische Steuerverwaltung (EStV) gegen A.________ und
einen Mitgesellschafter bei der X.________ GmbH eine Straf-
untersuchung wegen des Verdachts auf Leistungsbetrug im
Sinne von Art. 14 des Bundesgesetzes über das Verwaltungs-
strafrecht (VstrR, SR 313.0). Er wird verdächtigt, zwischen
April 1998 und Juli 1999 mittels wahrheitswidriger Steuer-
erklärungen gegenüber der Mehrwertsteuerbehörde acht un-
rechtmässige Rückzahlungen von Vorsteuern in Höhe von insge-
samt 4,6 Millionen Franken erwirkt zu haben.

        Im Verlaufe des Verwaltungsstrafverfahrens kam der
Verdacht auf, dass Mitarbeiter der Abteilung Mehrwertsteuer
der EStV an diesen Vorgängen beteiligt gewesen sein könnten.
Insbesondere entstand der Verdacht, dass B.________ eine
wesentliche Rolle zugekommen sein soll.

        Gestützt auf eine Strafanzeige der EStV eröffnete
die Bundesanwaltschaft am 11. März 2002 ein gerichtspolizei-
liches Ermittlungsverfahren gegen B.________ unter anderem
wegen des Verdachts des Sich bestechen lassens im Sinne von
Art. 322quater StGB.

        B.________ sagte am 13. März 2002 aus, nicht nur er
selbst, sondern auch D.________ sei in dieser Angelegenheit
"angefüttert worden". Darauf wurden auch gegen D.________
Ermittlungen eingeleitet.

        b) Am 14. März 2002 wurde das gerichtspolizeiliche
Ermittlungsverfahren auf D.________ wegen des Verdachts des
Sich bestechen lassens im Sinne von Art. 322quater StGB,

der Anstiftung zu passiver Bestechung im Sinne von
Art. 322quater StGB in Verbindung mit Art. 24 StGB,
eventuell der Amtsgeheimnisverletzung im Sinne von Art. 320
StGB, der Urkundenfälschung im Amt im Sinne von Art. 317
Ziff. 1 StGB, der Unterdrückung von Urkunden des Bundes im
Sinne von Art. 254 Abs. 1 StGB und eventuell der ungetreuen
Geschäftsbesorgung im Sinne von Art. 158 Ziff. 1 StGB
respektive der Anstiftung zu diesen Straftaten ausgedehnt.
Ebenfalls am 14. März 2002 erliess die Bundesanwaltschaft
einen entsprechenden Haftbefehl (in welchem der Verdacht der
Anstiftung zu passiver Bestechung sowie der Amtsgeheimnis-
verletzung allerdings nicht mehr enthalten sind).

        Am 15. März 2002 eröffnete die Bundesanwaltschaft
dem Beschuldigten die Haft. Die eidgenössische Unter-
suchungsrichterin bestätigte die Haft ebenfalls am 15. März
2002. Sie ging dabei davon aus, der Haftgrund der Kol-
lusionsgefahr sei erfüllt.

        c) Mit Eingabe vom 26. März 2002 stellt die Bundes-
anwaltschaft bei der Anklagekammer des Bundesgerichts ge-
stützt auf Art. 51 Abs. 2 BStP (in der seit 1. Januar 2002
geltenden Fassung) das Gesuch, es sei die Verlängerung der
Untersuchungshaft von D.________ um eine von der Anklage-
kammer festzusetzende angemessene Dauer, mindestens jedoch
bis 15. Mai 2002, zu bewilligen.

        Die Anklagekammer lud den Beschuldigten am 27. März
2002 ein, bis zum 3. April 2002 zum Gesuch der Bundesanwalt-
schaft Stellung zu nehmen.

        D.________ beantragt mit Eingabe vom 3. April 2002,
das Gesuch sei kostenfällig abzuweisen.

     2.- Das Gesuch um Verlängerung der Untersuchungshaft
gemäss Art. 51 Abs. 2 BStP muss am letzten Tag der Frist bei
einer schweizerischen Poststelle aufgegeben werden (vgl.
Bänziger/Leimgruber, Das neue Engagement des Bundes in der
Strafverfolgung, Bern 2001, N 213 zu Art. 51 BStP). Die Ge-
suchstellerin hat diese Frist gewahrt.

     3.- Die Gesuchstellerin macht nebenbei geltend, beim
Gesuchsgegner sei nicht nur der Haftgrund der Kollusions-
gefahr, sondern auch derjenige der Fluchtgefahr erfüllt.
Damit ist sie nicht zu hören, weil die Anklagekammer im
vorliegenden Verfahren nur für eine Haftverlängerung wegen
Kollusionsgefahr zuständig ist (Art. 51 Ziff. 2 BStP mit
ausdrücklichem Hinweis auf Art. 44 Ziff. 2 BStP). Sofern die
Gesuchstellerin einen Beschuldigten wegen des in Art. 44
Ziff. 1 BStP behandelten dringenden Fluchtverdachts in Haft
nehmen (oder allenfalls in Haft behalten) will, hat sie ge-
mäss der Vorschrift von Art. 47 BStP vorzugehen.

     4.- a) Gemäss Art. 51 Abs. 2 und 3 BStP (in der seit
1. Januar 2002 geltenden Fassung) hat die Bundesanwalt-
schaft, die einen Beschuldigten im gerichtspolizeilichen Er-
mittlungsverfahren wegen Kollusionsgefahr in Untersuchungs-
haft genommen hat und beabsichtigt, die Haft länger als
14 Tage aufrechtzuerhalten, vor Ablauf dieser Frist bei der
Anklagekammer um Haftverlängerung nachzusuchen. Die Ver-
längerung kann nur bewilligt werden, wenn die in Art. 44
Ziff. 2 BStP genannten Voraussetzungen für die Anordnung der
Haft weiterhin erfüllt sind. Erforderlich ist daher, dass
der Beschuldigte eines Verbrechens oder Vergehens dringend
verdächtigt ist und ausserdem bestimmte Umstände den Ver-
dacht begründen, dass er Spuren der Tat vernichten oder

Zeugen oder Mitbeschuldigte zu falschen Aussagen verleiten
oder sonst den Zweck der Untersuchung gefährden werde. Die
bloss theoretische Möglichkeit, dass er in Freiheit kol-
ludieren könnte, genügt grundsätzlich nicht, um die Fort-
setzung der Untersuchungshaft zu rechtfertigen; es müssen
vielmehr konkrete Indizien für eine solche Gefahr sprechen.

        b) Der Gesuchsgegner ist grundsätzlich geständig.
In Bezug auf den dringenden Tatverdacht kann deshalb auf die
Darstellung der Gesuchstellerin verwiesen werden.

        c) Der Gesuchsgegner macht in Bezug auf die Kol-
lusionsgefahr geltend, er könnte die weiteren Ermittlungen
der Gesuchstellerin nicht beeinflussen, wenn er sich in
Freiheit befände, zumal sich die übrigen, teilweise nicht
geständigen Beteiligten in Haft befänden und es keine An-
haltspunkte für weitere, noch nicht bekannte Beteiligte
gebe.

        Die Gesuchstellerin führt dazu aus, zwar seien der
Gesuchsteller und der mitbeschuldigte B.________ grund-
sätzlich geständig, jedoch seien die genaue Aufteilung des
Erlöses und insbesondere der Verbleib eines grossen Teils
der Beute unklar. Insbesondere im Hinblick auf den noch
nicht vollständig geklärten Verbleib der hohen Deliktssumme
seien Konti gesperrt und Bankunterlagen ediert worden, deren
Analyse angesichts der Tatsache, dass die Beschuldigten über
zahlreiche Kontoverbindungen verfügen, längere Zeit in An-
spruch nehme. Der Gesuchsgegner habe angegeben, er habe von
der Beute etwa 850'000 Franken erhalten. Unklar sei indes
der Verbleib des restlichen Geldes. B.________ habe zu-
gegeben, er habe von seinem Anteil an der Beute 660'000
Franken vor etwa drei Jahren in einem Waldstück bei Biel
vergraben, das Versteck nach dem Sturm "Lothar" jedoch nicht

mehr wiedergefunden. Genauere Angaben zum Rest seines An-
teils habe B.________ bisher nicht gemacht. Im Gegensatz
dazu behaupte der Gesuchsgegner, er habe das Versteck und
dort nur etwa 550'000 Franken gefunden. Es bestehe mithin
eine Diskrepanz von rund 100'000 Franken. Nachdem sich die
Äusserungen des Gesuchsgegners und diejenigen von B.________
von Befragung zu Befragung geändert hätten und zwei weitere
Beschuldigte noch weitgehend ungeständig seien, könne nicht
ausgeschlossen werden, dass der Gesuchsgegner mehr als
900'000 Franken erhalten habe oder zumindest über den
Verbleib der Anteile der anderen Beschuldigten Auskunft
geben könnte. Für den Fall, dass er aus der Haft entlassen
würde, bestehe die ernsthafte Gefahr, dass er sich mit be-
reits bekannten oder mit allfälligen, bisher noch nicht
identifizierten Beteiligten absprechen und dass er weitere
Beweismittel vernichten könnte.

        Angesichts dieser Diskrepanzen in den Aussagen ist
beim Gesuchsgegner, obwohl er grundsätzlich geständig ist,
weiterhin Kollusionsgefahr anzunehmen. Die Gesuchstellerin
wird die ihr bereits vorliegenden und die noch angeforderten
umfangreichen Unterlagen auswerten und anschliessend weitere
Einzel- und allenfalls Konfrontationseinvernahmen durch-
führen müssen. Solange diese Ermittlungen nicht getätigt
worden sind, besteht die konkrete Gefahr, dass der Ge-
suchsgegner in Freiheit kolludieren und den Zweck der
Untersuchung vereiteln könnte.

        Was er dagegen vorbringt, ist zur Hauptsache un-
begründet. Es ist allerdings einzuräumen, dass der Hinweis
der Gesuchstellerin auf allfällige weitere, noch unbekannte
Beteiligte eine Verlängerung der Untersuchungshaft nicht zu
begründen vermag, weil ihren Ausführungen keine konkreten
Anhaltspunkte für eine solche Möglichkeit zu entnehmen sind.

     d) Da die noch durchzuführenden Ermittlungen be-
förderlich getätigt werden müssen und nicht übermässig um-
fangreich sind, erscheint jedoch die beantragte Haftver-
längerung bis 15. Mai 2002 als unverhältnismässig lang.
Unter Berücksichtigung aller Umstände ist die Haft bis
Freitag, 19. April 2002, zu verlängern.

             Demnach erkennt die Anklagekammer:

     1.- Das Gesuch wird gutgeheissen und die gestützt auf
Art. 44 Ziff. 2 BStP verfügte Untersuchungshaft bis Freitag,
19. April 2002, verlängert.

     2.- Es werden keine Kosten erhoben.

     3.- Dieses Urteil wird den Parteien schriftlich
(Dispositiv vorab per Fax) mitgeteilt.

                       ______________

Lausanne, 4. April 2002

                 Im Namen der Anklagekammer
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                     Der Vizepräsident:

                   Der Gerichtsschreiber: