Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Anklagekammer 8G.27/2002
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8G.27/2002/pai

                 A N K L A G E K A M M E R
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                 Sitzung vom 4. April 2002

Es wirken mit: Bundesrichter Nay, Vizepräsident der An-
klagekammer, Bundesrichter Aeschlimann, Raselli und
Gerichtsschreiber Monn.

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                         In Sachen

Schweizerische Bundesanwaltschaft, Gesuchstellerin,

                           gegen

C.________, Gesuchsgegner, vertreten durch Fürsprecher
Gerhard Lanz, Schwanengasse 8, Bern,

                         betreffend
             Verlängerung der Untersuchungshaft
                   (Art. 51 Abs. 2 BStP),

            zieht die Anklagekammer in Erwägung:

     1.- a) Seit dem 27. Januar 2000 führt die Eid-
genössische Steuerverwaltung (EStV) gegen A.________ und
einen Mitgesellschafter bei der X.________ GmbH eine Straf-
untersuchung wegen des Verdachts auf Leistungsbetrug im
Sinne von Art. 14 des Bundesgesetzes über das Verwaltungs-
strafrecht (VstrR, SR 313.0). Er wird verdächtigt, zwischen
April 1998 und Juli 1999 mittels wahrheitswidriger Steuer-
erklärungen gegenüber der Mehrwertsteuerbehörde acht un-
rechtmässige Rückzahlungen von Vorsteuern in Höhe von ins-
gesamt 4,6 Millionen Franken erwirkt zu haben.

        Im Verlaufe des Verwaltungsstrafverfahrens kam der
Verdacht auf, dass Mitarbeiter der Abteilung Mehrwertsteuer
der EStV an diesen Vorgängen beteiligt gewesen sein könnten.

        Überdies entstand der Verdacht, dass C.________,
Mitbegründer und Teilhaber der Y.________ GmbH, eine wesent-
liche Rolle zugekommen sein soll.

        Konkret wird ihm vorgeworfen, er habe den in jener
Zeit in der Hauptabteilung Mehrwertsteuer bei der EStV für
die X.________ GmbH als Revisor tätig gewesenen B.________
bestochen.

        b) Gestützt auf eine Strafanzeige der EStV er-
öffnete die Bundesanwaltschaft am 11. März 2002 ein ge-
richtspolizeiliches Ermittlungsverfahren gegen C.________
wegen des Verdachts der Bestechung von Amtsträgern des
Bundes im Sinne von Art. 288 aStGB (der seit 1. Mai 2000

durch Art. 322ter StGB ersetzt ist). Am 12. März 2002
erliess die Bundesanwaltschaft einen entsprechenden Haft-
befehl.

        Am 13. März 2002 eröffnete die Bundesanwaltschaft
dem Beschuldigten die Haft. Die eidgenössische Unter-
suchungsrichterin bestätigte die Haft am 15. März 2002. Sie
ging dabei davon aus, der Haftgrund der Kollusionsgefahr sei
erfüllt.

        c) Mit Eingabe vom 26. März 2002 stellt die Bundes-
anwaltschaft bei der Anklagekammer des Bundesgerichts ge-
stützt auf Art. 51 Abs. 2 BStP (in der seit 1. Januar 2002
geltenden Fassung) das Gesuch, es sei die Verlängerung der
Untersuchungshaft von C.________ um eine von der Anklage-
kammer festzusetzende angemessene Dauer, mindestens jedoch
bis 15. Mai 2002, zu bewilligen.

        Die Anklagekammer lud den Beschuldigten am 27. März
2002 ein, bis zum 3. April 2002 zum Gesuch der Bundesanwalt-
schaft Stellung zu nehmen.

        C.________ beantragt mit Eingabe vom 28. März 2002,
der Antrag der Bundesanwaltschaft sei abzuweisen und er
sofort freizulassen.

     2.- Das Gesuch um Verlängerung der Untersuchungshaft
gemäss Art. 51 Abs. 2 BStP muss am letzten Tag der Frist bei
einer schweizerischen Poststelle aufgegeben werden (vgl.
Bänziger/Leimgruber, Das neue Engagement des Bundes in der
Strafverfolgung, Bern 2001, N 213 zu Art. 51 BStP). Die Ge-
suchstellerin hat diese Frist gewahrt.

     3.- a) Gemäss Art. 51 Abs. 2 und 3 BStP (in der seit
1. Januar 2002 geltenden Fassung) hat die Bundesanwalt-
schaft, die einen Beschuldigten im gerichtspolizeilichen
Ermittlungsverfahren wegen Kollusionsgefahr in Unter-
suchungshaft genommen hat und beabsichtigt, die Haft länger
als 14 Tage aufrechtzuerhalten, vor Ablauf dieser Frist bei
der Anklagekammer um Haftverlängerung nachzusuchen. Die
Verlängerung kann nur bewilligt werden, wenn die in
Art. 44 Ziff. 2 BStP genannten Voraussetzungen für die
Anordnung der Haft weiterhin erfüllt sind. Erforderlich ist
daher, dass der Beschuldigte eines Verbrechens oder Ver-
gehens dringend verdächtigt ist und ausserdem bestimmte
Umstände den Verdacht begründen, dass er Spuren der Tat
vernichten oder Zeugen oder Mitbeschuldigte zu falschen
Aussagen verleiten oder sonst den Zweck der Untersuchung
gefährden werde. Die bloss theoretische Möglichkeit, dass er
in Freiheit kolludieren könnte, genügt grundsätzlich nicht,
um die Fortsetzung der Untersuchungshaft zu rechtfertigen;
es müssen vielmehr konkrete Indizien für eine solche Gefahr
sprechen.

        b) In grundsätzlicher Hinsicht betont der Gesuchs-
gegner zunächst, es könne im vorliegenden Verfahren nur um
eine Verlängerung der Untersuchungshaft wegen angeblichen
Bestechens gehen, weil das Verfahren betreffend Leistungs-
betrug nicht an die Gesuchstellerin delegiert worden sei.

        Das Vorbringen ist schon deshalb unbegründet, weil
eine Verlängerung der Untersuchungshaft auch dann gerecht-
fertigt ist, wenn nur vom Vorwurf der Bestechung ausgegangen
wird (s. unten E. 3c, d und e). Im Übrigen wird das Ver-
fahren der EStV in Anwendung von Art. 20 Abs. 3 VStrR an die
Gesuchstellerin delegiert werden (Gesuch S. 5). Das Bundes-
gericht hat in einem unveröffentlichten Entscheid aus dem

Jahre 1999 die Anordnung von Untersuchungshaft wegen
Delikten an Bord eines Flugzeugs durch die Behörden des
Kantons Zürich als verfassungskonform bezeichnet, obwohl die
Strafuntersuchung von der Bundesanwaltschaft noch nicht an
den Kanton Zürich delegiert worden war (Urteil 1P.408/1999
vom 27. Juli 1999, E. 2b).

        c) Es steht fest, dass der Gesuchsgegner durch
B.________ und D.________ belastet wird. Seine Behauptung,
diese Belastungen seien "zu Unrecht" erfolgt, ist im vor-
liegenden Verfahren nicht zu prüfen. Jedenfalls ergibt sich
aus seiner Eingabe nicht, dass der dringende Tatverdacht
nicht gegeben wäre. In diesem Punkt kann auf die Darstellung
der Gesuchstellerin und insbesondere auf die Geständnisse
von B.________ und D.________ verwiesen werden.

        Der Gesuchsgegner macht in diesem Zusammenhang
geltend, B.________ und D.________ hätten ausgesagt, sie
selber hätten die Idee gehabt und Gleichgesinnte gesucht;
folglich komme ein Bestechen im Sinne von Art. 288 aStGB
durch ihn von vornherein nicht in Betracht.

        Dieser Einwand ist unbegründet. Der Tatbestand der
Bestechung ist auch dann erfüllt, wenn der Bestochene den
Bestechenden angestiftet und die Beteiligten das Vorgehen in
der Folge gemeinsam ausgeheckt haben (BGE 77 IV 39 E. 2
S. 48/49). Es kann folglich nicht die Rede sein, dass der
Vorwurf der Bestechung gegenüber dem Gesuchsgegner von vorn-
herein unbegründet wäre.

        d) Der Gesuchsgegner macht in Bezug auf die Kol-
lusionsgefahr geltend, die Beteiligten hätten seit langem
von den Ermittlungen gewusst und bis zu ihrer Verhaftung
über zwei Jahre Zeit gehabt, sich abzusprechen, Spuren zu

verwischen oder Deliktsgut ins Ausland zu schaffen. Dass es
noch nicht identifizierte Mittäter geben soll, könne ge-
stützt auf die Aussagen von B.________ und D.________ aus-
geschlossen werden.

        Die Gesuchstellerin führt dazu aus, insbesondere im
Hinblick auf den noch nicht vollständig geklärten Verbleib
der hohen Deliktssumme seien Konti gesperrt und Bankunter-
lagen ediert worden, deren Analyse angesichts der Tatsache,
dass die Beschuldigten über zahlreiche Kontoverbindungen
verfügen, längere Zeit in Anspruch nehme. Der Gesuchsgegner
bestreite den Bestechungsvorwurf vollumfänglich, obwohl er
durch B.________ und D.________ schwer belastet werde. Für
den Fall, dass der Gesuchsgegner aus der Haft entlassen
werde, bestehe die ernsthafte Gefahr, dass er sich mit
bereits bekannten oder mit allfälligen, bisher noch nicht
identifizierten Beteiligten absprechen und dass er weitere
Beweismittel vernichten könnte.

        Unter diesen Umständen kann die Kollusionsgefahr
ernsthaft nicht bestritten werden. Die Gesuchstellerin wird
die ihr bereits vorliegenden und die noch angeforderten um-
fangreichen Unterlagen auswerten und anschliessend Einzel-
und Konfrontationseinvernahmen durchführen müssen. Solange
diese Ermittlungen nicht getätigt worden sind, besteht die
konkrete Gefahr, dass der nicht geständige Gesuchsgegner in
Freiheit kolludieren und den Zweck der Untersuchung ver-
eiteln könnte.

        Was er dagegen vorbringt, ist zur Hauptsache un-
begründet. Es ist allerdings einzuräumen, dass der Hinweis
der Gesuchstellerin auf allfällige weitere, noch unbekannte

Beteiligte eine Verlängerung der Untersuchungshaft nicht zu
begründen vermag, weil ihren Ausführungen keine konkreten
Anhaltspunkte für eine solche Möglichkeit zu entnehmen sind.

        e) Der Gesuchsgegner ist schliesslich der Auf-
fassung, die Untersuchungshaft sei angesichts der bisherigen
Ermittlungen und Erkenntnisse unverhältnismässig.

        Da die noch durchzuführenden Ermittlungen be-
förderlich getätigt werden müssen und nicht übermässig
umfangreich sind, erscheint die beantragte Haftverlängerung
bis 15. Mai 2002 tatsächlich als unverhältnismässig lang.
Unter Berücksichtigung aller Umstände ist die Haft bis
Freitag, 19. April 2002, zu verlängern.

             Demnach erkennt die Anklagekammer:

     1.- Das Gesuch wird gutgeheissen und die gestützt auf
Art. 44 Ziff. 2 BStP verfügte Untersuchungshaft bis Freitag,
19. April 2002, verlängert.

     2.- Es werden keine Kosten erhoben.

     3.- Dieses Urteil wird den Parteien schriftlich
(Dispositiv vorab per Fax) mitgeteilt.

                       ______________

Lausanne, 4. April 2002

                 Im Namen der Anklagekammer
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
       Der Vizepräsident:     Der Gerichtsschreiber: