Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Anklagekammer 8G.25/2002
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8G.25/2002/pai

                 A N K L A G E K A M M E R
                 *************************

                 Sitzung vom 4. April 2002

Es wirken mit: Bundesrichter Nay, Vizepräsident der An-
klagekammer, Bundesrichter Aeschlimann, Raselli und
Gerichtsschreiber Monn.

                         __________

                         In Sachen

Schweizerische Bundesanwaltschaft, Gesuchstellerin,

                           gegen

A.________, Gesuchsgegner, vertreten durch Fürsprecher Peter
Kaufmann, Amthausgasse 1, Bern,

                         betreffend
             Verlängerung der Untersuchungshaft
                   (Art. 51 Abs. 2 BStP),

            zieht die Anklagekammer in Erwägung:

     1.- a) Seit dem 27. Januar 2000 führt die Eid-
genössische Steuerverwaltung (EStV) gegen A.________ und
einen Mitgesellschafter bei der X.________ GmbH eine Straf-
untersuchung wegen des Verdachts auf Leistungsbetrug im
Sinne von Art. 14 des Bundesgesetzes über das Verwaltungs-
strafrecht (VstrR, SR 313.0). Er wird verdächtigt, zwischen
April 1998 und Juli 1999 mittels wahrheitswidriger Steuer-
erklärungen gegenüber der Mehrwertsteuerbehörde acht un-
rechtmässige Rückzahlungen von Vorsteuern in Höhe von ins-
gesamt 4,6 Millionen Franken erwirkt zu haben.

        Im Verlaufe des Verwaltungsstrafverfahrens kam
zudem der Verdacht auf, dass Mitarbeiter der Abteilung Mehr-
wertsteuer der EStV an diesen Vorgängen beteiligt gewesen
sein könnten.

        Konkret wird A.________ vorgeworfen, er habe den in
jener Zeit in der Hauptabteilung Mehrwertsteuer bei der EStV
für die X.________ GmbH als Revisor tätig gewesenen
B.________ bestochen.

        b) Gestützt auf eine Strafanzeige der EStV er-
öffnete die Bundesanwaltschaft am 11. März 2002 ein ge-
richtspolizeiliches Ermittlungsverfahren gegen A.________
wegen des Verdachts der Bestechung von Amtsträgern des
Bundes im Sinne von Art. 288 aStGB (der seit 1. Mai 2000
durch Art. 322ter StGB ersetzt ist). Am 12. März 2002 er-
liess die Bundesanwaltschaft einen entsprechenden Haft-
befehl.

        Am 13. März 2002 eröffnete die Bundesanwaltschaft
dem Beschuldigten die Haft. Die eidgenössische Unter-
suchungsrichterin bestätigte die Haft am 15. März 2002. Sie
ging dabei davon aus, der Haftgrund der Kollusionsgefahr sei
erfüllt.

        c) Mit Eingabe vom 26. März 2002 stellt die Bundes-
anwaltschaft bei der Anklagekammer des Bundesgerichts ge-
stützt auf Art. 51 Abs. 2 BStP (in der seit 1. Januar 2002
geltenden Fassung) das Gesuch, es sei die Verlängerung der
Untersuchungshaft von A.________ um eine von der Anklage-
kammer festzusetzende angemessene Dauer, mindestens jedoch
bis 15. Mai 2002, zu bewilligen.

        Die Anklagekammer lud den Beschuldigten am 27. März
2002 ein, bis zum 3. April 2002 zum Gesuch der Bundesanwalt-
schaft Stellung zu nehmen.

        A.________ beantragt mit Eingabe vom 2. April 2002,
er sei unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen.

     2.- Das Gesuch um Verlängerung der Untersuchungshaft
gemäss Art. 51 Abs. 2 BStP muss am letzten Tag der Frist bei
einer schweizerischen Poststelle aufgegeben werden (vgl.
Bänziger/Leimgruber, Das neue Engagement des Bundes in der
Strafverfolgung, Bern 2001, N 213 zu Art. 51 BStP). Die Ge-
suchstellerin hat diese Frist gewahrt.

     3.- Die Gesuchstellerin macht nebenbei geltend, beim
Gesuchsgegner sei nicht nur der Haftgrund der Kollusions-
gefahr, sondern auch derjenige der Fluchtgefahr erfüllt.
Damit ist sie nicht zu hören, weil die Anklagekammer im
vorliegenden Verfahren nur für eine Haftverlängerung wegen
Kollusionsgefahr zuständig ist (Art. 51 Abs. 2 BStP mit
ausdrücklichem Hinweis auf Art. 44 Ziff. 2 BStP). Sofern die
Gesuchstellerin einen Beschuldigten wegen des in
Art. 44 Ziff. 1 BStP behandelten dringenden Fluchtverdachts
in Haft nehmen (oder allenfalls in Haft behalten) will, hat
sie gemäss der Vorschrift von Art. 47 BStP vorzugehen.

     4.- a) Gemäss Art. 51 Abs. 2 und 3 BStP (in der seit
1. Januar 2002 geltenden Fassung) hat die Bundesanwalt-
schaft, die einen Beschuldigten im gerichtspolizeilichen
Ermittlungsverfahren wegen Kollusionsgefahr in Unter-
suchungshaft genommen hat und beabsichtigt, die Haft länger
als 14 Tage aufrechtzuerhalten, vor Ablauf dieser Frist bei
der Anklagekammer um Haftverlängerung nachzusuchen. Die Ver-
längerung kann nur bewilligt werden, wenn die in
Art. 44 Ziff. 2 BStP genannten Voraussetzungen für die
Anordnung der Haft weiterhin erfüllt sind. Erforderlich ist
daher, dass der Beschuldigte eines Verbrechens oder Ver-
gehens dringend verdächtigt ist und ausserdem bestimmte Um-
stände den Verdacht begründen, dass er Spuren der Tat ver-
nichten oder Zeugen oder Mitbeschuldigte zu falschen Aus-
sagen verleiten oder sonst den Zweck der Untersuchung ge-
fährden werde. Die bloss theoretische Möglichkeit, dass er
in Freiheit kolludieren könnte, genügt grundsätzlich nicht,
um die Fortsetzung der Untersuchungshaft zu rechtfertigen;
es müssen vielmehr konkrete Indizien für eine solche Gefahr
sprechen.

        b) Der Gesuchsgegner stimmt der Schilderung des
Sachverhalts durch die Gesuchstellerin "grösstenteils" zu.
In Bezug auf den dringenden Tatverdacht kann deshalb darauf
und insbesondere auf die Geständnisse von B.________ und
D.________ verwiesen werden.

        In diesem Zusammenhang macht der Gesuchsgegner nur
geltend, da sich B.________ und D.________ nicht hätten
bestechen lassen, sondern bloss "als Mittäter zum Steuer-
betrug erscheinen", sei der gegen ihn erhobene Bestechungs-
vorwurf obsolet.

        Dieser Einwand ist unbegründet. Der Tatbestand der
Bestechung ist auch dann erfüllt, wenn der Bestochene den
Bestechenden angestiftet und die Beteiligten das Vorgehen in
der Folge gemeinsam ausgeheckt haben (BGE 77 IV 39 E. 2
S. 48/49). Es kann folglich nicht die Rede sein, dass der
Vorwurf der Bestechung gegenüber dem Gesuchsgegner von vorn-
herein unbegründet wäre.

        Bei dieser Rechtslage geht das Vorbringen des Ge-
suchsgegners, der Leistungsbetrug dürfe nicht ersatzweise
als Grund für eine Haftverlängerung herangezogen werden, an
der Sache vorbei. Im Übrigen wird das Verfahren der EStV in
Anwendung von Art. 20 Abs. 3 VStrR an die Gesuchstellerin
delegiert werden (Gesuch S. 5). Das Bundesgericht hat in
einem unveröffentlichten Entscheid aus dem Jahre 1999 die
Anordnung von Untersuchungshaft wegen Delikten an Bord eines
Flugzeugs durch die Behörden des Kantons Zürich als ver-
fassungskonform bezeichnet, obwohl die Strafuntersuchung von
der Bundesanwaltschaft noch nicht an den Kanton Zürich
delegiert worden war (Urteil 1P.408/1999 vom 27. Juli 1999,
E. 2b).

        c) Der Gesuchsgegner macht in Bezug auf die Kol-
lusionsgefahr geltend, er wisse seit Mai 2000, dass gegen
ihn ein Verfahren im Zusammenhang mit dem Steuerbetrug
laufe, und hätte deshalb längstens Zeit gehabt, Beweismittel
zu vernichten und mit Drittpersonen Absprachen zu treffen.
Im Übrigen seien auch die wesentlichen Beweismassnahmen
bereits durchgeführt worden. Und schliesslich reiche der
Umstand, dass die Beute noch nicht restlos habe aufgefunden
werden können, nicht aus, um Kollusionsgefahr zu begründen.

        Die Gesuchstellerin führt dazu aus, insbesondere im
Hinblick auf den noch nicht vollständig geklärten Verbleib
der hohen Deliktssumme seien Konti gesperrt und Bankunter-
lagen ediert worden, deren Analyse angesichts der Tatsache,
dass die Beschuldigten über zahlreiche Kontoverbindungen
verfügen, längere Zeit in Anspruch nehme. Der Gesuchsgegner
bestreite den Bestechungsvorwurf vollumfänglich und mache
seinen Mitgesellschafter bei der X.________ GmbH sowie eine
Drittperson, deren Namen er (angeblich) nicht mehr wisse,
für die Vorgänge verantwortlich. Er räume jedoch ein, die
Bankunterlagen mit den Hinweisen auf die Einzahlungen der
EStV erhalten, im Tatzeitraum wiederholt grössere Geld-
beträge abgehoben und selber über 250'000 Franken erhalten
zu haben, damit er "die Augen geschlossen halte, d.h. nicht
zuviel frage". Demgegenüber mache sein Mitgesellschafter
"vollkommen entgegengesetzte Aussagen", die durch B.________
und D.________ gestützt würden. Für den Fall, dass der
Gesuchsgegner aus der Haft entlassen werde, bestehe die
ernsthafte Gefahr, dass er sich mit bereits bekannten oder
mit allfälligen, bisher noch nicht identifizierten Be-
teiligten absprechen und dass er weitere Beweismittel ver-
nichten könnte.

        Unter diesen Umständen kann die Kollusionsgefahr
ernsthaft nicht bestritten werden. Die Gesuchstellerin wird
die ihr bereits vorliegenden und die noch angeforderten um-
fangreichen Unterlagen auswerten und anschliessend Einzel-
und Konfrontationseinvernahmen durchführen müssen. Solange
diese Ermittlungen nicht getätigt worden sind, besteht die
konkrete Gefahr, dass der nicht geständige Gesuchsgegner in
Freiheit kolludieren und den Zweck der Untersuchung ver-
eiteln könnte. Was er dagegen vorbringt, ist nicht stich-
haltig.

        d) Da die noch durchzuführenden Ermittlungen be-
förderlich getätigt werden müssen und nicht übermässig um-
fangreich sind, erscheint jedoch die beantragte Haftver-
längerung bis 15. Mai 2002 als unverhältnismässig lang. Sie
lässt sich insbesondere nicht mit dem Hinweis darauf recht-
fertigen, dass es allenfalls weitere, noch unbekannte Be-
teiligte geben könnte; konkrete Anhaltspunkte für eine
solche Möglichkeit sind den Ausführungen der Gesuchstellerin
nicht zu entnehmen. Unter dem Gesichtswinkel der Verhältnis-
mässigkeit erscheint eine Haftverlängerung bis Freitag,
19. April 2002, als angemessen.

             Demnach erkennt die Anklagekammer:

     1.- Das Gesuch wird gutgeheissen und die gestützt auf
Art. 44 Ziff. 2 BStP verfügte Untersuchungshaft bis Freitag,
19. April 2002, verlängert.

     2.- Es werden keine Kosten erhoben.

     3.- Dieses Urteil wird den Parteien schriftlich
(Dispositiv vorab per Fax) mitgeteilt.

                       ______________

Lausanne, 4. April 2002

                 Im Namen der Anklagekammer
             des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
                     Der Vizepräsident:

                   Der Gerichtsschreiber: