Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Schuldbetreibungs- und Konkurskammer 7B.131/2002
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7B.131/2002 /RrF

Urteil vom 4. Oktober 2002
Schuldbetreibungs- und Konkurskammer

Bundesrichterin Nordmann, Präsidentin,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer,
Gerichtsschreiber Schneeberger.

Kanton Waadt, Département de la santé et de l'aide sociale, 1000 Lausanne,
Beschwerdeführer, vertreten durch Me. Kathrin Gruber, avenue de la Gare 27,
case postale 1440, 1001 Lausanne,

gegen

Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern,
Hochschulstr. 17, Postfach 7475, 3001 Bern,

Arrestanzeige; Pfändung von Vorsorgeansprüchen,

Beschwerde gegen den Entscheid der Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und
Konkurssachen für den Kanton Bern vom

27. Juni 2002.

Sachverhalt:

A.
Auf Begehren des Gläubigers (Kanton Waadt, Département de la santé et de
l'aide sociale, Bureau de recouvrement et d'avances sur pensions
alimentaires) erliess der Gerichtspräsident 4 des Gerichtskreises VIII
Bern-Laupen am 5. Oktober 2001 zu Lasten des Schuldners A.________, einen
Arrestbefehl, in dem als Arrestgegenstand der "Freizügigkeitsanspruch des
Schuldners, welcher von der Versicherung 'B.________' bei der Stiftung
Auffangeinrichtung BVG, mit Sitz in Z.________, hinterlegt wurde". Darauf
stellte das Betreibungsamt Y.________ am 5. Oktober 2001 die Arresturkunde
Nr. ... aus und zeigte den Arrest mit Schreiben vom gleichen Tag der
Auffangeinrichtung BVG an. In der Folge entbrannte ein Streit über die
Fragen, ob der Freizügigkeitsanspruch fällig geworden war und ob er
gepfändet, bzw. verarrestiert werden kann. In Vollziehung des Arrestbefehls
belegte das Betreibungsamt am 5. Dezember 2001/26. Februar 2002 vom Anspruch
des Schuldners gegenüber der Auffangeinrichtung BVG einmalig Fr. 2'204.10 mit
Beschlag. Dieser Betrag entspricht einer jährlichen Leibrente ohne Rückgewähr
des vorhandenen Kapitals in der Höhe von Fr. 29'215.15 per 31.12.2001.

Die Beschwerde des Kantons Waadt, mit der er um Vollziehung des Arrests für
das ganze Kapital in der Höhe von Fr. 29'215.15 ersucht hatte, wies die
Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern mit
Entscheid vom 27. Juni 2002 ab.

B.
Der Kanton Waadt beantragt der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des
Bundesgerichts, den Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde dahin gehend
abzuändern, dass das ganze Guthaben des Schuldners gegenüber der
Auffangeinrichtung BVG von insgesamt Fr. 29'215.15 mit Arrest belegt werde.

Die kantonale Aufsichtsbehörde hat keine Gegenbemerkungen angebracht und
verweist auf ihre Entscheidmotive und die Akten. Vernehmlassungen sind nicht
eingeholt worden.

Die Kammer zieht in Erwägung:

1.
Inwieweit der im Arrestbefehl erwähnte Vermögensgegenstand (Art. 274 Abs. 2
Ziff. 4 SchKG), nämlich der Freizügigkeitsanspruch, bzw. das bei der
Auffangeinrichtung liegende Altersguthaben des Schuldners mit Arrest belegt,
bzw. gepfändet werden kann, ist eine Frage des Arrestvollzugs (Art. 92 Abs. 1
Ziff. 10 i.V.m. Art. 275 SchKG). Auszugehen ist dabei von der Verfügung des
Betreibungsamts Y.________ vom 5. Dezember 2001/26. Februar 2002 (Art. 17
Abs. 1 SchKG), die der Beschwerdeführer bei der kantonalen Aufsichtsbehörde
erfolglos angefochten hatte. Gegen deren Entscheid vom 27. Juni 2002 kann
somit nach Art. 19 Abs. 1 SchKG Beschwerde geführt werden (vgl. dazu
Amonn/Gasser, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 6. Aufl.
1997, § 51 Rz 49 f. und 76 f. S. 416 und 421).

2.
Strittig ist im vorliegenden Verfahren einzig, ob und inwiefern das
Vorsorgeguthaben gepfändet werden kann. Das Betreibungsamt und die
Aufsichtsbehörde sind der Meinung, pfändbar sei nur die entsprechende
Jahresrente von Fr. 2'204.10. Der Beschwerdeführer verlangt, es müsse das
gesamte Kapital in der Höhe von Fr. 29'215.15 per 31.12.2001 gepfändet
werden.

2.1 Der Beschwerdeführer begründet die Pfändbarkeit des gesamten Kapitals
zunächst damit, der Schuldner habe lediglich einen Anspruch, der aus einem
(privaten) Lebensversicherungsvertrag fliesse. Art. 92 Abs. 1 Ziff. 10 SchKG
sei somit nicht anwendbar. Dass Bestimmungen der Freizügigkeitsverordnung
eingehalten werden müssten, vermöge nichts daran zu ändern, dass vorliegend
bloss im Fall des Ablebens des Schuldners ein Kapital geschuldet sei.

Damit bleibt der Beschwerdeführer erfolglos: Die kantonale Aufsichtsbehörde
hat den Versicherungsvertrag vom 6. Juli 1990 entsprechend seiner Überschrift
("Assurance de libre-passage") als Freizügigkeitspolice qualifiziert (E. 9b
und 9c S. 5 f.). Dass in der Police eine Kapitalzahlung auch für den Fall des
Ablebens des Schuldners vor Ablauf der Versicherungsdauer versprochen worden
ist, ändert daran nichts. Denn die Police ist ausdrücklich dem Recht der
beruflichen Vorsorge unterstellt worden; insoweit ist die
Freizügigkeitsverordnung anwendbar (Art. 10 ff. FZV; SR 831.425). Ferner geht
auch aus dem Umstand, dass das umstrittene Kapital heute bei der
Auffangeinrichtung BVG liegt, klar hervor, dass dieses der beruflichen
Vorsorge unterstellt ist. Denn die Auffangeinrichtung BVG ist eine
Einrichtung der beruflichen Vorsorge; sie ist im BVG verankert (Art. 60 BVG;
SR 831.40).

2.2 Die kantonale Aufsichtsbehörde hat auf die Pfändbarkeit einer Leistung
aus einer Freizügigkeitspolice die gleichen Grundsätze angewendet, die für
Leistungen aus der 2. und 3. Säule gelten (E. 9b S. 5 f.). Entgegen der
Ansicht des Beschwerdeführers besteht kein Anlass, von dieser Meinung
abzurücken, die von den Kommentatoren geteilt wird (Pierre-Robert Gilliéron,
Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite,
t. 2: art. 89 bis 158, N. 198 zu Art. 92 SchKG; G. Vonder Mühll, Kommentar
zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. II: Art. 88 - 220
SchKG, N. 42 zu Art. 92 SchKG). Gleiches muss ohne weiteres für Guthaben
gelten, die bei Auffangeinrichtungen liegen. Denn diese treten in gewissen
Fällen an die Stelle der ordentlichen Vorsorgeeinrichtungen (Art. 54 Abs. 2
lit. a und Art. 60 BVG [SR 831.40]; Art. 4, 24a und 24b FZG [SR 831.42]; Art.
19a ff. FZV).

2.3 Das Bundesgericht hat in konstanter Rechtsprechung zu aArt. 92 Ziff. 10
und 13 SchKG, auf dem Art. 92 Abs. 1 Ziff. 10 SchKG beruht, entschieden, dass
Ansprüche sowohl der 2. als auch der 3. Säule nur dann gepfändet werden
können, wenn sie fällig geworden sind. Diesfalls können sie (beschränkt)
insoweit gepfändet werden, als sie das Existenzminimum übersteigen (Art. 93
Abs. 1 SchKG), weil sie das Erwerbseinkommen ersetzen (BGE 121 III 285 E. 1d
und 2 S. 289 f.; 120 III 71 E. 2 f. S. 72 ff.; 118 III 16 E. 1 S. 17 f.; 117
III 20 E. 2 bis 4 S. 22 ff.). Zwar verlangt das Bundesgericht im dargelegten
Zusammenhang auch, dass das versicherte Ereignis eingetreten ist, mithin das
Alter für die Auszahlung der entsprechenden Leistung erreicht ist (Art. 13
Abs. 1 BVG) oder die Voraussetzungen für eine Barauszahlung erfüllt sind
(Art. 5 Abs. 1 FZG). Indessen genügt auch nach diesen Urteilen der Eintritt
des versicherten Ereignisses allein nicht; die Leistung muss fällig sein (BGE
120 III 71 E. 4 S. 75; 120 III 75 E. 1 S. 76 ff.; 119 III 15 E. 1 S. 16 f.;
118 III 18 E. 3b und 3c S. 21).

2.4 Die kantonale Aufsichtsbehörde stellt für die Kammer verbindlich fest
(Art. 63 Abs. 2 i.V.m. Art. 81 Satz 2 OG), der Schuldner habe mit seinem
Pensionskassenguthaben bei der "Versicherung B.________" eine
Freizügigkeitspolice erworben und sei am 7. Januar 1999 65 Jahre alt
geworden; somit sei bei ihm ein versichertes Risiko eingetreten und das
Guthaben seither fällig. Dafür spiele keine Rolle, ob der Schuldner die
Schweiz vor der Pensionierung endgültig verlassen habe. Dies wäre nach
Ansicht der kantonalen Aufsichtsbehörde höchstens dann von Bedeutung, wenn er
von seinem Rückkaufsrecht gemäss Art. 14 FZV, bzw. von Ziff. VII der
allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Freizügigkeitspolice Nr. ... vom 6.
Juli 1990 Gebrauch gemacht hätte (E. 9c S. 6).

Das Guthaben ist zu Recht als fällig erachtet worden: Nach der
Freizügigkeitspolice ist als Endtermin ("age terme convenue") der 1. Februar
1999 vereinbart worden, der auf das Erreichen des 65. Altersjahres (7. Januar
1999) folgt. Das ist aber der Fälligkeitstermin bloss der abgelaufenen Police
selber. Im Sinne einer Ergänzung der Akten in einem Nebenpunkt (Art. 64 Abs.
2 i.V.m. Art. 81 Satz 2 OG) muss festgestellt werden, dass das Altersguthaben
am 31. Januar 1999 Fr. 26'562.-- betrug und samt Zins der Auffangeinrichtung
am 15. November 1999 überwiesen wurde, weil damals die Adresse des Schuldners
nicht ausfindig gemacht werden konnte (Schreiben der Versicherung B.________
an die Auffangeinrichtung vom 3. November 1999). Diese hat das seither von
ihr betreute Guthaben per 31. Dezember 2001 mit Fr. 29'215.15 beziffert
(Schreiben der Auffangeinrichtung an den Schuldner vom 11. Dezember 2001 mit
Kontoauszug). Da das Altersguthaben im vorliegenden Fall bei der
Auffangeinrichtung nur einbezahlt wurde, weil die Adresse des Schuldners
unbekannt war, liegt es nur provisorisch dort und ist seither fällig. Denn es
hätte schon vorher ausbezahlt werden müssen (Art. 13 Abs. 1 lit. a BVG und
Art. 3 Abs. 1 BVV 3 [SR 831.461.3]). Bei diesem Ergebnis ist unerheblich,
dass der Beschwerdeführer bezüglich der Fälligkeit mit dem "Rückkaufsrecht"
der Police vom 6. Juli 1990 argumentiert.

2.5 Zunächst begründet der Beschwerdeführer bezüglich der Pfändbarkeit eine
Rechtsverweigerung damit, gemäss BGE 117 III 20 E. 2 f. S. 22 ff. sei eine
ausbezahlte Freizügigkeitsleistung weder unpfändbar noch beschränkt pfändbar;
die entsprechende Rüge sei nicht behandelt worden. Damit bleibt er erfolglos:
Erstens ist mit BGE 117 III 20 E. 2 f. S. 22 ff. (anders als hier) ein
Barauszahlungsfall beurteilt worden (Aufnahme einer selbständigen
Erwerbstätigkeit: vgl. Art. 5 Abs. 1 lit. b FZG). Zweitens ist auf die
Rechtsverweigerungsrüge (Art. 19 Abs. 2 SchKG) nicht einzutreten, weil die
Frage der Pfändbarkeit einer Vorsorgeleistung die Anwendung des SchKG selber
beschlägt und als Aspekt des Anspruchs auf rechtliches Gehör mit
staatsrechtlicher Beschwerde hätte vorgebracht werden müssen, es sei eine
Rüge nicht geprüft worden (Amonn/Gasser, a.a.O., § 6 Rz. 9, 12, 19 bis 22 und
98 bis 100 S. 37, 39 und 53 f.).
2.6 Schliesslich macht der Beschwerdeführer erfolglos geltend, das ganze
Guthaben, bzw. zumindest der Rückkaufswert der Freizügigkeitspolice vom 6.
Juli 1990 könne trotz Art. 93 SchKG unbeschränkt gepfändet werden.

Rechtlich unerheblich ist, was der Beschwerdeführer zur Pfändbarkeit der
Freizügigkeitspolice selber ausführt, ist diese doch abgelaufen und liegt das
Altersguthaben längst bei der Auffangeinrichtung. Im Weiteren übersieht der
Beschwerdeführer, dass nach konstanter Rechtsprechung des Bundesgerichts
bezüglich des Umfangs der Pfändung nicht danach unterschieden werden darf,
ob ein Kapital oder eine Rente fällig geworden ist (BGE 115 III 45 E. 1 S. 47
ff.). Weil der Schuldner nicht gezwungen werden kann, mit dem ausbezahlten
Altersguthaben eine Rente zu kaufen (BGE 115 III 45 E. 1b S. 48; 113 III 10
E. 5 S. 15) muss berechnet werden, welche Rente das ausgeschüttete (bzw. hier
zur Verfügung des Schuldners stehende) Kapital abwerfen würde (BGE 115 III 45
E. 2c S. 50; 113 III 10 E. 5 S. 15 f.). Dieses Vorgehen leuchtet ohne
weiteres ein, dient doch das kontinuierliche Abtragen eines Kapitals nicht
anders dem Lebensunterhalt als eine Rente. Das Kapital ist im Rahmen von Art.
93 Abs. 1 und 2 SchKG nur in der Höhe einer Jahresrente pfändbar. Diese ist
mit Rücksicht auf ihre Dauer und die Lebenserwartung des Rentengläubigers zu
errechnen (BGE 113 III 10 E. 5 S. 15 f.; Pierre-Robert Gilliéron, a.a.O. N.
54, 73, 78 und 81 f. zu Art. 93 SchKG; G. Vonder Mühll, a.a.O. N. 39 zu Art.
92 SchKG und N. 12 zu Art. 93 SchKG).

3.
Gemäss Art. 20a Abs. 1 SchKG ist das Beschwerdeverfahren grundsätzlich
kostenlos. Eine Parteientschädigung wird nicht zugesprochen (Art. 62 Abs. 2
GebVSchKG).

Demnach erkennt die Kammer:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Beschwerdegegner (wohnhaft
DO-Dominikanische Republik), dem Betreibungsamt Y.________, und der
Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 4. Oktober 2002

Im Namen der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber: