Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Schuldbetreibungs- und Konkurskammer 7B.121/2002
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7B.121/2002 /min

Urteil vom 25. September 2002
Schuldbetreibungs- und Konkurskammer

Bundesrichterin Nordmann, Präsidentin,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer,
Gerichtsschreiber Levante.

Vesicherung X.________,
Beschwerdeführerin,

gegen

Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern,
Hochschulstrasse 17, Postfach 7475, 3001 Bern.

Pfändungsankündigung/Fortsetzung der Betreibung,

Beschwerde gegen den Entscheid der Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und
Konkurssachen für den Kanton Bern vom 17. Juni 2002.

Sachverhalt:

A.
Die Versicherung X.________ stellte mit ihrer (vom Zentralen
Betreibungsdienst in Z.________ erlassenen) Verfügung vom 3. Januar 2002
fest, dass V.________ die Forderungen aus der gesetzlichen Grundversicherung
gemäss Rechnungen vom 6. Juli 2000 bis 22. Februar 2001 (ingesamt Fr.
1'067.-- nebst Mahnkosten von Fr. 20.-- und Betreibungskosten von Fr. 86.--)
nicht beglichen habe (Dispositiv-Ziff. 1) und in der gegen ihn laufenden
Betreibung (Nr. ...; Betreibungs- und Konkursamt Berner Jura-Seeland,
Dienststelle Nidau) definitive Rechtsöffnung erteilt werde (Dispositiv-Ziff.
2). Gestützt auf diese rechtskräftige Verfügung verlangte in der Folge die
Versicherung X.________ die Fortsetzung der Betreibung.

Das Betreibungsamt setzte V.________ mit Schreiben vom 27. Februar 2002
gestützt auf Art. 79 Abs. 2 SchKG eine Frist von zehn Tagen, um Einwendungen
im Sinne von Art. 81 Abs. 2 SchKG zu erheben. V.________ erhob fristgerecht
entsprechende Einrede, und er beschwerte sich, nachdem das Betreibungsamt dem
Fortsetzungsbegehren dennoch Folge leistete und die Pfändung ankündigte. Die
Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern hiess
seine Beschwerde gut und wies das Betreibungsamt an, der Gläubigerin in
Anwendung von Art. 79 Abs. 2 SchKG von den Einwendungen des Beschwerdeführers
Mitteilung zu machen.

B.
Die Versicherung X.________ hat das Urteil der Aufsichtsbehörde mit
Beschwerdeschrift vom 24. Juni 2002 (rechtzeitig) an die Schuldbetreibungs-
und Konkurskammer des Bundesgerichts weitergezogen und stellt das folgende
Rechtsbegehren:
"Der Entscheid Nr. 230/2 der Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und
Konkurssachen für den Kanton Bern sei aufzuheben und es sei zu erkennen, dass
gegen eine rechtskräftige Verfügung eines Krankenversicherers auf definitive
Rechtsöffnung die Einrede gemäss Art. 81 Abs. 2 SchKG nicht möglich ist."

C.
Die Aufsichtsbehörde hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. Weitere
Vernehmlassungen sind nicht eingeholt worden.

Die Kammer zieht in Erwägung:

1.
In der Beschwerdeschrift ist anzugeben, welche Abänderung des angefochtenen
Entscheides beantragt wird, und kurz darzulegen, welche Bundesrechtssätze und
inwiefern sie durch den angefochtenen Entscheid verletzt worden sind (Art. 79
Abs. 1 OG). Die Beschwerde ist - wie aus der Begründung hervorgeht (BGE 119
III 50 E. 1) - mit dem Antrag entgegenzunehmen, es sei der angefochtene
Entscheid aufzuheben und es sei - in der Sache - das Betreibungsamt
anzuweisen, dem Fortsetzungsbegehren der Beschwerdeführerin Folge zu leisten.
Der von der Beschwerdeführerin gestellte Antrag auf Aktenedition ist unnötig,
da sämtliche Akten von Amtes wegen einzusenden sind (Art. 80 OG).

2.
Die Aufsichtsbehörde hat festgehalten, dass der Schuldner gestützt auf die
Mitteilung des Betreibungsamtes fristgerecht Einwendungen im Sinne von Art.
81 Abs. 2 SchKG gegen die den Rechtsvorschlag beseitigende ausserkantonale
Verfügung der Beschwerdeführerin erhoben habe. Daher habe das Betreibungsamt
- im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichts - die Betreibung
nicht fortzusetzen und der Beschwerdeführerin mitzuteilen, sie könne die
Fortsetzung erst verlangen, wenn sie beim Rechtsöffnungsrichter des
Betreibungsortes ein diese Einreden zurückweisendes Rechtsöffnungsurteil
erwirkt habe.

3.
Die Beschwerdeführerin macht zunächst geltend, die Aufsichtsbehörde habe die
Rechtsfrage in ihrem Entscheid (117/02) vom 13. Mai 2002 anders entschieden,
und rügt, die im angefochtenen Entscheid vorgenommene Rückkehr zur
ursprünglichen Praxis werde nicht begründet. Die Beschwerdeführerin
kritisiert die mangelnde Begründung der Praxisänderung; sie behauptet
indessen selber nicht, dass es ihr nicht möglich sei, den Entscheid vom 17.
Juni 2002 sachgerecht anzufechten, weil die für den Entscheid wesentlichen
Gesichtspunkte fehlen würden. Da die Beschwerdeführerin insoweit nicht
darlegt, inwiefern die Aufsichtsbehörde ihre Begründungspflicht verletzt habe
(vgl. Art. 20a Abs. 2 Ziff. 4 SchKG), kann auf ihre Vorbringen nicht
eingetreten werden (Art. 79 Abs. 1 OG).

4.
4.1 Beruht die Forderung des Gläubigers auf einem Rechtsöffnungstitel, so kann
er das Rechtsöffnungsverfahren beim zuständigen Rechtsöffnungsrichter
einleiten und die Beseitigung des Rechtsvorschlages verlangen (Art. 80 ff.
SchKG); verfügt er über keinen Rechtsöffnungstitel, so bleibt ihm das
Rechtsöffnungsverfahren versagt und er ist nach Art. 79 Abs. 1 SchKG
gehalten, seinen Anspruch im ordentlichen Prozess oder im
Verwaltungsverfahren geltend zu machen. Nach diesen Grundsätzen hat eine
Krankenkasse in betreibungsrechtlicher Hinsicht zwei Möglichkeiten. Erstens:
Die Krankenkasse erlässt gegenüber dem Versicherten, der mit einer
Kassenforderung nicht einverstanden ist, eine Verfügung gemäss Art. 80 KVG;
erhebt der Versicherte Rechtsvorschlag gegen den Zahlungsbefehl, der sich auf
diese Verfügung oder den Einspracheentscheid gemäss Art. 85 KVG stützt, so
kann die Kasse (in Anbetracht der Gleichstellung dieser Verfügung und des
Einspracheentscheides mit Urteilen gemäss Art. 80 Abs. 2 SchKG) definitive
Rechtsöffnung verlangen (Art. 88 Abs. 2 KVG), und zwar beim
Rechtsöffnungsrichter gemäss kantonalem Recht (Art. 23 SchKG). Zweitens: Die
Kasse betreibt den Versicherten gestützt auf eine bestrittene Rechnung;
schlägt der Schuldner gegen den Zahlungsbefehl Recht vor, kann die Kasse
einen Anerkennungsprozess gemäss Art. 79 SchKG durchführen, d.h. sie
entscheidet im Verfahren gemäss Art. 80 KVG über den materiellen Anspruch und
kann gleichzeitig ausdrücklich den Rechtsvorschlag beseitigen (BGE 119 V 329
E. 2b S. 331; 128 III 39 E. 2 S. 41; vgl. Roth, Die Krankenkasse als
Rechtsöffnungsrichterin in eigener Sache, in: Festschrift Schuldbetreibung
und Konkurs im Wandel, S. 234, sowie grundsätzlich Amonn/Gasser, Grundriss
des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 6. Aufl. 1997, § 19 Rz. 6 u. 9).

4.2 Soweit die Beschwerdeführerin der Aufsichtsbehörde im Wesentlichen
vorwirft, sie habe die rechtliche Grundlage verkannt, auf welcher sie die
Fortsetzung der Betreibung verlangt habe, geht sie mit ihren Vorbringen fehl.
Aus dem angefochtenen Entscheid und der (in den Akten liegenden) Verfügung
der Beschwerdeführerin vom 3. Januar 2002 geht hervor, dass der Schuldner die
Rechnungen vom 6. Juli 2000 bis 22. Februar 2001 nicht beglichen habe, er
deshalb betrieben worden sei und in der gegen ihn laufenden Betreibung die
Rechtsöffnung erteilt werde. Mit dieser Verfügung hat die Beschwerdeführerin
offensichtlich im Verfahren gemäss Art. 80 KVG über die Pflicht des
Schuldners zur Bezahlung von Fr. 1'067.-- nebst Kosten entschieden und
gleichzeitig die Rechtsöffnung in der eingeleiteten Betreibung verfügt,
m.a.W. die Beschwerdeführerin hat - was sie selbst zu verkennen scheint - den
Rechtsvorschlag in einem Anerkennungsentscheid gemäss Art. 79 SchKG
beseitigt. Wenn die Aufsichtsbehörde vom Vorliegen eines
Anerkennungsentscheides gemäss Art. 79 SchKG ausgegangen ist und geprüft hat,
ob das Betreibungsamt zu Recht das Verfahren nach Art. 79 Abs. 2 SchKG
eingeschlagen hat, ist dies nicht zu beanstanden. Im Übrigen kann die
Beschwerdeführerin aus dem Urteil K 40/99 des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts vom 25. Juni 1999 nichts für sich ableiten. Im
zitierten Entscheid wird vielmehr eingehend erklärt, welche beiden Rechtswege
einem Gläubiger zur Beseitigung des Rechtsvorschlages offen stehen (E. 2b im
Urteil K 40/99), und bestätigt, dass Krankenkassen einen den Rechtsvorschlag
beseitigenden Anerkennungsentscheid im Sinne von Art. 79 SchKG fällen dürfen
(E. 2c u. d im Urteil K 40/99).

4.3 Die Beschwerdeführerin macht weiter im Wesentlichen geltend, für die
Einreden gemäss Art. 81 Abs. 2 SchKG bestehe vorliegend kein Raum; die
Aufsichtsbehörde habe insoweit das Betreibungsamt zu Unrecht angewiesen, ihr
(der Beschwerdeführerin) mitzuteilen, sie könne die Fortsetzung erst
verlangen, wenn sie beim Rechtsöffnungsrichter des Betreibungsortes ein die
entsprechenden Einreden zurückweisendes Rechtsöffnungsurteil erwirkt habe.
Soweit die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang vorbringt, das
Kreisschreiben des Bundesgerichts Nr. 26 vom 20. Oktober 1910 gelte nicht
mehr und es sei nicht gerechtfertigt, ausserhalb des Kantons ergangene
Entscheide von Krankenkassen als Entscheide gemäss Art. 79 Abs. 2 SchKG zu
behandeln, so ist ihre Kritik unbehelflich. Die im erwähnten Kreisschreiben
enthaltenen Grundsätze sind mit der SchKG-Revision in das Gesetz (Art. 79
Abs. 2 SchKG) aufgenommen worden, so dass gegen ausserkantonale
Anerkennungsentscheide von Krankenkassen die Einreden von Art. 81 Abs. 2
SchKG erhalten bleiben (BGE 128 III 246 E. 2 S. 247). Vorliegend hat die
Beschwerdeführerin beim Betreibungsamt Berner Jura-Seeland die Fortsetzung
der Betreibung aufgrund der zur Zahlungspflicht ergangenen und den
Rechtsvorschlag beseitigenden Verfügung vom 3. Januar 2002 verlangt, die
ausserhalb des Kantons Bern ergangen ist. Daher ist nicht zu beanstanden,
wenn die Aufsichtsbehörde gefolgert hat, das Betreibungsamt habe zu Recht
gemäss Art. 79 Abs. 2 SchKG nach Eingang des Fortsetzungsbegehrens dem
Schuldner Frist zur Erhebung der Einreden nach Art. 81 Abs. 2 SchKG
angesetzt.

4.4 Schliesslich rügt die Beschwerdeführerin, das Betreibungsamt hätte die
Einrede des Schuldners, er sei nicht richtig vorgeladen worden, zurückweisen
müssen, weil im Verfahren nach Art. 80 KVG nicht physisch vorgeladen werden
könne und sie im Übrigen das rechtliche Gehör des Schuldners nicht verletzt
habe. Damit geht die Beschwerdeführerin von vornherein fehl: Das
Betreibungsamt hat im Rahmen von Art. 79 Abs. 2 SchKG nur zu prüfen, ob der
Schuldner eine formell zulässige Einrede gemäss Art. 81 Abs. 2 SchKG erhoben
hat. Dies hat der Schuldner nach Auffassung der Aufsichtsbehörde getan; etwas
anderes behauptet die Beschwerdeführerin selber nicht. Soweit sie vorbringt,
die Einrede sei materiell nicht begründet, kann darauf im Beschwerdeverfahren
nicht eingetreten werden; für diese Frage ist der Rechtsöffnungsrichter am
Betreibungsort zuständig (BGE 128 III 246 E. 3b u. c S. 249).

4.5 Somit ergibt sich, dass die Aufsichtsbehörde zu Recht zum Ergebnis
gelangt ist, das Betreibungsamt habe die Betreibung nicht fortzusetzen und
der Beschwerdeführerin mitzuteilen, sie könne die Fortsetzung erst verlangen,
wenn sie beim Rechtsöffnungsrichter des Betreibungsortes ein die vom
Schuldner erhobenen Einreden gemäss Art. 81 Abs. 2 SchKG zurückweisendes
Rechtsöffnungsurteil erwirkt habe.

5.
Das Beschwerdeverfahren ist grundsätzlich kostenlos (Art. 20a Abs. 1 SchKG).

Demnach erkennt die Kammer:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Beschwerdegegner (V.________),
dem Betreibungs- und Konkursamt Berner Jura-Seeland, Dienststelle Nidau, und
der Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 25. September 2002

Im Namen der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber: