Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.503/2002
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6S.503/2002 /kra

Urteil vom 18. März 2003
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Karlen,
Gerichtsschreiber Borner.

D. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Dr. Ernst Kistler,
Steinackerstrasse 7, Postfach 160, 5201 Brugg AG,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Postfach, 8023 Zürich.

Widerruf des bedingten Strafvollzugs,

Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich,
I. Strafkammer, vom 3. Oktober 2002.

Sachverhalt:

A.
D. ________ erschien am 15. November 1999 mit dem Lernfahrausweis des
Ehemannes seiner Nichte im Führerprüfungslokal in Wettingen, um für diesen
die theoretische Führerprüfung abzulegen. Im Ausweis war eine Passfoto von
D.________ eingeklebt.

Das Bezirksamt Baden verurteilte D.________ am 13. April 2000 wegen Fälschung
von Ausweisen und versuchten Erschleichens eines Ausweises zu einer bedingten
Gefängnisstrafe von 10 Tagen (Probezeit 3 Jahre) und einer Busse von Fr.
600.--.

B.
D.________ überschritt am 3. Oktober 2001 auf der Autobahn A53 mit einem
Personenwagen die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 60 km/h.

Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichts Uster büsste D.________
am 22. Mai 2002 wegen schwerer Verkehrsregelverletzung mit Fr. 1'500.-- und
verlängerte die Probezeit der 10-tägigen Gefängnisstrafe vom 13. April 2000
um 1 ½ Jahre.

Auf Berufung der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich bestätigte das
Obergericht des Kantons Zürich am 3. Oktober 2002 den erstinstanzlichen
Schuldspruch, verurteilte D.________ jedoch zu einer bedingten
Gefängnisstrafe von 14 Tagen und zu einer Busse von Fr. 500.--; mit
gleichzeitigem Beschluss widerrief es den bedingten Strafvollzug der
10-tägigen Gefängnisstrafe.

C.
D.________ führt Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, der angefochtene
Beschluss sei aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen,
damit diese auf den Widerruf des bedingten Strafvollzugs verzichte.

Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft haben auf eine Vernehmlassung
verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Richter kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe unter den Voraussetzungen
des Art. 41 Ziff. 1 StGB aufschieben und dem Verurteilten eine Probezeit
ansetzen. Begeht dieser während der Probezeit ein Verbrechen oder Vergehen,
so lässt der Richter die Strafe vollziehen (Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1 StGB).
Wenn begründete Aussicht auf Bewährung besteht, kann der Richter in leichten
Fällen statt der Anordnung des Vollzugs, je nach den Umständen, den
Verurteilten verwarnen, zusätzliche Massnahmen nach Art. 41 Ziff. 2 StGB
anordnen und die im Urteil bestimmte Probezeit um höchstens die Hälfte
verlängern (Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB).

Die Gewährung des bedingten Aufschubs des Strafvollzugs setzt namentlich
voraus, dass aufgrund der gesamten Umstände zu erwarten ist, dass der
Verurteilte dadurch von weiteren Verbrechen und Vergehen abgehalten wird
(Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB). Der Verzicht auf Widerruf des gewährten
Aufschubs des Strafvollzugs setzt seinerseits voraus, dass es sich bei der
Tat, welche zur Überprüfung Anlass gibt, um einen leichten Fall handelt, und
(kumulativ) dass begründete Aussicht auf Bewährung besteht (Art. 41 Ziff. 3
Abs. 2 StGB).

Art. 41 Ziff. 1 StGB und Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB stellen an die Bewährung
des Verurteilten die gleichen Anforderungen (BGE 98 IV 76). Der Richter hat
eine Prognose über das zukünftige Verhalten des Täters zu stellen.
Einzubeziehen sind neben den Tatumständen das Vorleben und der Leumund sowie
alle weiteren Tatsachen, die gültige Schlüsse auf den Charakter des Täters
und die Aussichten seiner Bewährung zulassen. Dazu gehört auch die mögliche
Warnwirkung einer zu vollziehenden Strafe: Bei der Frage, ob der bedingte
Vollzug zu gewähren ist, ist die mögliche Wirkung eines Strafvollzugs infolge
Widerrufs gemäss Art. 41 Ziff. 3 StGB ebenso zu berücksichtigen wie umgekehrt
bei der Frage des Widerrufs die mögliche Wirkung eines unbedingt angeordneten
Vollzugs einer neuen Strafe (BGE 116 IV 177).

Bei Würdigung der gesamten wesentlichen Umstände steht dem Richter ein
erhebliches Ermessen zu. Das Bundesgericht hebt einen Entscheid nur auf, wenn
die Vorinstanz nicht von rechtlich massgebenden Gesichtspunkten ausgegangen
ist oder diese in Überschreitung oder Missbrauch ihres Ermessens unrichtig
gewichtet hat. Unzulässig ist es insbesondere, unter den zu
berücksichtigenden Umständen einzelnen eine vorrangige Bedeutung beizumessen
und andere zu vernachlässigen oder überhaupt ausser Acht zu lassen (vgl. BGE
123 IV 107 E. 4a; BGE 118 IV 97 E. 2a und b).

2.
2.1 Die neue Verurteilung zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 14 Tagen ist
unangefochten. Sie beruht darauf, dass der Beschwerdeführer auf der Autobahn
eine signalisierte Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h massiv missachtet hat
und statt dessen mit einer Geschwindigkeit von 140 km/h gefahren ist. Die
Vorinstanz gewährte ihm den bedingten Strafvollzug nur im Hinblick darauf,
dass der bedingte Vollzug der Vorstrafe widerrufen werde.

Dazu führt die Vorinstanz aus, der Widerruf sei nicht zwingend, weil die neue
Verurteilung einen leichten Fall darstelle. Angesichts der Vorstrafen und der
Delinquenz während der Probezeit könne aber nicht davon ausgegangen werden,
dass begründete Aussicht auf Bewährung bestehe. Die letzte Vorstrafe weise
entgegen der Ansicht der Verteidigung einen konkreten Zusammenhang mit der
heutigen Verurteilung auf, da der Beschwerdeführer für einen offensichtlich
mit den Verkehrsregeln noch nicht vertrauten Verwandten die theoretische
Führerprüfung abgelegt habe und es somit bereits damals am nötigen
Bewusstsein gegenüber den Anforderungen und Gefahren des Strassenverkehrs
sowie dem nötigen Respekt gegenüber dem geltenden Strassenverkehrsrecht habe
fehlen lassen.

2.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe, indem sie den
bedingten Vollzug der 10-tägigen Vorstrafe widerrufen habe, Art. 41 StGB
falsch angewandt.

2.2.1 Zunächst beanstandet er, die unteren kantonalen Justizorgane hätten
verschiedenste Sanktionen und Kombinationen davon beantragt beziehungsweise
verhängt.

Auf diese Ausführungen kann nicht eingetreten werden. Denn Anfechtungsobjekt
der Nichtigkeitsbeschwerde ist ausschliesslich der vorinstanzliche Entscheid.
Dasselbe gilt auch, soweit der Beschwerdeführer Äusserungen der
Staatsanwaltschaft kritisiert.

2.2.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe sich aufgefangen und in den
letzten Monaten in eine Funktion hineinentwickelt, die er nicht leichtfertig
aufs Spiel setzen wolle. So habe die Heirat eine stabilisierende Wirkung, und
zwar eine stärkere als nur eine Lebensgemeinschaft. Daraus entstünden auch
Verpflichtungen, die er erfülle. Zudem sei er verantwortlich dafür, dass jede
Woche 3 x 30 Plätze in den Flügen Kloten-Pristina gefüllt würden.

Im Rahmen der Strafzumessung hat die Vorinstanz die persönlichen Verhältnisse
des Beschwerdeführers und dabei insbesondere seine Arbeitsleistungen und
seine finanzielle Lage ausführlich dargestellt. Nachdem die Vorinstanz den
Beschwerdeführer anlässlich der Berufungsverhandlung zudem persönlich
angehört hatte, kann mit Fug davon ausgegangen werden, dass sie beim
Widerrufsentscheid auch die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers
vor Augen hatte. Dieser heiratete im Oktober 2001. Im gleichen Zeitraum (3.
Oktober 2001) beging er die grobe Verkehrsregelverletzung. Inwiefern die
Vorinstanz unter diesen Umständen beim Widerrufsentscheid die stabilisierende
Wirkung der Heirat besonders hätte erwähnen müssen, ist nicht ersichtlich.
Entgegen der Darstellung in der Beschwerdeschrift geht die Vorinstanz von den
Aussagen des Beschwerdeführers aus, er habe heute keine Schulden mehr.

2.2.3 Der Beschwerdeführer macht geltend, aufgrund der Verurteilung gemäss
Art. 90 Ziff. 2 SVG werde er den Führerausweis abgeben müssen. Das werde ihn
hart treffen, weil er zur Bewältigung seiner beiden Berufe erheblich aufs
Autofahren angewiesen sei. Nicht nur das Strafverfahren, sondern auch die
Administrativmassnahme würden bei ihm positive Spuren hinterlassen. Unter
diesen Umständen müsse eine günstige Prognose gestellt werden und ein
Strafvollzug dränge sich nicht auf.

Nachdem der Beschwerdeführer eine schwere Verkehrsregelverletzung begangen
hat, hat er einen Führerausweisentzug von mindestens einem Monat zu
gewärtigen (Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG). Ob und in welchem Ausmass sich dieser
Umstand auf die Frage des Widerrufsentscheids auswirkt, dazu hätte sich die
Vorinstanz in ihrer Begründung äussern sollen (vgl. BGE 120 IV 67 S. 72, 118
IV 97 S. 102; Roland Schneider, Strafgesetzbuch, Basler Kommentar, Art. 41 N
108; Matthias Härri, Folgenberücksichtigung bei der Strafzumessung, ZStrR
116/1998, S. 217 f.). Trotz dieser Unterlassung rechtfertigt es sich nicht,
den angefochtenen Entscheid aufzuheben.

2.3 Die Vorinstanz begründet den Widerrufsentscheid mit dem Rückfall des
Beschwerdeführers während der Probezeit, seinen Vorstrafen und dem sachlichen
Zusammenhang zwischen den letzten beiden Verfehlungen (fehlendes Bewusstsein
gegenüber den Anforderungen und Gefahren des Strassenverkehrs). Hinsichtlich
der Vorstrafen fällt auf, dass der bedingte Vollzug der ersten kurzen
Gefängnisstrafe in der Folge widerrufen werden musste. Nachdem dem
Beschwerdeführer am 13. April 2000 erneut der bedingte Vollzug einer kurzen
Gefängnisstrafe gewährt worden war, delinquierte er noch während der
Probezeit wiederum in einem vergleichbaren Zusammenhang. Unter diesen
Umständen liegt der Entscheid der Vorinstanz, für die neueste Strafe den
bedingten Strafvollzug zu gewähren, diesen hinsichtlich der letzten Vorstrafe
jedoch im Sinne einer ernsthaften Warnung zu widerrufen, noch in deren
Ermessen, und zwar auch unter Berücksichtigung des zu erwartenden
Führerausweisentzugs, zumal sich dessen Dauer kaum deutlich über der
minimalen  Entzugsdauer von einem Monat bewegen dürfte. Damit erweist sich
die Beschwerde als unbegründet.

3.
Ausgangsgemäss hat der Beschwerdeführer die bundesgerichtlichen Kosten zu
tragen (Art. 278 Abs. 1 BStP).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons
Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 18. März 2003

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: