Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.471/2002
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6S.471/2002 /kra

Urteil vom 26. Mai 2003
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Kolly, Karlen,
Ersatzrichterin Pont Veuthey,
Gerichtsschreiber Kipfer Fasciati.

Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, 6301 Zug,
Beschwerdeführerin,

gegen

X.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Peter Niederberger,
Alpenstrasse 11, Postfach, 6304 Zug.

Fahrlässige Tötung (Art. 117 StGB),

Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Strafgerichts des Kantons Zug,
Berufungskammer,
vom 5. Juli 2002.

Sachverhalt:

A.
Am 30. September 1997 um 16.35 Uhr fuhr X.________ mit seinem Personenwagen
des Typs Range Rover auf der A.________strasse in C.________ talwärts. Etwas
oberhalb der rechtsseitigen Einmündung zum B.________rain standen der
fünfjährige Y.________ und seine Begleiterin, die knapp achtzehnjährige
Z.________, bei der Einmündung einer privaten Zufahrtsstrasse am linken
Fahrbahnrand. Die beiden Fussgänger, welche sich zuvor aus der
Zufahrtsstrasse genähert hatten, beabsichtigten die A.________strasse an
dieser Stelle zu überqueren, weil sie auf der anderen Strassenseite in den
B.________rain einbiegen wollten und weil auf der linken Strassenseite kein
Trottoir vorhanden war. Sie warteten einen bergwärts fahrenden Personenwagen
ab. Nachdem dieser passiert hatte, sprang Y.________, der links neben seiner
Begleiterin gestanden und sich an einer von dieser mitgeführten Tasche
gehalten hatte, plötzlich auf die Strasse. In diesem Moment näherte sich von
rechts X.________ mit einer Geschwindigkeit von 30 bis 40 km/h. Es kam zu
einer Kollision zwischen X.________s Personenwagen und Y.________. Das Kind
wurde von der Frontpartie des Wagens am Kopf getroffen und auf die Strasse
geschleudert. Es verstarb in der Folge an seinen schweren Kopfverletzungen.

X. ________ hatte Bremsbereitschaft erstellt, als er die beiden Fussgänger
wahrnahm. Im Moment, als Y.________ zu rennen begann, konnte er die Kollision
nicht mehr verhindern.

Die Sichtweite der Fussgänger bergwärts, woher sich X.________ genähert
hatte, betrug ungefähr 85 Meter. X.________ war der Auffassung, mit der
Begleiterin von Y.________ Blickkontakt aufgenommen zu haben, was diese aus
ihrer Sicht nicht bestätigen konnte. X.________ hatte seine Aufmerksamkeit
auf Z.________ gerichtet, nicht aber auf Y.________. Da das verunfallte Kind
auf der linken Seite seiner Begleiterin gestanden hatte, konnte X.________
nicht feststellen, ob diese das Kind an der Hand hielt; er war jedoch davon
ausgegangen, dass dies der Fall sei.

B.
Auf Grund dieses Sachverhalts erhob die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug am
9. August 2001 gegen X.________ Anklage wegen fahrlässiger Tötung.
Gestützt auf Art. 66bis StGB verzichtete der zuständige Jugendanwalt auf die
Eröffnung eines Jugendstrafverfahrens gegen die Begleiterin des verunfallten
Kindes.

C.
Von der Anklage der fahrlässigen Tötung sprach das Einzelrichteramt des
Kantons Zug X.________ mit Urteil vom 30. Januar 2002 frei. Das Strafgericht
des Kantons Zug wies die von der Staatsanwaltschaft gegen den Freispruch
erhobene Berufung am 5. Juli 2002 ab und bestätigte den erstinstanzlichen
Freispruch.

D.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug erhebt eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Strafgerichts vom 5.
Juli 2002 sei aufzuheben, und die Sache sei zur Schuldigsprechung des
Beschwerdegegners an die Vorinstanz zurückzuweisen.

E.
Das Strafgericht des Kantons Zug verzichtet auf Bemerkungen und beantragt
unter Hinweis auf die eigenen Urteilsmotive Abweisung der Beschwerde.

Der Beschwerdegegner beantragt mit Vernehmlassung vom 21. Mai 2003 die
Abweisung der Beschwerde.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Die Vorinstanz sprach den Beschwerdegegner aus folgenden Gründen frei:
Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung gehe die Pflicht zu besonderer
Vorsicht gegenüber Kindern im Strassenverkehr ohne Anzeichen eines
Fehlverhaltens nicht so weit, dass ein Fahrzeugführer beim Anblick eines
Kindes in jedem Fall seine Fahrt verlangsamen und Hupsignale geben müsste.
Solches sei innerorts nur geboten, wenn sich das Kind auf der Fahrbahn oder
am Strassenrand befinde oder wenn es sich in unmittelbarer Nähe zur Fahrbahn
dem Spiel hingebe oder wenn es durch sein Verhalten in anderer Weise erkennen
lasse, dass es seine Aufmerksamkeit nicht dem Strassenverkehr zuwende. Würde
anders entschieden, wären die Anforderungen an die Aufmerksamkeit von
Fahrzeuglenkern derart hoch, dass der Verkehr innerorts zum Erliegen käme. In
der Lehre werde ausserdem die Auffassung vertreten, dass keine besondere
Vorsicht erforderlich sei, wenn Kinder von erwachsenen Personen überwacht
werden, da es sich dabei nicht um den typischen Fall des Kindes im Sinne von
Art. 26 Abs. 2 SVG handle. Der Beschwerdegegner habe auf Grund der Umstände
nicht damit rechnen müssen, dass das von einer erwachsenen Person begleitete
Kind sich von dieser losreissen und auf die Strasse rennen würde. Dies gelte
insbesondere auch, weil der Beschwerdegegner darauf habe vertrauen dürfen,
dass das Kind von seiner Begleiterin an der Hand gehalten werde; er habe
nicht damit rechnen müssen, dass sich das Kind selbst nur an der von der
Begleiterin getragenen Tasche festhalte. Da keine Anzeichen eines
Fehlverhaltens des Kindes hätten festgestellt werden können, sei der
Beschwerdeführer nicht verpflichtet gewesen, mit dem Kind Augenkontakt
aufzunehmen und ein Warnsignal abzugeben. Der Beschwerdegegner habe seiner
Sorgfaltspflicht genügt, indem er die Geschwindigkeit von den erlaubten 50
km/h auf 30 bis 40 km/h reduzierte und gleichzeitig Bremsbereitschaft
erstellte.

1.2 Dagegen macht die Staatsanwaltschaft eine Verletzung von Art. 26 Abs. 2
SVG , Art. 4 Abs. 3 VRV und Art. 29 Abs. 2 VRV geltend. Es sei zwar
zutreffend, dass auf Grund der bundesgerichtlichen Rechtsprechung der
Fahrzeugführer bei einem Kind, das auf dem Trottoir ruhig seines Weges gehe,
nicht damit zu rechnen habe, dass es unvermittelt auf die Fahrbahn treten
werde. Um einen solchen Sachverhalt gehe es vorliegend jedoch gerade nicht:
In tatsächlicher Hinsicht sei festzustellen, dass es im übersichtlichen
Unfallbereich bergseits kein Trottoir gebe und auch ein Fussgängerstreifen
nicht vorhanden sei; dass das fünfjährige Kind neben seiner Begleiterin am
Strassenrand beziehungsweise faktisch bereits auf der Strasse stand; dass das
Kind nicht an der Hand gehalten wurde, sondern sich selbst nur an der von der
Begleiterin mitgetragenen Plastiktasche festhielt; dass der Beschwerdegegner
die beiden Fussgänger auf eine grössere Distanz von 40 bis 50 m wahrgenommen
hatte; dass die beiden Fussgänger offensichtlich beabsichtigten, die Strasse
zu überqueren; dass der Beschwerdegegner die Geschwindigkeit leicht
reduzierte und Bremsbereitschaft erstellte, jedoch keine weiteren
Vorsichtsmassnahmen ergriff; und dass die beiden Fussgänger das herannahende
Fahrzeug nicht wahrgenommen hatten. Die Vorinstanz stütze sich in ihrer
Hauptbegründung zu Unrecht auf zwei Literaturstellen, wonach Art. 26 Abs. 2
SVG nicht anwendbar sei, wenn ein Kind von einer erwachsenen Person begleitet
werde. Eine diesbezügliche Gerichtspraxis existiere nicht. Vielmehr sei - was
auch das Bundesgericht bereits mehrfach festgestellt habe - bei Kindern im
Bereich von Verkehrsflächen stets mit unvorhersehbarem Fehlverhalten zu
rechnen. Dies gelte auf jeden Fall, wenn ein kleines Kind am Strassenrand
darauf warte, die Strasse überqueren zu können und der Fahrzeugführer keine
Gewissheit darüber habe, dass es die Gefahr erkannt habe und die
Begleitperson das Kind an der Hand führe. Die Begleitung des Kindes als
solche reiche auf keinen Fall aus, den Kinderschutz im Sinne von Art. 26 Abs.
2 SVG aufzuheben. Solches komme auch nicht in Frage wegen der übergeordneten
Rechtssätze der UN-Konvention über die Rechte des Kindes, wegen des
verfassungsmässigen Anspruchs des Rechts auf Leben und körperliche
Unversehrtheit und wegen des Umstands, dass der erwachsene Fahrzeuglenker,
der eine Gefahr für das Kind schaffe, ihm an Lebens- und Verkehrserfahrung
weit überlegen sei. Die verfassungsmässige Auslegung untergeordneter Gesetze
und Verordnungen müsse dem Schutz des Lebens als höchstem Rechtsgut stets
Rechnung tragen. Schliesslich sei auch die Erwägung der Vorinstanz nicht
haltbar, wonach der Verkehr innerorts völlig zum Erliegen käme, wenn der
Misstrauensgrundsatz gegenüber Kindern uneingeschränkt gälte, zumal es sich
beim Unfallort um eine sehr schwach befahrene Nebenstrasse handle.

2.
2.1 Gemäss Art. 117 StGB wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft, wer
fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht. Fahrlässig begeht der Täter ein
Verbrechen oder Vergehen, wenn die Tat darauf zurückzuführen ist, dass er die
Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedacht
oder darauf nicht Rücksicht genommen hat (Art. 18 Abs. 3 Satz 1 StGB). Ein
Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung setzt somit voraus, dass der Täter den
Erfolg durch Verletzung einer Sorgfaltspflicht verursacht hat.
Sorgfaltswidrig ist die Handlungsweise, wenn der Täter zum Zeitpunkt der Tat
aufgrund der Umstände sowie seiner Kenntnisse und Fähigkeiten die damit
bewirkte Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte erkennen können und
müssen und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritten
hat (Art. 18 Abs. 3 Satz 2 StGB; BGE 127 IV 34 E. 2a; 121 IV 10 E. 3; 122 IV
17 E. 2b; 133 E. 2a; 145 E. 3b sowie 225 E. 2a, je mit Hinweisen). Wo
besondere Normen ein bestimmtes Verhalten gebieten, bestimmt sich das Mass
der dabei zu beachtenden Sorgfalt in erster Linie nach diesen Vorschriften
(BGE 122 IV 17 E. 2b/aa mit Hinweisen). Grundvoraussetzung für das Bestehen
einer Sorgfaltspflichtverletzung und mithin für die Fahrlässigkeitshaftung
ist die Vorhersehbarkeit des Erfolgs. Die zum Erfolg führenden
Geschehensabläufe müssen für den konkreten Täter mindestens in ihren
wesentlichen Zügen voraussehbar sein (Stratenwerth, Schweizerisches
Strafrecht, Allg. Teil I, 2. Aufl., Bern 1996, § 16 N. 16; Trechsel/Noll,
Schweizerisches Strafrecht, Allg. Teil I, 5. Aufl. Zürich 1998, S. 269 f.;
Riklin, Schweizerisches Strafrecht, Allg. Teil I, 2. Auflage, Zürich 2002, S.
193, § 16 N. 44).

Es ist daher zu prüfen, ob der Täter eine Gefährdung des Kindes  hätte
voraussehen bzw. erkennen können und müssen. Für die Beantwortung dieser
Frage gilt der Massstab der Adäquanz. Danach muss sein Verhalten geeignet
sein, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den Erfahrungen des Lebens
einen Erfolg wie den eingetretenen herbeizuführen oder mindestens zu
begünstigen. Die Adäquanz ist nur zu verneinen, wenn ganz aussergewöhnliche
Umstände, wie das Mitverschulden eines Dritten oder Material- oder
Konstruktionsfehler, als Mitursachen hinzutreten, mit welchen schlechthin
nicht gerechnet werden musste und die derart schwer wiegen, dass sie als
wahrscheinlichste und unmittelbarste Ursache des Erfolges erscheinen und so
alle anderen mitverursachenden Faktoren - namentlich das Verhalten des
Angeschuldigten - in den Hintergrund drängen (BGE 127 IV 34 E. 2a; 122 II 315
E. 3c, 122 IV 17 E. 2c/bb, 121 IV 10 E. 3 und 286 E. 3, 120 IV 300 E. 3e, je
mit Hinweisen).

2.2
2.2.1Der Fahrzeuglenker ist gegenüber dem Fussgänger, der die Strasse
ausserhalb eines Fussgängerstreifens zu überqueren beabsichtigt,
grundsätzlich vortrittsberechtigt, auch wenn er ihm gemäss Art. 33 Abs. 1 SVG
das Überqueren der Strasse in angemessener Weise zu ermöglichen hat. Dieses
Vortrittsrecht gilt jedoch nicht unbedingt, sondern nur unter dem Vorbehalt
von Art. 26 Abs. 2 SVG (BGE 94 IV 124 E. 4a; 106 IV 391 [=JdT 1981 I 420]).
Das Mass der Sorgfalt, die vom Fahrzeuglenker verlangt wird, richtet sich
nach den gesamten Umständen, namentlich der Verkehrsdichte, den örtlichen
Verhältnissen, der Zeit, der Sicht und den voraussehbaren Gefahrenquellen
(BGE 122 IV 225 E. 2b S. 228). Gesetzliche Grundlage der vom Fahrzeuglenker
im Strassenverkehr zu beachtenden Sorgfalt bilden die im
Strassenverkehrsgesetz und in den dazu gehörenden Verordnungen statuierten
Verkehrsregeln. Gemäss der Grundregel von Art. 26 Abs. 1 SVG muss sich jeder
Verkehrsteilnehmer so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen
Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. Aus dieser Bestimmung
haben Rechtsprechung und Lehre den so genannten Vertrauensgrundsatz
abgeleitet. Danach darf jeder Strassenbenützer darauf vertrauen, dass sich
die anderen Verkehrsteilnehmer ordnungsgemäss verhalten.

Solches Vertrauen ist jedoch unter bestimmten in Art. 26 Abs. 2 SVG
enumerierten Umständen nicht gerechtfertigt und kann deshalb
sorgfaltspflichtwidrig sein. Dies gilt zunächst, wenn bereits Anzeichen dafür
bestehen, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird oder
wenn ein Fehlverhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers auf Grund einer
unklaren Verkehrssituation nach der allgemeinen Erfahrung unmittelbar in die
Nähe rückt. Art. 26 Abs. 2 SVG gebietet ausserdem eine besondere Vorsicht
gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten (BGE 125 IV 83 E. 2b S. 87
f.; Urteil des Bundesgerichts 6S.120/1998 vom 3.4.1998 E. 2b, veröffentlicht
in Pra 1998, 125 692). Die gegenüber den erwähnten Personen vorgeschriebene
besondere Vorsicht bedeutet, dass eine Berufung auf das Vertrauensprinzip
grundsätzlich selbst dann unzulässig ist, wenn keine konkreten Anzeichen
dafür vorliegen, dass sich Kinder, Gebrechliche oder alte Personen unkorrekt
verhalten werden (BGE 104 IV 28 E. 3c; 115 IV 239 E. 2; Raphael von Werra, Du
principe de la confiance dans le droit de la circulation routière ..., ZWR
4/1970, S. 200. In der deutschen Lehre wird in diesem Zusammenhang von einem
Misstrauensgrundsatz gesprochen, der folgenden Inhalt hat: "Eine Begegnung
mit einem Kind im Alter bis zu 10 Jahren ist in der Regel so gefährlich, dass
der Kraftfahrer, unabhängig vom mutmasslichen Verhalten des Kindes, von sich
aus alles tun muss, um einen Unfall zu verhüten." [Klaus Kirschbaum, Der
Vertrauensschutz im deutschen Strassenverkehrsrecht, Diss., Berlin 1980, S.
249]). Gegenüber den im Gesetz aufgezählten Personen bedarf es umgekehrt
besonderer Umstände, welche positiv für ein begrenztes Vertrauen in deren
ordnungsgemässes Verhalten im Verkehr sprechen (BGE 115 IV 239 vgl. auch
Schaffhauser, Grundriss des Schweizerischen Strassenverkehrsrechts, 2. Aufl.
2002, Band I, N. 441).

Besondere Vorsicht gegenüber Kindern im Strassenverkehr schreiben auch Art. 4
Abs. 3 VRV und Art. 29 Abs. 2 VRV vor: Die erste Bestimmung verlangt, dass
die Geschwindigkeit zu mässigen oder dass gegebenenfalls anzuhalten sei, wenn
Kinder im Strassenbereich nicht auf den Verkehr achten; die zweite schreibt
unter denselben Voraussetzungen die Abgabe akustischer Warnsignale vor.

Die Pflicht zu besonderer Vorsicht auch ohne konkrete Anzeichen eines
Fehlverhaltens geht indessen nicht so weit, dass der Führer eines
Motorfahrzeugs beim Anblick eines Kindes in jedem Fall seine Fahrt
verlangsamen und Hupsignale geben müsste. Dies ist innerorts lediglich etwa
geboten, wenn das Kind sich auf der Fahrbahn oder am Strassenrand befindet,
nicht aber wo es auf dem Trottoir ruhig seines Weges geht (BGE 115 IV 239;
112 IV 87). Steht ein kleines Kind hingegen am Strassenrand, um die Strasse
zu überqueren, darf sich der Lenker demnach nicht auf sein Vortrittsrecht
verlassen, auch wenn keine konkreten Anzeichen für ein Fehlverhalten
ersichtlich sind. Er darf dies nur, wenn er die Gewissheit hat, dass das Kind
die nahende Gefahr wahrgenommen hat und zu verstehen gibt, dass es sich
richtig verhalten wird. Andernfalls hat der Lenker zu bremsen und ein
Hupsignal abzugeben. Lässt sich eine Gefährdung auch damit nicht
ausschliessen, hat der Lenker anzuhalten.

2.2.2 Der gesetzlichen Regelung der Sorgfaltspflichten gegenüber Kindern
liegt die entwicklungspsychologische Tatsache zu Grunde, dass Kinder
wenigstens bis zu einem gewissen Alter gar nicht oder nur sehr beschränkt in
der Lage sind, die Gefahren des Verkehrs kognitiv zu verarbeiten.
Untersuchungen geben Anlass zur Annahme, dass Kinder zum Teil bis zu zwölf
Jahren typische Verkehrsgefahren überhaupt nicht verstehen (vgl.
Schaffhauser, a.a.O., N. 443, mit Hinweisen). Kinder verfügen über ein
engeres Blickfeld als Erwachsene. Sie können bewegte Objekte im Raum
wahrnehmungsmässig nicht miteinander koordinieren und ihr Wahrnehmungsprozess
ist gegenüber demjenigen Erwachsener verlangsamt. Unabhängig von ihren
kognitiven Fähigkeiten sind Kinder ausserdem in ihrem Verhalten sprunghaft
und in besonderem Masse unberechenbar; sie beherrschen ihren Körper nur
beschränkt und neigen zu unvorhersehbaren Spontanreaktionen auf innere und
äussere Reize (vgl. Schaffhauser, ebd., mit Hinweisen). Trotz des besonderen
normativen Schutzes, den der Gesetzgeber Kindern im Strassenverkehr gewährt,
gehören Kinder zwischen 4 und 14 Jahren zu derjenigen Fussgängergruppe, die
im Strassenverkehr anteilsmässig am häufigsten Opfer schwerer oder tödlicher
Verletzungen wird (vgl. Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr,
Energie und Kommunikation UVEK, Bundesamt für Strassen ASTRA: Erarbeitung der
Grundlagen für eine Verkehrssicherheitspolitik des Bundes, 2002,
Schlussbericht, S. 29).

3.
3.1 Die Vorinstanz spricht den Lenker mit der Begründung frei, das verunfallte
Kind sei kein Kind im Sinne von Art. 26 Abs. 2 SVG gewesen, weil es von einer
erwachsenen Person begleitet worden sei. Der Lenker habe darauf vertrauen
dürfen, dass die Begleitperson das Kind beaufsichtige. Sie unterstellt damit
indirekt, dass der Unfall ausschliesslich der Verantwortungssphäre der
Begleiterin zuzurechnen ist. Ob die von Art. 26 Abs. 2 SVG vorgeschriebene
erhöhte Sorgfalt auch gegenüber begleiteten Kindern aufgebracht werden muss,
stellt eine Rechtsfrage dar, die durch Auslegung des Gesetzes zu klären ist.
Dabei ist auf die konkreten Umstände und auf den Grundgedanken abzustellen,
von dem sich der Gesetzgeber leiten liess. Die Vorinstanz beruft sich für
ihren Entscheid auf eine in der Lehre vertretene Auffassung (Matthias
Heierli, Die Bedeutung des Vertrauensprinzips im Strassenverkehr und für das
Fahrlässigkeitsdelikt, Zürich 1996, S. 169; Schaffhauser, a.a.O., N. 443).

Der Beschwerdegegner bewertet mit seiner Vernehmlassung die Unfallsituation
und sein eigenes Verhalten ebenso wie die Vorinstanz. Er geht dabei aber von
einem Sachverhalt aus, der sich mit den vorinstanzlichen Feststellungen
teilweise nicht deckt (Art. 277bis Abs. 1 BStP).

Das Bundesgericht hat sich bisher mit der Frage nach der Geltung des
Vertrauensgrundsatzes gegenüber begleiteten Kindern ausdrücklich erst einmal
in einem weit zurückliegenden Fall befasst, der mit der vorliegend zu
beurteilenden Konstellation nur bedingt vergleichbar ist (BGE 77 IV 35; vgl.
auch den Entscheid 6S.721/2001 vom 18. Februar 2002 E. 2b/bb).

3.2 Anknüpfungspunkt für die Anwendung von Art. 26 Abs. 2 SVG ist die
Anwesenheit eines Kindes im Gefahrenbereich des Strassenverkehrs. Aus dem
Text des Gesetzes geht nicht hervor, dass die im Sinne dieser Bestimmung
gegenüber dem Kind aufzubringende erhöhte Sorgfalt entfallen dürfte, wenn es
begleitet wird. In bestimmten Situationen kann jedoch ohne weiteres davon
ausgegangen werden, dass der Fahrzeuglenker auf das richtige Verhalten des
Kindes vertrauen darf: Dies gilt für den Fall, dass es von einer erwachsenen
Begleitperson in seinem Verhalten erkennbar faktisch kontrolliert und
beherrscht wird - so etwa, wenn es von einer Begleitperson fest gehalten
wird. Unter diesen Umständen muss nicht mit einem sprunghaften und
unvorhersehbaren Verhalten des Kindes gerechnet werden.

Daraus darf jedoch nicht geschlossen werden, dass der Lenker gegenüber
begleiteten Kindern die vom Gesetz verlangte erhöhte Sorgfalt grundsätzlich
nicht aufzubringen hätte. Auch die von der Vorinstanz angeführten Autoren
wollen die Geltung des Vertrauensgrundsatzes gegenüber begleiteten Kindern
nur unter bestimmten Umständen zulassen: Wenn das Kleinkind überwacht werde
und auf dessen Verhalten Einfluss genommen werden könne, dieses also
beispielsweise an der Hand gehalten werde (vgl. Heierli, a.a.O., S. 169; vgl.
auch Schaffhauser, a.a.O., N 443). Ein weiterer Autor stellt sogar noch
höhere Anforderungen an die Anwendbarkeit des Vertrauensgrundsatzes: "Sind
noch nicht schulpflichtige Kinder auf oder an der Strasse oder auf dem
Trottoir sichtbar, ist erhöhte Vorsicht angezeigt, es sei denn, der
Erwachsene halte das Kind fest an der Hand" (Hans Schultz, Kinder im
Strassenverkehr - Strafrechtliche Aspekte, in: Strassenverkehrsrechts-Tagung,
Freiburg 1992, Nr. 3a, S. 8).

3.3 In Bezug auf das Unfallgeschehen stellt die Vorinstanz Folgendes fest:
Der Lenker fuhr auf einer wenig befahrenen Innerortsstrasse auf ein kleines
Kind und eine knapp achtzehn jährige Begleiterin zu, die als Fussgänger am
linken Strassenrand standen. Auf dieser Seite war kein Trottoir vorhanden.
Das Kind stand links neben, aus Sicht des Lenkers also hinter seiner
Begleiterin und war somit für ihn wenigstens teilweise verdeckt. Die beiden
Fussgänger wollten die Fahrbahn erkennbar überqueren. Der Lenker mässigte
sein Tempo und erstellte Bremsbereitschaft. Das Kind achtete nicht auf den
Verkehr, insbesondere nicht auf das sich von rechts nahende Fahrzeug. Der
Lenker seinerseits konzentrierte sich auf die Begleiterin, nicht aber auf das
Kind. Er ging davon aus, mit der Begleiterin Sichtkontakt aufgenommen zu
haben - was diese allerdings nicht bestätigte -, und er nahm
fälschlicherweise im Weiteren an, das Kind werde von seiner Begleiterin an
der Hand gehalten. Als es für die Erwachsenen überraschend auf die Strasse
rannte, konnte der Lenker die für das Kind tödliche Kollision nicht mehr
verhindern.

Obwohl der Lenker eine gewisse Vorsicht aufbrachte, indem er sein Tempo
mässigte und Bremsbereitschaft erstellte, ist ihm eine
Sorgfaltspflichtverletzung vorzuwerfen. Er hätte nicht nur auf die
Begleiterin achten dürfen, sondern sich auch auf das Kind konzentrieren
müssen. Insbesondere hätte er nicht davon ausgehen dürfen, die Begleiterin
halte es fest, ohne sich Rechenschaft darüber abzulegen, ob dies tatsächlich
der Fall sei. Ebenso wenig berücksichtigte er, dass das Kind nicht auf ihn
achtete. Unter diesen Umständen hätte er nicht darauf vertrauen dürfen, dass
sich das Kind, welches die Strasse erkennbar überqueren wollte, richtig
verhalten werde. Er wäre deshalb verpflichtet gewesen, die zweideutige
Situation wenigstens mit einem Warnsignal zu klären oder gar sein Tempo so
weit zu mässigen, dass er vor den Fussgängern hätte anhalten können. Das
überraschende Hervorspringen des Kindes entspricht demjenigen Verhalten,
welches Art. 26 Abs. 2 SVG als gesetzgeberisches Motiv zu Grunde liegt. Das
Verhalten des Lenkers kann nicht durch Berufung auf den Vertrauensgrundsatz
gerechtfertigt werden.

3.4 Aufgrund der Akten und des angefochtenen Entscheids kann ein
Mitverschulden der Begleiterin des Kindes nicht ausgeschlossen werden. Ihr
Verhalten - das Kind nicht fest zu halten - war unter den gegebenen örtlichen
Verhältnissen als mögliches Drittverschulden jedoch nicht derart
ungewöhnlich, dass der Lenker damit überhaupt nicht hätte rechnen müssen. Aus
Art. 26 Abs. 2 SVG ergibt sich im Übrigen, dass die Verantwortung für die
Sicherheit des begleiteten Kindes im Strassenverkehr von den beteiligten
erwachsenen Personen gemeinsam zu tragen ist: vom Automobilisten, der die
Gefahr schafft, und von der Person, die es begleitet und zu beaufsichtigen
hat. Daraus folgt, dass keiner der beteiligten Erwachsenen darauf vertrauen
darf, der andere werde eine Gefährdung des Kindes ausschliessen, wenn er sich
darüber keine Gewissheit verschaffen kann.

3.5 Die Vorinstanz macht zur Begründung ihres freisprechenden Entscheides im
Weiteren geltend, dass der Strassenverkehr zusammenbrechen würde, wenn der
Fahrzeuglenker auf das richtige Verhalten begleiteter Kinder nicht vertrauen
dürfte. Sie bezieht sich damit indirekt auf die dogmatische Figur des so
genannten erlaubten Risikos, wonach die Anforderungen an die Sorgfalt bei der
Ausübung einer gesellschaftlich tolerierten und nützlichen, aber gefährlichen
Tätigkeit nicht so hoch angesetzt werden dürfen, dass die Tätigkeit als
solche nicht mehr ausgeübt werden könnte, wenn die Sorgfaltspflichten erfüllt
würden.

Die Befürchtung der Vorinstanz, der Strassenverkehr könnte durch allzu
weitgehende Vorsichtspflichten der Fahrzeuglenker übermässig  erschwert
werden, ist verständlich. Allerdings hält der Gesetzgeber die erhöhten
Schutzbedürfnisse von Kindern und die Gewährleistung des Verkehrsflusses für
vereinbar, und das Leben und die Unversehrtheit der Kinder ist ein
wichtigeres Rechtsgut als der ungestörte Verkehrsfluss. Im Übrigen ist nicht
ersichtlich, dass die vorstehend dargelegte Sorgfaltspflicht des
Automobilisten gegenüber begleiteten Kindern den Strassenverkehr zum Erliegen
bringen könnte. Schliesslich ist bei der Bemessung der Sorgfaltspflicht auf
die konkreten Umstände abzustellen. Der vorliegend zu beurteilende Unfall
ereignete sich auf einer wenig befahrenen Innerortsstrasse. Es kann nicht
angenommen werden, dass der Lenker den Verkehrsfluss behindert oder dritte
Verkehrsteilnehmer gefährdet hätte, wenn er gehupt oder sein Tempo weiter
verlangsamt oder gar angehalten hätte.

3.6 Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist demnach gutzuheissen und das
angefochtene Urteil aufzuheben.

4.
Bei diesem Verfahrensausgang hat der Beschwerdegegner die Kosten zu tragen
(Art. 278 Abs. 1 BStP).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Strafgerichts
des Kantons Zug aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung an die
Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdegegner auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Strafgericht des Kantons Zug,
Berufungskammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 26. Mai 2003

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: