Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.459/2002
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6S.459/2002 /kra

Urteil vom 15. Oktober 2003
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger,
Ersatzrichterin Pont Veuthey,
Gerichtsschreiber Heimgartner.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt lic.iur. Adolf Spörri, Spörri
Peter Rudin, Zollikerstrasse 4 (Kreuzplatz), Postfach, 8032 Zürich,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Postfach, 8023 Zürich.

Vereitelung einer Blutprobe,

Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich,
I. Strafkammer,
vom 30. September 2002.

Sachverhalt:

A.
Am 11. April 2000, um circa 2.20 Uhr, fuhr X.________ auf der Müllerstrasse
in Zürich mit seinem Personenwagen Subaru rückwärts. Dabei kollidierte er
zunächst mit dem Personenwagen Citroën von A.________ und anschliessend mit
dem korrekt am rechten Strassenrand auf einem Parkfeld abgestellten
Personenwagen Toyota von B.________. In der Folge betrachtete er den am
Citroën angerichteten Schaden und bot A.________ Fr. 1'000.-- Schadenersatz
an. Da X.________ nach Alkohol roch und einen abwesenden Eindruck machte,
telefonierte A.________ in Anwesenheit von X.________ der Polizei. In dieser
Zeit legte X.________ seine Visitenkarte unter den Scheibenwischer des
Toyotas von B.________, was A.________ allerdings nicht bemerkte. Ohne das
Eintreffen der Polizei abzuwarten und ohne A.________ seine Personalien
anzugeben, stieg X.________ in sein Fahrzeug. Er fuhr mit seinem Fahrzeug
davon, parkierte es vor den Augen von A.________ und begab sich in ein - in
Sichtweite vom Unfallort gelegenes - Mehrfamilienhaus an der St.
Jakobstrasse. Nachdem die Polizeibeamten den Unfall protokolliert und den
Unfallort bereits wieder verlassen hatten, kehrte X.________ frühestens eine
halbe Stunde nach dem Vorfall zurück. Erst circa 36 Stunden später meldete er
sich bei der Polizei.

B.
Der Einzelrichter des Bezirksgerichts Zürich verurteilte X.________ mit
Entscheid vom 11. März 2002 wegen Vereitelung einer Blutprobe gemäss Art. 91
Abs. 3 SVG, Verletzung von Verkehrsregeln gemäss Art. 90 Ziff. 1 SVG in
Verbindung mit Art. 31 Abs. 2 SVG sowie pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall
im Sinne von Art. 92 Abs. 1 SVG zu einer bedingt vollziehbaren
Gefängnisstrafe von 14 Tagen und zu einer Busse von Fr. 1'000.--.

C.
Auf Berufung sprach das Obergericht des Kantons Zürich X.________ am 30.
September 2002 der Vereitelung einer Blutprobe schuldig und verurteilte ihn
zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von 14 Tagen. Auf die Anklage
betreffend Verletzung von Verkehrsregeln und pflichtwidriges Verhalten bei
Unfall trat es wegen Verjährung nicht ein.

D.
X.________ erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das
Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zum Freispruch vom
Vorwurf der Vereitelung einer Blutprobe an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Weiter beantragt er, dass ihm eine angemessene Prozessentschädigung
zuzusprechen sei.

E.
Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde kann nur damit begründet werden, dass der
angefochtene Entscheid eidgenössisches Recht verletze (Art. 269 Abs. 1 BStP).
Ausführungen, die sich gegen die tatsächlichen Feststellungen des Entscheids
richten, sowie das Vorbringen neuer Tatsachen sind unzulässig (Art. 273 Abs.
1 lit. b BStP). Der Kassationshof ist im Verfahren der Nichtigkeitsbeschwerde
an den von der kantonalen Behörde festgestellten Sachverhalt gebunden (Art.
277bis BStP). Auf die Beschwerde kann somit nicht eingetreten werden, soweit
darin von einem abweichenden Sachverhalt ausgegangen wird.

2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe ihn zu Unrecht der
Vereitelung einer Blutprobe schuldig gesprochen und damit Art. 91 Abs. 3 SVG
verletzt.

2.1 Der Beschwerdeführer führt an, er habe nicht damit rechnen müssen, dass
die Polizei den Unfallort ohne weitere Nachforschungen bereits nach einer
halben Stunde verlassen würde. Er habe davon ausgehen dürfen, dass die
Polizei auch nach einer halben Stunde noch am Unfallort anwesend sein würde.
Sowohl A.________ als auch die Polizeibeamten hätten gewusst, dass er sich in
der Liegenschaft St. Jakobstrasse aufgehalten habe. Die Polizeibeamten hätten
in Anbetracht der Tatsache, dass er sein Fahrzeug an der St. Jakobstrasse
parkiert habe, sowie aufgrund der übrigen Umstände erkennen müssen, dass er
sich nicht durch Flucht einer Untersuchung habe entziehen wollen. Das
halbstündige Sich-Entfernen vom Unfallort erfülle somit den objektiven
Tatbestand von Art. 91 Abs. 3 SVG nicht.

Die Vorinstanz hält diesbezüglich fest, dass die Polizeibeamten aufgrund der
Umstände davon ausgehen mussten, dass der Beschwerdeführer nicht mehr an der
Unfallstelle erscheinen würde. Im Übrigen wäre es unverhältnismässig gewesen,
in der Liegenschaft, in welcher zahlreiche Mieter wohnten und sich ein
Bordell befinde, nach dem Beschwerdeführer zu suchen. Hinzu komme, dass der
Beschwerdeführer A.________ weder seine Personalien noch den Umstand, dass er
lediglich für eine kurze Zeitdauer zu seiner Freundin gehen wolle, angegeben
habe.

2.2 Nach Art. 91 Abs. 3 SVG wird bestraft, wer sich vorsätzlich einer
Blutprobe, die angeordnet wurde oder mit deren Anordnung er rechnen musste,
oder einer zusätzlichen ärztlichen Untersuchung widersetzt oder entzieht oder
den Zweck dieser Massnahmen vereitelt. Diesen Tatbestand der Vereitelung
einer Blutprobe kann unter anderem der Fahrzeuglenker erfüllen, der nach
einem Unfall mit Drittschaden die in Art. 51 Abs. 3 SVG festgelegte Pflicht
verletzt, sofort den Geschädigten unter Angabe von Namen und Adresse zu
benachrichtigen und - wenn dies nicht möglich ist - unverzüglich die Polizei
zu verständigen (BGE 124 IV 175 E. 4a, mit Hinweisen). Mit der Anordnung
einer Blutprobe muss gerechnet werden, wenn bei objektiver Betrachtung
sämtlicher Umstände die Polizei bei Meldung des Unfalls mit hoher
Wahrscheinlichkeit eine Blutprobe angeordnet hätte (BGE 126 IV 53 E. 2a; 124
IV 175 E. 3a, mit Hinweisen). Zu den Umständen gehören der Unfall als solcher
(Art, Schwere, Hergang) sowie der Zustand und das Verhalten des
Fahrzeuglenkers vor und nach dem Unfall (BGE 126 IV 53 E. 2a, mit Hinweisen).

Will ein Geschädigter die Polizei beiziehen, obwohl keine Meldepflicht
besteht, so haben die übrigen Beteiligten bei der Feststellung des
Sachverhalts mitzuwirken, bis sie von der Polizei entlassen werden (Art. 56
Abs. 2 VRV). Auch die Missachtung dieser Pflicht erfüllt unter den genannten
Voraussetzungen den objektiven Tatbestand von Art. 91 Abs. 3 SVG (BGE 125 IV
283 E. 2a). Kehrt der Fahrzeuglenker nach kurzer Zeit zur Unfallstelle zurück
und kann daher der Blutalkoholgehalt noch zuverlässig ermittelt werden, fällt
lediglich eine Verurteilung wegen versuchter Vereitelung in Betracht (BGE 115
IV 51 E. 5, mit Hinweis).

2.3 Der Beschwerdeführer stellt nicht in Abrede, dass die Anordnung einer
Blutprobe angesichts der Umstände sehr wahrscheinlich war. Er macht aber
geltend, ein kurzfristiges Sich-Entfernen von der Unfallstelle für die Dauer
von 30 Minuten stelle keine relevante Tathandlung im Sinne von Art. 91 Abs. 3
SVG dar. Dieser Einwand ist unbegründet. Der Beschwerdeführer verliess vor
dem Eintreffen der Polizei die Unfallstelle, ohne dem Beteiligten
mitzuteilen, wohin er sich begebe. Frühestens eine halbe Stunde später kehrte
er zurück. Die Polizeibeamten waren nicht mehr anwesend. In der Folge
unterliess er es, sich unverzüglich bei der Polizei zu melden. Erst circa 36
Stunden später sprach er bei der Polizei vor. Dadurch hat er sich nicht nur
kurzfristig, sondern für lange Zeit den polizeilichen Abklärungen entzogen
und somit auch die Anordnung einer Blutprobe vereitelt. Indem er die
Unfallstelle verliess, missachtete er zudem die in Art. 56 Abs. 2 VRV
festgesetzte Pflicht, wonach sich Beteiligte nicht vom Unfallort entfernen
dürfen, wenn ein Geschädigter die Polizei beiziehen will. Zudem hat er auch
die in Art. 51 Abs. 3 SVG festgesetzte Pflicht verletzt, dass nach einem
Unfall mit Sachschaden sofort der Geschädigte unter Angabe von Namen und
Adresse und - wenn dies nicht möglich ist - unverzüglich die Polizei zu
benachrichtigen ist.

Der Einwand des Beschwerdeführers, die Polizei hätte versuchen müssen, ihn in
der Liegenschaft zu suchen, vermag daran nichts zu ändern. Die Identität des
Beschwerdeführers war der Polizei nicht bekannt, und er trat in eine
Liegenschaft, in der zahlreiche Mieter wohnen und sich ausserdem ein Bordell
befindet. Das Durchsuchen einer solchen Liegenschaft stünde in keinem
Verhältnis zum abzuklärenden Sachverhalt. Angesichts dieser Umstände ist das
Verhalten der Polizei auch nicht als freiwilliger Verzicht auf die Anordnung
einer Blutentnahme aufzufassen.

Bei diesem Ergebnis kann offen bleiben, ob der Beschwerdeführer den
Tatbestand nicht bereits dadurch erfüllt hat, dass er die Polizei nicht
unverzüglich gemäss Art. 51 Abs. 3 Satz 2 SVG verständigte, obschon er die
Geschädigte B.________ allenfalls nicht sofort im Sinne von Art. 51 Abs. 3
Satz 1 SVG benachrichtigen konnte.

Die Beschwerde ist demnach in diesem Punkt abzuweisen, soweit darauf
einzutreten ist.

3.
Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, er habe nicht mit Eventualvorsatz
gehandelt. Er habe möglichst bald wieder zur Unfallstelle zurückkehren
wollen. Tatsächlich sei er nach 30 Minuten dorthin zurückgekehrt, nachdem er
in der Liegenschaft nach seiner kranken Freundin gesehen und sie mit der
nötigen Pflege versehen habe. Er habe nicht in Kauf genommen, dass er sich
durch das Sich-Entfernen vom Unfallort einer Blutprobe entziehen würde.

Die Vorinstanz hielt fest, der Beschwerdeführer habe gewusst, dass A.________
die Polizei beiziehen wollte. Er habe mit der Anordnung einer Blutprobe
gerechnet. Er habe die Unfallstelle für mindestens 30 Minuten verlassen und
sich erst 36 Stunden später bei der Polizei gemeldet. Durch dieses Verhalten
habe er die Vereitelung einer Blutprobe zumindest in Kauf genommen.

3.1 Zur Erfüllung des subjektiven Tatbestands von Art. 91 Abs. 3 SVG genügt
Eventualvorsatz (BGE 126 IV 53 E. 2a, mit Hinweisen). Eventualvorsatz ist
unter anderem gegeben, wenn der Fahrzeuglenker die Umstände kannte, welche
die Meldepflicht (1) sowie die hohe Wahrscheinlichkeit der Anordnung einer
Blutprobe (2) begründen, so dass die Unterlassung der gemäss Art. 51 Abs. 3
SVG vorgeschriebenen und ohne Weiteres möglichen Meldung an die Polizei
vernünftigerweise nur als Inkaufnahme der Vereitelung einer Blutprobe
gewertet werden kann (BGE 126 IV 53 E. 2a; 109 IV 137 E. 2b). Dasselbe gilt
unter der zweiten Voraussetzung, wenn ein Unfallverursacher die Tatsachen
kannte, welche eine Mitwirkungspflicht gemäss Art. 56 Abs. VRV auslösen, und
er dieser nicht nachkommt.

3.2 Der Einwand des Beschwerdeführers geht fehl. Selbst wenn er angenommen
haben sollte, dass die Polizeibeamten nach 30 Minuten noch an der
Unfallstelle anwesend seien und eine Blutprobe anordnen könnten, erfüllte er
den Tatbestand mit seinem weiteren Verhalten (eventual-)vorsätzlich. Der
Beschwerdeführer kannte die Umstände, welche die Meldepflicht gemäss Art. 51
Abs. 3 SVG begründen. Auch waren ihm die Tatsachen bekannt, die ihn gestützt
auf Art. 56 Abs. 2 VRV verpflichteten, bei der Feststellung des Sachverhalts
mitzuwirken. Zudem war ihm bewusst, dass aufgrund der Umstände die Anordnung
der Blutprobe sehr wahrscheinlich war. Indem er es unterliess - nachdem er
feststellen musste, dass entgegen seiner (angeblichen) Vorstellung die
Polizei nicht mehr an der Unfallstelle anwesend war -, sich unverzüglich bei
der Polizei zu melden, hat er zumindest in Kauf genommen, dass durch sein
Verhalten eine Blutprobe vereitelt wurde.

Die Beschwerde ist somit auch in diesem Punkt abzuweisen, soweit darauf
einzutreten ist.

4.
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die
bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (278 Abs. 1 BStP), und es wird ihm keine
Entschädigung ausgerichtet (Art. 278 Abs. 3 BStP).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf
einzutreten ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons
Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 15. Oktober 2003

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: