Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.414/2002
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6S.414/2002 /kra

Urteil vom 6. März 2003
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Karlen,
Gerichtsschreiber Weissenberger.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Marcel Grass, Effingerstrasse
16, Postfach 6417, 3001 Bern,

gegen

Generalprokurator des Kantons Bern, Postfach 7475, 3001 Bern.

Zusammentreffen von strafbaren Handlungen (Art. 68 StGB); Strafzumessung
(Art. 63 StGB); qualifizierte Veruntreuung,

Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Kassationshofs des Kantons Bern
vom 12. August 2002.

Sachverhalt:

A.
A.a Ab Anfang April 1998 ermittelten die Untersuchungsbehörden des Kantons
Bern gegen X.________ und weitere Personen wegen Vermögens- und
Urkundendelikten mit einer Schadenssumme von mehreren Millionen Franken. Am
1./2. Mai 2000 wurde die Untersuchung gegen X.________ wegen einzelner
entscheidungsreifer Vorwürfe vom Hauptverfahren abgetrennt und separat
fortgesetzt. Auf Gesuch X.________s zogen die Untersuchungsbehörden sämtliche
Akten des Hauptverfahrens im separaten Verfahren bei und übernahmen Teile
davon. Mit Beschlüssen des Untersuchungsrichters und der Staatsanwaltschaft
vom 11. August und 3./9./12. Oktober 2000 wurde das abgetrennte Verfahren
gegen X.________ wegen qualifizierter Veruntreuung als Notar und als Vormund
sowie Urkundenfälschung dem Wirtschaftsstrafgericht des Kantons Bern zur
Beurteilung überwiesen. Auf das von X.________ dagegen erhobene kantonale
Rechtsmittel trat das Obergericht des Kantons Bern nicht ein. Das
Bundesgericht ist seinerseits auf die dagegen eingereichte staatsrechtliche
Beschwerde nicht eingetreten.

Im Mai und Juni 2001 beantragte X.________ beim Wirtschaftsstrafgericht, das
abgetrennte Verfahren bis zum Abschluss der Voruntersuchung im Hauptverfahren
zu sistieren und anschliessend beide Verfahren zu vereinigen, eventuell die
Akten der Voruntersuchung im abgetrennten Verfahren nicht beizuziehen bzw.
nicht zu verwenden. Mit Verfügungen vom 21. Mai und 14. Juni 2001 wies die
Verfahrensleitung des Wirtschaftsstrafgerichts die Anträge ab. Am ersten Tag
der Hauptverhandlung vor dem Wirtschaftsstrafgericht am 3. September 2001
stellte X.________ die Anträge erneut. Das Wirtschaftsstrafgericht wies den
Sistierungsantrag ab und setzte den Antrag auf Aktenaussonderung bis auf
weiteres aus, worauf X.________ umgehend den Ausstand sämtlicher Mitglieder
des Wirtschaftsstrafgerichts beantragte. Das Obergericht des Kantons Bern
wies das Ablehnungsgesuch noch am gleichen Tag ab. Eine dagegen gerichtete
staatsrechtliche Beschwerde wies das Bundesgericht am 31. Oktober 2001 im
summarischen Verfahren ab, soweit es darauf eintrat (zum Verfahren vgl.
Urteil des Bundesgerichts 1P.561/2001 vom 31. Oktober 2001). Gegen diesen
Entscheid führte X.________ nach eigener Darstellung erfolglos Beschwerde
beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg (Beschwerde,
S. 14).

A.b Das Wirtschaftsstrafgericht des Kantons Bern verurteilte X.________ am
17. September 2001 wegen qualifizierter Veruntreuung in der Höhe von
insgesamt über 3,3 Mio Franken zum Nachteil einer Vielzahl von Geschädigten
sowie wegen Urkundenfälschung zu einer Zuchthausstrafe von 4 ¼ Jahren. In den
übrigen Anklagepunkten (Urkundenfälschung und zwei Vorwürfe qualifizierter
Veruntreuung) erfolgten Freisprüche.

B.
B.aGegen dieses Urteil erhoben sowohl die Staatsanwaltschaft als auch
X.________ Appellation. Vor dem Kassationshof des Kantons Bern stellte
X.________ erneut mehrere Anträge auf Sistierung des Verfahrens. Ferner
beantragte er, die beiden Verfahren zu vereinigen. Der Kassationshof des
Kantons Bern wies diese Anträge ab, soweit sie aufrechterhalten worden waren
(dazu und zu weiteren prozessualen Schritten im Appellationsverfahren vgl.
angefochtenes Urteil, S. 5 ff.).
B.b Mit Urteil vom 12. August 2002 stellte der Kassationshof des Kantons Bern
fest, das Urteil des Wirtschaftsgerichts des Kantons Bern vom 17. September
2001 gegen X.________ sei insoweit rechtskräftig, als er damit von der
Anschuldigung der mehrfachen qualifizierten Veruntreuung (angeblicher
Tatzeitraum 1. bis 29. Januar 1996) freigesprochen sowie der mehrfachen
qualifizierten Veruntreuung (Tatzeitraum 30. Januar 1996 bis 3. April 1998)
in der Höhe von über 3,3 Mio Franken und der Urkundenfälschung durch
Falschbeurkundung eines Kaufvertrages (Kaufpreis CHF 3'000.-- statt 9'000.--)
schuldig gesprochen worden war. Ferner sprach der Kassationshof X.________
vom Vorwurf der Urkundenfälschung (angebliche Tatzeit 2. Mai 1997) betreffend
eine Quittung über CHF 3 Mio frei. Hingegen sprach er ihn der qualifizierten
Veruntreuung zum Nachteil seines Mündels schuldig. Gestützt darauf und auf
die rechtskräftigen Schuldsprüche verurteilte der Kassationshof X.________ zu
4 ½ Jahren Zuchthaus und verbot ihm, während fünf Jahren den Beruf des Notars
auszuüben.

C.
X.________ erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Hauptantrag,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Gleichzeitig sei die Vorinstanz anzuweisen, das
Verfahren bis zum Abschluss der beim Untersuchungsrichteramt des Kantons Bern
hängigen Voruntersuchung zu sistieren und die beiden Verfahren zu vereinigen.

Das Bundesgericht hat der Beschwerde am 13. November 2002 aufschiebende
Wirkung zuerkannt (act. 11). Die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern
beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne
(act. 9, 10).

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ist kassatorischer Natur (Art.
277ter Abs. 1 BStP). Soweit der Beschwerdeführer "subeventualiter" mehr
beantragt, als das angefochtene Urteil aufzuheben (Beschwerde, S. 2), ist er
nicht zu hören.

2.
Der Beschwerdeführer bringt vor, das Verfahren gegen ihn wegen qualifizierter
Veruntreuung sei aus der Voruntersuchung "herausgelöst" und anschliessend
getrennt von den weiteren untersuchten Vorwürfen geführt worden. Durch die
Beurteilung nur eines Teils der Anschuldigungen habe die Vorinstanz Art. 68
StGB verletzt (Beschwerde, S. 15-22).

2.1 Die Vorinstanz führt dazu aus, sie habe bereits in ihrem Entscheid vom
21. Mai 2002 festgehalten, es ergebe sich aus dem eingeholten Bericht des
kantonalen Untersuchungsrichteramtes, dass sich die laufende Voruntersuchung
kompliziert gestalte und nicht in absehbarer Zeit abgeschlossen werden könne
("vor Ende 2003 sehr unwahrscheinlich"). In dieser zeitlichen Konstellation
habe das Beschleunigungsgebot Vorrang. Damit sei die Beurteilung der
abgetrennten und entscheidungsreifen Sache nicht zu beanstanden. Dies gelte
umso mehr, als der Beschwerdeführer in Bezug auf die in erster Instanz
ergangenen Schuldsprüche ein Geständnis abgelegt habe. Im Übrigen verweise
der Beschwerdeführer selber auf Art. 68 Ziff. 2 StGB. Diese Bestimmung stelle
sicher, dass der Beschwerdeführer auch in getrennt geführten Verfahren nicht
schlechter gestellt werde, als wenn die strafbaren Handlungen gesamthaft
beurteilt worden wären. Art. 68 StGB gebe keinen unbedingten Anspruch auf
einheitliche Beurteilung mehrerer Delikte (angefochtenes Urteil, S. 9 f.).
2.2 Nach dem Sinn und Zweck von Art. 68 Ziff. 1 StGB sollen Strafverfahren
wegen verschiedener Delikte zwar nach Möglichkeit vereinigt bzw. nicht
getrennt werden. Er gibt dem Beschuldigten jedoch keinen Anspruch darauf,
dass ein und derselbe Richter alle Handlungen in einem einzigen Verfahren
beurteilt (vgl. BGE 102 IV 239; 91 IV 57; 84 IV 11; ferner zu Art. 350 StGB
BGE 97 IV 52 E. 2 S. 55 f.; 95 IV E. 2; 87 IV 46; 68 IV 123; ebenso Jürg-Beat
Ackermann, in: Basler Kommentar StGB, Bd. I, Basel 2003, Art. 68 N. 69 m.w.H.
zur kantonalen Rechtsprechung; Stefan Trechsel, Schweizerisches
Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl. Zürich 1997, Art. 68 N. 17). Selbst
der sich auch aus dem materiellen eidgenössischen Strafrecht sich ergebende
Grundsatz von "ne bis in idem" gewährt keinen solchen Anspruch (Ackermann,
a.a.O., ebenda; zur Herleitung des Grundsatzes vgl. BGE 125 II 402 E. 1b und
116 IV 262 E. 3a), zumindest dann nicht, wenn dem Beschuldigten eine
Tatmehrheit zur Last gelegt wird und die Beurteilung einer oder mehrerer
Taten getrennt von den anderen erfolgt. Art. 68 Ziff. 1 StGB berührt das
kantonale Prozessrecht nicht und überlässt es diesem, darüber zu bestimmen,
ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen zwei oder mehrere
Strafverfahren getrennt durchzuführen oder zu vereinigen sind (BGE 84 IV 11
am Ende). Diese Möglichkeit darf freilich nicht dazu benutzt werden, das
materielle (Straf-)Recht zu umgehen (BGE 91 IV 57: Abtrennung des Verfahrens,
um dem Beschuldigten für ein Delikt den bedingten Strafvollzug gewähren zu
können).

2.3 Die vorweggenommene Beurteilung der von den Vorinstanzen beurteilten
Vorwürfe war sachlich begründet, da diese im Unterschied zu den übrigen
Tatvorwürfen entscheidungsreif waren und eine gemeinsame Beurteilung erst
nach mehreren Jahren möglich gewesen wäre. Eine Umgehung des materiellen
Strafrechts liegt damit nicht vor. Die Trennung des Verfahrens verletzte
Bundesrecht auch nicht, weil die hier zu beurteilenden Sachverhalte sich "vor
dem Hintergrund eines einzigen Gesamtkonnexes zugetragen" haben und zwischen
ihnen ein "Kausalzusammenhang von Ursache und Wirkung" bestanden haben soll
(vgl. Beschwerde, S. 15). Selbst wenn anzunehmen wäre, dass die Delikte ohne
die noch untersuchten Tatvorwürfe "nicht denkbar" gewesen wären (Beschwerde,
S. 16), so handelt es sich in beiden Verfahren um klar voneinander
abgrenzbare eigenständige Taten. Ein sich auf Art. 68 StGB oder den Grundsatz
"ne bis in idem" ergebender Anspruch des Beschwerdeführers darauf, alle
Tatvorwürfe durch ein und denselben Richter und in einem einzigen Verfahren
beurteilt zu sehen, ist zu verneinen. Soweit der Beschwerdeführer sich gegen
die prozessrechtlichen Grundlagen des Entscheids zur Verfahrenstrennung zu
wenden scheint, ist darauf nicht einzutreten; das betrifft kantonales Recht,
dessen Verletzung mit Nichtigkeitsbeschwerde nicht gerügt werden kann.

3.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Strafzumessung und macht in diesem
Zusammenhang die Verletzung von Art. 63 StGB geltend (Beschwerde, S. 22 ff.
sowie S. 16 f.).

Die Vorinstanz hat die Strafzumessung sorgfältig und einsichtig begründet
(angefochtenes Urteil, S. 29 ff.). Der Beschwerdeführer bringt nichts vor,
was die Bemessung der Strafe in Frage stellen könnte. Es kann vollumfänglich
auf die bundesrechtlich überzeugenden Erwägungen der Vorinstanz verwiesen
werden  (Art. 36a Abs. 3 OG).

4.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.

Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Da
seine Begehren von vornherein aussichtslos waren, ist sein Gesuch abzuweisen
(Art. 152 Abs. 1 OG). Dementsprechend hat er die Kosten des Verfahrens zu
tragen (Art. 278 Abs. 1 BStP). Angesichts seiner finanziellen Verhältnisse
sind jedoch nur reduzierte Kosten zu erheben.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 800.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Generalprokurator des Kantons
Bern und dem Kassationshof des Kantons Bern schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 6. März 2003

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: