Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.350/2002
Zurück zum Index Kassationshof in Strafsachen 2002
Retour à l'indice Kassationshof in Strafsachen 2002


6S.350/2002 /kra

Urteil vom 11. Februar 2003
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Schubarth, Wiprächtiger, Kolly, Karlen,
Gerichtsschreiber Weissenberger.

X. ________,
Beschwerdeführer,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Postfach, 8023 Zürich.

Begünstigung und Widerruf,

Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich,
II. Strafkammer, vom 24. Mai 2002.

Sachverhalt:

A.
Das Bezirksgericht Zürich sprach X.________ am 6. März 2002 der Begünstigung
(Art. 305 Abs. 1 StGB) schuldig und bestrafte ihn mit 14 Tagen Gefängnis
bedingt. Gleichzeitig verlängerte es die Probezeit für eine Vorstrafe aus dem
Jahr 1998. Auf Berufung des Verurteilten hin bestätigte das Obergericht des
Kantons Zürich den angefochtenen Entscheid in den genannten Punkten.

B.
Der Verurteilung liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: Gegen M.K.________
und S.K.________ war am frühen Nachmittag des 20. März 2001 eine
Strafverfolgung eingeleitet worden. Die beiden waren bereits im Verlauf des
Morgens im Zusammenhang mit einer Strafanzeige wegen Betrugs in ihrem
Hotelzimmer polizeilich kontrolliert worden, doch hatte sich zunächst keine
Grundlage für eine Verhaftung ergeben. Erst als der ältere der beiden Männer
nach der Kontrolle in ein Taxi stieg, fiel dem Polizisten das von der
Anzeigestellerin beschriebene ungewöhnliche Schuhwerk von M.K.________ auf.
Nachdem die Polizisten mit der Bezirksanwaltschaft Rücksprache genommen
hatten, wurde die Verhaftung der beiden Männer im Hinblick auf ihre Befragung
und Konfrontation mit der Anzeigestellerin beschlossen. Da bereits bekannt
war, dass die gesuchten Männer keinen festen Wohnsitz hatten und eine weitere
Nacht im Hotel verbringen wollten, wurde die Hotelrezeption angewiesen, bei
ihrem Erscheinen sofort die Polizei zu kontaktieren.

Gleich nach der Kontrolle durch die Polizei hatte M.K.________ den X.________
telefonisch angerufen und ihn unter dem Vorwand der Zeitnot gebeten, sein
Reisegepäck und dasjenige von S.K.________ aus dem Hotel zu holen. Er fuhr
dann zu X.________ und überbrachte ihm den elektronischen
Hotelzimmerschlüssel. X.________ begab sich anschliessend zum Hotel und holte
wie vereinbart das Reisegepäck. Er gab dann den Schlüssel an der Rezeption
ab, fuhr zu sich nach Hause und brachte das Gepäck schliesslich zu
M.K.________ und S.K.________ in ein anderes Hotel. Beiden Männern gelang
offenbar die Flucht.

X. ________ wusste von Anbeginn, dass M.K.________ und S.K.________ am selben
Morgen im Hotel von der Polizei kontrolliert worden waren und bereits einige
Tage vorher deren Vater verhaftet worden war. Im Anschluss an dessen
Verhaftung hatte sich M.K.________ bei X.________ nach einem Anwalt
erkundigt. Bevor X.________ beiden Männern aushalf, erklärte ihm
M.K.________, aus Angst vor einer Verhaftung könne und wolle er nicht mehr
ins Hotelzimmer zurück, weshalb X.________ ihm doch seine Tasche holen und
nachher überbringen möge. Das Obergericht nimmt an, aufgrund der Umstände
habe es X.________ ernsthaft für möglich gehalten, dass die beiden Männer
eine Straftat begangen hatten und befürchteten, deswegen doch noch von der
Polizei in Gewahrsam genommen zu werden.

C.
X.________ erhebt gegen das Urteil des Obergerichts eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, es vollumfänglich aufzuheben und die
Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Die Staatsanwaltschaft und das Obergericht des Kantons Zürich verzichten auf
Gegenbemerkungen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde kann nur damit begründet werden, dass das
angefochtene Urteil eidgenössisches Recht verletze; die Rüge der Verletzung
verfassungsmässiger Rechte ist dabei ausgeschlossen (Art. 269 BStP). Das
Bundesgericht hat seinem Entscheid die tatsächlichen Feststellungen der
kantonalen Behörde zu Grunde zu legen, wobei offensichtlich auf Versehen
beruhende Feststellungen von Amtes wegen berichtigt werden. Ausführungen, die
sich gegen die tatsächlichen Feststellungen des Entscheids richten, das
Vorbringen neuer Tatsachen, neue Einreden, Bestreitungen und Beweismittel,
sowie Erörterungen über die Verletzung kantonalen Rechts sind unzulässig
(Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP).

Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die tatsächlichen Feststellungen der
Vorinstanz wendet, die Grundlage für die Annahme des Vorsatzes sind
(Beschwerde, Ziff. 3.3 g), ist er somit nicht zu hören.

2.
Der Beschwerdeführer bestreitet, dass sein Verhalten den Tatbestand der
Begünstigung im Sinne von Art. 305 Abs. 1 StGB erfüllte.

2.1 Der Begünstigung nach Art. 305 Abs. 1 StGB macht sich schuldig, wer
jemanden der Strafverfolgung, dem Strafvollzug oder dem Vollzug einer der in
den Artikeln 42-44 und 100bis StGB vorgesehenen Massnahmen entzieht.

Die Tathandlung des Entziehens setzt voraus, dass der Täter eine Amtshandlung
im Strafverfahren mindestens für eine gewisse Zeit verhindert hat (BGE 117 IV
467 E. 3 mit Hinweisen). Sie ist vollendet, wenn beispielsweise eine
strafprozessuale Zwangsmassnahme wie die Verhaftung erst später erfolgen
kann, als es ohne die Handlung des Begünstigenden geschehen wäre (BGE 103 IV
98 E. 1; 104 IV 186 E. 1b; 106 IV 189 E. 2c). Eine blosse Beistandshandlung,
welche die Strafverfolgung nur vorübergehend oder geringfügig behindert bzw.
stört, genügt jedoch nicht (vgl. BGE 99 IV 266 E. 3 S. 276 f.). Zu den als
Begünstigung in Frage kommenden Tathandlungen zählen unter anderem das
Verbergen von Beweismitteln, um zu Gunsten der verfolgten Person die
Sachaufklärung hinauszuschieben, sowie das zeitweilige Beherbergen eines
Flüchtigen oder von den Strafverfolgungsbehörden Gesuchten, dessen
Transportierung und die Leistung materieller Unterstützung an ihn (vgl. nur
Stefan Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, 2. Aufl.
Zürich 1997, Art. 305 N. 8 f. mit ausführlichen Nachweisen; Ursula Cassani,
Commentaire du droit pénal suisse, partie spéciale, Vol. 9, Bern 1996, Art.
305 N. 13 ff.). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung muss aber in
jedem Fall nachgewiesen sein, dass der Flüchtige, Verdächtige usw. gerade
wegen der Handlung des angeblichen Begünstigers dem polizeilichen Zugriff für
eine gewisse Zeit entzogen worden ist (BGE 114 IV 36 E. 1b; 117 IV 467 E. 4
c).

2.2 Gegenüber der Vorinstanz brachte der Beschwerdeführer vor, er habe keine
Begünstigung begangen, weil die beiden Männer auch ohne seine Mitwirkung
nicht ins Hotel zurückgekehrt wären, sondern für diesen Fall ihr Gepäck
aufgegeben und den elektronischen Hotelzimmerschlüssel fortgeworfen hätten.
Die Vorinstanz verneint dies mit dem Hinweis, den beiden Tatverdächtigen sei
angesichts der Umstände offensichtlich sehr viel daran gelegen gewesen, "zu
ihrem Gepäck zu kommen". Gleichzeitig räumt sie ein, es könne nicht widerlegt
werden, dass das Reisegepäck etwas anderes als bloss Rasiersachen, Seife und
Ähnliches enthalten habe. Angesichts des verbindlich festgestellten Inhalts
des Reisegepäcks ist der Einwand des Beschwerdeführers nicht zu widerlegen.
Es ist nicht ersichtlich, inwiefern der Beschwerdeführer M.K.________ und
S.K.________ dem polizeilichen Zugriff für eine gewisse, nicht unerhebliche
Zeit entzogen haben soll, indem er das Gepäck der beiden Männern holte und es
ihnen überbrachte. Die ohne weiteres ersetzbaren persönlichen Effekte konnten
den Tatverdächtigen die Flucht bzw. die Abreise lediglich etwas bequemer
gestalten, sie jedoch nicht in relevanter Weise fördern. Das Verhalten des
Beschwerdeführers erscheint damit als untergeordnete Beistandshandlung, worin
kein Entziehen von der Strafverfolgung im Sinne der Rechtsprechung liegt
(vgl. insbesondere BGE 117 IV 468 E. 4c zur Verköstigung eines Flüchtigen).
Die Verurteilung wegen vollendeter Begünstigung verletzt damit Bundesrecht.

3.
Mit der Gutheissung der Beschwerde im Hauptpunkt wird die Vorinstanz die
Frage der Verlängerung der Probezeit für die Vorstrafe neu beurteilen müssen.
Die Beschwerde ist in diesem Punkt ebenfalls gutzuheissen.

4.
Die Beschwerde ist deshalb gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist. Bei
diesem Verfahrensausgang sind keine Kosten zu erheben und ist dem
Beschwerdeführer eine Parteientschädigung aus der Bundesgerichtskasse
auszurichten. Damit ist das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche
Rechtspflege gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf
einzutreten ist, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, vom 24. Mai 2002 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung
an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtsgebühren erhoben.

3.
Dem Beschwerdeführer wird für das Verfahren vor Bundesgericht eine
Entschädigung von Fr. 3'000.-- aus der Bundesgerichtskasse ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons
Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 11. Februar 2003

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: