Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.329/2002
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6S.329/2002 /pai

Urteil vom 9. Januar 2003
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Schubarth, Wiprächtiger,
Gerichtsschreiber Weissenberger.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt lic.iur. Reto Caflisch,
Fankhauser Hauri Caflisch, Rennweg 10, 8001 Zürich,

gegen

Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich, Abteilung Bewährungs- und
Vollzugsdienste, Feldstrasse 42, 8090 Zürich.

Vollstreckung aufgeschobener Strafen,

Nichtigkeitsbeschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons
Zürich, III. Strafkammer, vom 27. Juni 2002.

Sachverhalt:

A.
Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte X.________ am 8. September
2000 wegen mehrfacher Drohung, Urkundenfälschung und Fahrens in angetrunkenem
Zustand zu 5 Monaten Gefängnis. Gestützt auf Art. 44 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
ordnete es eine stationäre Massnahme in einer Trinkerheilanstalt an und schob
den Vollzug der Freiheitsstrafe in Anwendung von Art. 43 Ziff. 2 Abs. 1 StGB
für die Dauer der Massnahme auf.

B.
Der Bewährungsdienst Zürich III des Amtes für Justizvollzug (AJV) wies den
Verurteilten beginnend mit dem 22. Januar 2001 in die Forel Klinik in Ellikon
an der Thur ein. Gleichzeitig schob er gestützt auf Art. 2 Abs. 8 VStGB 1 den
Vollzug einer dreimonatigen Gefängnisstrafe aus dem Jahr 1995 auf.

Gemäss Bericht der Forel Klinik vom 20. März 2001 nahm X.________ zwar an
sämtlichen therapeutischen Anlässen des Behandlungsprogramms der Klinik teil,
doch konnte er sich auf Grund seiner Persönlichkeitsstruktur nicht aktiv mit
seiner Problematik auseinandersetzen. Da er vom therapeutischen Angebot nicht
profitieren konnte, beendete die Klinik die stationäre Massnahme vorzeitig.
X.________ verpflichtete sich aber unter anderem, sich regelmässigen
Alkoholkontrollen bei der Zürcher Fachstelle für Alkoholprobleme zu
unterziehen und einen Psychotherapeuten für eine ambulante Therapie zu
suchen.

Das Amt für Justizvollzug stellte am 11. April 2001 den Vollzug der
stationären Massnahme mit Datum seines Entscheides als gescheitert ein. Es
ersuchte das Obergericht des Kantons Zürich, der Empfehlung der Forel Klinik
zu folgen und gestützt auf Art. 44 Ziff. 3 StGB eine ambulante Massnahme nach
Art. 44 Ziff. 1 Abs. 1 StGB unter Aufschub der Gefängnisstrafen von 5 und 3
Monaten zu Gunsten der Massnahme anzuordnen.

Am 27. Juli 2002 beschloss das Obergericht des Kantons Zürich, III.
Strafkammer, die zu Gunsten der stationären Massnahme aufgeschobenen
Freiheitsstrafen zu vollstrecken.

C.
X.________ führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, den Beschluss des
Obergerichts des Kantons Zürich vom 27. Juli 2002 aufzuheben und die Sache zu
neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Das Amt für Justizvollzug Zürich beantragt, die Beschwerde gutzuheissen und
den angefochtenen Beschluss aufzuheben.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz führt aus, der Beschwerdeführer wolle sein Alkoholproblem
gegenteiligen Äusserungen zum Trotz nicht ernsthaft angehen und sich weder
stationär noch ambulant behandeln lassen. Deshalb bleibe nichts anderes
übrig, als die gemäss Urteilen der II. Strafkammer des Obergerichts des
Kantons Zürich vom 8. September 2000 und des Einzelrichters in Strafsachen
des Bezirksgerichtes Zürich vom 28. April 1995 ausgefällten und zu Gunsten
einer stationären Massnahmen aufgeschobenen Gefängnisstrafen von 5 und 3
Monaten zu vollziehen (angefochtener Beschluss, S. 5 f.).
1.1 Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung von Bundesrecht geltend. Die
Vorinstanz habe entgegen Art. 44 Ziff. 3 StGB und der Rechtsprechung des
Bundesgerichts nicht geprüft, wie weit sein ungefähr zweimonatiger
stationärer Aufenthalt in der Forel Klinik auf die aufgeschobenen
Freiheitsstrafen anzurechnen sei (Beschwerde, S. 5).

1.2 Zeigt sich, dass der Eingewiesene nicht geheilt werden kann oder sind die
Voraussetzungen der bedingten Entlassung nach 2 Jahren Aufenthalt in der
Anstalt noch nicht eingetreten, so entscheidet nach Einholung eines Berichts
der Anstaltsleitung der Richter, ob und wieweit aufgeschobene Strafen noch
vollstreckt werden sollen (Art. 44 Ziff. 3 Abs. 1 StGB).

Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung zu Art. 44 Ziff. 3 und Art. 69 StGB
ist die Dauer freiheitsentziehender Massnahmen grundsätzlich auf die
aufgeschobene Freiheitsstrafe anzurechnen (BGE 120 IV 176 E. 2a mit
Hinweisen). Dabei braucht die Anrechnung nicht mit der Massnahmedauer
übereinzustimmen. Ist der Vollzug der Massnahme unter dem Gesichtspunkt der
tatsächlichen Beschränkung der persönlichen Freiheit dem Strafvollzug
ungefähr gleich zu setzen, so ist in der Regel die ganze Dauer der Massnahme
anrechenbar. Wird hingegen die persönliche Massnahme durch die Massnahme
weniger beschränkt, so kann nur eine entsprechend gekürzte Dauer
berücksichtigt werden. Massgebend ist, inwieweit die Massnahme die
persönliche Freiheit des Betroffenen bzw. sein Recht, sich frei zu bewegen,
sich aufzuhalten und zu wohnen, wo er will, beeinträchtigt hat (BGE 120 IV
176 E. 2a mit Hinweisen). Der Richter hat das Ausmass der
Freiheitsbeschränkung des erfolgten Massnahmevollzugs möglichst genau zu
ermitteln und ins Verhältnis zu jenem des Freiheitsentzugs im Strafvollzug zu
setzen. Lediglich einen Teil der Dauer der Massnahme auf die Freiheitsstrafe
anzurechnen kann sich etwa bei freiheitlichen Vollzugseinrichtungen
rechtfertigen, doch erfordert jede Kürzung eine differenzierte Prüfung und
Begründung (vgl. Marianne Heer, Basler Kommentar StGB, Band I, Art. 44 N.
79).

1.3 Die Vorinstanz legt nicht dar, weshalb sie die Dauer der stationären
Massnahme in der Forel Klinik nicht anrechnet. Sie hat damit die oben
erwähnten Grundsätze verletzt. Bei der Neubeurteilung wird sie prüfen, ob und
in welchem Umfang der Aufenthalt des Beschwerdeführers im stationären
Massnahmevollzug auf die aufgeschobenen Strafen anzurechnen ist.

2.
Die Beschwerde ist gutzuheissen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine
Kosten zu erheben und wird dem Beschwerdeführer eine Entschädigung von Fr.
2'000.-- aus der Bundesgerichtskasse ausgerichtet. Damit wird das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, der Beschluss des Obergerichts
des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 27. Juli 2002 aufgehoben und die
Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Dem Beschwerdeführer wird für das bundesgerichtliche Verfahren eine
Entschädigung von Fr. 2'000.-- aus der Bundesgerichtskasse ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Amt für Justizvollzug des
Kantons Zürich, Abteilung Bewährungs- und Vollzugsdienste und dem Obergericht
des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 9. Januar 2003

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: