Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.217/2002
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6S.217/2002 /kra

Urteil vom 3. April 2003
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Kolly, Karlen,
Gerichtsschreiber Boog.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Hans Werner Meier, Postfach
1931, 8026 Zürich,

gegen

A.________,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwältin Anne Kasper Spoerri,
Sommerau, 8618 Oetwil am See,
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Postfach, 8023 Zürich.

Vollendeter Versuch der Schändung,

Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich,
II. Strafkammer, vom 27. März 2002.

Sachverhalt:

A.
Das Obergericht des Kantons Zürich erklärte X.________ mit Urteil vom 27.
März 2002 in zweiter Instanz des unvollendeten Versuchs der Schändung, der
einfachen Körperverletzung, der Hehlerei und der Drohung schuldig und
verurteilte ihn zu 15 Monaten Gefängnis mit bedingtem Strafvollzug mit einer
Probezeit von 3 Jahren. Ferner verpflichtete es ihn zur Zahlung einer
Genugtuung von Fr. 5'000.-- an die Geschädigte. In einem Punkt sprach das
Obergericht X.________ von der Anklage der einfachen Körperverletzung frei.
Schliesslich beschloss es über die Einziehung der beschlagnahmten
Gegenstände.

B.
X.________ führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das
angefochtene Urteil sei aufzuheben. Zudem ersucht er um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege.

C.
Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich haben auf
Stellungnahme bzw. Vernehmlassung verzichtet.

D.
Das Kassationsgericht des Kantons Zürich hat mit Beschluss vom 7. Dezember
2002 eine in derselben Sache erhobene kantonale Nichtigkeitsbeschwerde
abgewiesen, soweit es darauf eintrat.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen den Schuldspruch des unvollendeten
Versuchs der Schändung.

In dieser Hinsicht stellt die Vorinstanz für den Kassationshof verbindlich
fest (Art. 277bis Abs. 1 BStP), die Geschädigte habe sich am 1. Dezember
1998, um ca. 01.00 Uhr zusammen mit einem Bekannten in dessen Wohnung begeben
und sich in ihren Kleidern zum Schlafen hingelegt. Zuvor habe sie
Beruhigungsmittel (0,5 mg Xanax [Sedativum] und 40 mg Seropram
[Antidepressivum]) zu sich genommen, am Abend habe sie zudem Bier konsumiert.
Gegen 05.00 Uhr sei sie erwacht, als sie bemerkt habe, wie ihr der im selben
Zimmer logierende Beschwerdeführer, mit welchem sie schon mehrmals sexuelle
Kontakte gehabt hatte, "die Hosen heruntergezogen, den Slip beiseite
geschoben und sein Glied in ihre Vagina eingeführt habe". Die Geschädigte
habe dagegen aufbegehrt und dem Beschwerdeführer gesagt, er solle sie in Ruhe
lassen, sie müsse am nächsten Morgen zügeln. Dieser habe erwidert, er wolle
"diesen Schuss loshaben". Körperlich habe sie sich nicht zur Wehr gesetzt.
Der Beschwerdeführer habe so schwer auf ihr gelegen, dass sie sich nicht habe
bewegen können. Ausserdem sei sie gerade aus dem Schlaf erwacht und sei unter
dem Einfluss der eingenommenen Medikamente gestanden. Das Ganze sei schnell
gegangen. Nachdem der Beschwerdeführer zum Samenerguss gekommen sei, habe er
sich auf die Matratze gelegt und sei eingeschlafen.

2.
Die Vorinstanz geht davon aus, die Geschädigte habe sich aufgrund ihrer durch
Alkohol- und Medikamentenkonsum verstärkten Schläfrigkeit und wegen des
Gewichts des auf ihr liegenden Beschwerdeführers körperlich nicht zur Wehr
setzen können. Dem Beschwerdeführer attestiert sie eine Verminderung der
Zurechnungsfähigkeit in mittlerem Grad. Zu seinen Gunsten nimmt sie an, es
könne nicht ausgeschlossen werden, dass er die wegen des Zustands der
Geschädigten höchstens schwach erfolgte bzw. wahrnehmbare Abwehr nicht
erkannt habe bzw. diese nicht habe erkennen oder richtig einordnen können. Es
lasse sich daher nicht nachweisen, dass er sich bewusst über die Abwehr der
Geschädigten hinweg gesetzt habe. Eine Vergewaltigung im Sinne von Art. 190
Abs. 1 StGB falle daher ausser Betracht.

Die Vorinstanz gelangt indes zum Schluss, das Verhalten des Beschwerdeführers
erfülle den Tatbestand der versuchten Schändung im Sinne von Art. 191 StGB.
Die Geschädigte habe zu Beginn der auf den Beischlaf gerichteten Handlungen
geschlafen und sei in dieser Phase somit widerstandsunfähig gewesen. An einer
völligen Widerstandsunfähigkeit fehle es von dem Zeitpunkt an, ab dem sie
erwacht sei, die Vorgänge in ihrem Zusammenhang erfasst habe und sich soweit
möglich dagegen habe zur Wehr setzen können.

In subjektiver Hinsicht nimmt die Vorinstanz an, dem Beschwerdeführer sei
nicht entgangen, dass die Geschädigte fest geschlafen habe. Indem er sich
darüber hinweggesetzt habe, habe er das Vorliegen einer
Widerstandsunfähigkeit und deren Ausnützung mindestens in Kauf genommen. Da
die Geschädigte jedoch in der Folge erwacht sei und es mithin erst zum
eigentlichen Beischlaf gekommen sei, als sie nicht mehr vollständig
widerstandsunfähig gewesen sei, liege lediglich ein unvollendeter Versuch
vor.

3.
Nach Art. 191 StGB macht sich der Schändung schuldig, wer eine
urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person in Kenntnis ihres
Zustandes zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen
sexuellen Handlung missbraucht.

Widerstandsunfähig ist, wer nicht im Stande ist, sich gegen ungewollte
sexuelle Kontakte zu wehren. Die Bestimmung von Art. 191 StGB schützt somit
Personen, die einen zur Abwehr ausreichenden Willen zum Widerstand gegen
sexuelle Übergriffe nicht oder nicht sinnvoll bilden, äussern oder betätigen
können. Dabei genügt, dass das Opfer nur vorübergehend widerstandsunfähig ist
(BGE 119 IV 230 E. 3a mit Hinweis; Lackner/Kühl, Strafgesetzbuch, 24. Aufl.
2001, § 179 N 3).

Die Widerstandsunfähigkeit des Opfers kann dauernder oder vorübergehender,
chronischer oder situationsbedingter Natur sein. Sie kann also etwa in
schweren psychischen Defekten, in einer hochgradigen Intoxikation durch
Alkohol oder Drogen, in körperlicher Invalidität, in einer Fesselung oder in
der besonderen Lage der Frau in einem gynäkologischen Stuhl, aber auch in
einer Summierung von Schläfrigkeit, Alkoholisierung und einem Irrtum in Bezug
auf die Person des für den Ehemann gehaltenen Sexualpartners liegen. Keine
Widerstandsunfähigkeit bewirkt aber die blosse - etwa alkoholbedingte -
Herabsetzung der Hemmschwelle (BGE 119 IV 230 E. 3a S. 233; Stratenwerth,
Schweizerisches Strafrecht, Bes. Teil I, 5. Aufl., Bern 1995, § 8 N 34 f.).

Erforderlich ist allerdings, dass die Widerstandsfähigkeit gänzlich
aufgehoben ist. Eine blosse Beeinträchtigung oder Einschränkung derselben
genügt nicht. Wird ein Rest von Widerstand überwunden, liegt mithin eine Tat
nach Art. 189 f. StGB vor (BGE 119 IV 230 E. 3a; Stratenwerth, a.a.O., § 8 N
35).

Missbrauch ist das Ausnützen der Schutzlosigkeit des zum Widerstand nicht
fähigen Opfers. Die vor Eintritt der Widerstandsunfähigkeit oder trotz
körperlicher Wehrlosigkeit gültig erteilte Einwilligung des Opfers in die
geschlechtlichen Handlungen schliesst den Tatbestand aus (Stratenwerth,
a.a.O., § 8 N 38; Rehberg/Schmid/Donatsch, Strafrecht III, 8. Aufl., Zürich
2003, S. 433 f.).

4.
Die Vorinstanz unterteilt den Tatvorgang in die Phase, während welcher die
Geschädigte schlief, und in den Abschnitt, in welchem sie aufgewacht war und
der Beschwerdeführer auf ihr gelegen hatte. Nur für die erste Phase nimmt sie
an, die Geschädigte sei völlig widerstandsunfähig gewesen. Sie stellt ferner
verbindlich fest, dass die Geschädigte nicht in das Ansinnen des
Beschwerdeführers eingewilligt hatte. In Abweichung zum erstinstanzlichen
Urteil würdigt die Vorinstanz das Geschehen daher nicht als vollendete,
sondern lediglich als unvollendet versuchte Schändung.

Wie der Beschwerdeführer in dieser Hinsicht zu Recht einwendet, verbietet
sich die Annahme eines unvollendeten Versuchs, wenn die fragliche Handlung in
einem Zug ausgeführt und tatsächlich vollendet wird. Nach Art. 21 Abs. 1 StGB
liegt ein unvollendeter Versuch nur vor, wenn der Täter, der mit der
Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare
Tätigkeit nicht zu Ende führt (Art. 21 Abs. 1 StGB). Das ergibt sich auch aus
Abs. 2 derselben Bestimmung. Denn ein Rücktritt vom Versuch ist nur möglich,
wenn die Tat nicht vollendet ist. Schwierigkeiten, die Handlung rechtlich zu
würdigen, dürfen somit nicht dazu verleiten, das objektive Geschehen
auszuklammern, und - unter Beschränkung der Rechtsfolgen auf Bestrafung wegen
Versuchs - lediglich den subjektiven Tatbestand zu beurteilen.

Diese unzutreffende Rechtsauffassung wirkt sich indes nicht zu Gunsten des
Beschwerdeführers aus. Denn die Vorinstanz geht auf der anderen Seite auch
fälschlicherweise davon aus, nachdem die Geschädigte erwacht sei, sei ihre
Widerstandsfähigkeit nicht mehr vollständig aufgehoben gewesen. Damit
verkennt die Vorinstanz, dass die Widerstandsunfähigkeit im Sinne von Art.
191 StGB nicht nur in tiefgreifenden Bewusstseinsstörungen, zu denen auch der
Schlaf gerechnet wird, sondern ebenso in körperlichen Defekten bestehen kann.

Aufgrund der verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz konnte
die Geschädigte nach dem Erwachen wegen ihrer durch Alkohol- und
Medikamentenkonsum verstärkten Schläfrigkeit und infolge des Gewichts des auf
ihr liegenden Beschwerdeführers "keine körperlichen Abwehrreaktionen
tätigen". In der ersten Phase des Tatvorgangs war die Willensbildung der
Geschädigten somit wegen ihres tiefen Schlafs, in der zweiten Phase aber aus
körperlichen Gründen vollständig ausgeschlossen.

Nach den Aussagen der Geschädigten, auf welche sich die Vorinstanz stützt,
erwachte sie, als der Beschwerdeführer ihr "die Hosen heruntergezogen, den
Slip auf die Seite geschoben und sein Glied in ihre Vagina eingeführt" hatte.
Versteht man dies so, dass die Vereinigung der Geschlechtsorgane bereits
erfolgte, bevor die Geschädigte erwacht ist, wäre der Tatbestand der
Schändung bereits während des Schlafs vollendet gewesen. Nimmt man
demgegenüber an, der Beschwerdeführer habe seinen Penis erst nach dem
Erwachen der Geschädigten in ihre Scheide eingeführt, ergibt sich die
Widerstandsunfähigkeit der Geschädigten daraus, dass der Beschwerdeführer im
Zeitpunkt des Erwachens bereits auf ihr gelegen hatte, so dass sie sich
körperlich nicht mehr zur Wehr setzen konnte. In dieser zweiten Phase konnte
sie somit einen Widerstandswillen zwar bilden, war aber wegen des Gewichts
des Beschwerdeführers in Verbindung mit der durch Alkohol und Medikamente
verstärkten Benommenheit nicht mehr in der Lage, diesen zu betätigen. Der
Beschwerdeführer musste mit anderen Worten den Widerstand der Geschädigten in
keinem Fall mit Nötigungsmitteln überwinden, weil diese sowohl vor wie nach
dem Erwachen widerstandsunfähig war. Eine Würdigung unter dem Gesichtspunkt
der Vergewaltigung gemäss Art. 190 Abs. 1 StGB scheidet daher aus. Dass die
Geschädigte verbal gegen das Ansinnen des Beschwerdeführers protestiert hat,
steht dem nicht entgegen. Denn der Umstand, dass das Opfer den Übergriff als
solchen wahrnimmt und den Täter verbal zurückweist, hindert die Annahme der
Widerstandsunfähigkeit nicht, solange eine körperliche Abwehrreaktion
vollständig ausgeschlossen ist.

Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, er habe sich nicht der Schändung
nach Art. 191 StGB schuldig gemacht, erweist sich seine Beschwerde als
unbegründet. Die Vorinstanz verletzt insoweit Bundesrecht, als sie lediglich
auf versuchte Schändung erkennt. Die Aufhebung des angefochtenen Urteils und
die Rückweisung der Sache zur Schuldigsprechung wegen vollendeter Schändung
muss jedoch wegen des Verbots der reformatio in peius (Art. 277bis Abs. 1
BStP; vgl. auch Art. 227 Abs. 2 BStP) unterbleiben.

5.
Aus diesen Gründen ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang des
Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art. 278 Abs. 1 BStP). Das
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gemäss Art. 152 OG kann bewilligt
werden, da von der Bedürftigkeit des Beschwerdeführers auszugehen und diese
ausreichend belegt ist (vgl. BGE 125 IV 161 E. 4). Überdies hat er den
angefochtenen Entscheid mit vertretbaren Argumenten in Frage gestellt (vgl.
BGE 124 I 304 E. 2 mit Hinweisen). Dem Beschwerdeführer werden deshalb keine
Kosten auferlegt. Seinem Vertreter wird aus der Bundesgerichtskasse eine
angemessene Entschädigung ausgerichtet.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Hans Werner Meier,
wird für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 2'000.--
aus der Bundesgerichtskasse ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich
und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 3. April 2003

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: