Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.104/2002
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6S.104/2002 /kra

Urteil vom 22. Oktober 2003
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Kolly, Karlen,
Gerichtsschreiber Monn.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Josephsohn,
Lutherstrasse 4, Postfach, 8021 Zürich,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Postfach, 8023 Zürich.

Mord etc. (Art. 112 StGB),

Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich,
I. Strafkammer,
vom 19. November 2001.

Sachverhalt:

A.
Im Dezember 1998 besuchte X.________ in Zürich eine Prostituierte in ihrem
Zimmer. Sie vereinbarten Geschlechtsverkehr, den er im Voraus bezahlte. Nach
wenigen Minuten beendete die Frau den Verkehr, obwohl X.________ noch nicht
zum Orgasmus gekommen war. Auch war sie nicht bereit, den Verkehr nochmals
aufzunehmen. X.________ geriet in Wut und kam zum Schluss, sein "Recht" auf
den noch nicht erlebten, ihm seiner Ansicht nach jedoch zustehenden Orgasmus
unter allen Umständen durchzusetzen. Er behändigte ein sich am Tatort
befindendes grosses Küchenmesser und stach der Prostituierten damit drei Mal
in den Rücken und ein Mal in die linke Brust. In der Folge vollzog er an der
zusammengesunken auf dem Boden liegenden Frau, die er zu diesem Zweck wieder
aufs Bett legte, den Geschlechtsverkehr. Dabei wusste er oder nahm er
jedenfalls an, dass sie bereits tot war.

Ebenfalls im Dezember 1998 verletzte X.________ in Zürich einen homosexuellen
Passanten, der ihn zuvor "begrapscht" hatte, mit der Faust und mit einem
Messer, um ihn zu berauben. Die Tat misslang nur deshalb, weil der Passant
kein Geld bei sich hatte.

B.
Das Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, sprach X.________ am 19.
November 2001 des Mordes im Sinne von Art. 112 StGB, des versuchten Raubes im
Sinne von Art. 140 Ziff. 1 Abs. 1 StGB in Verbindung mit Art. 21 Abs. 1 StGB
sowie der Störung des Totenfriedens im Sinne von Art. 262 Ziff. 1 Abs. 3 und
4 StGB schuldig und bestrafte ihn mit 13 Jahren Zuchthaus, abzüglich 1072
Tage erstandener Haft, sowie mit einer unbedingten Landesverweisung von 12
Jahren.

C.
Das Kassationsgericht des Kantons Zürich wies am 28. November 2002 eine von
X.________ gegen den obergerichtlichen Entscheid gerichtete kantonale
Nichtigkeitsbeschwerde ab, soweit auf sie eingetreten werden konnte.

Dagegen führte X.________ beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde.

Das Bundesgericht hiess diese Beschwerde am 20. März 2003 teilweise gut und
hob den Beschluss des Kassationsgerichts insoweit auf (Urteil 6P.6/2003).

Das Kassationsgericht des Kantons Zürich wies die Beschwerde am 19. Juni 2003
erneut ab, soweit auf sie eingetreten werden konnte.

Eine dagegen gerichtete staatsrechtliche Beschwerde weist das Bundesgericht
mit heutigen Datum ab (Urteil 6P.113/2003).

D.
X.________ führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, das
Urteil des Obergerichts vom 19. November 2001 sei aufzuheben. Es sei ihm die
unentgeltliche Prozessführung zu gewähren und in der Person von Rechtsanwalt
Andreas Josephson ein unentgeltlicher Rechtsbeistand zu bestellen.

Die Vorinstanz und die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich haben auf eine
Stellungnahme zur Beschwerde verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgericht ist im vorliegenden Verfahren an die tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz gebunden (Art. 277bis Abs. 1 BStP).
Ausführungen, die sich dagegen richten, sind unzulässig (Art. 273 Abs. 1 lit.
b BStP). Soweit sich der Beschwerdeführer nicht an diese Bestimmungen hält
und der Vorinstanz z.B. vorwirft, sie habe eine aktenwidrige Feststellung
getroffen (Beschwerde S. 14 unten), ist darauf nicht einzutreten.

2.
Der Beschwerdeführer bemängelt, die Vorinstanz habe ihn zu Unrecht des Mordes
Im Sinne von Art. 112 StGB schuldig gesprochen, zumal er höchstens
grobfahrlässig gehandelt habe (vgl. Beschwerde S. 4 - 13). Beide Vorbringen
sind unbegründet.

Es unterliegt keinem Zweifel, dass jemand, der einem Menschen ein grosses
Küchenmesser mehrfach in den Rücken und dann noch in die linke Brust stösst,
den Tod dieses Menschen mindestens in Kauf nimmt. Davon, dass der
Beschwerdeführer den Tod fahrlässig verursacht hätte, kann ernstlich nicht
die Rede sein.

Die vorliegend zu beurteilende Tat war überdies besonders skrupellos im Sinne
von Art. 112 StGB. Wer eine Prostituierte, die ihm den Orgasmus verweigert,
ohne Weiteres und heimtückisch niedersticht, um den ihm angeblich zustehenden
Geschlechtsverkehr unter allen Umständen zu vollziehen, setzt sich sogar zur
Verfolgung geringfügiger eigenen Interessen rücksichts- und skrupellos über
das Leben eines anderen Menschen hinweg und zeigt damit eine erschreckende
Gefühlskälte und einen besonders krassen Egoismus (vgl. angefochtener
Entscheid S. 45 mit Hinweisen auf die Literatur und Rechtsprechung). Nach der
Rechtsprechung genügt auch ein Eventualvorsatz für die Annahme von Mord
(Christian Schwarzenegger, Basler Kommentar, Strafgesetzbuch II, Basel 2003,
Art. 112 N 23 mit Hinweisen). Die vom Beschwerdeführer angesprochene Frage
seiner Zurechnungsfähigkeit ist schliesslich nicht bei der Qualifikation der
Tat, sondern bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Gesamthaft gesehen
hat die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt, indem sie die vorliegende
Tötung als Mord einstufte.

3.
Was der Beschwerdeführer zur Frage Notwehr, Notwehrexzess und Putativnotwehr
vorbringt (vgl. Beschwerde S. 13 - 15), ist angesichts der tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz, die für das vorliegende Verfahren verbindlich
sind, abwegig. Zwar war es zunächst das Opfer, das ihm, als er sich über den
verweigerten Orgasmus beklagte, das Küchenmesser entgegenhielt (angefochtener
Entscheid S. 3). Nach den Feststellungen der Vorinstanz legte das Opfer
danach das Messer jedoch wieder neben sich ab, und erst daran anschliessend
stach der Beschwerdeführer zu, und dies nicht etwa, weil er sich bedroht
gefühlt hätte, sondern weil er in Wut geriet und den Geschlechtsverkehr unter
allen Umständen vollziehen wollte (vgl. angefochtener Entscheid S. 36, 47/48,
50). Bei dieser Sachlage kann von einer Notwehr- oder Putativnotwehrsituation
nicht die Rede sein.

4.
Der Beschwerdeführer befasst sich ausführlich mit der Strafzumessung, die aus
verschiedenen Gründen zu hoch ausgefallen sein soll (vgl. Beschwerde S. 16 -
29).

Dem Sachrichter steht bei der Strafzumessung jedoch ein erheblicher Spielraum
des Ermessens zu. Das Bundesgericht greift nur ein, wenn die Vorinstanz den
gesetzlichen Strafrahmen über- oder unterschritten hat oder wenn sie
wesentliche Gesichtspunkte ausser Acht gelassen bzw. falsch gewichtet hat
oder wenn die Strafe in einem Masse unverhältnismässig streng bzw. mild
erscheint, dass von einer Überschreitung oder einem Missbrauch des Ermessens
gesprochen werden muss (BGE 127 IV 101 E. 2a und c).

Auf die überzeugenden Ausführungen der Vorinstanz zur Strafzumessung kann
hier verwiesen werden (vgl. angefochtener Entscheid S. 53 - 63). Zu Recht
stuft sie das Verschulden des Beschwerdeführers als schwer ein, weil er das
Opfer regelrecht niedergemetzelt hatte, "um sich zu holen, wofür er seiner
Meinung nach bezahlt hatte". Auch der Raubversuch, der sich im Übrigen als
zusätzliche Tat erheblich strafschärfend im Sinne von Art. 68 Ziff. 1 StGB
auswirkt, wiegt schwer, weil der Beschwerdeführer auch in diesem Fall auf
eine sexuelle Kränkung hin sein angebliches Recht auf eine Gegenleistung mit
brutaler Gewalt durchsetzen wollte. Da der Beschwerdeführer den Raub
vollendet hätte, wenn der Geschädigte nicht ohne Geld unterwegs gewesen wäre,
musste die Strafe gestützt auf Art. 21 Abs. 1 StGB nicht in einem merkbaren
Ausmass gemildert werden. Sie hätte schliesslich deutlich höher ausfallen
müssen, wenn dem Beschwerdeführer nicht für die beiden Haupttaten eine in
mittlerem Grade verminderte Zurechnungsfähigkeit zuzubilligen wäre.

Ohne dass sich das Bundesgericht mit allen Vorbringen des Beschwerdeführers
ausdrücklich auseinandersetzten müsste, sind diese jedenfalls im Ergebnis
offensichtlich unbegründet.

So rügt der Beschwerdeführer zu Unrecht, die Vorinstanz habe das
Doppelverwertungsverbot missachtet. Der Richter ist nicht gehindert zu
berücksichtigen, in welchem Ausmass ein qualifizierender Tatumstand gegeben
ist, sondern bei einem Mord verpflichtet zu gewichten, wie skrupellos der
Täter gehandelt hat (vgl. BGE 118 IV 342 S. 347/348). Im vorliegenden Fall
ist die Tötung in keiner Weise nachvollziehbar, und schon deshalb wiegt sie
auch für einen Mord besonders schwer.

Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe die Verletzung des
Beschleunigungsgebotes nicht hinreichend berücksichtigt. Davon kann nicht die
Rede sein. Zwischen der Tat und dem angefochtenen Entscheid vergingen drei
Jahre. Die Vorinstanz hat die Strafe wegen dieser Dauer leicht gemildert.
Diese Strafreduktion reichte aus.
Gesamthaft gesehen hält sich die für zwei sehr schwerwiegende Taten
ausgefällte Strafe von 13 Jahren Zuchthaus offensichtlich im Rahmen des der
Vorinstanz zustehenden Ermessens. Auch von einer mangelhaften Begründung kann
nicht die Rede sein.

5.
Schliesslich wendet sich der Beschwerdeführer gestützt auf Art. 8 EMRK noch
gegen die ausgesprochene unbedingte Landesverweisung von 12 Jahren (vgl.
Beschwerde S. 29/30). Nach den Feststellungen der Vorinstanz beabsichtigte er
jedoch ohnehin, die Schweiz, wo es ihm nicht gefiel, weil er keine Freunde
hatte und die Sprache nicht sprechen konnte, am 30. Dezember 1998 zu
verlassen, um nach Peru, wo seine Freundin wohnt, zurückzukehren
(angefochtener Entscheid S. 56, 70). Mit dieser Erwägung der Vorinstanz
befasst er sich in der Beschwerde nicht. Es ist folglich von vornherein nicht
ersichtlich, aus welchem Grund die Landesverweisung unzulässig sein sollte.

6.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem
Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die bundesgerichtlichen
Kosten zu tragen (Art. 278 Abs. 1 BStP).

Er stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
Dieses kann gutgeheissen werden, weil einige der Vorbringen des
Beschwerdeführers nicht von vornherein aussichtslos waren und gegen eine
erstinstanzliche Verurteilung zu 13 Jahren Zuchthaus auch dem Unvermögenden
ein Rechtsmittel an eine obere Instanz offen stehen muss (Urteil des
Bundesgerichts 6S.114/1999 vom 12. Mai 2000, E. 5).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf
einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird
gutgeheissen.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Der Vertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Andreas Josephsohn, wird
für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr.
2'000.-- entschädigt.

5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons
Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 22. Oktober 2003

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: