Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.101/2002
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6S.101/2002 /gnd

Urteil vom 10. Mai 2002
Kassationshof

Bundesrichter Schubarth, Präsident,
Bundesrichter Kolly, Karlen,
Gerichtsschreiber Näf.

X. _________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Stefan Blum,
Apollostrasse 2, Postfach 2068, 8032 Zürich,

gegen

Generalprokurator des Kantons Bern, Postfach 7475, 3001 Bern,
Obergericht des Kantons Bern, 1. Strafkammer, Postfach 7475, 3001 Bern.

Gewerbsmässige Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über Lebensmittel und
Gebrauchsgegenstände (Art. 47 Abs. 1 lit. a und lit. e, 47 Abs. 2 LMG),

(Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern,
1. Strafkammer, vom 1. November 2001)
Sachverhalt:

A.
In der Zeit von ca. November 1998 bis ca. März 2001 kaufte und verkaufte
X._________ zusammen mit einer weiteren Person als Mitgesellschafter einer
GmbH insgesamt mehrere Kilogramm psilocin- und psilocybinhaltige Pilze.

B.
Das Kreisgericht X Thun verurteilte X._________ am 15. Juni 2001 wegen
mehrfacher, gewerbsmässiger Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu
18 Monaten Gefängnis, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von zwei
Jahren, und zu einer Busse von 1'000 Franken.

Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte X._________ am 1. November 2001
wegen Widerhandlung gegen das Lebensmittelgesetz, mehrfach gewerbsmässig
begangen in Thun, zu 10 Monaten Gefängnis, bedingt vollziehbar bei einer
Probezeit von zwei Jahren, und zu einer Busse von 1'000 Franken.

C.
X._________ führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das
Urteil des Obergerichts aufzuheben. Zudem ersucht er um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege.

D. Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Die Vorinstanz hält unter Berufung auf BGE 127 IV 178 fest, dass
psilocin- und psilocybinhaltige Pilze als solche keine Betäubungsmittel im
Sinne der Betäubungsmittelgesetzgebung in der damals massgebenden Fassung
seien, dass sie aber als Nahrungsmittel im Sinne des Bundesgesetzes über
Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände (LMG; SR 817.0) zu qualifizieren seien
und der Handel damit demnach von diesem Gesetz erfasst werde. Der
Beschwerdeführer habe sich somit durch das ihm zur Last gelegte Verhalten der
(eventual-)vorsätzlichen Widerhandlung gemäss Art. 47 Abs. 1 lit. a und lit.
e LMG schuldig gemacht, wobei er im Sinne von Art. 47 Abs. 2 LMG
gewerbsmässig gehandelt habe. Die Vorinstanz zitiert zur Begründung der
Erkenntnis, dass psilocin- und psilocybinhaltige Pilze als Nahrungsmittel im
Sinne des Lebensmittelgesetzes zu betrachten seien, auszugweise wörtlich die
Erwägungen in BGE 127 IV 178 E. 3b und 3c (angefochtenes Urteil S. 10/11).
Trotz der Kritik des Beschwerdeführers an diesen Erwägungen sah die
Vorinstanz keinen Anlass, von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
abzuweichen.

1.2 Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, psilocin- und
psilocybinhaltige Pilze seien, auch wenn sie nach dem damals geltenden, hier
massgebenden Recht nicht unter die Betäubungsmittelgesetzgebung fielen, keine
Nahrungsmittel gemäss Art. 3 Abs. 2 LMG, da sie nicht im Sinne dieser
Bestimmung "dem Aufbau oder dem Unterhalt des menschlichen Körpers dienen".
Zudem sei auch die Voraussetzung, dass diese Pilze im Sinne von Art. 47 Abs.
1 lit. a LMG "bei ihrem üblichen Gebrauch die Gesundheit gefährden", nicht
erfüllt; die vom Bundesgericht im zitierten Entscheid hervorgehobene
Gefährdung der psychischen Gesundheit durch den Konsum dieser Pilze sei eine
Gefährdungsart, welche typischerweise Gegenstand einer allfälligen Regelung
im Betäubungsmittelgesetz bilde.

2.
2.1Die Verordnung des Bundesamtes für Gesundheit über die Betäubungsmittel
und psychotropen Stoffe vom 12. Dezember 1996 (SR 812.121.2), die seit der
Änderung durch Verordnung vom 9. November 2001, in Kraft seit 1. Januar 2002,
neu den Titel Verordnung des Schweizerischen Heilmittelinstituts über die
Betäubungsmittel und psychotropen Stoffe (BetmV-Swissmedic) trägt (siehe AS
2001 3146), nennt in ihrem Anhang d betreffend das Verzeichnis der verbotenen
Stoffe im Sinne von Art. 4 der Verordnung gemäss Änderung durch Verordnung
vom 15. November 2001, in Kraft seit 31. Dezember 2001, neu unter anderem die
halluzinogenen Pilze der Gattungen Conocybe, Paraeolus, Psilocybe und
Stropharia (AS 2001 3147 ff., 3151). Diese Pilze sind mithin gemäss Art. 4
BetmV-Swissmedic verbotene Stoffe im Sinne von Art. 8 Absätze 1 und 3 BetmG,
mithin Betäubungsmittel, die nicht eingeführt, hergestellt oder in Verkehr
gebracht werden dürfen. Der Handel mit derartigen Pilzen ist somit seit dem
31. Dezember 2001 gemäss Art. 19 BetmG strafbar. Ob daneben zusätzlich, unter
Annahme von Idealkonkurrenz, auch eine Bestrafung wegen Widerhandlung gegen
das Lebensmittelgesetz im Sinne von Art. 47 LMG erfolgen könnte oder ob Art.
19 BetmG als speziellere Norm allein anwendbar sei, kann hier dahingestellt
bleiben. Denn eine Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Widerhandlung
gegen das Betäubungsmittelgesetz fällt ausser Betracht, da die psilocin- und
psilocybinhaltigen Pilze im massgebenden Zeitraum der dem Beschwerdeführer
zur Last gelegten Handlungen keine Betäubungsmittel im Sinne des Gesetzes
waren.

2.2 Durch die inkriminierten Handlungen hat der Beschwerdeführer aber die
Tatbestände von Art. 47 Abs. 1 lit. a und lit. e LMG erfüllt. Denn die
fraglichen Pilze sind, soweit sie oral konsumiert werden, Nahrungsmittel im
Sinne von Art. 3 Abs. 2 LMG, welche im Sinne von Art. 47 Abs. 1 lit. a LMG
bei ihrem üblichen Gebrauch die Gesundheit gefährden bzw. im Sinne von Art.
47 Abs. 1 lit. e LMG gesundheitsgefährdend sind. An der in BGE 127 IV 178 E.
3b und E. 3c insoweit vertretenen Auffassung ist festzuhalten. Was der
Beschwerdeführer dagegen vorbringt, gibt keinen Anlass zu deren Änderung.

2.3 Das Lebensmittelgesetz erfasst nicht nur Nahrungsmittel (Art. 3 Abs. 2
LMG), sondern auch Genussmittel, d.h. alkoholische Getränke sowie Tabak und
andere Raucherwaren (Art. 3 Abs. 3 LMG), sowie Gebrauchsgegenstände (Art. 5
LMG). Es bezweckt unter anderem, die Konsumenten vor Lebensmitteln und
Gebrauchsgegenständen zu schützen, welche die Gesundheit gefährden können
(Art. 1 lit. a LMG). In Anbetracht des Zwecks und des Anwendungsbereichs des
Lebensmittelgesetzes ist der Begriff der Nahrungsmittel weit zu fassen.
Nahrungsmittel im Sinne des Lebensmittelgesetzes sind entgegen dem durch den
Wortlaut von Art. 3 Abs. 2 LMG allenfalls vermittelten Eindruck nicht nur
solche Erzeugnisse, welche "dem Aufbau oder dem Unterhalt des menschlichen
Körpers dienen", d.h. gleichsam gut für diesen sind. Nahrungsmittel im Sinne
des Lebensmittelgesetzes können auch Erzeugnisse sein, die neben den
Bestandteilen, welche - wie etwa Eiweiss, Fette, Kohlenhydrate,
Mineralstoffe, Vitamine, Ballaststoffe - für den Aufbau und den Unterhalt des
menschlichen Körpers notwendig sind, auch Stoffe (etwa Betäubungsmittel,
Gifte) enthalten, die gesundheitsgefährdend oder gar lebensgefährlich sind
und die somit insoweit gerade nicht dem Aufbau oder dem Unterhalt des
menschlichen Körpers dienen, sondern diesen krank machen und zerstören. Denn
gerade vor solchen Gefahren will das Lebensmittelgesetz die Konsumenten
schützen. Pilze im Besonderen sind demnach nicht nur dann Nahrungsmittel im
Sinne des Lebensmittelgesetzes, wenn sie von der zuständigen Behörde als
Speisepilze zugelassen sind (siehe Anhang 1 zur Verordnung über Speisepilze;
SR 817.022.291). Nahrungsmittel im Sinne des Lebensmittelgesetzes sind
vielmehr auch die Pilze, welche nicht als Speisepilze zugelassen sind, weil
sie neben andern Bestandteilen auch Stoffe (etwa Betäubungsmittel, Gifte)
enthalten, die gesundheitsgefährdend oder gar lebensgefährlich sind.
Entscheidend ist, dass die nicht zugelassenen Pilze wie die Speisepilze bzw.
wie Nahrungsmittel überhaupt oral konsumiert und dass sie (siehe dazu Art. 3
Abs. 2 und Art. 2 Abs. 5 LMG) nicht als Heilmittel angepriesen werden.

2.4 Gemäss Art. 47 Abs. 1 LMG wird unter anderem bestraft, wer vorsätzlich
Nahrungsmittel so lagert oder abgibt, dass sie bei ihrem üblichen Gebrauch
die Gesundheit gefährden (lit. a), und wer gesundheitsgefährdende
Lebensmittel einführt (lit. e). Entgegen den Andeutungen des
Beschwerdeführers ist auch eine Gefährdung der psychischen Gesundheit
relevant und ist nicht eine erhebliche Gesundheitsgefährdung erforderlich.

Der Beschwerdeführer hat somit durch das ihm zur Last gelegte Verhalten, d.h.
durch die Lagerung und Abgabe sowie durch die Einfuhr von psilocin- und
psilocybinhaltigen Pilzen in der Zeit von ca. November 1998 bis ca. März
2001, den objektiven Tatbestand von Art. 47 Abs. 1 lit. a und lit. e LMG
erfüllt.

Der Beschwerdeführer stellt mit Recht nicht in Abrede, dass der zur
Bestrafung gemäss Art. 47 Abs. 1 LMG erforderliche (Eventual-)Vorsatz gegeben
ist. Er bestreitet ferner mit Recht nicht, dass er im Sinne von Art. 47 Abs.
3 LMG gewerbsmässig gehandelt hat.

3.
Der Beschwerdeführer ersucht um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Seine finanzielle Bedürftigkeit ist ausgewiesen. Die Nichtigkeitsbeschwerde
war, trotz BGE 127 IV 178, nicht von vornherein aussichtslos. Das Gesuch ist
daher gutzuheissen. Somit werden keine Kosten erhoben und wird dem Vertreter
des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Stefan Blum, Zürich, eine Entschädigung
von Fr. 3'000.-- aus der Bundesgerichtskasse ausgerichtet.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird gutgeheissen.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Dem Vertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Stefan Blum, Zürich, wird
eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- aus der Bundesgerichtskasse ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Generalprokurator des Kantons
Bern und dem Obergericht des Kantons Bern, 1. Strafkammer, sowie der
Bundesanwaltschaft schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 10. Mai 2002

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: