Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6A.97/2002
Zurück zum Index Kassationshof in Strafsachen 2002
Retour à l'indice Kassationshof in Strafsachen 2002


6A.97/2002 /pai

Urteil vom 5. Februar 2003
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Schubarth, Karlen,
Gerichtsschreiberin Krauskopf.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Dr. Claude Schnüriger, Postfach
538, 4010 Basel,

gegen

Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht,
4410 Liestal.

Entzug des Führerausweises; Dauer des Entzugs,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts
Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht, vom 28. August
2002.

Sachverhalt:

A.
Am 29. April 2000 überschritt X.________ mit seinem Lieferwagen auf der
Autobahn in Hegnau (ZH) die zulässige Geschwindigkeit von 80 km/h um 31 km/h.
Am 8. August 2000 lud die Polizei des Kantons Basel-Landschaft,
Hauptabteilung Verkehrssicherheit, X.________ zur Stellungnahme ein bezüglich
des geplanten Führerausweisentzugs für die Dauer eines Monats. Mit Schreiben
vom 28. August 2000 wehrte sich X.________ gegen die vorgesehene Massnahme
mit der Begründung, er sei aus beruflichen Gründen auf den Führerausweis
angewiesen. Die Hauptabteilung Verkehrssicherheit antwortete am 29. August
2000, dass sie am Führerausweisentzug festhalte und ohne weiteren Bericht von
X.________ per 10. September 2000 die Verfügung erlasse. Dieser gab seinen
Führerausweis am 16. September 2000 ab. Die Hauptabteilung Verkehrssicherheit
verfügte am 19. September 2000 den Entzug mit Wirkung ab dem 16. September
2000.

Am 25. September 2000 wurde X.________ von der Polizei des Kantons Solothurn
in Bettlach (SO) angehalten, weil er mit seinem Handtelefon ohne
Freisprecheinrichtung telefonierte. Bei der Kontrolle stellte sich heraus,
dass X.________ nicht fahrberechtigt war. X.________ hatte von der Verfügung
vom 19. September 2000 zu diesem Zeitpunkt noch keine Kenntnis.

B.
Das Untersuchungsrichteramt Solothurn verurteilte X.________ am 23. Februar
2001 wegen Führens eines Motorfahrzeugs trotz Entzugs des Führerausweises und
Verwendens eines Telefons ohne Freisprecheinrichtung zu einer bedingten
Haftstrafe von 10 Tagen und einer Busse von Fr. 40.-.

C.
Die Hauptabteilung Verkehrssicherheit verfügte am 25. Oktober 2000 einen
sechsmonatigen Führerausweisentzug in Anwendung von Art. 17 Abs. 1 lit. c
SVG.

D.
Mit Beschluss vom 29. Januar 2002 wies der Regierungsrat die Beschwerde von
X.________ ab, gewährte ihm aber den Vollzugsaufschub.

E.
Auf Beschwerde von X.________ hin beschränkte das Kantonsgericht
Basel-Landschaft die Entzugsdauer auf vier Monate und setzte die Abgabefrist
auf den 15. Januar 2003 fest.

F.
X.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des
Kantonsgerichts Basel-Landschaft sei aufzuheben und die
Führerausweisentzugsdauer auf einen Monat festzulegen. Eventualiter sei die
Sache zu neuer Beurteilung an das Kantonsgericht zurückzuschicken. Mit
Verfügung vom 11. Dezember 2002 entsprach der Präsident des Kassationshofs
dem Gesuch um aufschiebende Wirkung.

Das Kantonsgericht Basel-Landschaft verzichtet auf Vernehmlassung.

Das Bundesamt für Strassen führt aus, dem getrübten automobilistischen
Leumund des Beschwerdeführers müsse dessen Massnahmeempfindlichkeit
gegenübergestellt werden. Als Marktfahrer müsse der Beschwerdeführer
Warentransporte oft zu unüblichen Tageszeiten und an Wochenenden durchführen.
Die Anstellung eines Chauffeurs käme ihn sehr teuer zu stehen. Die
Massnahmeempfindlichkeit des Beschwerdeführers sei daher mit derjenigen eines
Berufschauffeurs vergleichbar. Eine Milderung der verfügten Massnahme sei
somit nicht unverhältnismässig.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht
einschliesslich der Überschreitung oder des Missbrauchs des Ermessens gerügt
sowie eine unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen
Sachverhalts geltend gemacht werden (Art. 104 lit. a und b OG). Nicht
überprüfen kann das Bundesgericht grundsätzlich die Angemessenheit des
angefochtenen Entscheides (Art. 104 lit. c OG). Gemäss Art. 105 Abs. 2 OG ist
das Bundesgericht an die Feststellung des Sachverhalts gebunden, wenn eine
richterliche Behörde als Vorinstanz den Sachverhalt nicht offensichtlich
unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher
Verfahrensbestimmungen festgestellt hat. An die Begründung der Begehren ist
es nicht gebunden (Art. 114 Abs. 1 OG).

2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe bei der Festsetzung
der Entzugsdauer seine berufliche Sanktionsempfindlichkeit zu Unrecht nicht
oder ungenügend berücksichtigt. Diesbezüglich sei das Urteil ungenügend
begründet. Als Marktfahrer würde er seine Arbeit verlieren, wenn er während
vier Monaten die Märkte nicht mehr besuchen würde. Zu seinen Gunsten müsse
auch der Verfahrensdauer von mehr als zwei Jahren Rechnung getragen werden.
Schliesslich verletze der Entscheid den Grundsatz der Verhältnismässigkeit.

3.
Gemäss Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG ist der Führerausweis für mindestens sechs
Monate zu entziehen, wenn eine Person ein Fahrzeug lenkt, obwohl ihr der
dafür erforderliche Führerausweis entzogen worden ist. Das Bundesgericht hat
eine Verkürzung der Mindestentzugsdauer für möglich erklärt, wenn das
Verfahren verhältnismässig lange gedauert, sich der Betroffene während dieser
Zeit wohl verhalten hat und ihn an der langen Verfahrensdauer keine Schuld
trifft. Ob eine Verfahrensdauer als überlang zu gelten hat, hängt von den
konkreten Umstände des Einzelfalles ab. Diesbezüglich sind die
strafrechtlichen Verjährungsregeln sinngemäss beizuziehen. In einem Fall, wo
lediglich eine Übertretung vorlag, wurde eine Verfahrensdauer von viereinhalb
Jahren als überlang gewertet (BGE 127 II 297 E. 3d S. 300, 120 Ib 504 E. 4e
S. 510).

3.1 Von einer überlangen Verfahrensdauer kann entgegen der Auffassung des
Beschwerdeführers vorliegend nicht gesprochen werden, da das
Verwaltungsverfahren auf seinen Antrag hin bis zum Vorliegen des
rechtskräftigen Strafurteils sistiert wurde und der schliesslich
zurückgezogene Einspruch gegen die Strafverfügung das Strafverfahren unnötig
verlängerte. Er hat somit die Verfahrensdauer teilweise selbst verschuldet.
Zudem läuft gegen ihn ein neues Verwaltungsverfahren wegen einer am 3.
Februar 2002 innerorts begangenen Geschwindigkeitsübertretung von 22 km/h,
womit er sich während der Verfahrensdauer nicht wohl verhalten hat.

3.2 Die Mindestentzugsdauer von sechs Monaten darf auch unterschritten werden
in besonders leichten Fällen. Unter einem besonders leichten Fall ist
insbesondere die Begehungsform der einfachen Fahrlässigkeit zu verstehen. Die
Minimalentzugsdauer beträgt dann einen Monat, weil die Anwendung des Art. 17
Abs. 1 lit. c SVG, dem von Gesetzes wegen eine bestimmte Schwere zukommt,
infolge des geringen Verschuldens des Betroffenen nicht gerechtfertigt ist.
Ab grobfahrlässiger Begehungsweise beträgt die Mindestentzugsdauer sechs
Monate (BGE 124 II 103 E. 2a S. 108, 117 IV 302 E. 3b S. 305 ff.). Von grober
Fahrlässigkeit spricht man im Strassenverkehr, wenn ein rücksichtsloses oder
sonst wie schwerwiegend regelwidriges Verhalten gegeben ist. Hat der
Betroffene die Regelwidrigkeit seines Verhaltens gar nicht in Betracht
gezogen, also unbewusst fahrlässig gehandelt, ist grobe Fahrlässigkeit nur zu
bejahen, wenn das Nichtbedenken der Regelwidrigkeit ebenfalls auf
Rücksichtslosigkeit beruht oder besonders vorwerfbar ist. Die Annahme grober
Fahrlässigkeit bedarf einer sorgfältigen Prüfung (BGE 123 IV 88 E. 4a S. 93,
118 IV 285 E. 4 S. 290).

3.3 Die Vorinstanz hält fest, aus dem Schreiben der Hauptabteilung
Verkehrssicherheit vom 8. August 2000 gehe der mögliche Zusammenhang zwischen
der Abgabe des Führerausweises und der noch zu erlassenden Verfügung bzw. der
Einflussmöglichkeit des Betroffenen auf die Verfügung, wenn er den
Führerausweis abgebe, bevor eine Verfügung vorliege, nicht klar hervor. Der
Beschwerdeführer habe das Schreiben so verstanden, dass zunächst eine
Verfügung erfolgen müsse, bevor ein rechtswirksames Fahrverbot bestehe, er
den Führerausweis ohne rechtliche Konsequenzen bereits einschicken könne und
der Beginn der Entzugsdauer vereinbart werden könne. Die Interpretationsweise
des Beschwerdeführers sei zwar nicht zwingend, angesichts der Unklarheit des
Schreibens jedoch nachvollziehbar. Er habe zudem glaubhaft dargelegt, von der
Verfügung vom 19. September 2000 am 25. September 2000 keine Kenntnis gehabt
zu haben. Die Vorinstanz bejahte daher das Vorliegen eines fahrlässigen
Sachverhaltsirrtums und wertete die Fahrlässigkeit als leicht. Unter diesen
Umständen ging das Kantonsgericht zu Recht von einer Mindestentzugsdauer von
einem Monat aus.

4.
Massgebend für die Bemessung der Entzugsdauer sind vor allem die Schwere des
Verschuldens, der Leumund als Motorfahrzeugführer sowie die berufliche
Notwendigkeit, ein Motorfahrzeug zu führen (Art. 33 Abs. 2 VZV). Alle
Umstände sind dabei gesamthaft zu würdigen, und es ist im Einzelfall die
Entzugsdauer so festzusetzen, dass die mit der Massnahme beabsichtigte
erzieherische und präventive Wirkung am besten erreicht wird. Den kantonalen
Behörden steht bei der Bemessung der Entzugsdauer ein weiter Spielraum des
Ermessens zu. Das Bundesgericht greift nur ein, wenn dieses Ermessen
überschritten oder missbraucht wurde. Dies ist namentlich der Fall, wenn die
kantonalen Behörden einzelne Umstände zu Unrecht ganz ausser Acht lassen oder
in einer unhaltbaren Weise gewichten (BGE 128 II 173 E. 4b S. 178 mit
Hinweisen).

Die Vorinstanz qualifiziert das Verschulden als leicht. Diese Bewertung
bezieht sich jedoch nur auf das Fahren trotz Führerausweisentzugs und nicht
auf das Verwenden des Telefons ohne Freisprecheinrichtung. Die Vorinstanz
befasst sich ferner überhaupt nicht mit dem automobilistischen Leumund des
Beschwerdeführers. Sie anerkennt grundsätzlich die berufliche
Sanktionsempfindlichkeit des Beschwerdeführers, da sie erwähnt, dass er als
Marktfahrer auf ein Fahrzeug angewiesen sei. Eine weitergehende Würdigung
dieses Beurteilungsmerkmals nimmt sie jedoch nicht vor. Sie berücksichtigt
diesen Umstand einzig im Rahmen des Massnahmevollzugs, jedoch nicht bei der
Festsetzung der Entzugsdauer. Indem sie damit bei der Bemessung der
Entzugsdauer massgebliche Gesichtspunkte nicht berücksichtigt, verletzt sie
Bundesrecht. Da die kantonalen Akten weder über die Umstände des
Telefonierens ohne Freisprecheinrichtung noch über den automobilistischen
Leumund des Beschwerdeführers Angaben enthalten, ist die Sache nicht
spruchreif. Der angefochtene Entscheid ist deshalb aufzuheben und die Sache
zur neuen Beurteilung an die Erstinstanz zurückzuweisen. Diese wird sich über
den automobilistischen Leumund des Beschwerdeführers und über die Umstände,
unter denen dieser mit seinem Handtelefon beim Fahren telefonierte,
erkundigen müssen. Sie wird zudem zu prüfen haben, in welchem Masse die
Massnahme aufgrund der anerkannten Sanktionsempfindlichkeit des
Beschwerdeführers zu reduzieren ist, damit dieser nicht schwerer vom Entzug
betroffen ist als ein Fahrzeuglenker ohne besondere Sanktionsempfindlichkeit.
Dabei wird sie im neuen Entscheid die Gründe, die sie leiten, anführen
müssen.

5.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird auf die Erhebung von Kosten
verzichtet, und der Beschwerdeführer ist für das bundesgerichtliche Verfahren
angemessen zu entschädigen (Art. 156 Abs. 2 und 3 OG und Art. 159 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des
Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 28. August 2002 aufgehoben und die Sache
zur neuen Beurteilung an die Erstinstanz zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Der Kanton Basel-Landschaft hat den Beschwerdeführer für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Kantonsgericht
Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht, sowie der
Kantonspolizei Basel-Landschaft, Verkehrsabteilung, Administrativdienst, und
dem Bundesamt für Strassen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 5. Februar 2003

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: