Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6A.81/2002
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6A.81/2002 /pai

Urteil vom 15. Januar 2003
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Schubarth, Wiprächtiger,
Gerichtsschreiber Weissenberger.

X. ________,
Beschwerdeführer,

gegen

Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen, Abteilung IV,
Unterstrasse 28, 9001 St. Gallen.

Entzug des Führerausweises,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid der
Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen, Abteilung IV, vom 23.
Oktober 2002.

Sachverhalt:

A.
X. _______ überschritt am 13. Dezember 1998 mit seinem Personenwagen die
signalisierte Höchstgeschwindigkeit innerorts von 50 km/h um
toleranzbereinigte 18 km/h. Deshalb entzog ihm das Strassenverkehrs- und
Schifffahrtsamt des Kantons St. Gallen den Führerausweis im Juli 1999 für
einen Monat. Auf sein Gesuch hin verschob das Amt den Vollzug der Massnahme
auf die Zeit vom 20. Dezember 1999 bis und mit 19. Januar 2000.

Am 6. Januar 2000 um 14.15 Uhr fuhr X._______ am Steuer seines Personenwagens
in Wil. Die Polizei hielt ihn mehrere Strassen von seinem Wohnort entfernt an
und eröffnete ein Strafverfahren wegen Fahrens trotz Entzugs des
Führerausweises. Mit Verfügung vom 23. November 2001 hob das Untersuchungsamt
St. Gallen das Strafverfahren infolge relativer Verjährung auf. Am 5. April
2002 entzog das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons St. Gallen
X._______ den Führerausweis wegen Führens eines Personenwagens trotz Entzugs
des Führerausweises für sechs Monate. Einen dagegen erhobenen Rekurs wies die
Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen, Abteilung IV, am 23.
Oktober 2002 ab.

B.
X._______ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, den Entscheid
der Verwaltungsrekurskommission aufzuheben und von einer
Administrativmassnahme abzusehen.

Die Verwaltungsrekurskommission beantragt, die Beschwerde abzuweisen (act.
6).

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Nach Art. 24 Abs. 2 SVG ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen
letztinstanzliche kantonale Entscheide über Führerausweisentzüge zulässig.
Die Voraussetzungen für die Ergreifung dieses Rechtsmittels sind erfüllt. Auf
die Beschwerde ist einzutreten.

Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht,
einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, nicht aber
Unangemessenheit gerügt werden (Art. 104 OG). Nachdem als Vorinstanz eine
richterliche Behörde entschieden hat, ist das Bundesgericht an die
Feststellung des Sachverhaltes gebunden, soweit dieser nicht offensichtlich
unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher
Verfahrensvorschriften zustande gekommen ist (Art. 105 Abs. 2 OG).

2.
Der Beschwerdeführer bringt vor, seine Tochter, die ihn an jenem Tag zu einer
wichtigen geschäftlichen Besprechung nach Wängi/TG hätte fahren sollen, sei
wegen des vielen Schnees verspätet eingetroffen. Sie sei zudem unsicher
gewesen, ob sie bei den schlechten Strassenverhältnissen (Schnee auf der
Fahrbahn, seitliche "Schneemaden" und parkierte Fahrzeuge) unmittelbar beim
Haus des Beschwerdeführers die Kontrolle über den grossen und schweren
Personenwagen behalten könne. Er habe deshalb beschlossen, sein Fahrzeug rund
dreissig Meter bis zum nahe gelegenen Restaurant selbst zu lenken. Aus
Sicherheitsgründen habe er aber beim Restaurant nicht anhalten können. Die
Strasse sei durch die "Schneemaden" zu eng zum Kreuzen gewesen. Zudem sei ein
vom Parkplatz des Restaurants wegfahrendes Fahrzeug unmittelbar hinter ihm
gefahren. Erst bei der A.________strasse habe sich eine sichere Gelegenheit
für einen Fahrerwechsel ergeben, doch sei er dann von der Polizei
kontrolliert worden. Angesichts dieser Sachlage liege ein Notstand gemäss
Art. 34 Abs. 1 StGB vor (Beschwerde, S. 2-4).

Die Vorinstanz hat auf den vom Beschwerdeführer geltend gemachten Sachverhalt
abgestellt. Damit ist sein Einwand, sowohl der Polizeirapport als auch das
Befragungsprotokoll vom 6. Januar 2000 würden den Sachverhalt unvollständig
wiedergeben (Beschwerde, S. 3), unbeachtlich. Die Vorinstanz legt ausführlich
und zutreffend dar, weshalb hier weder die Voraussetzungen für einen
rechtfertigenden oder schuldausschliessenden Notstand gemäss Art. 34 Ziff. 1
Abs. 1 StGB noch für einen Notstandsexzess nach Art. 34 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
gegeben sind (angefochtener Entscheid, S. 3 f.). Darauf kann verwiesen werden
(Art. 36a Abs. 3 OG).

3.
Der Beschwerdeführer macht geltend, es liege aufgrund des Notstandes und
seines deshalb fehlenden Unrechtsbewusstseins ein besonders leichter Fall
vor. Deshalb könne die Mindestentzugsdauer gemäss Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG
unterschritten werden. Da seit dem Vorfall verhältnismässig viel Zeit
verstrichen sei, er sich seither klaglos verhalten habe und zudem auf den
Führerausweis beruflich angewiesen sei, könne auf eine Administrativmassnahme
ganz verzichtet werden (Beschwerde, S. 4 f.).
3.1 Gemäss den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz hat
der Beschwerdeführer entgegen seinen Vorbringen den Personenwagen gelenkt, um
einen geschäftlichen Termin wahrzunehmen, und nicht um der Verkehrssicherheit
willen (angefochtener Entscheid, S. 4 Ziff. bb). Er habe sich ans Steuer
seines Autos gesetzt, obschon er gewusst habe, dazu wegen des laufenden
Führerausweisentzugs nicht berechtigt gewesen zu sein. Damit habe er sich
vorsätzlich über das Verbot, ein Motorfahrzeug zu führen, hinweggesetzt.
Selbst wenn seiner Darstellung gefolgt würde, sei ihm vorzuhalten, deutlich
weiter gefahren zu sein als die angeblich zuerst vorgesehenen besonders
schwierig zu befahrenden dreissig Meter. Dass ein Fahrerwechsel nicht bereits
auf dem Parkplatz des Restaurants möglich gewesen wäre, sei trotz des
angeblich aufschliessenden Fahrzeugs schwer nachvollziehbar. Jedenfalls wiege
sein Verschulden derart schwer, dass die Mindestentzugsdauer nicht
unterschritten werden könne (angefochtener Entscheid, S. 5 f.).
3.2 Gemäss Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG beträgt die Dauer des Entzugs von
Führerausweisen mindestens sechs Monate, wenn der Führer trotz
Ausweisentzuges ein Motorfahrzeug geführt hat. Die Bestimmung ist auf die
typischen Fälle zugeschnitten, in denen sich der Betroffene vorsätzlich über
einen laufenden Führerausweisentzug hinwegsetzt. Handelt er ausnahmsweise
fahrlässig, ist zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit zu
unterscheiden. Unter einem besonders leichten Fall ist die Begehungsform der
einfachen Fahrlässigkeit zu verstehen. Bei einfacher Fahrlässigkeit ist von
einer Mindestentzugsdauer von einem Monat auszugehen, weil die Anwendung des
Art. 17 Abs. 1 lit. c SVG, dem von Gesetzes wegen eine gewisse Schwere
zukommt, infolge des geringen Verschuldens nicht gerechtfertigt ist (vgl. nur
BGE 124 II 103 E. 2a).

Ausgehend von ihren Feststellungen durfte die Vorinstanz ohne Bundesrecht zu
verletzen annehmen, der Beschwerdeführer habe den Tatbestand des Fahrens ohne
Führerausweis mindestens eventualvorsätzlich erfüllt. Damit gilt die
gesetzliche Mindestentzugsdauer von sechs Monaten ungeachtet der aus
beruflichen Gründen erhöhten Sanktionsempfindlichkeit des Beschwerdeführers.

An dieser Entzugsdauer vermögen die seit dem Vorfall verstrichenen rund zwei
Jahre nichts zu ändern. Die Erziehung und Besserung eines Täters setzt
voraus, dass die Massnahme in einem angemessenen zeitlichen Zusammenhang zur
Regelverletzung steht. Ausserdem nimmt mit dem Zeitablauf die
Erforderlichkeit einer erzieherischen Sanktion ab, wenn sich der Täter in
dieser Zeit wohl verhalten hat (BGE 127 II 297 E. 3d). Das Bundesgericht hat
eine Verkürzung der Entzugsdauer in Ausnahmefällen für möglich erklärt, wenn
das Verfahren verhältnismässig lange gedauert hat, der Betroffene sich
während dieser Zeit wohl verhalten hat und ihn an der langen Verfahrensdauer
keine Schuld trifft (BGE 120 Ib 504 E. 4e S. 510). Welche Verfahrensdauer als
überlang zu gelten hat, lässt sich nicht abstrakt und in absoluten Zahlen
ausdrücken, sondern ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beantworten.
Die strafrechtlichen Verjährungsregeln sind sinngemäss beizuziehen (BGE 127
II 297 E. 3d). Das Bundesgericht hat im Falle einer groben Verletzung der
Verkehrsregeln eine Dauer des kantonalen Verfahrens von fünf Jahren als
überlang erachtet (BGE 120 Ib 504 E. 3), bei einer blossen Übertretung schon
eine solche von viereinhalb Jahren (BGE 127 II 297 E. 3d). Im hier zu
beurteilenden Fall hat das kantonale Verfahren bis zum vorinstanzlichen
Urteil rund zwei Jahre beansprucht. Das ist nicht unverhältnismässig lang,
zumal die Erstinstanz angesichts des streitigen Falls den Ausgang des
Strafverfahrens abwarten durfte. Das kantonale Administrativverfahren dauerte
nach dem Strafurteil weniger als ein Jahr. Eine Unterschreitung der
Mindestentzugsdauer fällt bereits aus diesem Grund ausser Betracht.

4.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der
Beschwerdeführer die Kosten (Art. 156 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und der Verwaltungsrekurskommission
des Kantons St. Gallen, Abteilung IV, sowie dem Strassenverkehrs- und
Schifffahrtsamt des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Strassen
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 15. Januar 2003

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: