Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6A.37/2002
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6A.37/2002 /kra

Sitzung vom 21. August 2002
Kassationshof

Bundesrichter Schubarth, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Wiprächtiger, Kolly, Karlen,
Gerichtsschreiber Borner.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dominik Rothacher, Langhaus am
Bahnhof, 5401 Baden,

gegen

Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 1. Kammer, Obere Vorstadt 40, 5001
Aarau.

Entzug des Führerausweises,

Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des
Kantons Aargau, 1. Kammer, vom 20. Februar 2002.

Sachverhalt:

A.
X. ________ besitzt den Führerausweis der Kategorie B seit 1979. Er wurde ihm
am 27. Juli 2000 wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand (mindestens 1,32
g/kg) für die Dauer von zwei Monaten entzogen.

Am 25. September 2000 geriet X.________ gegen Mitternacht auf der Fahrt von
Ennetturgi nach Oberrohrdorf in eine Verkehrskontrolle. Die Blutanalyse ergab
eine rückgerechnete Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,10 g/kg. Nach
seinen eigenen Angaben hatte er im Laufe des Tages Ponstan und drei
Zuckerstücke mit Klosterfrau-Melissengeist zu sich genommen und den
alkoholhaltigen Halsspray Collunosol benützt; am Abend habe er 2,5 dl Rotwein
und 3 dl Bier getrunken.

Das Bezirksgericht Baden verurteilte X.________ am 27. Februar 2001 gestützt
auf Art. 91 Abs. 1 SVG zu einer unbedingten Gefängnisstrafe von 21 Tagen und
einer Busse von Fr. 2'500.--. Das Urteil erwuchs in Rechtskraft.

B.
Am 2. November 2000 verfügte das Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau einen
Führerausweisentzug von 20 Monaten.

Das Departement des Innern des Kantons Aargau wies eine Beschwerde von
X.________ ab.

Eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen diesen Entscheid wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Aargau am 20. Februar 2002 ab.

C.
X.________ führt eidgenössische Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den
Anträgen, es seien das Verwaltungsgerichtsurteil vom 20. Februar 2002
aufzuheben und die Dauer des Führerausweisentzuges auf 12 Monate
festzusetzen. Im Übrigen sei die Sache zur Neuverlegung der Kosten- und
Entschädigungsfolgen an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Das Verwaltungsgericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet (act. 7). Das
Bundesamt für Strassen (ASTRA) beantragt Gutheissung der Beschwerde (act.
10).

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Letztinstanzliche kantonale Entscheide über Führerausweisentzüge unterliegen
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht (Art. 24 Abs. 2 SVG).
Der Beschwerdeführer hat als unmittelbar Betroffener ein schutzwürdiges
Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheids, weshalb er zur
Beschwerde legitimiert ist (Art. 24 Abs. 5 SVG).
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht aller
Stufen, also auch von Bundesverfassungsrecht, sowie Überschreitung oder
Missbrauch des Ermessens, nicht aber Unangemessenheit gerügt werden (Art. 104
OG). Nachdem als Vorinstanz eine richterliche Behörde entschieden hat, ist
das Bundesgericht an die Feststellung des Sachverhaltes gebunden, soweit
dieser nicht offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung
wesentlicher Verfahrensvorschriften ermittelt worden ist (Art. 105 Abs. 2
OG).

2.
2.1 Die kantonalen Behörden haben der ausgefällten Administrativmassnahme die
so genannte "Aargauer Praxis" zu Grunde gelegt. Das Bundesgericht hat
mehrfach festgehalten, dass standardisierte "Tarife" Bundesrecht verletzen,
wenn sie zu schematisch angewendet und die Umstände des Einzelfalls nicht
genügend berücksichtigt werden (Urteil 6A.20/2002 vom 7. Mai 2002; zur
Publikation vorgesehener Entscheid 6A.3/2002 vom 10. April 2002; Urteil
6A.49/2001 vom 30. Oktober 2001; BGE 124 II 44 E. 1; 123 II 63 E. 3c).

Die Vorinstanz überprüft den angefochtenen Entscheid der Aargauer
Verwaltungsbehörden in analoger Anwendung der neuen bundesgerichtlichen
Rechtsprechung. Sie hält fest, da der Umstand des Fahrens in angetrunkenem
Zustand und des Rückfalls innert 5 Jahren in der Mindestentzugsdauer von 12
Monaten bereits erfasst seien, dürften diese Momente weder beim Verschulden
noch beim Leumund zusätzlich zu Ungunsten des Betroffenen berücksichtigt
werden. Massnahmeerhöhend könne jedoch der Zeitpunkt des Rückfalls ins
Gewicht fallen. Der Zeitpunkt müsse sowohl beim Verschulden als auch beim
automobilistischen Leumund berücksichtigt werden (Urteil Verwaltungsgericht,
S. 7 ff. Ziff. 3c).

2.2 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Bundesrecht mit der
Begründung, die Vorinstanz habe die Rückfälligkeit unter drei verschiedenen
Titeln zu seinen Ungunsten berücksichtigt. Sie halte ihm die zeitliche Nähe
der erneuten Verfehlung ein erstes Mal eingangs im Rahmen einer allgemeinen
Beurteilung als stark massnahmeerhöhend vor. Ein weiteres Mal werde im Rahmen
der Gewichtung des Verschuldens mehrfach verschuldenserhöhend auf die
Rückfälligkeit hingewiesen. Schliesslich stelle sie den ersten Warnungsentzug
bei der Prüfung der beruflichen Angewiesenheit nochmals in Rechnung
(Beschwerde, S. 4 f. Ziff. 6-8).

2.3 Die Kritik des Beschwerdeführers trifft zu. Das Bundesgericht hat in den
beiden den Kanton Aargau betreffenden Entscheiden 6A.3/2002 vom 10. April
2002 sowie 6A.20/2002 vom 7. Mai 2002 festgehalten, dass das zeitliche Moment
des Rückfalls nur beim automobilistischen Leumund, nicht aber beim
Verschulden berücksichtigt werden darf. Ebenso wenig darf der Rückfall bei
der Beurteilung der beruflichen Notwendigkeit, ein Motorfahrzeug zu führen
(Art. 33 Abs. 2 VZV),  negativ gewichtet werden (E. 3). An dieser Stelle
genügt ein Hinweis auf die erwähnten Entscheide sowie die Vernehmlassung des
ASTRA (act. 10; Art. 36a Abs. 3 OG).

2.4 Im Zusammenhang mit der Beurteilung des Verschuldens des
Beschwerdeführers hält die Vorinstanz fest, erschwerend komme hinzu, dass der
Beschwerdeführer nachts gefahren sei. Sein Argument, das Verkehrsaufkommen
sei nachts deutlich geringer, vermöge nicht zu überzeugen (Urteil
Verwaltungsgericht, S. 11 lit. bb).

Der Beschwerdeführer wendet sich zu Recht gegen eine solche Beurteilung
(Beschwerdeschrift S. 9 lit. ee). Die Vorinstanz führt zwar zutreffend den
verschuldenserhöhenden Umstand der nächtlichen Fahrt an, weil die ungünstigen
Sichtverhältnisse in der Nacht die abstrakte Verkehrsgefährdung entsprechend
erhöhen. Diese Gefährdung ist indessen bei geringem Verkehrsaufkommen tiefer
als bei durchschnittlichem, was nicht einfach als unbeachtlich bezeichnet
werden darf.
Im Übrigen ist die Behauptung des Beschwerdeführers, "die eingenommenen
Medikamente fallen nicht in eine Medikamentengruppe (wie Psychopharmaka,
Sedativa, Analgetika etc.), welche allein oder zusammen mit dem Konsum von
Alkohol besondere Gefahren für die Fahrfähigkeit vermuten lassen"
(Beschwerdeschrift S. 7 Ziff. 12), falsch.  Beim Schmerzmittel "Ponstan"
handelt es sich nämlich um ein typisches Analgetikum. Da zudem eine Erkältung
die körperliche Verfassung des Beschwerdeführers beeinträchtigte, durfte die
Vorinstanz sein Verhalten als besonders bedenklich bezeichnen.

3.
3.1 Im Zusammenhang mit dem Kriterium der Massnahmeempfindlichkeit verweist
die Vorinstanz auf ihre eigene Praxis. Danach kann eine mittelgradig erhöhte
Massnahmeempfindlichkeit nur angenommen werden, wenn der Fahrzeuglenker auf
das Auto nicht nur als Fortbewegungsmittel angewiesen ist, sondern die
Benützung eines Motorfahrzeugs für den Transport von Material und Werkzeugen,
die ihrerseits eine unabdingbare Voraussetzung für die Berufsausübung
darstellen, unumgänglich beziehungsweise erforderlich ist. Dem
Beschwerdeführer werde die Durchführung seiner Kundenbesuche durch den
Führerausweisentzug weder verunmöglicht noch in unzumutbarer Weise erschwert.
Die Besuche könnten durchaus auf andere Art und Weise organisiert und
sichergestellt werden.

Die Vorinstanz erwägt überdies, eine Sanktionsempfindlichkeit falle in erster
Linie bei unbescholtenen Fahrzeugführern ins Gewicht, nicht aber bei Lenkern,
bei denen sich bisherige Massnahmen als wirkungslos erwiesen hätten.
Derjenige, dessen automobilistischer Leumund bereits belastet sei, könne sich
weniger auf seine besondere Massnahmeempfindlichkeit berufen als ein Fahrer,
gegen den bisher noch keine Massnahmen verhängt worden seien. Die Umtriebe im
vorliegenden Fall vermöchten höchstens eine leicht überdurchschnittliche
Massnahmeempfindlichkeit zu begründen, die leicht massnahmemindernd zu
berücksichtigen sei (Urteil Verwaltungsgericht, S. 11 ff. lit. dd).

3.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, die Auffassung der Vorinstanz, eine
Sanktionsempfindlichkeit falle in erster Linie bei unbescholtenen
Fahrzeugführern ins Gewicht, sei bundesrechtswidrig. Der nochmalige Vorwurf
des Rückfalls bei der beruflichen Angewiesenheit führe dazu, dass diesem ein
übermässiges Gewicht zugemessen werde, was unzulässig sei (Beschwerde, S. 11
f. Ziff. 20).

Im Übrigen sei die Feststellung der Vorinstanz, er bedürfe des Fahrzeuges nur
als Fortbewegungs- und nicht als Transportmittel, offensichtlich unrichtig.
Schon in der Eingabe vom 27. Oktober 2000 an das Strassenverkehrsamt des
Kantons Aargau habe er dargetan, dass er als Geschäftsführer seiner
Glückwunschkartenfirma persönlich im Aussendienst tätig sei. Dabei müsse er
auf Abruf zur Verfügung stehen und selber Karten ausliefern. Er habe für die
Auffüllung des Warenlagers beim Kunden besorgt zu sein. Bei seinen
Kundenbesuchen (täglich vier bis fünf Kunden im Raum
Basel/Aargau/Innerschweiz/Zürich mit einem Zeitaufwand von 2 bis 2,5 Stunden
pro Kunde) führe er daher umfangreiches Material mit sich. Die Vorinstanz sei
willkürlich, gänzlich unbegründet und erstmals von einem andern Sachverhalt
ausgegangen, ohne darüber trotz des in der Beschwerde beantragten
Beweismittels der Parteibefragung Beweis zu erheben. Es sei nun
schlechterdings nicht ersichtlich, wie er ohne Fahrzeug seine berufliche
Tätigkeit ausführen solle. Er sei daher in erheblichem Masse
massnahmeempfindlich (Beschwerde, S. 10 f. Ziff. 18 und 19).

3.3
3.3.1Das Bundesgericht hat schon im Aargauer Fall 6A.23/2002 vom 30. April
2002 - auf den für Einzelheiten zu verweisen ist - festgehalten, dass die
Auffassung der Vorinstanz, eine Sanktionsempfindlichkeit sei in erster Linie
bei unbescholtenen Fahrzeugführern zu beachten, in einer solch absoluten Form
nicht geschützt werden könne, werde doch der auf ein Motorfahrzeug
angewiesene Motorfahrzeugführer wegen der grösseren Massnahmeempfindlichkeit
- auch im Rückfall - in der Regel schon durch eine kürzere Entzugsdauer
wirksam gewarnt und von weiteren Widerhandlungen abgehalten. Die zusätzliche
Berücksichtigung des Rückfalls bei der Prüfung der beruflichen Notwendigkeit,
ein Motorfahrzeug zu führen, verletzt daher Bundesrecht.

3.3.2 Es trifft zu, dass der Beschwerdeführer seine berufliche Situation in
der Eingabe vom 27. Oktober 2000 an das Strassenverkehrsamt des Kantons
Aargau (Ziff. 5 und 6) recht eingehend umschrieben hat. Aus seiner
Darstellung ergibt sich, dass er das Auto auch als Transportmittel und nicht
nur als Fortbewegungsmittel benötigt. Er schildert die Einzelheiten zwar erst
in seiner Eingabe ans Bundesgericht (Ziff. 18). Die Vorinstanz hat es aber
unterlassen, den beantragten Beweis abzunehmen. Sie übergeht auch wortlos den
Umstand, dass der Beschwerdeführer eben nicht nur mit dem Auto zu Kunden
fahren muss, sondern für die Bewirtschaftung derer Sortimente, mithin für die
auf Abruf zu erfolgende Ablieferung von Glückwunschkarten aller Art,
verantwortlich ist. Damit ist die Willkürrüge begründet (zum Begriff der
Willkür vgl. BGE 127 I 38 E. 2a).

3.3.3 Es bedarf keiner langen Ausführungen, dass der Alleininhaber einer
Glückwunschkartenfirma, der zu 100 % im Aussendienst tätig ist, für die
Ausübung seines Berufes und die Aufrechterhaltung des Unternehmens
unabdingbar auf ein Fahrzeug angewiesen ist, umso mehr, als er einerseits aus
nachvollziehbaren Gründen beständig eine grössere Menge von Werbematerial
mitführen und andererseits die bestellte Ware ausliefern muss. Damit ist von
einer erheblichen Massnahmeempfindlichkeit auszugehen. Denn es gibt nicht
bloss Fahrzeuglenker, die beruflich entweder überhaupt nicht oder dann wie
Berufsfahrer auf den Ausweis angewiesen sind; vielmehr ist der Übergang
fliessend, das heisst es gibt auch Betroffene, bei denen eine leicht oder
mittelgradig erhöhte Massnahmeempfindlichkeit gegeben ist (BGE 123 II 572 E.
2c, S. 575).

3.4 Die Beschwerde ist daher auch in diesem Punkt gutzuheissen.

4.
Die kantonalen Verwaltungsbehörden haben dem Beschwerdeführer den
Führerausweis für die Dauer von 20 Monaten entzogen. Die Vorinstanz bestätigt
diese Massnahme. Mit der Erhöhung der gesetzlichen Mindestentzugsdauer von 12
Monaten auf 20 Monate überschreitet sie ihr Ermessen. Nach dem oben Gesagten
hat sie einerseits die Schwere des Verschuldens des Beschwerdeführers zu
stark und anderseits dessen Massnahmeempfindlichkeit zu gering gewichtet. Da
die entscheidwesentlichen Elemente vorliegen, entscheidet das Bundesgericht
in der Sache selbst (Art. 114 Abs. 2 OG). Angesichts der erwähnten Elemente,
aber auch des Umstands, dass der Rückfall bereits sieben Wochen nach Ablauf
des früheren Entzugs geschah, erscheint im Rahmen einer Gesamtwürdigung
sämtlicher Umstände ein Führerausweisentzug für die Dauer von 15 Monaten
angemessen.

5.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen. Bei diesem Ausgang des
Verfahrens werden keine Kosten erhoben und der Beschwerdeführer ist
angemessen zu entschädigen (Art. 156 und 159 je Abs. 2 OG).
Für die Regelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen im kantonalen Verfahren
wird die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des
Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau vom 20. Februar 2002 aufgehoben.

2.
Dem Beschwerdeführer wird der Führerausweis für die Dauer von 15 Monaten
entzogen. Im Übrigen wird die Sache zur Neuverlegung der Kosten- und
Entschädigungsfolgen des kantonalen Verfahrens an die Vorinstanz
zurückgewiesen.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Der Kanton Aargau hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.

5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Verwaltungsgericht des
Kantons Aargau, 1. Kammer, sowie dem Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Strassen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 21. August 2002

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: