Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6A.30/2002
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6A.30/2002 /pai

Urteil vom 30. Juli 2002
Kassationshof

Bundesrichter Schubarth, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Karlen.
Gerichtsschreiber Luchsinger.

X. ________, Beschwerdeführer,

gegen

Verwaltungsgericht des Kantons Zug, Verwaltungsrechtliche Kammer, An der Aa
6, Postfach 760, 6301 Zug.

Entzug des Führerausweises,

(Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des
Kantons Zug, Verwaltungsrechtliche Kammer, vom 29. Januar 2002).

Sachverhalt:

A.
Am 9. Dezember 1999 um 1.52 Uhr lenkte X.________ seinen Personenwagen durch
die Selnaustrasse in Zürich. Bei der Kreuzung mit der Brandschenkestrasse
missachtete er das seit 3,4 Sekunden auf Rot stehende Lichtsignal und fuhr
mit 40 km/h über die Kreuzung.

B.
Der Einzelrichter des Bezirksgerichts Zürich verurteilte X.________ deshalb
am 9. Mai 2001 wegen einfacher Verletzung der Verkehrsregeln zu einer Busse
von Fr. 800.--.

C.
Mit Verfügung vom 30. Juli 2001 entzog die Sicherheitsdirektion des Kantons
Zug X.________ den Führerausweis für die Dauer von einem Monat. Die von
X.________ dagegen gerichtete Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des
Kantons Zug mit Urteil vom 29. Januar 2002 ab.

D.
Gegen dieses Urteil führt X.________ Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans
Bundesgericht mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und von
einem Führerausweisentzug abzusehen, eventuell eine Verwarnung auszusprechen.

Er stellt ein Gesuch um aufschiebende Wirkung.

Das Verwaltungsgericht schliesst in seiner Vernehmlassung auf Abweisung der
Beschwerde. Der Beschwerdeführer hält in seiner innert erstreckter Frist
eingereichten Replik an seinen Anträgen fest.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, das Verwaltungsgericht habe ihm zu
Unrecht den Führerausweis entzogen. Art. 16 Abs. 2 SVG beinhalte im Gegensatz
zu Abs. 3 nur eine Kann-Vorschrift. Das Verwaltungsgericht habe unter
Missachtung der Rechtsprechung auf die Verkehrsgefährdung und nicht auf sein
Verschulden abgestellt. Im Übrigen habe er angesichts des geringen
Verkehrsaufkommens, der Anlage der Kreuzung und seines dank ABS kurzen
Bremswegs den Verkehr nicht in schwerer Weise gefährdet. Der Strafrichter
habe ihn lediglich der einfachen Verletzung der Verkehrsregeln schuldig
gesprochen und damit auch der Tatsache Rechnung getragen, dass aufgrund der
verspäteten ersten Einvernahme Fahrzeug und Lenker nicht mehr eindeutig
identifiziert werden konnten. Er habe lediglich eine unbewusste
Fahrlässigkeit mit entsprechend leichtem Verschulden begangen. Die
Verwaltungsbehörde sei an Sachverhalt und rechtliche Würdigung im Strafurteil
gebunden.

1.2 Gemäss Art. 16 Abs. 2 SVG kann der Führerausweis entzogen werden, wenn
der Lenker Verkehrsregeln verletzt und dadurch den Verkehr gefährdet oder
andere belästigt hat (Satz 1). In leichten Fällen kann eine Verwarnung
ausgesprochen werden (Satz 2). Nach Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG muss der
Führerausweis entzogen werden, wenn der Führer den Verkehr in schwerer Weise
gefährdet hat. Das Gesetz unterscheidet somit:

• den leichten Fall (Art. 16 Abs. 2 Satz 2 SVG),
• den mittelschweren Fall (Art. 16 Abs. 2 Satz 1 SVG),
• den schweren Fall (Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG).

Gemäss Art. 90 Ziff. 1 SVG wird mit Haft oder mit Busse bestraft, wer
Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des
Bundesrates verletzt. Nach Art. 90 Ziff. 2 SVG wird mit Gefängnis oder mit
Busse bestraft, wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche
Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt. In schwerer
Weise gefährdet den Verkehr im Sinne von Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG, wer durch
grobe Verletzung der Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG eine
ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt.
Diese beiden Vorschriften stimmen inhaltlich miteinander überein (BGE 126 II
202 E. 1a S. 204; 123 II 37 E. 1a und b S. 38 f., 106 E. 2a S. 109 mit
Hinweis).

Findet der schwere Fall gemäss Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG seine Entsprechung
in der groben Verletzung von Verkehrsregeln nach Art. 90 Ziff. 2 SVG, so
deckt die einfache Verletzung von Verkehrsregeln gemäss Art. 90 Ziff. 1 SVG
sowohl den leichten wie den mittelschweren Fall gemäss Art. 16 Abs. 2 SVG ab.
Eine strafrechtliche Verurteilung wegen einfacher Verletzung der
Verkehrsregeln bedeutet also nicht zwangsläufig, dass es sich um einen
leichten Fall im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 SVG handeln muss. Es kann
durchaus auch ein mittelschwerer Fall vorliegen.

Nach der Rechtsprechung kann auf den Führerausweisentzug grundsätzlich nur
verzichtet werden, wenn der Fall leicht im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2
SVG ist. Bei einem mittelschweren Fall kommt ein Verzicht auf den
Führerausweisentzug nur in Betracht, wenn besondere Umstände vorliegen, wie
sie in BGE 118 Ib 229 gegeben waren. Ob der Fall leicht im Sinne von Art. 16
Abs. 2 Satz 2 SVG ist, beurteilt sich nach dem Verschulden des
Fahrzeuglenkers und seinem automobilistischen Leumund. Die Schwere der
Verkehrsgefährdung ist insoweit von Bedeutung, als sie auch
verschuldensmässig relevant ist (BGE 126 II 202 E. 1a S. 204, 192 E. 2b S.
194; 125 II 561 E. 2b S. 567, je mit Hinweisen).

1.3 Es ist somit anhand der konkreten Umstände zu prüfen, in welchem Ausmass
der Beschwerdeführer durch sein Verhalten eine Gefährdung hervorgerufen hat
und inwiefern dies für sein Verschulden relevant ist.

1.3.1 Dem Strafurteil lässt sich entnehmen, dass der Beschwerdeführer mit 40
km/h innerorts ein Lichtsignal missachtete, das seit 3,4 Sekunden auf Rot
stand, und dafür wegen einfacher Verletzung der Verkehrsregeln nach Art. 90
Ziff. 1 SVG verurteilt wurde. Dieser Sachverhalt bindet die
Verwaltungsbehörde (BGE 124 II 103 E. 1c/aa S. 106). Die Verurteilung wegen
einfacher Verletzung der Verkehrsregeln besagt aber noch nichts darüber, ob
ein leichter oder ein mittelschwerer Fall gemäss Art. 16 Abs. 2 SVG vorliegt
(E. 1.2). Ebenso lässt sich aus der relativ späten Einvernahme des
Beschwerdeführers, die er erwähnt, nichts weiter zu seinen Gunsten ableiten.
Der Beschwerdeführer bestreitet den grundlegenden Sachverhalt nicht und macht
auch nicht geltend, nicht selber gefahren zu sein.

Nach Angaben des Beschwerdeführers war die Kreuzung zur Tatzeit um 1.52 Uhr
nurmehr schwach frequentiert und übersichtlich. Er behauptet deshalb, er
hätte ein allenfalls herannahendes Fahrzeug rechtzeitig erkennen und - da
sein Fahrzeug mit ABS ausgerüstet sei - abbremsen können. Dem ist
entgegenzuhalten, dass die Kreuzung mitten in der Stadt und in überbautem
Gebiet gelegen ist, wie sich auch ohne besondere Ortskenntnis dem Stadtplan
entnehmen lässt. Die Kreuzung kann damit nicht als derart übersichtlich
gelten, dass Fahrzeuge schon von weitem erkennbar und eine Gefährdung anderer
praktisch ausgeschlossen gewesen wären (vgl. BGE 118 IV 285 E. 3b S. 289).
Ebenso ist im Gebiet einer grösseren Stadt auch zu später Stunde noch mit
weiteren Verkehrsteilnehmern zu rechnen. Damit ist auch unter
Berücksichtigung der Darstellung des Beschwerdeführers davon auszugehen, dass
er eine erhebliche Gefahr hervorgerufen hat, indem er mit praktisch
ungebremster Fahrt bei Rot über eine Kreuzung fuhr. Auch das zur Nachtzeit
ruhige Quartier und das Bremssystem seines Fahrzeugs vermögen daran nichts zu
ändern.

1.3.2 Dies ist auch verschuldensmässig relevant. Der Beschwerdeführer hat
eine grundlegende Verkehrsregel verletzt und damit andere gefährdet (BGE 123
IV 88 E. 3a S. 91 f.; 118 IV 285 E. 3a S. 288). Die relativ lange Zeitspanne
von 3,4 Sekunden seit Umschalten des Lichtsignals zeigt, dass er das Rotlicht
gänzlich übersehen oder bewusst missachtet hat. Selbst wenn man seinen
Ausführungen folgt und nicht von einem wissentlichen, sondern lediglich
fahrlässigen Übersehen des Rotlichts ausgeht, hat er seine elementarsten
Pflichten als Fahrzeuglenker verletzt (BGE 123 IV 88 E. 4c S. 94; 118 IV 84
E. 2b S. 86f.). Der Strafrichter hat die Missachtung des Rotlichts zwar nicht
als grobe Verletzung der Verkehrsregeln nach Art. 90 Ziff. 2 SVG qualifiziert
(vgl. BGE 118 IV 285 E. 4 S. 289f., oder den vom Beschwerdeführer angeführten
Entscheid 6A.98/1997 E. 7b, Zusammenfassung in SJ 1998 S. 426), doch handelt
es sich unter den gegebenen Umständen nicht um eine Bagatelle. Die Annahme
eines mittelschweren Verschuldens liegt jedenfalls im Bereich des Ermessens,
das der kantonalen Behörde zusteht. Es verstösst nicht gegen Bundesrecht, das
Überfahren eines Rotlichts nach 3,4 Sekunden auch bei guter Übersicht und
geringem Verkehrsaufkommen als nicht mehr leichtes Verschulden und somit als
mittelschweren Fall im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 1 SVG zu werten.

1.4 Damit kann auch offen bleiben, ob die weiteren Feststellungen des
Verwaltungsgerichts bezüglich der genauen Verhältnisse an der Kreuzung
unzutreffend sind, wie der Beschwerdeführer vorbringt. Das angefochtene
Urteil erweist sich auch bei Berücksichtigung der vom Beschwerdeführer
erhobenen Einwendungen als bundesrechtskonform.

2.
2.1 Nach Ansicht des Beschwerdeführers ist der Führerausweisentzug in mehrerer
Hinsicht unverhältnismässig. Seit dem Vorfall seien zweieinhalb Jahre
vergangen, während derer er korrekt gefahren sei. Unverhältnismässig sei der
Entzug zudem angesichts seines ungetrübten automobilistischen Leumunds und
des nur leichten Verschuldens. Der Entzug treffe ihn auch zu hart in der
Ausübung seines Berufes. Das Verwaltungsgericht habe sich mit seinen
Lebensumständen und den besonderen Verhältnissen des Falls zu wenig
auseinandergesetzt.

Das Verwaltungsgericht berücksichtigt bei der Festsetzung der Entzugsdauer
das Verschulden des Beschwerdeführers, seinen ungetrübten Leumund und seine
berufliche Angewiesenheit. Es verfügt einen Führerausweisentzug mit der
gesetzlichen Minimaldauer von einem Monat.

Nach der Rechtsprechung kann die sechsmonatige Mindestentzugsdauer von Art.
17 Abs. 1 lit. c SVG bei besonders leichtem Verschulden des fehlbaren Lenkers
unterschritten werden. Das Bundesgericht hat die Frage offen gelassen, ob
dies auch bei der einmonatigen Mindestdauer nach Art. 17 Abs. 1 lit. a SVG
gelten soll (BGE 123 II 225 E. 2b/cc S. 230f.). Die Frage kann auch hier
offen bleiben.

2.2
2.2.1Das Bundesgericht hat in BGE 118 Ib 229 E. 3 S. 232 ff. festgehalten,
dass selbst bei nicht leichtem Verschulden des Lenkers auf einen
Führerausweisentzug analog zu Art. 66bis StGB verzichtet werden kann, wenn
der Lenker durch die Folgen seines Verhaltens selber so schwer getroffen
wurde, dass ein Entzug des Führerausweises unnötig und unverhältnismässig
erschiene. Von derart gravierenden Umständen kann hier aber nicht die Rede
sein.

2.2.2 Auch der gute automobilistische Leumund des Beschwerdeführers erlaubt
es nicht, auf den Führerausweisentzug zu verzichten. Diese Möglichkeit stünde
nur bei leichtem, nicht aber bei mittelschwerem Verschulden offen (BGE 126 II
192 E. 2c S. 195).

2.3 Das Bundesgericht hat eine Reduktion der Entzugsdauer unter die
gesetzliche Minimaldauer geschützt, wenn das Verfahren ohne Verschulden des
fehlbaren Lenkers übermässig viel Zeit in Anspruch genommen hat und dieser
sich in der Zwischenzeit wohl verhalten hat. Es lässt sich nicht abstrakt
festlegen, welche Verfahrensdauer als überlang zu gelten hat. Bei einer
groben Verletzung der Verkehrsregeln wurde eine fünfeinhalbjährige
Verfahrensdauer als zu lang erachtet, bei einer Übertretung eine solche von
viereinhalb Jahren (BGE 127 II 297 E. 3d S. 300f., 120 Ib 504). Im
vorliegenden Fall hat das Strafverfahren mit rund eineinhalb Jahren zwar
relativ viel Zeit in Anspruch genommen, doch hat sich der Ablauf im
Administrativverfahren erheblich beschleunigt. Die Gesamtdauer liegt
unterhalb der Schwellen, ab denen das Bundesgericht eingegriffen hat. Die
Verfahrensdauer kann nicht als übermässig bezeichnet werden und rechtfertigt
es nicht, die Mindestentzugsdauer zu unterschreiten.

2.4 Der Beschwerdeführer macht auch nicht geltend, er sei wie etwa ein
Berufschauffeur auf sein Fahrzeug direkt angewiesen. Seine beiden
geographisch getrennten Arbeitsorte können organisatorische Schwierigkeiten
verursachen, die aber nicht über das hinausgehen, was bei einem
Führerausweisentzug typischerweise zu gewärtigen ist. Es liegt keine
besondere berufliche Angewiesenheit vor, welche die Massnahme als
unverhältnismässig erscheinen liesse. Die Mindestdauer gemäss Art. 17 Abs. 1
lit. a SVG bleibt demnach massgebend. Das angefochtene Urteil verletzt kein
Bundesrecht.

3.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde erweist sich demnach als unbegründet und
ist abzuweisen. Die Gerichtskosten sind bei diesem Ausgang des Verfahrens dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG).

Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung
gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die eidgenössische Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Verwaltungsgericht des
Kantons Zug, Verwaltungsrechtliche Kammer, sowie der Sicherheitsdirektion des
Kantons Zug und dem Bundesamt für Strassen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. Juli 2002

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: