Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.471/2002
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5P.471/2002 /min

Urteil vom 12. Februar 2003
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterinnen Escher, Hohl,
Gerichtsschreiber Zbinden.

R. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt
lic. iur. Thomas Ulrich, Neuhofstrasse 25, 6340 Baar,

gegen

T.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Günther Schmid,
Badenerstrasse 41, Postfach, 8026 Zürich,
Justizkommission des Obergerichts des Kantons Zug, Aabachstrasse 3, Postfach
800, 6301 Zug.

Art. 9 BV (definitive Rechtsöffnung),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil der Justizkommission des
Obergerichts des Kantons Zug vom 31. Oktober 2002.

Sachverhalt:

A.
Mit Versäumnisurteil vom 8. April 1997 verpflichtete das Landesgericht
Innsbruck T.________ (nachfolgend: Schuldner oder Beschwerdegegner),
Rechtsanwalt Dr. R.________ (nachfolgend: Gläubiger oder Beschwerdeführer)
binnen 14 Tagen "bei Exekution" ATS 19'228.80 nebst Zins zu 4% seit dem 1.
Oktober 1996 sowie Prozesskosten in der Höhe von ATS 3'436.-- zu bezahlen. In
einer Amtsbestätigung vom 12. Juni 1997 hielt das Landesgericht Innsbruck
fest:
"In obiger Rechtssache bestätigt das gefertigte Gericht (..), dass die Klage
GZ1. 15 Cg 6/97b samt Auftrag zur Klagebeantwortung dem Beklagten (..) am 13.
2. 1997 persönlich zugestellt wurde. Innerhalb der gesetzlichen Frist ist
beim Landesgericht Innsbruck keine Klagebeantwortung eingelangt. Auf Antrag
der klagenden Partei wurde vom Landesgericht Innsbruck am 8. 4. 1997 ein
Versäumnisurteil erlassen, welches am 29. 4. 1997 dem Beklagten
ordnungsgemäss zugestellt wurde. Das Versäumnisurteil vom 8. 4. 1997 ist
somit rechtskräftig und vollstreckbar."

B.
Gestützt auf das Versäumnisurteil und die Amtsbestätigung leitete der
Gläubiger gegen den damals in Zug wohnhaften Schuldner beim Betreibungsamt
Zug die Betreibung ein für Fr. 2'534.24 nebst Zins zu 5% seit dem 21. März
2001 sowie für Fr. 290.-- Verzugsschaden (Betreibung Nr. ...). Der Schuldner
erhob Rechtsvorschlag. Mit Verfügung vom 8. Januar 2002 erteilte das
Kantonsgerichtspräsidium Zug dem Gläubiger in teilweiser Gutheissung seines
Begehrens definitive Rechtsöffnung für Fr. 2'534.25 nebst Zins zu 4% seit dem
21. März 2001.

Demgegenüber hob die Justizkommission des Obergerichts des Kantons Zug
(nachfolgend: Justizkommission) am 31. Oktober 2002 in Gutheissung einer
Beschwerde des Schuldners die Verfügung des Rechtsöffnungsrichters auf und
wies das Gesuch um definitive Rechtsöffnung ab. Die Justizkommission hielt im
Wesentlichen dafür, der Gläubiger habe weder den nach Art. 46 Nr. 2 des
Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung
gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16. September
1988 (SR 0.275.11; LugÜ) verlangten Nachweis der Zustellung des
verfahrenseinleitenden Schriftstücks noch eine gleichwertige Urkunde (Art. 48
Abs. 1 LugÜ) beigebracht.

C.
Der Gläubiger führt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, den Entscheid
der Justizkommission aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an das
Obergericht zurückzuweisen.

Es sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 8 BV bzw. einen Verstoss
gegen das Verbot des überspitzten Formalismus und macht überdies eventualiter
eine Verletzung der Art. 46 Nr. 2 bzw. 48 Abs. 1 LugÜ geltend. Im
vorliegenden Verfahren geht es indes nicht um eine überspitzte Handhabung
prozessualer Bestimmungen, sondern um die Frage, ob die Art. 46 Nr. 2 und
Art. 48 Abs. 1 LugÜ richtig ausgelegt und angewandt worden sind. In diesem
Licht ist die Beschwerde zu behandeln.

2.
2.1 Gegen einen kantonal letztinstanzlichen Entscheid, mit dem die definitive
Rechtsöffnung verweigert wird, ist die staatsrechtliche Beschwerde gegeben
(Art. 32 Nr. 1 lit. a LugÜ, Art. 81 Abs. 3 SchKG; BGE 125 III 386 E. 3a S.
387 f.). Auf die fristgerecht eingereichte Beschwerde ist demnach
grundsätzlich einzutreten (BGE 126 III 534 E. 1a mit Hinweisen).

2.2 Im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung von
Staatsverträgen überprüft das Bundesgericht die Rechtsanwendung im Rahmen der
rechtsgenüglich (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG) vorgebrachten Rügen frei. Da ein
Gericht als Vorinstanz den Sachverhalt festgestellt hat, erfolgt dessen
Überprüfung im Rahmen der staatsrechtlichen Beschwerde hingegen nur auf
Willkür (BGE 5P.304/2002 vom 20. November 2002, E. 1.3). Unzulässig sind
schliesslich neue rechtliche Argumente sowie neue Tatsachenvorbringen und
Beweismittel (BGE 128 I 354 E. 6 S. 355 ff.).

3.
Der Beschwerdeführer macht zusammengefasst im Wesentlichen geltend, er habe
vor den zuständigen Gerichtsinstanzen des Kantons Zug den in Art. 46 Nr. 2
LugÜ verlangten Nachweis erbracht. Er habe im Rechtsöffnungsverfahren das mit
"Amtsbestätigung" überschriebene Bestätigungsschreiben des Landesgerichtes
Innsbruck vom 12. Juni 1997 ins Recht gelegt, worin das Landesgericht
ausdrücklich bestätige, dass die Klage samt Auftrag zur Beantwortung dem
Beschwerdegegner am 13. Februar 1997 persönlich zugestellt worden sei. Ferner
ergebe sich aus dem besagten Dokument, dass innerhalb der angesetzten Frist
beim Landesgericht Innsbruck keine Klageantwort eingegangen sei. Aufgrund
dieser Amtsauskunft habe sich der Zustellungsnachweis erübrigt. Indem das
Obergericht unter den gegebenen Umständen dennoch den direkten
Zustellungsnachweis mit Bezug auf das verfahrenseinleitende Schriftstück
verlange, handle es Art. 46 Nr. 2 und Art. 48 Abs. 1 LugÜ zuwider. Für den
Fall, dass das Bundesgericht dieser Auffassung nicht folge, sei das
angefochtene Urteil dennoch aufzuheben, weil die Justizkommission dem
Beschwerdeführer keine Nachfrist zur Einreichung einer besonderen
Zustellungsurkunde angesetzt habe (Art. 48 Abs. 1 LugÜ).

3.1 Die Anwendbarkeit des LugÜ wird im vorliegenden Fall von keiner Seite
bestritten. Nach Art. 27 Nr. 2 LugÜ wird eine Entscheidung nicht anerkannt,
wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das
dieses Verfahren einleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges
Schriftstück nicht ordnungsgemäss und nicht so rechtzeitig zugestellt worden
ist, dass er sich verteidigen konnte. Diese auf Versäumnisurteile
zugeschnittene Vorschrift bezweckt den Schutz der Rechte des Beklagten.
Insbesondere ergänzt sie Art. 20 Nr. 2 LugÜ, der den Richter des Erststaates
zu einer Aussetzung des Verfahrens zwingt, damit der Beklagte das rechtliche
Gehör erhält (Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 6. Aufl. 1998, Rz.
18 zu Art. 27 EuGVÜ/LugÜ = Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 7.
Aufl. 2002, Rz. 23 zu Art. 34 EuGVO). Die Prüfung der Frage der
ordnungsgemässen Zustellung obliegt somit in erster Linie dem Urteilsstaat,
gehört aber auch zu den Pflichten der Behörden des Staates, in dem das Urteil
vollstreckt werden soll (Walter, Internationales Zivilprozessrecht der
Schweiz, 3. Aufl. 2002, S. 429).

3.2
3.2.1Artikel. 46 Nr. 2 LugÜ bestimmt, dass eine Partei, welche die
Anerkennung einer Entscheidung geltend macht oder die Zwangsvollstreckung
betreiben will, bei einer im Versäumnisverfahren ergangenen Entscheidung die
Urschrift oder eine beglaubigte Abschrift der Urkunde vorzulegen hat, aus der
sich ergibt, dass das den Rechtsstreit einleitende Schriftstück oder ein
gleichwertiges Schriftstück der säumigen Partei zugestellt worden ist. Diese
Bestimmung soll die Nachprüfung der Gewährung des rechtlichen Gehörs
ermöglichen und ist daher diesem Zweck entsprechend auszulegen (Kropholler,
a.a.O., Rz. 3 zu Art. 46 EuGVÜ/LugÜ). Es muss mit anderen Worten eine Urkunde
vorgelegt werden, die dem Richter des Vollstreckungsstaates überhaupt
erlaubt, die Ordnungsmässigkeit der Zustellung des verfahrenseinleitenden
Schriftstückes zu überprüfen.

3.2.2 Die Justizkommission geht davon aus, Art. 46 Nr. 2 LugÜ verlange eine
besondere Zustellungsurkunde, aus der sich die Tatsache der Zustellung des
erforderlichen Schriftstückes direkt ergibt. Dem ist zwar beizupflichten,
doch erklärt dies noch nicht, mit welcher Art von Dokument der Nachweis zu
erbringen ist. Artikel 5 der für Österreich und die Schweiz gültigen Haager
Übereinkunft betreffend Zivilprozessrecht vom 1. März 1954 (SR 0.274.12;
Übereinkommen) bestimmt, dass der Nachweis der Zustellung entweder durch
einen mit Datum versehenen und beglaubigten Empfangsschein des Empfängers
oder aber durch eine Bescheinigung der Behörde des ersuchten Staates erfolgt,
aus der sich die Tatsache, die Form und die Zeit der Zustellung ergibt. Der
Wortlaut von Art. 46 Nr. 2 LugÜ spricht nicht dagegen, beide im Übereinkommen
erwähnten Formen des Zustellungsnachweises zuzulassen. Damit aber vermag die
Amtsauskunft des Landesgerichts Innsbruck vom 12. Juni 1997 nicht als Urkunde
im Sinne von Art. 46 Nr. 2 LugÜ zu gelten, weil sie nicht von der Behörde des
ersuchten Staates, sondern von jener des ersuchenden Staates ausgestellt
worden ist und ebenso wenig einen beglaubigten Empfangsschein des Empfängers
darstellt.

3.3
3.3.1Bildet die vom Beschwerdeführer ins Recht gelegte Amtsbestätigung somit
keine Urkunde im Sinne von Art. 46 Nr. 2 LugÜ, so fragt sich, ob nicht ein
Ausnahmefall im Sinne von Art. 48 Abs. 1 LugÜ vorliegt. Danach kann sich das
Gericht (des Vollstreckungsstaates) namentlich mit gleichwertigen Urkunden
begnügen, wenn die in Art. 46 Nr. 2 LugÜ angeführten Urkunden nicht vorgelegt
werden. Die Bestimmung bezweckt, einen übertriebenen Formalismus
auszuschliessen. Nach der Lehre genügt eine Privaturkunde, wenn ihr das
Gericht nach den Grundsätzen des autonomen Rechts Beweiskraft beimisst
(Kropholler, a.a.O., Rz. 2 zu Art. 48 EuGVÜ/LugÜ). Als zulässig angesehen
werden aber auch der Zeugenbeweis oder die Amtsauskunft (Bischof, Die
Zustellung im internationalen Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen,
Diss. Zürich 1997, S. 473). Das Oberlandesgericht Frankfurt-am Main hat in
einem Entscheid vom 29. Mai 1978 als gleichwertiges Schriftstück einen Brief
betrachtet, in dem der Schuldner bestätigt hatte, die Gerichtsvorladung 20
Tage vor der Sitzung erhalten zu haben (RJDC, Série D, I-48-B.1). In ihrem
Urteil vom 8. Februar 1979 hat die Cour d'appel de Paris ein Protokoll des
Polizeikommissariats am Sitz der Schuldnerin als gleichwertige Urkunde
angenommen, woraus hervorging, dass die Schuldnerin der Vorladung nicht Folge
leisten wollte (RJDC, Série D, I-48-B.2; vgl. zum Ganzen auch Donzallaz, La
Convention de Lugano, Bd. 2, Bern 1997, Rz. 3729-3730).

3.3.2 Die im Original vorgelegte, mit einem Amtsstempel versehene Urkunde des
Landesgerichts Innsbruck bescheinigt zwar, dass die Klage samt Auftrag zur
Beantwortung dem Beschwerdegegner am 13. Februar 1997 persönlich zugestellt
worden ist, und bestätigt damit die Art der Zustellung (persönlich), welche
Art. 1 Nr. 3 des Vertrages zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und
der Republik Österreich vom 26. August 1968 zur Ergänzung des Haager
Übereinkommens vom 1. März 1954 betreffend Zivilprozessrecht (SR
0.274.181.631) entspricht. Im Gegensatz zu den in den Gerichtsentscheiden
zitierten Fällen ergibt sich jedoch die persönliche Zustellung nicht direkt
aus der Urkunde, und es kann dem Dokument ferner auch nicht entnommen werden,
aufgrund welcher anderen Schriftstücke die bescheinigende Urkunde ausgestellt
worden ist. Schliesslich ergeben sich daraus auch nicht die näheren Umstände
der persönlichen Zustellung. Vor diesem Hintergrund kann die Bestätigung des
Landesgerichts Innsbruck nicht als gleichwertige Urkunde im Sinne von Art. 48
Abs. 1 LugÜ gelten. Würde sie als genügende Urkunde anerkannt, so würde damit
Art.  46 Nr. 2 LugÜ unterlaufen.

3.4 Nicht eingetreten werden kann auf die staatsrechtliche Beschwerde
schliesslich, soweit der Beschwerdeführer der Justizkommission vorwirft, sie
habe ihm keine Nachfrist zur Einreichung der einschlägigen Dokumente gesetzt
und damit Art. 48 LugÜ verletzt. Die Justizkommission hat deswegen von einer
Nachfrist abgesehen, weil der Beschwerdegegner nicht nur die Zustellung des
verfahrenseinleitenden Schriftstücks bestritten, sondern auch die
Amtsbestätigung des Landesgerichts Innsbruck in Zweifel gezogen habe;
abgesehen davon widerspräche die Fristansetzung auch dem Novenverbot. Mit
diesen Begründungen setzt sich der Beschwerdeführer nicht einmal ansatzweise
auseinander; er erläutert damit nicht rechtsgenüglich, inwiefern das Vorgehen
der Justizkommission Art. 48 Abs. 1 LugÜ verletzt (BGE 119 Ia 197 E. d S.
201; 120 Ia 369 E. 3a; 123 I 1 E. 4a; 127 III 279 E. 1c S. 282, mit
Hinweisen).

4.
Damit ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen, soweit darauf
eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der
Beschwerdeführer  die Gerichtsgebühr zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG). Da keine
Vernehmlassung eingeholt worden ist, hat er dem Beschwerdegegner für das
bundesgerichtliche Verfahren keine Entschädigung auszurichten.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und der Justizkommission des Obergerichts des
Kantons Zug schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 12. Februar 2003

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: