Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.449/2002
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5P.449/2002 /bnm

Urteil vom 20. Februar 2003
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Hohl,
Gerichtsschreiber von Roten.

A. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Monika Linder-Stiefel, c/o
Forrer Lenherr Bögli, Rechtsanwälte, Toggenburgerstrasse 31, 9532 Rickenbach
b. Wil,

gegen

B.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Rolf Müller, Müller & Paparis,
Rechtsanwälte, Mühlebachstrasse 43,
Postfach 1420, 8032 Zürich,
Obergericht des Kantons Solothurn, Zivilkammer, Amthaus 1, 4502 Solothurn.

Art. 9 BV (provisorische Rechtsöffnung),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons
Solothurn, Zivilkammer, vom 22. Oktober 2002.

Sachverhalt:

A.
In der Betreibung Nr. xxx gegen den Schuldner A.________ verlangte der
Gläubiger B.________ die Beseitigung des Rechtsvorschlags und die Erteilung
der provisorischen Rechtsöffnung für den Forderungsbetrag von Fr. 10'000.--
und die Zahlungsbefehlskosten von Fr. 70.--. Seinem Gesuch legte er als Beleg
ein mit "Quittung" betiteltes, von Hand abgefasstes Schriftstück vor mit
folgendem Inhalt:
"Hiermit bestätigt A.________ ...[Adresse]... für die C.________ AG
...[Adresse]... Fr. 10'000.-- als Anzahlung für das Kaufobjekt
...[Bezeichnung]... von B.________ ...[Adresse]... erhalten zu haben.

Ort, Datum
A.________
Zürich, 29.03.99
sign. A.________

Die C.________ AG haftet mit A.________ solidarisch für die Anzahlung in der
Höhe von Fr. 10'000.--.
Für die C.________ AG
D.________
sign. D.________."
Das Schriftstück war an einer Sitzung vom 29. März 1999 verfasst worden, an
der A.________, B.________ und D.________ teilgenommen hatten. Die Anzahlung
erfolgte im Hinblick auf einen Grundstückkaufvertrag, der in der Folge nicht
zustande kam.

B.
Der Präsident des Amtsgerichts Bucheggberg-Wasseramt (Zivilabteilung)
erteilte die provisorische Rechtsöffnung für den Betrag von Fr. 10'000.--
nebst Zins zu 5 % seit dem 12. Februar 2002 sowie für die Kosten des
Zahlungsbefehls von Fr. 70.-- (Urteil vom 12. Juli 2002). Das Obergericht
(Zivilkammer) des Kantons Solothurn hiess den Rekurs von A.________ bezüglich
der Verzugszinsen gut und beschränkte die provisorische Rechtsöffnung auf den
Forderungsbetrag von Fr. 10'000.-- und die Zahlungsbefehlskosten von Fr.
70.-- (Urteil vom 22. Oktober 2002).

C.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung des Willkürverbots (Art. 9
BV) beantragt A.________ dem Bundesgericht zur Hauptsache die Aufhebung des
obergerichtlichen Urteils und eventualiter die Abweisung des
Rechtsöffnungsbegehrens. Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet
und schliesst auf Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde. Denselben
Antrag stellt B.________ in seiner Beschwerdeantwort.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Trotz kassatorischer Natur der staatsrechtlichen Beschwerde kann das
Bundesgericht ausnahmsweise dann auch selber über die Rechtsöffnung
entscheiden, wenn es das angefochtene Urteil nicht bloss auf Willkür hin
überprüft und die Rechtslage als genügend klar beurteilen kann (BGE 120 Ia
256 Nr. 38). Da der Beschwerdeführer nur Willkürrügen erhebt, ist die
erwähnte Ausnahme nicht gegeben und der Antrag auf Abweisung des
Rechtsöffnungsbegehrens unzulässig. Mit diesem Vorbehalt kann auf die
staatsrechtliche Beschwerde eingetreten werden. Die weiteren
Zulässigkeitsvoraussetzungen sind erfüllt.

2.
Der Amtsgerichtspräsident ist davon ausgegangen, dass der erste Teil der
"Quittung" keiner Schuldanerkennung entspreche, weil der Beschwerdeführer das
Geld nicht für sich, sondern für die C.________ AG entgegengenommen habe, und
dass der zweite Teil der "Quittung" nicht durch den Beschwerdeführer, sondern
von D.________ unterschrieben und deshalb die C.________ AG und nicht der
Beschwerdeführer verpflichtet worden sei. Die Anerkennung der Haftung durch
den Beschwerdeführer sei aber implizit erfolgt, indem er selbst geschrieben
habe, die C.________ AG sei mit ihm haftbar (S. 2). Das Obergericht hat
ebenfalls angenommen, aus dem Gesamtzusammenhang der Urkunde, insbesondere
dem zweiten Teil, der zur Auslegung des Erklärungsinhalts des
Beschwerdeführers herangezogen werden könne, sei zu schliessen, der
Beschwerdeführer habe mit der Unterzeichnung der Quittung in Kenntnis der
Erklärung von D.________ eine Rückzahlungsverpflichtung für den Fall des
Nichtzustandekommens des Liegenschaftskaufs anerkannt (S. 3). Der
Beschwerdeführer betrachtet die obergerichtliche Auffassung deshalb als
willkürlich, weil es an einer durch seine Unterschrift bekräftigten
Schuldanerkennung im Gesetzessinne fehle.

3.
Gemäss Art. 82 Abs. 1 SchKG kann der Gläubiger die provisorische
Rechtsöffnung verlangen, wenn die Forderung auf einer durch öffentliche
Urkunde festgestellten oder durch Unterschrift bekräftigten Schuldanerkennung
beruht. Zur provisorischen Rechtsöffnung berechtigt damit eine Privaturkunde,
die der Betreibungsschuldner unterschrieben hat und aus der sein
vorbehaltloser und unbedingter Wille hervorgeht, dem Betreibungsgläubiger
eine ziffernmässig bestimmte oder leicht bestimmbare und fällige Geldsumme zu
bezahlen. Die Schuldanerkennung kann sich auch aus einer Gesamtheit von
Urkunden ergeben, wenn daraus die notwendigen Elemente hervorgehen (zuletzt:
BGE 122 III 125 E. 2 S. 126).

Dass die beiden Teile der vorgelegten Privaturkunde je für sich keine
Schuldanerkennung des Beschwerdeführers ausweisen, kann nicht bestritten
werden. Im ersten Teil bestätigt der Beschwerdeführer unterschriftlich den
Erhalt einer Anzahlung von Fr. 10'000.-- für die C.________ AG. Soweit in
dieser Quittung überhaupt eine Schuldanerkennung erblickt werden kann, hat
der Beschwerdeführer nicht eine eigene, sondern die Schuld der C.________ AG
anerkannt. Im zweiten Teil erklärt die C.________ AG mit dem Beschwerdeführer
solidarisch für die Anzahlung von Fr. 10'000.-- zu haften. Soweit in dieser
Erklärung überhaupt eine Schuldanerkennung erblickt werden kann, hat nicht
der Beschwerdeführer, sondern die C.________ AG eine (Solidar-) Schuld
anerkannt.

Richtig ist, dass die beiden Teile der Privaturkunde als Ganzes keinen
erkennbaren Sinn ergeben. Entweder waren die damaligen Sitzungsteilnehmer der
Meinung, der Beschwerdeführer nehme die Anzahlung für sich persönlich und
nicht für die C.________ AG entgegen (erster Teil), womit die
Solidarverpflichtung der C.________ AG einen nachvollziehbaren Zweck erfüllen
könnte (zweiter Teil), oder die Parteien sind davon ausgegangen, der
Beschwerdeführer nehme die Anzahlung für die C.________ AG entgegen (erster
Teil) und verpflichte sich, persönlich mit der C.________ AG - und nicht
umgekehrt - für die Anzahlung solidarisch zu haften (zweiter Teil). Weder die
eine noch die andere Lösung wird indessen durch die Unterschrift des
Beschwerdeführers gedeckt. Im Gegensatz zum Amtsgerichtspräsidenten hat das
Obergericht zudem nicht angenommen, der Beschwerdeführer habe den Text der
Urkunde selbst geschrieben. Festgestellt ist im angefochtenen Urteil
lediglich, dass der zweite Teil der Urkunde nicht etwa nachträglich (scil.
nach Unterzeichnung des ersten Teils durch den Beschwerdeführer) beigefügt
und dass die Urkunde anlässlich einer gemeinsamen Sitzung vom
Beschwerdeführer und von D.________ "in einem Zug ... unterzeichnet" worden
sei (S. 2/3). Davon geht heute auch der Beschwerdegegner aus, wenn er
darlegt, der zweite, vom Beschwerdeführer nicht unterzeichnete Teil der
Urkunde sei als "Nachsatz vom Willen der Parteien getragen und entsprechend
an der Sitzung vor den Augen des Beschwerdeführers angefügt worden" (S. 4/5
der Beschwerdeantwort).

Die Frage, ob auf Grund der geschilderten Umstände wenigstens eine
stillschweigende oder durch schlüssiges Verhalten erfolgte
Rückzahlungsverpflichtung des Beschwerdeführers angenommen werden darf, kann
im summarischen Rechtsöffnungsverfahren nicht beantwortet werden. Ist der
Sinn oder die Auslegung des Rechtsöffnungstitels derart zweifelhaft oder
ergibt sich eine Schuld- anerkennung höchstens aus konkludenten Tatsachen,
darf die provisorische Rechtsöffnung nach anerkannten Grundsätzen nicht
erteilt werden (so bereits: Panchaud/Caprez, La mainlevée d'opposition,
Zürich/Lausanne 1939, § 13 lit. ff, in der deutschen Übersetzung von 1945, §
13 Z. 28; seither: z.B. GVP-SG 1996 Nr. 81 S. 182 f.). Der auf Zahlung eines
bestimmten oder bestimmbaren Betrags gerichtete Wille des Schuldners hat
deutlich aus der bzw. den vorgelegten Urkunden hervorzugehen (zuletzt: Urteil
des Bundesgerichts 5P.457/2001 vom 5. Februar 2002, E. 2). Andernfalls muss
der Entscheid darüber dem Gericht im ordentlichen Verfahren vorbehalten
bleiben, wie der Beschwerdeführer zu Recht hervorhebt (BGE 106 III 97 E. 4 S.
100; vgl. für den Fall einer Solidarschuldvereinbarung: z.B. LGVE 1990 I Nr.
42 S. 58 f.; Cometta, Il rigetto provvisorio dell'opposizione nella prassi
giudiziaria ticinese, Rep. 122/1989 S. 329 ff., S. 340 f.; Stücheli, Die
Rechtsöffnung, Diss. Zürich 2000, S. 180).

Indem das Obergericht die fragliche Privaturkunde entgegen den gezeigten
unumstrittenen Rechtsgrundsätzen als durch Unterschrift des Beschwerdeführers
bekräftigte Schuldanerkennung im Gesetzessinne betrachtet hat, ist es in
Willkür verfallen (Art. 9 BV; vgl. zum Begriff der Willkür in der
Rechtsanwendung: BGE 128 I 177 E. 2.1 S. 182 und 273 E. 2.1 S. 275).

4.
Der Beschwerdeführer geht richtig davon aus, dass eine Schuldanerkennung auch
dann einen gültigen Rechtsöffnungstitel darstellen kann, wenn sie nicht durch
den betriebenen Schuldner persönlich, sondern durch einen Vertreter
unterzeichnet worden ist. Unter dem Blickwinkel der Willkür ist dabei nach
der Rechtsprechung nicht erforderlich, dass ein Auftrag an den Dritten zur
Schuldanerkennung urkundlich ausgewiesen ist. Es genügt, dass sich die
Wirksamkeit der Unterschrift eines Dritten für den betriebenen Schuldner
"sonstwie" (z.B. aus konkludentem Verhalten des Schuldners) ergibt (BGE 112
III 88 Nr. 22). Die Frage nach einer derartigen Vertretung des
Beschwerdeführers könnte sich bezogen auf den zweiten, von D.________
unterschriebenen Teil der Privaturkunde beziehen, wo auch von einer Haftung
des Beschwerdeführers die Rede ist. Indessen zeigt die Privaturkunde
eindeutig, dass D.________ für die C.________ AG gehandelt und nicht den
Beschwerdeführer vertreten hat. Die gegenteilige Annahme eines
Vertretungsverhältnisses, wie sie gemäss obergerichtlichem Urteil faktisch in
Betracht fallen könnte, steht mit der tatsächlichen Situation in klarem
Widerspruch und erweist sich damit ebenfalls als willkürlich (Art. 9 BV; vgl.
zum Begriff der Willkür in der Beweiswürdigung: BGE 127 I 38 E. 2a S. 41).

5.
Bei diesem Verfahrensausgang wird der Beschwerdegegner kosten- und
entschädigungspflichtig (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 1 und 2 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten
ist, und das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn, Zivilkammer, vom
22. Oktober 2002 wird aufgehoben.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdegegner auferlegt.

3.
Der Beschwerdegegner hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Solothurn,
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 20. Februar 2003

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: