Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilabteilung 5P.356/2002
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5P.356/2002 /min

Urteil vom 5. Dezember 2002
II. Zivilabteilung

Bundesrichter Bianchi, Präsident,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer,
Gerichtsschreiber von Roten.

T. ________ (Tochter),
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Elmar
M. Jud, Oberer Graben 14, Postfach 138, 9001 St. Gallen,

gegen

V.________ (Vater),
Beschwerdegegner, vertreten durch lic.iur.HSG Pascal Koch, Advokaturbüro
Bollag, Kugler & Wydler, Im Lindenhof, Postfach 41, 9320 Arbon,
Obergericht des Kantons Thurgau, Promenadenstrasse 12, 8500 Frauenfeld.

Art. 9 BV (definitive Rechtsöffnung),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons
Thurgau vom 12. August 2002.

Sachverhalt:

A.
Mit Urteil vom 5. Mai/24. Juli 1996 wurde V.________ von seiner Ehefrau
geschieden. In der gerichtlich genehmigten Vereinbarung über die Nebenfolgen
der Scheidung verpflichtete er sich zur Zahlung von monatlichen
Kinderunterhaltsbeiträgen (jeweils zuzüglich Kinder- bzw. Ausbildungszulagen)
von Fr. 865.-- für K.________, geboren am 27. Februar 1985, und von Fr.
1'300.-- für T.________, geboren am 16. September 1980, "solange sie die
Wirtschaftsmittelschule besucht, ansonsten ebenfalls Fr. 865.00" (Ziffer 2
der genehmigten Konvention vom 5. bzw. 10. Juli 1996). Ende Januar 1998
musste T.________ die Wirtschaftsmittelschule verlassen. Sie begann im August
1998 eine kaufmännische Lehre und wurde am 16. September 1998 volljährig.

B.
Im Oktober 2001 setzte T.________ ausstehende Unterhaltsbeiträge für die Zeit
vom August 1998 bis August 2001 in Betreibung. Der Vize-Präsident des
Bezirksgerichts Arbon erteilte ihr für die Betreibungsforderung von Fr.
16'743.80 die definitive Rechtsöffnung (Verfügung vom 21. Mai 2002). Den
Rekurs von V.________ hiess das Obergericht des Kantons Thurgau teilweise gut
und erteilte die definitive Rechtsöffnung lediglich für den Betrag von Fr.
171.90, bestehend aus der nicht bezahlten Ausbildungszulage für September
1998 und der versäumten Indexierung der Unterhaltsbeiträge im August und
September 1998 (Rekursentscheid vom 12. August 2002).

C.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen willkürlicher Rechtsanwendung
beantragt T.________ dem Bundesgericht, den obergerichtlichen Rekursentscheid
aufzuheben. Es sind die kantonalen Akten, aber keine Vernehmlassungen
eingeholt worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die in Betreibung gesetzten Kinderunterhaltsbeiträge betreffen die Zeit nach
der Mündigkeit. Das Obergericht hat dafürgehalten, eine
Kinderunterhaltspflicht über die Mündigkeit hinaus bedürfe einer klaren
Grundlage im Scheidungsurteil bzw. in der gerichtlich genehmigten
Scheidungsvereinbarung. Diese Grundlage sei schon anfangs Januar 1998
entfallen, als die Beschwerdeführerin die Wirtschaftsmittelschule abgebrochen
habe. Die Beschwerdeführerin will die Klausel "solange sie die
Wirtschaftsmittelschule besucht" dahin verstanden wissen, dass die
Unterhaltsbeiträge "bis zum Abschluss der Erstausbildung" und deshalb über
ihre Mündigkeit hinaus geschuldet seien.

Das Rechtsöffnungsgericht hat unter anderem zu prüfen, ob sich die in
Betreibung gesetzte Forderung aus dem vorgelegten gerichtlichen Urteil
ergibt. Dabei hat es weder über den materiellen Bestand der Forderung zu
befinden noch sich mit der materiellen Richtigkeit des Urteils zu befassen.
Ist dieses unklar oder unvollständig, bleibt es Aufgabe des Sachgerichts eine
Erläuterung oder Vervollständigung vorzunehmen (BGE 113 III 6 E. 1b S. 9/10;
124 III 501 E. 3a S. 503). Die zitierten Urteile betreffen
Unterhaltsforderungen und machen vor allem deutlich, welchen Anforderungen an
Klarheit und Vollständigkeit gerichtlich genehmigte Unterhaltsvereinbarungen
mit Blick auf die im Rechtsöffnungsverfahren herrschende formale Strenge
genügen müssen. Die Vollstreckbarkeit zu gewährleisten, bezweckt heute Art.
140 ZGB, der im Wesentlichen die bereits vor der ZGB-Revision von 1998/2000
geltende Bundesgerichtspraxis widerspiegelt (vgl. etwa Sutter/Freiburghaus,
Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, Zürich 1999, N. 1, N. 13 und N. 87 ff.
zu Art. 140 ZGB).

In der gerichtlich genehmigten Vereinbarung hatte sich der Beschwerdegegner
zu Kinderunterhaltsbeiträgen verpflichtet, solange die Beschwerdeführerin die
Wirtschaftsmittelschule besucht. Da die Beschwerdeführerin die Schule
vorzeitig abgebrochen hat, ist diese sog. auflösende Bedingung eingetreten
und die davon abhängige Unterhaltspflicht über die Mündigkeit hinaus
entfallen. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin durfte das Obergericht
- unter Willkürgesichtspunkten - die Frage verneinen, dass diese
Resolutivbedingung nicht bloss den Abschluss der Wirtschaftsmittelschule
meine, sondern "klar" den Abschluss der Erstausbildung. Denn die auszulegende
Klausel rechtfertigt die unterhaltsmässige Bevorzugung der Beschwerdeführerin
gegenüber ihrer Schwester mit dem Sonderfall, dass die Beschwerdeführerin -
wie sie selber hervorhebt - im Zeitpunkt der Scheidung die
Wirtschaftsmittelschule besucht hat. Sollte dieser Sonderfall nicht mehr
gegeben sein ("solange"), musste auch die Ungleichbehandlung der Geschwister
in Bezug auf den Unterhalt entfallen ("ansonsten ebenfalls Fr. 865.00"). Auf
die überzeugende Begründung im angefochtenen Urteil (E. 4c S. 6 f.) kann hier
verwiesen werden. Die obergerichtliche Ansicht, für eine
Unterhaltsverpflichtung "bis zum Abschluss der Erstausbildung" und insoweit
über die Mündigkeit hinaus biete die gerichtlich genehmigte
Scheidungsvereinbarung keinen Rechtsöffnungstitel, hält der Willkürprüfung
stand (Art. 9 BV; vgl. zum Begriff: BGE 128 I 177 E. 2.1 S. 182).

2.
Die Beschwerdeführerin wendet ein, das Obergericht habe nicht berücksichtigt,
dass der Beschwerdegegner über die Mündigkeit hinaus weiterhin
Unterhaltsbeiträge - wenn auch nicht im Umfang gemäss Scheidungsurteil -
bezahlt habe. Es sei zudem stossend, sie auf die Unterhaltsklage zu
verweisen. Sie habe ihre Ausbildung im Sommer 2001 abgeschlossen und könnte
gemäss Art. 279 Abs. 1 ZGB Unterhalt nur für ein Jahr rückwirkend verlangen.
Das Obergericht hat Unterhaltszahlungen des Beschwerdegegners nach der
Mündigkeit der Beschwerdeführerin lediglich im Zusammenhang mit der
definitiven Rechtsöffnung für die Ausbildungszulage (September 1998) und die
Indexierung zweier Unterhaltsbeiträge (August und September 1998) erwähnt (E.
5 S. 7). Welche Bedeutung den vom Beschwerdegegner erbrachten Zahlungen
zukommt, ist im kantonalen Verfahren letztlich umstritten geblieben. Die
Leistungen können als Tilgung und damit Anerkennung einer Unterhaltspflicht
betrachtet werden oder schenkungshalber oder in Erfüllung einer sittlichen
Pflicht erfolgt sein. Über derart heikle materiellrechtliche Fragen hat das
Rechtsöffnungsgericht nicht zu befinden (BGE 115 III 97 E. 4b S. 101; 124 III
501 E. 3a S. 503). Indem sich das Obergericht mit den besagten
Unterhaltszahlungen nicht näher befasst hat, ist es von der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung ausgegangen und deshalb nicht in Willkür
verfallen (Art. 9 BV; vgl. zum Begriff: BGE 115 III 125 E. 3 S. 130; 118 Ia 8
E. 2c S. 13).

Dass das unterhaltsberechtigte Kind es entgelten muss, wenn es nicht sofort
klagt, wird durch den gesetzgeberischen Entscheid in Art. 279 Abs. 1 ZGB nur
insoweit gemildert, als eine Nachforderung von Unterhalt für ein Jahr vor
Klageerhebung zulässig ist. Diesen Nachteil vermag ein Verfahren auf
Abänderung oder Ergänzung des Scheidungsurteils nicht zu beheben, da die
entsprechenden Urteile eine weitergehende Rückwirkung nicht ermöglichen (BGE
90 II 351 E. 4 S. 357/358; Bühler/Spühler, Berner Kommentar, 1980, N. 19 zu
aArt. 156 und N. 189 zu aArt. 157 ZGB). Soweit die Scheidungsvereinbarung in
Verbindung mit dem sie genehmigenden Urteil eine klar gedachte und gewollte
Lösung nicht richtig wiedergeben sollte, könnte eine Erläuterung das
Scheidungsurteil im Sinne der Beschwerdeführerin vollstreckbar machen, doch
ist die Frist für ein Erläuterungsgesuch längst abgelaufen (§ 252 Abs. 1
ZPO/TG). Auf Grund der geschilderten Rechtslage dürfte die Beschwerdeführerin
den von ihr behaupteten finanziellen Schaden erfahren. Diese Tatsache vermag
indessen nichts daran zu ändern, dass das Obergericht das Vorliegen eines
ausreichenden Rechtsöffnungstitels willkürfrei verneinen durfte (E. 1
hiervor). Die Kritik der Beschwerdeführerin richtet sich denn auch an den
Gesetzgeber.

3.
Die unterliegende Beschwerdeführerin wird kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1
OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 5. Dezember 2002

Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: